08.09.2017
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»Wir vermissen Freiheit in Syrien schon seit so langer Zeit. Ich denke, dass dieses Gefühl der Freiheit etwas ist, was die Menschen hier in Deutschland miteinander verbindet und was auch uns Flüchtlinge mit ihnen verbinden kann.« Foto: Tim Wegner

Mohamad Hadid (30) flüchtete im Dezember 2013 vor der Einberufung zur Armee aus seiner Heimatstadt Damaskus, Syrien. Im Gespräch mit PRO ASYL erzählt er, warum er unsere Freiheit verteidigt.

PRO ASYL: Moha­mad, du hast vor unse­rem Gespräch heu­te Mor­gen die gan­ze Nacht durch­ge­ar­bei­tet. Warum?

Moha­mad Hadid: Ja, ich habe heu­te Mor­gen eine wich­ti­ge Haus­ar­beit abge­ge­ben für mein Mas­ter­stu­di­um im Non Pro­fit Manage­ment. Das The­ma war För­de­rungs­ma­nage­ment für inter­na­tio­na­le Hilfs­pro­jek­te – genau­er, wie man die­se Pro­jek­te auf Bun­des­ebe­ne und euro­päi­scher Ebe­ne finan­zie­ren kann.

Gleich­zei­tig arbei­test du in der Flücht­lings­hil­fe, außer­dem noch bei der Dia­ko­nie Hes­sen in Frank­furt, du koope­rierst mit PRO ASYL – wie schaffst du das alles?

Bei der Dia­ko­nie arbei­te ich einen Tag pro Woche ehren­amt­lich. Und fünf Tage in der Woche arbei­te ich beim Ver­ein für sozi­al­päd­ago­gi­sches Manage­ment. Der Ver­ein beschäf­tigt sich mit Flücht­lings­fra­gen. Ich bin dort Lei­ter für die Inter­na­tio­na­len Pro­jek­te. Wir haben ver­schie­de­ne Pro­jek­te in Grie­chen­land, in Syri­en, im Liba­non und auf Hai­ti. Zur­zeit grün­den wir in Koope­ra­ti­on mit dem Bun­des­mi­nis­te­ri­um für wirt­schaft­li­che Zusam­men­ar­beit zwei Schu­len in Syrien.

»Ich woll­te auf kei­nen Fall zur Armee, ich woll­te nie­man­den töten.«

Dir selbst bleibt ja die Ein­rei­se nach Syri­en verwehrt?

Ich kann nicht nach Syri­en, man wür­de mich sofort fest­neh­men. Vor drei Jah­ren habe ich das Land ver­las­sen und bin nach Deutsch­land, weil ich zum Mili­tär soll­te. Als ich fort muss­te, war ich im vier­ten Stu­di­en­se­mes­ter, Finanz­wirt­schaft und Rech­nungs­we­sen. Ich hat­te damals auch einen Job bei der UNO in Damas­kus, ich war dort Beschaf­fungs­ma­na­ger und Pro­jekt­as­sis­tent. Ich woll­te auf kei­nen Fall zur Armee, ich woll­te nie­man­den töten.

Damals war der Bür­ger­krieg bereits voll ent­brannt. Wie bist du rausgekommen?

Die Revo­lu­ti­on fing im März 2011 an. Ich kom­me aus dem Süden von Damas­kus – von dort muss­te unse­re Fami­lie schon am 16. Dezem­ber 2012 weg. Ich habe mich dann bei der TU Dres­den für den Stu­di­en­gang „Inter­na­tio­na­les Manage­ment“ bewor­ben und bekam sofort eine Zusa­ge. Danach erhielt ich ein Visum von der deut­schen Botschaft.

Das war ja unge­wöhn­li­ches Glück! Und in Deutsch­land hast du dann einen Asyl­an­trag gestellt?

Als ich nach Deutsch­land kam, war mein Pass schon fast abge­lau­fen. Und natür­lich konn­te ich nicht zur syri­schen Bot­schaft, weil ich mich ja der Ein­be­ru­fung zum Mili­tär ent­zo­gen hat­te. Ich hat­te daher kei­ne Chan­ce auf einen neu­en Pass. Ich bin dann zur Aus­län­der­be­hör­de und habe ihnen mei­ne Geschich­te erzählt. Sie sag­ten dann zu mir, ich kön­ne einen Asyl­an­trag stellen.

Und wie ver­lief das Asylverfahren?

Ganz schnell! Nach nur drei Wochen bekam ich eine Zusage.

Ab dann warst du aner­kannt nach der Gen­fer Flüchtlingskonvention?

Ja!

Und wo war zu der Zeit dei­ne Familie?

Mei­ne Fami­lie ist damals in den Liba­non geflüch­tet. Mein Vater, mei­ne Mut­ter, mei­ne zwei Schwes­tern und mein Bru­der leb­ten dort in Sai­da im Süden des Landes.

»Mein Bru­der war zuerst in Ägyp­ten, dann wie­der im Liba­non, dann im Sudan – weil er kein Visum bekam, um zu mir nach Deutsch­land zu kommen.«

Und wo sind sie jetzt?

Mei­ne älte­re Schwes­ter stu­diert in den USA. Mei­ne zwei­te Schwes­ter, mei­ne Mut­ter und mein Bru­der sind in Deutsch­land. Mein Bru­der war zuerst in Ägyp­ten, dann wie­der im Liba­non, dann im Sudan – weil er kein Visum bekam, um zu mir nach Deutsch­land zu kom­men. Vom Sudan ist er dann durch die Saha­ra nach Liby­en. Das war gefähr­lich, in der Wüs­te waren Mili­zen. Danach von Liby­en nach Ita­li­en. Und dann nach Deutschland.

Mei­ne Mut­ter und mei­ne Schwes­ter muss­ten vom Liba­non wie­der zurück nach Syri­en. Von dort sind sie in die Tür­kei, und von dort mit dem Boot nach Grie­chen­land. Das ers­te Mal sind sie geken­tert – sie waren zwei oder drei Stun­den im Was­ser. Das tür­ki­sche Mili­tär hat sie gese­hen, aber zunächst nicht gehol­fen. Erst als eine Per­son starb, haben sie die ande­ren geret­tet. Beim zwei­ten Ver­such haben mei­ne Mut­ter und mei­ne Schwes­ter es dann geschafft.

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Foto: Tim Wegner

Die Flucht­we­ge von der Tür­kei nach Grie­chen­land sind jetzt geschlos­sen. Die liby­sche Küs­ten­wa­che wird aus­ge­bil­det, damit die Boo­te nicht able­gen kön­nen. Die Süd­gren­ze zum Sudan wird dicht gemacht. Wie geht es dir mit die­ser EU-Abschottungspolitik?

Die syri­schen Flücht­lin­ge aus den Kriegs­ge­bie­ten haben kei­ne ande­re Mög­lich­keit, als zu flie­hen. Ich habe ges­tern einen Bericht gele­sen, dort spre­chen sie von zwölf Mil­lio­nen syri­schen Flücht­lin­gen. Nur fünf Pro­zent davon sind in Euro­pa. Die meis­ten befin­den sich in der Nähe von Syri­en: im Liba­non, in Jor­da­ni­en, in der Tür­kei. Sie wer­den dort sehr schlecht behan­delt. Vie­le Kin­der und Jugend­li­che haben schon seit Jah­ren kei­nen Schul­un­ter­richt. Nächs­te Woche flie­ge ich in den Liba­non. Dort wol­len wir mit unse­rem Ver­ein ein Pro­jekt grün­den, um Kin­dern und Jugend­li­chen zu hel­fen. Das Pro­blem ist auch, dass vie­le arbei­ten müs­sen, um ihre Eltern zu unterstützen.

Wie ist die Situa­ti­on für syri­sche Flücht­lin­ge in Ägyp­ten oder in der Tür­kei? Sie kön­nen dort ja kein Asyl­ver­fah­ren durch­lau­fen, um einen Flücht­lings­sta­tus zu bekommen?

In Ägyp­ten geht über­haupt nichts. Und in der Tür­kei müs­sen vie­le Flücht­lin­ge im Lager leben – wenn sie her­aus­ge­hen, gel­ten sie als ille­gal und kön­nen inhaf­tiert werden.

Kann man aus Syri­en noch in die Tür­kei fliehen?

Das ist sehr schwer. Man muss viel Geld zah­len. Mei­ne Mut­ter und mei­ne Schwes­ter haben an der Gren­ze zwei- oder drei­tau­send Euro bezahlt, nur von Syri­en in die Türkei.

Das heißt, die Flucht­we­ge sind versperrt?

Man kann nur weg, wenn man Geld hat.

Und wer kein Geld hat?

Des­halb blei­ben ja so vie­le Flücht­lin­ge in der Nähe von Syri­en – in Jor­da­ni­en, im Liba­non, im Irak. Sie haben kein Geld, ihre Situa­ti­on ist sehr kompliziert.

»Letz­ten Monat starb mein Cou­sin, 19 Jah­re alt. Er muss­te zum Mili­tär und starb am ers­ten oder zwei­ten Tag als Soldat. «

Hast du noch Ver­wand­te oder Freun­de in der Region?

Vie­le, vor allem in Damas­kus. Letz­ten Monat starb mein Cou­sin, 19 Jah­re alt. Er muss­te zum Mili­tär und starb am ers­ten oder zwei­ten Tag als Sol­dat. Schrecklich.

Und die Situa­ti­on eska­liert immer weiter.

Es gibt schon wie­der eine neue Miliz – ähn­lich wie ISIS oder Al Nus­ra. Die sind genau­so schlimm wie die Regierung.

Noch­mals zur Situa­ti­on der Flücht­lin­ge in der Regi­on: Was ist deren Hauptproblem?

Sie dür­fen nicht arbei­ten. Nur die Kin­der fin­den Arbeit, als Putz­kräf­te oder in der Land­wirt­schaft – dafür bekom­men sie pro Tag zwei oder drei Euro.

Und die gro­ße Hil­fe, die Euro­pa ver­spro­chen hat, wo ist die?

Kaum zu sehen. Viel Geld ver­schwin­det, wird geklaut. Es gibt zu wenig Kontrolle.

»Wir ver­mis­sen Frei­heit in Syri­en schon seit so lan­ger Zeit.«

Kannst du noch ein­mal berich­ten wie das war – damals, als die Revo­lu­ti­on in Syri­en begann, der Kampf um Frei­heit und Demokratie?

Wir hoff­ten auf mehr poli­ti­sche Frei­heit. Dass wir frei spre­chen und unse­re Wer­te ver­tre­ten kön­nen. Das war aber alles ver­bo­ten. Wir muss­ten genau dar­auf ach­ten, was wir sagen – und ob jemand vom Geheim­dienst das mit­be­kommt. Die Dik­ta­tur hat auf die For­de­run­gen nach poli­ti­scher Frei­heit mit Gewalt geant­wor­tet. Und auf die­se Gewalt haben die Rebel­len dann ähn­lich gewalt­tä­tig geant­wor­tet. Gewalt gegen Gewalt, das ist das Pro­blem. Dazu kommt die Ein­mi­schung: Sau­di Ara­bi­en, die Tür­kei und der Iran tra­gen mit ihrer Unter­stüt­zung der Mili­zen viel zur Eska­la­ti­on bei. Und jetzt? Jetzt ist unser Land total zerstört.

In unse­rer PRO ASYL-Kam­pa­gne zeigst du dein Gesicht für das Motiv »Ich ver­tei­di­ge Dei­ne Frei­heit«. Was bedeu­tet dir Freiheit?

Wir ver­mis­sen Frei­heit in Syri­en schon seit so lan­ger Zeit. Ich den­ke, dass die­ses Gefühl der Frei­heit etwas ist, was die Men­schen hier in Deutsch­land mit­ein­an­der ver­bin­det und was auch uns Flücht­lin­ge mit ihnen ver­bin­den kann. Die Deut­schen kön­nen von syri­schen Flücht­lin­gen ler­nen, wie wert­voll Frei­heit ist. Das wis­sen wir genau, weil es in Syri­en eben kei­ne Frei­heit gibt. Und wir Flücht­lin­ge kön­nen von den Deut­schen ler­nen, wie man in Frei­heit lebt.

Inter­view: Gün­ter Burkhardt