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BVerfG: Vorschnelle Ablehnung von Folgeanträgen verletzt Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz

Mit einem kürzlich bekannt gewordenen Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) der Verfassungsbeschwerde eines homosexuellen Pakistaners stattgegeben. Die Besonderheit der Entscheidung: Das höchstrichterliche Gericht zieht die Voraussetzungen für einen zulässigen Folgeantrag klar und stärkt dabei die Rechte der Antragstellenden.
Der Betroffene floh als Minderjähriger zusammen mit seinem Vater nach Deutschland. Das Asylverfahren, das sich ausschließlich auf Gründe des Vaters stützte, blieb erfolglos. Der mittlerweile volljährig gewordene junge Mann outete sich schließlich als homosexuell und führt nun eine Beziehung mit einem Mann. Aufgrund dieser neuen Umstände stellte er einen neuen Asylantrag (Folgeantrag nach § 71 AsylG), da er sich vor einer Verfolgung als Homosexueller in Pakistan fürchtet.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte den Folgeantrag jedoch bereits als unzulässig ab. Mit Unterstützung durch den Rechtshilfefonds von PRO ASYL ging der Betroffene dagegen vor – erfolgreich.
Folgeantrag: Neue Sachlage? Neue Rechtslage? Neue Beweismittel?
Bei einer inhaltlichen Prüfung eines Folgeantrags muss das BAMF alle Verfahrensgarantien des Asylgesetzes gewährleisten. Bevor es aber zur inhaltlichen Prüfung kommt, entscheidet es zunächst, ob dieser Folgeantrag überhaupt zulässig ist. Dies ist u.a. dann der Fall, wenn sich die Sach- oder Rechtslage zugunsten der Betroffenen ändert. Es reicht aus, dass durch diese geltend gemachten Änderungen die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung für die betroffene Person besteht, das tatsächliche Ergebnis steht gerade noch nicht fest. Wenn der Folgeantrag hingegen schon als unzulässig gewertet wird, bleiben den Antragstellenden nur erheblich eingeschränkte Verfahrens- und Rechtsschutzgarantien, es droht die Abschiebung.
»Die Prüfung hat im Rahmen eines neuen, mit den Verfahrensgarantien des Asylgesetzes ausgestatteten materiellen Anerkennungsverfahrens zu erfolgen.«
Im vorliegenden Fall hat der Anwalt des Betroffenen vorgetragen, dass aufgrund der Homosexualität eine strafrechtliche staatliche Verfolgung, aber auch familiäre und zivilgesellschaftliche Verfolgungen in Pakistan drohen. Dies stellt eine Lageänderung zugunsten des Betroffenen dar. Und dennoch: Sowohl das BAMF als auch das Verwaltungsgericht Cottbus lehnten den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ab. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob der Folgeantrag zulässig sei, da wegen der Homosexualität keine günstigere Entscheidung in der Sache möglich sei. Es mangele nämlich an einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit in Pakistan, da es nur in wenigen Fällen zu Haftstrafen – also staatlicher Verfolgung – komme. Damit wurde bereits das inhaltliche Ergebnis bei der Frage der Zulässigkeit des Folgeantrags vorweggenommen.
Es geht um Verfahrensgarantien!
Diese Rechtsauffassung hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss nunmehr als Verstoß gegen die Rechtsweggarantie gewertet. Geht es um die Frage, ob ein Folgeasylantrag zulässig ist, ist es ausreichend, wenn der Asylbewerber eine Änderung der politischen Verhältnisse oder Lebensbedingungen in seinem Heimatstaat oder der sein persönliches Schicksal bestimmenden Umstände im Verhältnis zu der der ersten Asylentscheidung zugrunde liegenden Sachlage substantiiert vorträgt, so das höchste deutsche Gericht. Denn:
»Nicht von Bedeutung ist, ob der neue Vortrag im Hinblick auf das glaubhafte persönliche Schicksal des Antragstellers sowie unter Berücksichtigung der allgemeinen Verhältnisse im angeblichen Verfolgerland tatsächlich zutrifft, die Verfolgungsfurcht begründet erscheinen lässt und die Annahme einer relevanten Verfolgung rechtfertigt. Diese Prüfung hat im Rahmen eines neuen, mit den Verfahrensgarantien des Asylgesetzes ausgestatteten materiellen Anerkennungsverfahrens zu erfolgen.« (Beschluss, Rn. 21).
Geht es um die Frage, ob ein Folgeasylantrag zulässig ist, ist es ausreichend, wenn der Asylbewerber eine Änderung der politischen Verhältnisse oder Lebensbedingungen in seinem Heimatstaat oder der sein persönliches Schicksal bestimmenden Umstände im Verhältnis zu der der ersten Asylentscheidung zugrunde liegenden Sachlage substantiiert vorträgt.
Lediglich wenn der neue Vortrag zwar glaubhaft und substantiiert, jedoch von vornherein »nach jeder vertretbaren Betrachtungsweise« ungeeignet ist, zur Zuerkennung internationalen Schutzes zu verhelfen, darf der Folgeantrag als unzulässig abgelehnt werden.
Pakistan: Verfolgung Homosexueller existiert
Im vorliegenden Fall stellt das BVerfG fest, dass staatliche und nichtstaatliche Verfolgung und Diskriminierung von Homosexuellen in Pakistan unstreitig existiert. Ob dies im Ergebnis auch eine hinreichende Verfolgungsdichte erreicht, um die Regelvermutung eigener Verfolgung zu rechtfertigen, müsse nun im wiederaufzunehmenden Asylverfahren geprüft werden. Diese materielle Prüfung kann aber gerade nicht schon im Rahmen einer reinen Unzulässigkeitsprüfung vorweggenommen werden.
Eine Ablehnung kann für die Betroffenen bedeuten, dass sie Verfolgung, Gewalt, Willkür oder Rechtlosigkeit ausgesetzt werden. Das darf nicht vorschnell geschehen!
Das BVerfG bekräftigt damit einmal mehr die zu gewährenden Verfahrens- und Rechtswegegarantien in einem Folgeantragsverfahren. Relevanz hat das nicht nur für Pakistan – auch in anderen Fallkonstellationen spielt dies eine gewichtige Rolle. Auch mit Blick auf Folgeanträge von afghanischen Asylantragstellenden z.B. stellt sich die Frage, ob hier nicht zunächst der Folgeantrag zugelassen werden muss und sich erst dann eine materielle Prüfung anschließen kann. Schließlich gibt es weitreichende Informationen, z.B. des UNHCR, zur Verschlechterung der Sicherheitslage in Kabul, die der Einschätzung anderer Behörden widersprechen.
Nicht vergessen werden darf: Eine Ablehnung kann für die Betroffenen bedeuten, dass sie Verfolgung, Gewalt, Willkür oder Rechtlosigkeit ausgesetzt werden. Das darf nicht vorschnell geschehen.
(dmo / beb)