17.02.2020

Mit einem kürzlich bekannt gewordenen Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) der Verfassungsbeschwerde eines homosexuellen Pakistaners stattgegeben. Die Besonderheit der Entscheidung: Das höchstrichterliche Gericht zieht die Voraussetzungen für einen zulässigen Folgeantrag klar und stärkt dabei die Rechte der Antragstellenden.

Der Betrof­fe­ne floh als Min­der­jäh­ri­ger zusam­men mit sei­nem Vater nach Deutsch­land. Das Asyl­ver­fah­ren, das sich aus­schließ­lich auf Grün­de des Vaters stütz­te, blieb erfolg­los. Der mitt­ler­wei­le voll­jäh­rig gewor­de­ne jun­ge Mann oute­te sich schließ­lich als homo­se­xu­ell und führt nun eine Bezie­hung mit einem Mann. Auf­grund die­ser neu­en Umstän­de stell­te er einen neu­en Asyl­an­trag (Fol­ge­an­trag nach § 71 AsylG), da er sich vor einer Ver­fol­gung als Homo­se­xu­el­ler in Paki­stan fürchtet.

Das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) lehn­te den Fol­ge­an­trag jedoch bereits als unzu­läs­sig ab. Mit Unter­stüt­zung durch den Rechts­hil­fe­fonds von PRO ASYL ging der Betrof­fe­ne dage­gen vor – erfolgreich.

Folgeantrag: Neue Sachlage? Neue Rechtslage? Neue Beweismittel?

Bei einer inhalt­li­chen Prü­fung eines Fol­ge­an­trags muss das BAMF alle Ver­fah­rens­ga­ran­tien des Asyl­ge­set­zes gewähr­leis­ten. Bevor es aber zur inhalt­li­chen Prü­fung kommt, ent­schei­det es zunächst, ob die­ser Fol­ge­an­trag über­haupt zuläs­sig ist. Dies ist u.a. dann der Fall, wenn sich die Sach- oder Rechts­la­ge zuguns­ten der Betrof­fe­nen ändert. Es reicht aus, dass durch die­se gel­tend gemach­ten Ände­run­gen die Mög­lich­keit einer güns­ti­ge­ren Ent­schei­dung für die betrof­fe­ne Per­son besteht, das tat­säch­li­che Ergeb­nis steht gera­de noch nicht fest. Wenn der Fol­ge­an­trag hin­ge­gen schon als unzu­läs­sig gewer­tet wird, blei­ben den Antrag­stel­len­den nur erheb­lich ein­ge­schränk­te Ver­fah­rens- und Rechts­schutz­ga­ran­tien, es droht die Abschiebung.

»Die Prü­fung hat im Rah­men eines neu­en, mit den Ver­fah­rens­ga­ran­tien des Asyl­ge­set­zes aus­ge­stat­te­ten mate­ri­el­len Aner­ken­nungs­ver­fah­rens zu erfolgen.«

Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt

Im vor­lie­gen­den Fall hat der Anwalt des Betrof­fe­nen vor­ge­tra­gen, dass auf­grund der Homo­se­xua­li­tät eine straf­recht­li­che staat­li­che Ver­fol­gung, aber auch fami­liä­re und zivil­ge­sell­schaft­li­che Ver­fol­gun­gen in Paki­stan dro­hen. Dies stellt eine Lage­än­de­rung zuguns­ten des Betrof­fe­nen dar. Und den­noch: Sowohl das BAMF als auch das Ver­wal­tungs­ge­richt Cott­bus lehn­ten den Antrag auf einst­wei­li­gen Rechts­schutz ab. Dabei kön­ne dahin­ge­stellt blei­ben, ob der Fol­ge­an­trag zuläs­sig sei, da wegen der Homo­se­xua­li­tät kei­ne güns­ti­ge­re Ent­schei­dung in der Sache mög­lich sei. Es man­ge­le näm­lich an einer beacht­li­chen Ver­fol­gungs­wahr­schein­lich­keit in Paki­stan, da es nur in weni­gen Fäl­len zu Haft­stra­fen – also staat­li­cher Ver­fol­gung – kom­me. Damit wur­de bereits das inhalt­li­che Ergeb­nis bei der Fra­ge der Zuläs­sig­keit des Fol­ge­an­trags vorweggenommen.

Es geht um Verfahrensgarantien!

Die­se Rechts­auf­fas­sung hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt in sei­nem Beschluss nun­mehr als Ver­stoß gegen die Rechts­weg­ga­ran­tie gewer­tet. Geht es um die Fra­ge, ob ein Fol­ge­asyl­an­trag zuläs­sig ist, ist es aus­rei­chend, wenn der Asyl­be­wer­ber eine Ände­rung der poli­ti­schen Ver­hält­nis­se oder Lebens­be­din­gun­gen in sei­nem Hei­mat­staat oder der sein per­sön­li­ches Schick­sal bestim­men­den Umstän­de im Ver­hält­nis zu der der ers­ten Asy­l­ent­schei­dung zugrun­de lie­gen­den Sach­la­ge sub­stan­ti­iert vor­trägt, so das höchs­te deut­sche Gericht. Denn:

»Nicht von Bedeu­tung ist, ob der neue Vor­trag im Hin­blick auf das glaub­haf­te per­sön­li­che Schick­sal des Antrag­stel­lers sowie unter Berück­sich­ti­gung der all­ge­mei­nen Ver­hält­nis­se im angeb­li­chen Ver­fol­ger­land tat­säch­lich zutrifft, die Ver­fol­gungs­furcht begrün­det erschei­nen lässt und die Annah­me einer rele­van­ten Ver­fol­gung recht­fer­tigt. Die­se Prü­fung hat im Rah­men eines neu­en, mit den Ver­fah­rens­ga­ran­tien des Asyl­ge­set­zes aus­ge­stat­te­ten mate­ri­el­len Aner­ken­nungs­ver­fah­rens zu erfol­gen.« (Beschluss, Rn. 21).

Geht es um die Fra­ge, ob ein Fol­ge­asyl­an­trag zuläs­sig ist, ist es aus­rei­chend, wenn der Asyl­be­wer­ber eine Ände­rung der poli­ti­schen Ver­hält­nis­se oder Lebens­be­din­gun­gen in sei­nem Hei­mat­staat oder der sein per­sön­li­ches Schick­sal bestim­men­den Umstän­de im Ver­hält­nis zu der der ers­ten Asy­l­ent­schei­dung zugrun­de lie­gen­den Sach­la­ge sub­stan­ti­iert vorträgt.

Ledig­lich wenn der neue Vor­trag zwar glaub­haft und sub­stan­ti­iert, jedoch von vorn­her­ein »nach jeder ver­tret­ba­ren Betrach­tungs­wei­se« unge­eig­net ist, zur Zuer­ken­nung inter­na­tio­na­len Schut­zes zu ver­hel­fen, darf der Fol­ge­an­trag als unzu­läs­sig abge­lehnt werden.

Pakistan: Verfolgung Homosexueller existiert

Im vor­lie­gen­den Fall stellt das BVerfG fest, dass staat­li­che und nicht­staat­li­che Ver­fol­gung und Dis­kri­mi­nie­rung von Homo­se­xu­el­len in Paki­stan unstrei­tig exis­tiert. Ob dies im Ergeb­nis auch eine hin­rei­chen­de Ver­fol­gungs­dich­te erreicht, um die Regel­ver­mu­tung eige­ner Ver­fol­gung zu recht­fer­ti­gen, müs­se nun im wie­der­auf­zu­neh­men­den Asyl­ver­fah­ren geprüft wer­den. Die­se mate­ri­el­le Prü­fung kann aber gera­de nicht schon im Rah­men einer rei­nen Unzu­läs­sig­keits­prü­fung vor­weg­ge­nom­men werden.

Eine Ableh­nung kann für die Betrof­fe­nen bedeu­ten, dass sie Ver­fol­gung, Gewalt, Will­kür oder Recht­lo­sig­keit aus­ge­setzt wer­den. Das darf nicht vor­schnell geschehen!

Das BVerfG bekräf­tigt damit ein­mal mehr die zu gewäh­ren­den Ver­fah­rens- und Rechts­we­ge­ga­ran­tien in einem Fol­ge­an­trags­ver­fah­ren. Rele­vanz hat das nicht nur für Paki­stan – auch in ande­ren Fall­kon­stel­la­tio­nen spielt dies eine gewich­ti­ge Rol­le. Auch mit Blick auf Fol­ge­an­trä­ge von afgha­ni­schen Asyl­an­trag­stel­len­den z.B. stellt sich die Fra­ge, ob hier nicht zunächst der Fol­ge­an­trag zuge­las­sen wer­den muss und sich erst dann eine mate­ri­el­le Prü­fung anschlie­ßen kann. Schließ­lich gibt es weit­rei­chen­de Infor­ma­tio­nen, z.B. des UNHCR, zur Ver­schlech­te­rung der Sicher­heits­la­ge in Kabul, die der Ein­schät­zung ande­rer Behör­den widersprechen.

Nicht ver­ges­sen wer­den darf: Eine Ableh­nung kann für die Betrof­fe­nen bedeu­ten, dass sie Ver­fol­gung, Gewalt, Will­kür oder Recht­lo­sig­keit aus­ge­setzt wer­den. Das darf nicht vor­schnell geschehen.

(dmo / beb)