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Abschiebungen: Das sind keine Zahlen, das sind Schicksale von Menschen
Abschiebungen finden oft im Verborgenen statt und nicht selten werden die Rechte der Betroffenen dabei verletzt. Umso wichtiger sind Monitoring, Intervention und Dokumentation. Ein beeindruckendes Beispiel für diese Arbeit ist das Projekt »Abschiebungsreporting NRW«, kofinanziert von PRO ASYL.
Welche Menschen stecken hinter den Zahlen, wenn über »mehr Abschiebungen« debattiert wird? Und welche Rechtsverletzungen gehen mit Abschiebungen häufig einher?
Das vom Projekt Abschiebungsreporting NRW und dem Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. gemeinsam herausgegebene Buch »Abschiebungen in Nordrhein-Westfalen. Ausgrenzung, Entrechtung. Widerstände.« stellt die Erlebnisse der von Abschiebung betroffenen Menschen in den Mittelpunkt und legt gleichzeitig die gängige deutsche Abschiebepraxis am Beispiel Nordrhein-Westfalens offen.
Dabei setzt das Buch ein mutiges Gegennarrativ in Zeiten, in denen selbst gesellschaftliche Kräfte und Parteien, die sich seit jeher für Flüchtlingsrechte einsetzen, nach mehr Abschiebungen rufen. Anhand einer Auswertung von rund 110 Fällen wird in dem Buch deutlich, wie viel Leid und Entrechtung die Menschen erfahren. Das Buch stellt heraus, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: Es handelt sich um Menschen, auch wenn die Betroffenen in den derzeitigen Debatten oft entmenschlicht werden.
Es trifft alle
Während Politik und Behörden oft von »Gefährdern« und »Straftätern« sprechen, treffen Abschiebungen oft Familien, Menschen in Arbeit, Pflegekräfte, Kranke oder Rentner*innen – oft auch Menschen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Familientrennungen sind Alltag, Abschiebungen aus Betreuungseinrichtungen oder von der Arbeitsstelle keine Seltenheit. Auch Abschiebehaft wird oft angewandt, selbst bei vulnerablen oder schwer kranken Menschen. Diese Praktiken sind keine Ausnahmen, sondern Ausdruck einer jahrzehntelangen strukturellen Abschiebepolitik, die derzeit einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat, spätestens seit der Aussage des Bundeskanzlers, »endlich im großen Stil abschieben« zu wollen.
Abschiebungen von Kranken und Familien
Abschiebungen selbst von Familien und Kranken werden oft unter rigorosen Bedingungen durchgeführt. Ein Kinderschutzkonzept für Abschiebungen gibt es nicht, obwohl die UN-Kinderrechtskonvention vorschreibt, das Kindeswohl zu achten. Schwer erkrankten Personen wird durch medizinische Gutachten und fit-to-fly-Bescheinigungen von behördentreuen Ärzt*innen eine Reisefähigkeit attestiert, ebenso älteren oder besonders schutzbedürftigen Menschen.
Abschiebungen von Roma*
An der Tagesordnung sind auch Abschiebungen von Roma*. Empfehlungen der Antiziganismus-Kommission, diese Praxis zu beenden, werden in Deutschland ignoriert und nicht diskutiert. Dabei sollten Roma* aufgrund der deutschen Geschichte einen besonderen Schutz genießen. Bei Rückkehr in die Länder, aus denen sie geflüchtet sind, droht ihnen eine Fortsetzung der Diskriminierung und nicht selten im Winter auch Gefahr für Leib und Leben, wie PRO ASYL in einem 2022 erschienenen Gutachten am Beispiel der Roma* aus Moldau darlegt.
Abschiebungen gefährdeter Gruppen
Die Abschiebungen von Angehörigen gefährdeter ethnischer, sozialer, politischer oder religiöser Gruppen bringen die Betroffenen in Lebensgefahr, wie zum Beispiel Kurd*innen aus der Türkei, konvertierte Christ*innen aus dem Iran oder Oppositionelle aus Tadschikistan. Eine Abschiebung bedeutet für diese Menschen eine realistische Gefahr, inhaftiert, gefoltert oder getötet zu werden. Trotzdem werden sie abgeschoben.
Abschiebungen betreffen mit etwa 40 Prozent der Fälle außerdem oft Menschen, die gar kein Asylverfahren durchlaufen haben
Abschiebungen trotz Arbeit
Auch Beschäftigte oder Studierende sind nicht geschützt, wenn sie bestimmte Vorgaben nicht mehr erfüllen. So kommt es immer wieder vor, dass selbst händeringend gesuchte Fachkräfte in Mangelberufen abgeschoben werden.
Abschiebungen betreffen mit etwa 40 Prozent der Fälle außerdem oft Menschen, die gar kein Asylverfahren durchlaufen haben, zum Beispiel Personen mit abgelaufenem Visum, Studierende, die aus verschiedenen Gründen ihr Studium unterbrechen müssen oder Arbeitnehmende, die ihre Aufenthaltserlaubnis durch Arbeitsplatzverlust verlieren.
Solidarität und Widerstand
Wir leben in Zeiten von zunehmendem Rechtspopulismus und einer Asylrechtsverschärfung nach der nächsten. Der Gegenwind ist hart, für Menschen, die Schutz suchen und für Menschen, die diese unterstützen – wie Berater*innen, Rechtsanwält*innen oder Aktivist*innen. Dabei ist gerade in solchen Zeiten die Solidarität mit Geflüchteten und von Abschiebung Bedrohten wichtiger denn je.
Denn man kann Demokratie und Rechtsstaat genau daran messen, wie mit Menschen umgegangen wird, deren Unterstützung keine Mehrheit in der Bevölkerung findet. Deshalb kofinanziert PRO ASYL die Dokumentation von Abschiebevorgängen in Nordrhein-Westfalen, die ansonsten völlig im Verborgenen stattfinden würden und unterstützt Interventionen bei Rechtsverletzungen.
(nb, fw)
Literaturangaben:
Sebastian Rose/Sascha Schießl, Abschiebungen in Nordrhein-Westfalen. Ausgrenzung. Entrechtung. Widerstände, Köln 2024. Herausgegeben von Abschiebungsreporting NRW & Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. (Veröffentlichung pdf am 28. Mai 2024; Print im Druck; (PRINT-ISBN 978–3‑88906–202‑4; PDF-ISBN 978–3‑88906–203‑1))