05.12.2024

Abschiebungen finden oft im Verborgenen statt und nicht selten werden die Rechte der Betroffenen dabei verletzt. Umso wichtiger sind Monitoring, Intervention und Dokumentation. Ein beeindruckendes Beispiel für diese Arbeit ist das Projekt »Abschiebungsreporting NRW«, kofinanziert von PRO ASYL.

Wel­che Men­schen ste­cken hin­ter den Zah­len, wenn über »mehr Abschie­bun­gen« debat­tiert wird? Und wel­che Rechts­ver­let­zun­gen gehen mit Abschie­bun­gen häu­fig einher?

Das vom Pro­jekt Abschie­bungs­re­port­ing NRW und dem Komi­tee für Grund­rech­te und Demo­kra­tie e.V. gemein­sam her­aus­ge­ge­be­ne Buch »Abschie­bun­gen in Nord­rhein-West­fa­len. Aus­gren­zung, Ent­rech­tung. Wider­stän­de.« stellt die Erleb­nis­se der von Abschie­bung betrof­fe­nen Men­schen in den Mit­tel­punkt und legt gleich­zei­tig die gän­gi­ge deut­sche Abschie­be­pra­xis am Bei­spiel Nord­rhein-West­fa­lens offen.

Dabei setzt das Buch ein muti­ges Gegen­nar­ra­tiv in Zei­ten, in denen selbst gesell­schaft­li­che Kräf­te und Par­tei­en, die sich seit jeher für Flücht­lings­rech­te ein­set­zen, nach mehr Abschie­bun­gen rufen. Anhand einer Aus­wer­tung von rund 110 Fäl­len wird in dem Buch deut­lich, wie viel Leid und Ent­rech­tung die Men­schen erfah­ren. Das Buch stellt her­aus, was eigent­lich selbst­ver­ständ­lich sein soll­te: Es han­delt sich um Men­schen, auch wenn die Betrof­fe­nen in den der­zei­ti­gen Debat­ten oft ent­mensch­licht werden.

Es trifft alle

Wäh­rend Poli­tik und Behör­den oft von »Gefähr­dern« und »Straf­tä­tern« spre­chen, tref­fen Abschie­bun­gen oft Fami­li­en, Men­schen in Arbeit, Pfle­ge­kräf­te, Kran­ke oder Rentner*innen –  oft auch Men­schen, die in Deutsch­land gebo­ren und auf­ge­wach­sen sind. Fami­li­en­tren­nun­gen sind All­tag, Abschie­bun­gen aus Betreu­ungs­ein­rich­tun­gen oder von der Arbeits­stel­le kei­ne Sel­ten­heit. Auch Abschie­be­haft wird oft ange­wandt, selbst bei vul­ner­ablen oder schwer kran­ken Men­schen. Die­se Prak­ti­ken sind kei­ne Aus­nah­men, son­dern Aus­druck einer jahr­zehn­te­lan­gen struk­tu­rel­len Abschie­be­po­li­tik, die der­zeit einen vor­läu­fi­gen Höhe­punkt erreicht hat, spä­tes­tens seit der Aus­sa­ge des Bun­des­kanz­lers, »end­lich im gro­ßen Stil abschie­ben« zu wollen.

Abschiebungen von Kranken und Familien

Abschie­bun­gen selbst von Fami­li­en und Kran­ken wer­den oft unter rigo­ro­sen Bedin­gun­gen durch­ge­führt. Ein Kin­der­schutz­kon­zept für Abschie­bun­gen gibt es nicht, obwohl die UN-Kin­der­rechts­kon­ven­ti­on vor­schreibt, das Kin­des­wohl zu ach­ten. Schwer erkrank­ten Per­so­nen wird durch medi­zi­ni­sche Gut­ach­ten und fit-to-fly-Beschei­ni­gun­gen von behör­den­treu­en Ärzt*innen eine Rei­se­fä­hig­keit attes­tiert, eben­so älte­ren oder beson­ders schutz­be­dürf­ti­gen Menschen.

Abschiebungen von Roma*

An der Tages­ord­nung sind auch Abschie­bun­gen von Roma*. Emp­feh­lun­gen der Anti­zi­ga­nis­mus-Kom­mis­si­on, die­se Pra­xis zu been­den, wer­den in Deutsch­land igno­riert und nicht dis­ku­tiert. Dabei soll­ten Roma* auf­grund der deut­schen Geschich­te einen beson­de­ren Schutz genie­ßen. Bei Rück­kehr in die Län­der, aus denen sie geflüch­tet sind, droht ihnen eine Fort­set­zung der Dis­kri­mi­nie­rung und nicht sel­ten im Win­ter auch Gefahr für Leib und Leben, wie PRO ASYL in einem 2022 erschie­ne­nen Gut­ach­ten am Bei­spiel der Roma* aus Mol­dau darlegt.

Abschiebungen gefährdeter Gruppen

Die Abschie­bun­gen von Ange­hö­ri­gen gefähr­de­ter eth­ni­scher, sozia­ler, poli­ti­scher oder reli­giö­ser Grup­pen brin­gen die Betrof­fe­nen in Lebens­ge­fahr, wie zum Bei­spiel Kurd*innen aus der Tür­kei, kon­ver­tier­te Christ*innen aus dem Iran oder Oppo­si­tio­nel­le aus Tadschi­ki­stan. Eine Abschie­bung bedeu­tet für die­se Men­schen eine rea­lis­ti­sche Gefahr, inhaf­tiert, gefol­tert oder getö­tet zu wer­den. Trotz­dem wer­den sie abgeschoben.

Abschie­bun­gen betref­fen mit etwa 40 Pro­zent der Fäl­le außer­dem oft Men­schen, die gar kein Asyl­ver­fah­ren durch­lau­fen haben

Abschiebungen trotz Arbeit

Auch Beschäf­tig­te oder Stu­die­ren­de sind nicht geschützt, wenn sie bestimm­te Vor­ga­ben nicht mehr erfül­len. So kommt es immer wie­der vor, dass selbst hän­de­rin­gend gesuch­te Fach­kräf­te in Man­gel­be­ru­fen abge­scho­ben werden.

Abschie­bun­gen betref­fen mit etwa 40 Pro­zent der Fäl­le außer­dem oft Men­schen, die gar kein Asyl­ver­fah­ren durch­lau­fen haben, zum Bei­spiel Per­so­nen mit abge­lau­fe­nem Visum, Stu­die­ren­de, die aus ver­schie­de­nen Grün­den ihr Stu­di­um unter­bre­chen müs­sen oder Arbeit­neh­men­de, die ihre Auf­ent­halts­er­laub­nis durch Arbeits­platz­ver­lust verlieren.

Solidarität und Widerstand

Wir leben in Zei­ten von zuneh­men­dem Rechts­po­pu­lis­mus und einer Asyl­rechts­ver­schär­fung nach der nächs­ten. Der Gegen­wind ist hart, für Men­schen, die Schutz suchen und für Men­schen, die die­se unter­stüt­zen – wie Berater*innen, Rechtsanwält*innen oder Aktivist*innen. Dabei ist gera­de in sol­chen Zei­ten die Soli­da­ri­tät mit Geflüch­te­ten und von Abschie­bung Bedroh­ten wich­ti­ger denn je.

Denn man kann Demo­kra­tie und Rechts­staat genau dar­an mes­sen, wie mit Men­schen umge­gan­gen wird, deren Unter­stüt­zung kei­ne Mehr­heit in der Bevöl­ke­rung fin­det. Des­halb kofi­nan­ziert PRO ASYL die Doku­men­ta­ti­on von Abschie­be­vor­gän­gen in Nord­rhein-West­fa­len, die ansons­ten völ­lig im Ver­bor­ge­nen statt­fin­den wür­den und unter­stützt Inter­ven­tio­nen bei Rechtsverletzungen.

(nb, fw)