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20 Jahre Rostock-Lichtenhagen – ein Akt politischer Brandstiftung
In Folge des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen wurde das deutsche Asylrecht verschärft. Seither werden Asylsuchende in Deutschland durch rassistische Sondergesetze gedemütigt. In ihnen wirkt das Pogrom bis heute fort.
Rostock, August 1992: Hunderte von Bürgerinnen und Bürgern Rostocks sehen zu, wie im Stadtteil Lichtenhagen ein Wohnheim in Brand gesteckt wird. Darin sind mehr als hundert Menschen eingeschlossen – Vietnamesinnen und Vietnamesen sowie einige deutsche Unterstützer. Nur durch glückliche Umstände gibt es am Ende keine Toten.
Auch wenn die Liste der Orte, an denen in Deutschland rassistische Gewalttäter brandschatzten, lang ist: Das Rostocker Pogrom steht bis heute in einzigartiger Weise für das Zusammenwirken von Politik und dem rassistischen, gewalttätigen Mob der Straße.
Die Kampagne gegen das Asylrecht
Anfang der neunziger Jahre suchten viele Menschen Schutz in Deutschland, insbesondere in Folge der Kriege auf dem Balkan. Doch statt sich für die Unterbringung der Flüchtlinge zu engagieren, wurde politisch Stimmung gegen Asylsuchende gemacht. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl sprach angesichts der Flüchtlinge vom drohenden „Staatsnotstand“.
Schon zuvor hatten CDU und CSU die Forderung erhoben, das im Grundgesetz verankerte Asylrecht abzuschaffen – ursprünglich eine Forderung der rechtsextremen Republikaner. 1992 erreichte die Kampagne gegen das Asylrecht ihren Höhepunkt. Doch nicht nur Unionspolitiker waren es, die nach der Wiedervereinigung Deutschlands gegen all jene Stimmung machten, die als nicht dazugehörig angesehen wurden.
Der organisierte Notstand
Lange war in Bundesrat und Bundestag eine Zweidrittelmehrheit für die Beseitigung des Asylrechts nicht in Sicht. Erst Rostock lieferte das Ereignis, mit dem der ohnehin schwindende Widerstand der anderen Parteien gebrochen werden konnte. Ein Ereignis, das man sehenden Auges in Kauf genommen hatte.
So wurde die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber in Rostock-Lichtenhagen von den politisch Verantwortlichen systematisch überbelegt. Problemanzeigen wurden ignoriert. Die Stimmung schaukelte sich auf, Neonazis zogen daraus ihren Nutzen. Zur Ignoranz der Politik kam das Versagen der Polizei: Drei Tage wüteten die Täter, sie stießen auf wenig Widerstand.
Die politisch Verantwortlichen hatten erst gehetzt. Dann ließen sie die Täter gewähren. Und dann instrumentalisierten sie die Taten für ihre politische Agenda. Das Pogrom von Rostock wurde zu einem Akt politischer Brandstiftung.
Die Kapitulation vor dem Mob
Das brennende Wohnheim in Rostock-Lichtenhagen wurde nicht zum Anlass genommen, gegen die rassistischen Gewalttäter vorzugehen. Stattdessen wurden die Opfer denunziert. Auf einer Pressekonferenz am 24. August 1992 anlässlich der Ereignisse in Rostock sagte der damalige Bundesinnenminister Rudolf Seiters: „Wir müssen handeln gegen den Missbrauch des Asylrechts, der dazu geführt hat, dass wir einen unkontrollierten Zustrom in unser Land bekommen haben.“ Er hoffe, so Seiters, dass das Ereignis die SPD endlich dazu bringe, der Änderung des Asylrechts zuzustimmen.
Am 6. Dezember 1992 kapitulierte die SPD. Sie einigte sich mit CDU/CSU und FDP im sogenannten Asylkompromiss darauf, das Asylrecht weitgehend auszuhebeln. Seitdem soll die Drittstaatenregelung – heute praktisch durch die Dublin-II-Verordnung ersetzt – Schutzsuchende von Deutschland fernhalten. Wer dennoch kommt, wird den damals beschlossenen rassistischen Sondergesetzen unterworfen: Der zermürbenden Lagerunterbringung, dem erniedrigenden Asylbewerberleistungsgesetz samt seiner demütigenden „Sachleistungen“. All das gibt es noch heute. Die Konsequenzen des Pogroms und seiner politischen Instrumentalisierung wirken fort.
Keine Entwarnung vor dem Rassismus der Mitte
Immerhin die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz hat das Bundesverfassungsgericht vor wenigen Wochen für verfassungswidrig erklärt. Erst nach fast 20 Jahren hat es festgestellt, dass auch Asylsuchenden und Flüchtlingen ein menschenwürdiges Existenzminimum zusteht und angeordnet, dass die Betroffenen mehr Geld erhalten müssen.
Während viele Medien das Urteil positiv kommentierten, tobte in den Kommentarspalten der Online-Medien der Mob: Bürgerinnen und Bürger empörten sich darüber, dass Ausländern nun dieselben Sozialleistungen zugestanden werden sollten wie Deutschen. Ähnlich den Kommentaren, wie sie die Bürgerinnen und Bürger Rostocks 1992 in die Fernsehkameras sprachen, war wieder von „Scheinasylanten“ und „Sozialschmarotzern“ die Rede.
Ein Wunder? Die offizielle Politik dieses Landes degradiert Flüchtlinge seit fast zwei Jahrzehnten zu Menschen zweiter Klasse, demütigt sie und grenzt sie systematisch aus. Damit hat sie den Rassismus der Straße bestärkt, anstatt ihm entgegenzutreten. Politik, die es Rassisten recht macht, gibt ihnen Recht und bestärkt sie in ihrem Tun.
Rassismus den Kampf ansagen
Das Pogrom von Rostock kann nicht ungeschehen gemacht werden. Nichts kann die 181 Menschen wieder lebendig machen, die in Deutschland seit der Wiedervereinigung rassistischen Angriffen zum Opfer fielen. Nichts kann den Schmerz der Hinterbliebenen heilen und die Überlebenden ihre Todesangst vergessen lassen. Nichts kann wieder gut machen, dass deutsche Behörden so oft die rassistischen Taten bagatellisierten, die Opfer und ihre Angehörigen verhöhnten und die Täter laufen ließen.
Doch Gesetze kann man ändern. Zwanzig Jahre nach dem Pogrom ist es an der Zeit, endlich die Paragrafen abzuschaffen, mit denen man 1992 die „Ausländer raus“-Rufe des Mobs von Rostock in die Gesetzbücher geschrieben hat. Kämpfen wir für eine Politik, die Flüchtlinge schützt und Rassismus die Stirn bietet.
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