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20 Jahre „Asylkompromiss“ – Sieg der Straße und eine Niederlage des Rechtsstaates

Am 6. Dezember 1992 einigten sich CDU/CSU, FDP und SPD darauf, das Asylgrundrecht zu ändern. Die Einschränkung des deutschen Asylrechts ging einher mit dem Versprechen, ein europäisches Asylsystem zu schaffen. Dieses wurde bis heute nicht eingelöst.
Der sogenannte Asylkompromiss vor 20 Jahren stellte einen vorläufigen Höhepunkt eines langjährigen Prozesses regelmäßiger Gesetzesverschärfungen dar. Ihm ging eine lange Kampagne gegen das Asylgrundrecht voraus. Seit dem Beginn der neunziger Jahre nahmen die Verbalattacken gegen Flüchtlinge dramatisch zu. Mit Parolen wie »Das Boot ist voll« und Schlagworten wie »Asylantenflut« oder »Missbrauch des Asylrechts« wurden Ressentiments gegen Flüchtlinge geschürt.
In einem Rundbrief vom 12. September 1991 forderte der damalige Generalsekretär der CDU, Volker Rühe, alle CDU-Fraktionsvorsitzenden in Landtagen, Kreistagen, Stadt- und Gemeinderäten und Bürgerschaften dazu auf, »die Asylpolitik zum Thema zu machen und die SPD dort herauszufordern, gegenüber den Bürgern zu begründen, warum sie sich gegen eine Änderung des Grundgesetzes sperrt“.
Die Kampagne gegen das Asylrecht war der Nährboden für zahlreiche Angriffe auf Flüchtlinge, die seit der Wiedervereinigung an der Tagesordnung waren. Im August 1992 setzte in Rostock-Lichtenhagen ein rassistischer Mob unter dem Beifall der umstehenden deutschen Nachbarn ein Haus in Brand, in dem 120 Vietnamesen eingeschlossen waren.
Die Instrumentalisierung der Opfer
Aber auch dieses schreckliche Ereignis führte nicht dazu, dass die Bonner Politiker ihre Kampagne gegen das Asylgrundrecht einstellten. Im Gegenteil: Nach dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen wurde die Forderungen nach der Grundgesetzänderung noch vehementer vorgetragen. Man führte die rassistische Gewalt auf die angeblich zu hohen Asylbewerberzahlen zurück. Dies wurde mit der Warnung vor der »Gefährdung des inneren Friedens« verbunden.
Der damalige Kanzleramtsminister Friedrich Bohl wies im August 1992 die Forderung, Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) solle sich nach Rostock begeben, mit dem Argument der »unnötigen Dramatisierung« zurück. Stattdessen wies Bohl darauf hin, man müsse die Überforderung der Menschen beenden. „Das wird nur dadurch geschehen, dass wir dem Missbrauch des Asylrechts begegnen.“
Das leere Versprechen eines europäischen Asylrechts
Am 6. Dezember 1992 kapitulierte die SPD. Mit CDU/CSU und FDP verabredeten die Sozialdemokraten die Änderung des Grundrechts auf Asyl. Pro Asyl kommentierte damals: „Dies ist ein Sieg der Straße und eine Niederlage des Rechtsstaates“.
Wer über einen sicheren Drittstaat einreise, müsse dort Asyl beantragen, aber nicht bei uns, so sah es der Asylkompromiss vor. Eine praktische Regel: Deutschland sah sich von sicheren Drittstaaten umgeben – wer auf dem Landweg kam, hatte kaum eine Chance. Und für Flüchtlinge, die mit dem Flugzeug landeten, drohte im Rahmen des sogenannten Flughafenverfahrens ein kurzer Prozess. Und wer all diese Hürden überwand, wurde durch das Asylbewerberleistungsgesetz diskriminiert und ausgegrenzt.
In einer historischen Debatte beschloss der Deutsche Bundestag am 26. Mai 1993 die Änderung des Grundrechts auf Asyl. „Wir müssen die Singularisierung Deutschlands beenden“ – so der damalige Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU Wolfgang Schäuble im Deutschen Bundestag am 26. Mai. Wie ein roter Faden zog sich durch die Debatte, dass das deutsche Asylrecht europafähig werden müsse. „Wir, die CDU/CSU und FDP haben immer gesagt, dass mit der Abschaffung der Binnengrenzen in Europa eine Harmonisierung des Asylrechts zwingend notwendig wird“, so Schäuble.
Von wegen Solidarität. Wie das Dublin-System Flüchtlinge an Europas Grenzen drängt
Doch es kam anders: Deutschland sperrt sich bis heute entschieden dagegen, ein europäisches Asylrecht auf einem menschenrechtlichen Niveau zu schaffen. Zwar wurden im europäischen Gesetzgebungsprozess Fortschritte erzielt, wie etwa die Anerkennung von nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung. Ein gemeinsames europäisches Asylsystem, das diesen Namen verdient und Flüchtlinge tatsächlich schützt, ist jedoch noch in weiter Ferne.
In Europa ist immer noch in der Regel derjenige Staat für einen Flüchtling zuständig, der ihn in die EU hat einreisen lassen. Dies ist das oberste Regelungsprinzip in Europa, das vor allem Staaten in der Mittellage wie etwa Deutschland mit Zähnen und Klauen verteidigen – erlaubt es doch, die Verantwortung für den Flüchtlingsschutz den Staaten an den Außengrenzen zuzuschieben. Auch die neue Dublin III-Verordnung wird an diesem Grundprinzip nichts ändern.
Das unsolidarische System führt dazu, dass für die EU-Staaten nicht der Schutz der Flüchtlinge, sondern das Abwälzen der Verantwortung auf andere Staaten im Vordergrund steht. Der Mangel an Solidarität unter den EU-Staaten führt zu einem Mangel an Solidarität gegenüber schutzsuchenden Menschen: In vielen Staaten am Rande der EU herrschen katastrophale Aufnahmebedingungen. In Malta, Griechenland, Ungarn, Italien und anderen Staaten werden Flüchtlinge inhaftiert oder landen auf der Straße.
Abschottung um jeden Preis
„Das sich einigende Europa schottet sich nicht ab. Wir verlagern mit der Entscheidung, die wir heute zu treffen haben, unsere Probleme auch nicht auf unsere Nachbarn in Europa,“ so Wolfgang Schäuble am 26. Mai 1993. Doch genau dies wurde vollzogen. Die Innenminister der europäischen Länder setzen alles daran, Flüchtlinge am Zugang nach Europa zu hindern. Heute üben sie massiven Druck auf Griechenland aus, die Grenzen gegen die angebliche illegale Einwanderung besser zu schützen. Frontex-Einheiten liefern die technische Ausrüstung. Mit 1 800 Polizisten riegelt Griechenland die Landgrenze zur Türkei im Evros-Gebiet ab. Europa schützt seine Grenzen – nicht jedoch die Flüchtlinge.
Die Folge dieser inhumanen Politik: Die Fluchtwege werden länger und gefährlicher. In ihrer Verzweiflung begeben sich Flüchtlinge immer wieder auf den gefährlichen Weg mit kleinen Booten über das Mittelmeer. Trotz der vielen tödlichen Flüchtlingstragödien, die die Öffentlichkeit in Europa immer wieder kurzfristig aufschrecken, perfektioniert Europa die Abschottung. So soll das Überwachungssystem EUROSUR die Außengrenzen mit Drohnen und Satelliten überwachen. Die europäische Grenzagentur Frontex wird immer weiter ausgebaut. Die Überwachung des Grenzbereichs wird vorverlagert nach Nordafrika und in die Türkei.
Dem im Asylkompromiss vom 6. Dezember 1992 geschaffenen Paragraphenwall folgte kein europäisches Asylsystem, sondern ein System der Flüchtlingsabwehr, das die Verantwortung für Schutzsuchende auf Staaten in der Peripherie Europas abschiebt.
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