Hintergrund
Resettlement: Aufgenommen und allein gelassen
Mohammed Issa ist einer der wenigen, die aus dem tunesischen Flüchtlingslager Choucha aufgenommen wurden. Seine jahrelange Flucht endet hier. Nicht aber die seiner Familienangehörigen.
Im Jahr 2012 nimmt die Bundesregierung per „Resettlement“ neben 105 Irakflüchtlingen aus der Türkei 201 Schutzbedürftige aus dem tunesischen Grenzlager Choucha auf. Einer von ihnen ist Mohamed Issa aus Darfur.
Issa verlässt seine Heimat Al Maliha in Nordost-Darfur im Jahr 1988, um in Libyen Geologie zu studieren. Nachdem Studium findet er zeitweise Anstellungen in Libyen, lebt und arbeitet dort wie viele subsaharische Afrikaner vorübergehend, kehrt aber regelmäßig in seine Heimat zurück. Infolge eines gewalttätigen Übergriffs auf sein Dorf während eines Heimataufenthalts 2004 ist Issa gezwungen, Darfur zu verlassen, nach Libyen zu fliehen und dort zu bleiben.
Sechs Jahre lang von Partnerin getrennt
Aufgrund der erschwerten Grenzüberquerung seit dieser Zeit und der erhöhten Gefahren bei einer Flucht durch die Wüste bleiben seine Angehörigen in Darfur zurück. Diese Trennung sollte nicht von kurzer Dauer bleiben. Erst 2010 gelingt es Mohamed Issa, seine Frau nach Libyen zu holen, wo sie heiraten. Zusammen leben sie mit all den Schwierigkeiten, denen sie als Afrikaner aus dem Subsahararaum in Libyen ausgesetzt sind, in Tripoli.
Rassismus und Diskriminierungserfahrungen gehören zu ihrem Alltag. Issa bemüht sich um die Anerkennung als Flüchtling durch den UNHCR in Libyen, aber vergeblich. Er berichtet von der strukturellen Unzugänglichkeit zur Flüchtlingsanerkennung des UNHCR, der Missachtung und Verhinderung des Anerkennungsverfahrens durch libysche Autoritäten und Sicherheitspersonal, die den Zugang zum UNHCR kontrollieren.
Libyen: Situation für Migrantinnen und Migranten verschärft sich
Mit Beginn der Unruhen, den Straßenschlachten und der schrittweisen Eroberung von Gebieten durch die Rebellen verschärft sich die Situation 2011. Issa und seine Frau werden durch Gebietskonflikte getrennt. Sie halten sich in von unterschiedlichen Konfliktparteien besetzten Stadtteilen auf und können sich nicht mehr sehen. Der Sturz des Gaddafi-Regimes, der dadurch ausgelöste Bürgerkrieg und letztlich die NATO-Intervention zwingen die Menschen zu fliehen.
Die wenigen, denen das möglich ist, kehren in ihre Heimatländer zurück, so auch die Frau von Issa. Andere riskieren ihr Leben, indem sie auf Boote in Richtung Europa steigen, wieder andere fliehen Richtung Tunesien. So auch Issa. Im März 2011 erreicht er die libysch-tunesische Grenze und wird in einem der Flüchtlingslager,wie sie nun in dieser Wüstenregion zwischen Libyen und Tunesien entstehen, aufgenommen. Im Camp erhält er von UNHCR den Schutzstatus eines anerkannten Flüchtlings gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention. Noch weitere 16 Monate müssen Issa und andere in dem schutzlosen Wüstencamp ausharren, bis Deutschland von dort 201 anerkannte Flüchtlinge aufnimmt, darunter besonders Schutzbedürftige sowie besonders gut Ausgebildete.
Von Choucha nach Berlin
So lässt sich die Aufnahme von Mohamed Issa, einem studierten Geologen, auch erklären. Die Choucha-Flüchtlinge werden auf verschiedene Bundesländer verteilt und zunächst in so genannten Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Mohamed Issa kommt in die Aufnahmeeinrichtung Marienfelde in Berlin. Er ist glücklich,dass seine jahrelange Flucht ein Ende hat, dass er endlich in Sicherheit ist. Die Herausforderungen, die dieses neue Leben mit sich bringt, sind andere. Deutschlernen, eine Arbeit und eine Wohnung finden; und das alles in Berlin, wo Arbeits- und Wohnungsmarkt äußerst angespannt sind.
Außerdem bleiben die sorgenvollen Gedanken an die zurückgelassenen Angehörigen. In Darfur, wo Mutter, Frau und Kind von Issa leben, werden die ethnischen Konflikte bis heute fortgesetzt. Durch die anhaltende Gewalt haben Tausende ihr Leben und ihre Heimat verloren. Issa möchte seine Familienangehörigen zu sich nach Deutschland holen, doch die Aufnahmeanordnung des Bundesinnenministeriums sieht dies nicht vor.
Schlechterstellung gegenüber anerkannten Flüchtlingen
Issa hat eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis (§ 23 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz) erhalten, die ihm die Ausübung einer Erwerbstätigkeit erlaubt. Dieser Aufenthaltstitel berechtigt nicht zum so genannten »erleichterten« Familiennachzug, wie er anerkannten Flüchtlingen gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention in Deutschland zugestanden wird. Der durch die Aufnahmeanordnung des Bundesinnenministeriums erteilte Titel stellt ihn hinsichtlich des Familiennachzugs schlechter, weil dieser an Bedingungen geknüpft wird: Issa muss den Lebensunterhalt für sich und seine Familienangehörigen bestreiten können,sowie über ausreichenden Wohnraum verfügen.
Außerdem muss seine Frau vorder Einreise Deutschkenntnisse auf A1-Niveau des europäischen Referenzrahmens nachweisen. Für seine Mutter gilt, dass nach dem Gesetz eine »außergewöhnliche Härte« festgestellt werden muss, damit der Familiennachzug überhaupt erlaubt wird. Das sind Hürden, die Issa unüberwindbar erscheinen. Um den Nachzug seiner Lieben zu erreichen, werden vielleicht noch Jahre vergehen, fürchtet er. Jahre, in denen seine Frau der unsicheren Lage in Darfur ausgesetzt sein wird und ums Überleben kämpfen muss.
Hürden für Familiennachzug zu hoch
Mohamed Issa setzt alles daran, eine Arbeit und eine Wohnung zu finden. Darüber hinaus bleibt aber die unmöglich zu erfüllende Forderung nach einem Sprachnachweis. Seine Familienangehörigen leben 850 km von der Hauptstadt Khartoum entfernt. Seine Mutter und seine Frau waren noch nie in der Hauptstadt. Die Sicherheitslage zwischen Al Maliha, Nordost-Darfur und Khartoum lässt eine Reise dorthin nicht zu. Außerdem könnten sie die Gelder für den Lebensunterhalt und die Kursgebühren am Goethe-Institut in Khartoum nicht aufbringen.
Achtzehn Monate nach der Aufnahme in Deutschland lebt Issa nach wie vor in der Erstaufnahmeeinrichtung. Er hat eine Teilzeitstelle in einem Restaurant gefunden. Am Wochenende nimmt er an seinem Integrationskurs teil. Das Geld würde nicht ausreichen, um den Lebensunterhalt der Angehörigen zu bestreiten, und so die Familienzusammenführung zu erreichen. Es reicht gerade mal, um die im Sudan zurückgebliebenen Familienangehörigen in ihrer Not zu unterstützen. Die Hoffnung, bald gemeinsam in Deutschland zu leben, ist unterdessen ziemlich verblasst. Die Hürden scheinen – gemessen an der Realität – unüberwindbar. Der Schutz von Ehe und Familie, wie er im deutschen Grundgesetz festgeschrieben ist, bleibt für Mohamed Issa ein nahezu unerreichbares Gut.
Nachbesserungsbedarf beim Resettlement in Deutschland
»Save me – eine Stadt sagt Ja.« Unter diesem Motto werben seit 2008 Initiativen in ganz Deutschland dafür, dringend schutzbedürftige Flüchtlinge über das so genannte »Resettlement« dauerhaft in Deutschland aufzunehmen.
Der Druck der Zivilgesellschaft hatte Erfolg: Nach einem vorsichtigen Einstieg mit der jährlichen Aufnahme von 300 Personen in den Jahren 2012–2014 haben Bund und Länder im Dezember 2013 beschlossen, das Programm unbefristet fortzuführen und auszuweiten. Allerdings hat das Programm gravierende Mängel: Zum einen ist die Zahl der Auf-zunehmenden noch äußerst gering – wie groß die Ausweitung ausfallen wird, ist offen.
Zum anderen ist die Rechtslage der aufgenommenen Menschen mangelhaft: Es fehlt die Sicherheit eines Flüchtlingspasses, eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung, die freie Wohnortwahl und vor allem die Möglichkeit, verlorene Familienangehörige zügig nachzuholen. Wie unter diesen Voraussetzungen aus einem humanitären Aufnahmeakt die Verlängerung einer Leidensgeschichte wird, zeigt die Geschichte von Mohamed Issa.
Linda Ebbers