Hintergrund
Flüchtlingszentren in Nordafrika?
Eine alte Idee lebt wieder auf: Angeblich zum Schutz von Flüchtlingen sollen schon in Transitstaaten Asylverfahren durchgeführt werden. Doch durch zweifelhafte Kooperationen verrät die Bundesregierung die Menschenrechte.
Das Sterben von Tausenden auf dem Mittelmeer bringt die Politik ins Nachdenken. Doch statt legale Wege zu öffnen, sodass Verfolgte nach Europa kommen können, werden abstruse Ideen entwickelt und fragwürdige Verhandlungsprozesse eingeleitet.
»Wir müssen uns zum einen etwas einfallen lassen, wie wir zusammen mit den Herkunfts- und Transitländern Schleusern das Geschäftsmodell verderben…«, formulierte der Chef des Bundesamtes, Manfred Schmidt laut Spiegel Online vom 30.12.2014. Es ist erstaunlich, dass solche Ankündigungen nicht zu einem Aufschrei führen. Der Chef des für den Schutz von Flüchtlingen in Deutschland zuständigen Bundesamtes propagiert die Zusammenarbeit mit Staaten, die Menschen verfolgen und aus denen sie fliehen müssen. Diese zynische Idee ist keineswegs nur einfach so daher gesagt.
Sie verbalisiert eine Politik, die die Außen und Innenminister der Europäischen Union verfolgen. Am 28. November 2014 trafen sie sich in Rom, zusammen mit Vertretern aus 58 Staaten Europas und Afrikas. Innenminister de Maizière formulierte: »Das Ziel ist, dass wir mit den Herkunftsländern arbeiten, um Fluchtursachen zu vermindern. Dass wir mit den Transitländern arbeiten, um zu erreichen, dass nicht durch diese Länder illegale Migration stattfindet.«
An einem Tisch mit Fluchtverursachern
Am Tisch der illustren Runde saßen auch Vertreter der brutalen Militärdiktatur Eritrea oder des von Warlords beherrschten, zerfallenen Staats Somalia: Länder, in denen gravierende Gründe Menschen zur Flucht zwingen. Eritrea gehört zu den Top Ten der Hauptherkunftsländer in Deutschland (13.198 Asylerstanträge in 2014), ebenso Somalia (5.528 Asylerstanträge in 2014). Die Anerkennungsquote in Deutschland ist extrem hoch. Bei Eritrea liegt sie bei nahezu 100 %. In Bezug auf Somalia ging die Schutzquote zwar zurück von 91,2 % in 2010 auf 74,1 % im Jahr 2014. Die Zahlen sind jedoch eindeutig: Auch nach offizieller Einschätzung des Bundesamtes gibt es schwerwiegende Gründe, aus diesen Staaten zu fliehen. Erreichen die Betroffenen Deutschland und haben sie das Glück, nicht unter die Dublin-Verordnung zu fallen, haben sie die Chance auf den offiziellen Status als »Flüchtlinge«.
Wenn sie Europas Grenzen überschreiten, werden sie als »illegale Migranten«, die es abzuwehren gilt, inhaftiert. Dabei schreckt die Bundesregierung im Einklang mit den Außen- und Innenministern der anderen EU-Staaten vor keinem Gesprächspartner, vor keinem Kooperationspartner zurück. Der Bundesinnenminister strebt eine »abgestimmte, verzahnte, vernetzte und gemeinsame Strategie von Innen- und Außenpolitik« an. Wie die Kooperationsangebote an Staaten wie Eritrea oder Somalia aussehen sollen, das ist bislang offen.
Schutzsuchende nach Nordafrika?
Eine weitere abstruse Diskussion wird seitens des deutschen Innenministeriums wie auch von anderen EU-Staaten eröffnet. Bundesinnenminister de Maizère spricht von Willkommens- und Ausreisezentren für Flüchtlinge in nordafrikanischen Staaten. Diese sollen in Kooperation mit UNHCR oder unter Aufsicht dessen betrieben werden. Angeblich sollen Schutzsuchenden durch Asylverfahren in Afrika legale Wege eröffnet werden, um ihnen die Flucht nach Europa zu ersparen. Die öffentliche Rhetorik wirbt um Unterstützung für diese Idee mit Formulierungen wie »Wir müssen es den Flüchtlingen ermöglichen, Schutz zu bekommen, bevor sie in der Wüste verdurstet oder im Mittelmeer ertrunken sind« – so BAMF-Chef Schmidt am 30.12.2014.
Klingt gut. Doch dieser Vorstoß ist extrem gefährlich. In Libyen beispielsweise unterstützt Europa den »Grenzschutz« mit Personal und Geld – in der Praxis ein stillschweigender Pakt zur Nichtbeachtung von Flüchtlingsrecht. Flüchtlinge werden dort nicht nur unter menschenunwürdigen Bedingungen gefangen gehalten, sie erleiden schlimmste Misshandlungen und Folter. Soll solchen Partnern künftig die Verantwortung für die Schutzprüfung und die Asylgewährung von Flüchtlingen übergeben werden? Weit über drei Millionen Menschen sind in die Nachbarstaaten Syriens geflohen. Will Europa allen Ernstes etwa in Ägypten – einem Staat, in dem schwere Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind – ein Auffanglager für diese schwer traumatisierten Kriegsopfer errichten?
Einst ohne Visum in Ägypten willkommen, wurden syrische Flüchtlinge nach dem Sturz des Mursi-Regimes dort zunehmend Opfer von Rassismus und staatlicher Willkür – viele flohen erneut, aus dem Land, das ihr Zufluchtsland hätte sein sollen. Aber auch Staaten wie Tunesien oder Marokko, die sich in politischen und gesellschaftlichen Transformationsprozessen befinden, sind absolut ungeeignet, um dort Aufnahmezentren für Flüchtlinge einzurichten.
Wie soll dies allein praktisch funktionieren? Wie sollen diese Zentren unterhalten und betrieben werden? Will Europa eigene Lager oder Zeltstädte für mehrere Hunderttausend Menschen aufbauen? Wie sollen dort nach europäischen Standards und nach europäischem Recht Asylanträge geprüft werden? Und wer soll das tun? Es gibt dort keine rechtsstaatlichen Garantien für die Prüfung von Asylanträgen. Der Kern eines rechtsstaatlichen Verfahrens ist es, dass negative Behördenentscheidungen von einem Gericht überprüft werden. Eine Begleitung durch Rechtsanwälte, eine Verfahrensberatung durch Unterstützende – vieles, was das rechtsstaatliche Verfahren in einer Demokratie ausmacht – ist in den in Rede stehenden Ländern auf lange Zeit hinaus unrealistisch.
Was soll mit den Anerkannten geschehen?
Und selbst wenn es rechtsstaatliche Verfahren gäbe: Was passiert mit denjenigen, die in diesen Transitausreisezentren anerkannt werden? Mehrere Hunderttausend müssten es eigentlich sein. Bislang ist die Bereitschaft der EU-Mitgliedstaaten, Flüchtlinge aufzunehmen, äußerst gering. Ihre Beteiligung am weltweiten so genannten Resettlementprogramm ist erbärmlich: 2014 wurden nur rund 7.500 Menschen auf diesem Weg aufgenommen. Wenig anders sieht es bei der humanitären Aufnahme syrischer Flüchtlinge aus. Seit 2013 hat Europa insgesamt nur rund 40.700 Aufnahme-Plätze für syrische Flüchtlinge zur Verfügung gestellt. Wo soll die Bereitschaft herkommen, Hunderttausende in Transitzentren Anerkannte einreisen zu lassen? Realistisch ist: Die Staaten streiten darüber, wer, wie viele, von wem ausgeflogen werden und man einigt sich auf niedrigstem Niveau. Keine Perspektive für die Mehrzahl der Flüchtlinge.
Das angebliche Ziel, das Sterben auf dem Mittelmeer zu verringern, wird durch die Auslagerung des Flüchtlingsschutzes in keiner Weise erreicht werden. Dies wird Flüchtlinge nicht davon abhalten, in seeuntüchtigen Booten nach Europa aufzubrechen. Stattdessen werden die Betroffenen zusätzlichen Gefahren und Zumutungen bis hin zur Lebensgefahr ausgesetzt. Nur die Öffnung legaler und gefahrenfreier Wege nach Europa kann weitere Todesfälle verhindern.
Günter Burkhardt