Hintergrund
Asyl in Zahlen 2013

Hohe Schutzquoten, schnelle Ablehnungen und immer mehr Dublin-Verfahren– so sahen die Asylverfahren des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im letzten Jahr aus. Die Asylantragszahlen sind deutlich gestiegen, eines sollte aber nicht vergessen werden: Europa ist weit davon entfernt, Hauptziel der Schutzsuchenden weltweit zu sein.
Im Jahr 2013 wurden 109.580 Asylerstanträge in Deutschland gestellt – ein Anstieg um rund 45.000 (70 Prozent) im Vergleich zum Vorjahr. Bereits 2012 waren die Anträge deutlich angestiegen. Es besteht aber kein Grund zu dramatisieren, denn mit Schwankungen in der Zahl der ankommenden Flüchtlinge ist im Kontext der weltpolitischen Lage immer zu rechnen. Insofern kam der erneute Anstieg der Flüchtlingszahlen nicht aus heiterem Himmel. Nicht nur der Krieg in Syrien treibt viele Menschen in die Flucht, auch in Ländern wie Afghanistan oder Irak bricht immer wieder Gewalt aus.
In Putins Russland existiert besonders gegenüber Tschetschenen eine Mischung aus Willkür, Menschenrechtsverletzungen und Verfolgung sowie eine Art vom Kadyrow-Regime erzwungene Friedhofsruhe. Dies sind teils seit Jahren bekannte, traurige Fakten, die nicht ohne Folgen für die Flüchtlingszahlen bleiben. Von den Höchstständen der frühen 1990er-Jahre sind die aktuellen Zahlen in Deutschland trotz des Anstiegs noch weit entfernt. Mit einer vorausschauenden Politik wäre es für Länder und Kommunen in einem reichen Land wie Deutschland unproblematisch, im Laufe eines Jahres 110.000 Asylsuchende im Bundesgebiet angemessen unterzubringen.

Die meisten Flüchtlinge stranden in der Region
Weltweit ist bereits im Jahr 2012 die Zahl der Flüchtlinge und Binnenvertriebenen auf den höchsten Stand seit 1994 gestiegen. Ein Hauptgrund hierfür ist der Syrien-Krieg. Dem UNHCR-Bericht »GlobalTrends« zufolge waren Ende 2012 weltweit insgesamt 45,2 Millionen Menschen auf der Flucht, 81 Prozent davon lebten in Entwicklungsländern. Ein Jahrzehnt zuvor waren es nur 70 Prozent, d. h. die Kluft zwischen ärmeren und reicheren Staaten bei der Flüchtlingsaufnahme wird immer breiter.

Hauptherkunftsstaaten waren Afghanistan, Somalia, Irak, Syrien und der Sudan: 55 Prozent der Flüchtlinge kamen allein aus diesen fünf Staaten. Im Laufe des Jahres 2013 ist insbesondere die Zahl der Syrer/innen auf der Flucht noch einmal exorbitant angestiegen, aber auch aus dem Sudan gab es 63.000 Flüchtlinge mehr als 2012. Das Beispiel Syrien zeigt, dass der Großteil der Flüchtlinge nicht nach Europa und nach Deutschland gelangt, sondern in der Herkunftsregion verbleibt. Zum Vergleich: Von Anfang 2011 bis März 2013 sind rund 30.000 Personen aus Syrien nach Deutschland eingereist, die Europäische Union erreichten insgesamt rund 90.000 syrische Flüchtlinge. In den Nachbarstaaten Syriens halten sich hingegen rund 2,6 Millionen Flüchtlinge auf (UNHCR, Stand März 2014).
In Syrien selbst zählt UNHCR rund 6,5 Millionen Binnenvertriebene, also Flüchtlinge, die innerhalb ihres Landes auf der Flucht sind. Der Libanon beherbergt Anfang 2014 knapp eine Million syrischer Flüchtlinge, die Türkei hat rund 650.000, Jordanien 585.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen, die binnen weniger Monate gekommen waren. Auch im Irak haben mit 225.000 syrischen Flüchtlingen doppelt so viele Flüchtlinge Schutz gesucht, wie Deutschland im letzten Jahr insgesamt an Asylsuchenden verzeichnet hat. Gleichzeitig sind übrigens als Folge des Kriegs auch zahlreiche irakische Flüchtlinge erneut vertrieben worden und aus ihrem bisherigen Zufluchtsland Syrien in ihr Herkunftsland zurückgekehrt, wo die Situation weiterhin sehr problematisch ist.
Asylsuchende fliehen vor Krieg, Verfolgung, existenziellen Bedrohungen
In Deutschland kommen also vergleichsweise wenige Flüchtlinge an. Ihre Hauptherkunftsländer reflektieren dennoch einige zentrale Konfliktherde. Hauptherkunftsland von Asylsuchenden in Deutschland war mit rund 14.900 Asylerstanträgen die Russische Föderation, unter ihnen vorwiegend Flüchtlinge aus dem Nordkaukasus, vor allem Tschetschenien. Dort finden laut Asyl-Bundesamt »fortlaufend Menschenrechtsverletzungen statt. Kampfhandlungen und Anschläge sind fast an der Tagesordnung.« Kriegsflüchtlinge aus Syrien (11.900) stellen die zweitgrößte Gruppe. Entgegen weit verbreiteter Meinung fliehen Roma aus Serbien (von dort insgesamt 11.500 Anträge) und anderen Balkanstaaten nicht nur aus bitterster Armut, sondern auch vor einer massiven Diskriminierung und Ausgrenzung, die existenzbedrohend ist.
Weitere Herkunftsländer von Asylsuchenden sind Afghanistan (7.700), wo Anschläge, gezielte Verfolgungen und Machtkämpfe täglich mehr zivile Opfer fordern, und der Dauerkrisenherd Irak (4.000). In Pakistan fliehen vorwiegend Angehörige religiöser Minderheiten vor religiös motivierter Gewalt oder, wie die Ahmadiyya, vor staatlichen Strafgesetzen bis hin zur Todesstrafe (4.100). Aus dem Iran fliehen seit Jahren unvermindert Menschen vor Verfolgung durch das Regime (4.400). 3.600 Asylsuchende versuchten der Militärdiktatur Eritreas zu entkommen, 3.800 dem »zerfallenen Staat« Somalia, der zum großen Teil von brutalen Warlords beherrscht wird.
Hohe Schutzquoten für manche Gruppen
Die Schutzquote im Asylverfahren betrug 2013 in der ersten Instanz – beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) – genau 24,9 Prozent von allen Fällen inklusive derer, für die das BAMF die Zuständigkeit ablehnt (»Dublinfälle«), das Schutzgesuch also gar nicht inhaltlich prüft. Rechnet man diese Dublinverfahren und die sonstigen »formellen Erledigungen« heraus, liegt die Schutzquote insgesamt bei fast 40 Prozent. Das ist nicht wenig. Nach den offiziellen Zahlen (inklusive Dublinfälle) erhielten 13,5 Prozent eine Anerkennung als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention (mitgezählt 1,1 Prozent, denen auch die Asylberechtigung nach dem Grundgesetz zuerkannt wurde).

Darüber hinaus erhielten 11,4 Prozent den so genannten subsidiären Schutz. Bei dieser Gruppe wird seit 2013 noch einmal unterschieden: zwischen europarechtlichem subsidiären Schutz oder nationalem subsidiären Schutz (zum Beispiel wegen nicht behandelbarer Krankheiten, Gefahr für Leib und Leben). Die europarechtlich subsidiär Geschützten zählen wie die GFK-Flüchtlinge zur Kategorie »international geschützt« – ihre Rechtssituation ist dennoch schlechter als diejenige der Anerkannten. Besonders häufig bekamen syrische Flüchtlinge Schutz: Sie erhielten zu 94,2 Prozent einen Schutzstatus, davon ein Drittel Flüchtlingsanerkennungen und gut zwei Drittel subsidiären Schutz.
Die Gerichte korrigieren die Anerkennungszahlen regelmäßig weiter nach oben: Bis Ende November letzten Jahres wurden 12,1 Prozent der Irak-Ablehnungen durch Gerichte korrigiert und endeten mit Flüchtlingsstatus oder subsidiärem Schutz; beim Herkunftsland Pakistan waren 35,4 Prozent der eingelegten Klagen erfolgreich, beim Iran 38,4 Prozent und bei Afghanistan wurden gar 42,1 Prozent der Bundesamts-Entscheidungen durch Gerichte aufgehoben. Offenkundig notwendig wäre eine deutliche Qualitätsverbesserung der Entscheidungen beim Bundesamt.
Lange Asylverfahren – verschwendete Lebenszeit
Flüchtlinge mussten und müssen zum Teil sehr lange auf eine erste Entscheidung über ihre Asylanträge warten. Im Jahr 2013 betrug die durchschnittliche Bearbeitungsdauer von Asylanträgen beim Bundesamt über sieben Monate, wobei insbesondere Flüchtlinge mit guten Anerkennungschancen auf eine harte Geduldsprobe gestellt wurden. Für irakische Flüchtlinge dauerte das Verfahren bis zur ersten Entscheidung durchschnitt lich 9,5 Monate, für iranische Flüchtlinge 13 Monate. Afghanische Flüchtlinge mussten über 14 Monate, pakistanische und somalische Flüchtlinge 15 Monate warten und eritreische Flüchtlinge gar fast 17 Monate.
Angesichts der vergleichsweise guten Chancen der Betroffenen im Asylverfahren mit erstinstanzlichen Schutzquoten von 33,9 Prozent (Pakistan), 47,9 Prozent (Afghanistan), 49,3 Prozent (Somalia), 53,9 Prozent (Irak) oder 55,5 Prozent (Iran) ist dies ein unerträglicher Zustand für die Betroffenen und schlussendlich eine behördlich verursachte Lebenszeitverschwendung für Flüchtlinge.
Balkanflüchtlinge: beschleunigte Asylverweigerung
Bei den einen langsam, bei den anderen ganz schnell: Die geringe Bundesamts-Schutzquote von Flüchtlingen aus den Balkanstaaten Serbien (0,2 Prozent), Mazedonien (0,3 Prozent), Bosnien-Herzegowina (0,5 Prozent) und dem Kosovo (1,2 Prozent) hängt auch mit einer von Bundesinnenministerium und Bundesamt (BAMF) betriebenen »Verfahrensoptimierung im Hinblick auf den starken Anstieg der Asylbewerberzahlen 2013« zusammen – gemeint sind Maßnahmen zur Verkürzung der Verfahrensdauer und schnelleren Abschiebung:
Asylanträge aus den Balkan-Staaten wurden bevorzugt bearbeitet und die Betroffenen in Schnellverfahren pauschal abgelehnt. Diese seit Herbst 2012 bestehende Praxis will die große Koalition nun auch gesetzlich festschreiben: Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina sollen als »sichere Herkunftsländer« definiert und die betreffenden Asylanträge damit automatisch als »offensichtlich unbegründet « eingestuft werden – verkürzte Rechtsmittelfristen und die unmittelbar drohende Abschiebung sind die Folge. Frankreich hat dagegen im letzten Jahr rund 17 Prozent der serbischen Asylantragsteller als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt sowie 9 Prozent der bosnischen Asylsuchenden.
Minderjährige Flüchtlinge: Schutzlücke gestopft
46 Prozent aller Flüchtlinge weltweit waren im Jahr 2012 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Davon suchten 21.300 Minderjährige ohne elterliche Begleitung Asyl. Das ist die höchste je von UNHCR registrierte Zahl. Auch in Deutschland gab es 2013 einen Anstieg der Zahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge: Von knapp 2.500 unbegleiteten Minderjährigen kamen mit 691 rund 28 Prozent aus Afghanistan, dahinter folgen Somalia (354), Syrien (287) und Eritrea (138) als Hauptherkunftsstaaten. Die Schutzquote lag bei den unter 16-Jährigen bei 70 Prozent, bei den 16- und 17-Jährigen bei 52,4 Prozent. Die Schutzquoten sind damit deutlich angestiegen, was vor allem mit einer überfälligen Korrektur im Umgang mit unbegleiteten Minderjährigen zusammenhängen dürfte.
Bis Ende 2013 fielen Kinderflüchtlinge im Asylverfahren oft durch, weil sie laut einer Regelung im Aufenthaltsgesetz ohnehin nicht abgeschoben werden durften. Dies betraf Minderjährige, die im Heimatland weder von Familienangehörigen noch einer Institution aufgenommen worden wären. Die betroffenen Kinder erhielten so lediglich eine Duldung – und das zunächst auch nur bis zur Volljährigkeit. Künftig gilt für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ein Abschiebungshindernis nach Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, damit erhalten sie auch eine Aufenthaltserlaubnis.
Mehr und mehr Abschiebungen
Die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland stieg im letzten Jahr deutlich an. Der Anstieg geht vor allem auf Dublin-Überstellungen in andere EU-Staaten und somit auf ein europäisches Asylsystem zurück, in dem Fluchtwege wichtiger sind als Fluchtgründe. Gegenüber rund 7.650 Abschiebungen 2012 stieg die Zahl 2013 auf 10.200, ein Anstieg um ein Drittel. Abschiebungen betreffen aber nicht nur Flüchtlinge, sondern auch Menschen mit abgelaufener Aufenthaltserlaubnis oder (z. B. wegen Straftaten) ausgewiesene Migranten. Nur leicht stieg die Zahl der Zurückschiebungen von 4.417 auf 4.498 an.

Zurückschiebungen betreffen unerlaubt Eingereiste und werden zumeist innerhalb von sechs Monaten vollzogen, z. B. nach polizeilichen Personenkontrollen. Auch die Zahl der Zurückweisungen an der Grenze stieg kaum – von 3.829 auf 3.850. Insgesamt waren 18.546 Personen von Abschiebungen, Zurückschiebungen und Zurückweisungen betroffen. Ein Drittel aller Ab- und Zurückschiebungen waren Dublin-Überstellungen, wiederum ein Drittel davon betraf Kinder.