11.07.2017
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Solidaritätsaktion der Kolleg*innen für Tavus Qurban, Sep. 2016. ©STRASSER

Seit 2004 wurde der Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylsuchende in mehreren Schritten erleichtert. Die Vorrangprüfung ist inzwischen vielerorts ausgesetzt, spezielle Fördermöglichkeiten wurden eröffnet. Doch nun werden manchem Flüchtling wieder Steine in den Weg gelegt.

Bei allen ande­ren Geflüch­te­ten wird je nach Bun­des­land unter­schied­lich ver­fah­ren. Ihre Zuwei­sung in ein Bun­des­land kommt damit einer Lot­te­rie der Chan­cen gleich. Eini­ge Bun­des­län­der hal­ten an der inte­gra­ti­ons­ori­en­tier­ten Per­spek­ti­ve fest und bie­ten zum Bei­spiel Deutsch­kur­se aus Lan­des­mit­teln an. Zwar bekom­men auch dort Asyl­su­chen­de mit einer »guten Blei­be­per­spek­ti­ve« mehr Unter­stüt­zung als ande­re, aber zumin­dest dür­fen auch die meis­ten ande­ren job­ben oder eine Aus­bil­dung machen und sich so eine Per­spek­ti­ve erar­bei­ten. Ande­re Bun­des­län­der, allen vor­an Bay­ern, hand­ha­ben den Zugang zu Arbeit und Aus­bil­dung deut­lich restrik­ti­ver und behin­dern so, wie in frü­he­ren Zei­ten, mona­te- oder gar jah­re­lang eine mög­li­che Integration.

In Bayern gilt Abschiebung vor Ausbildung

Die arbeits­markt­po­li­ti­sche Ent­wick­lung folg­te lan­ge Zeit der Ein­sicht, dass es unsin­nig ist, Men­schen jah­re­lang vom Arbeits­markt fern­zu­hal­ten und sie statt­des­sen staat­lich zu ali­men­tie­ren. Hin­ter­grund war die Dis­kus­si­on über gedul­de­te Flücht­lin­ge, die kei­nen Schutz erhal­ten, aber aus ver­schie­de­nen, oft guten Grün­den nicht in ihre Her­kunfts­län­der abge­scho­ben wer­den kön­nen. Seit 2007 haben sie die Mög­lich­keit, durch eine qua­li­fi­zier­te  Beschäf­ti­gung im Anschluss an eine Aus­bil­dung ein Auf­ent­halts­recht zu erhal­ten. Das Inte­gra­ti­ons­ge­setz von 2016 sieht ergän­zend vor, dass Gedul­de­te in Aus­bil­dung für deren gesam­te Dau­er eine »Aus­bil­dungs­dul­dung« erhalten.

Die »gute Bleibeperspektive«

Grund­sätz­lich knüpft die Ent­wick­lung der letz­ten zwei Jah­re an eine Poli­tik an, wel­che die zügi­ge Arbeits­markt­in­te­gra­ti­on Geflüch­te­ter zum Ziel hat. Zugleich wur­den aber neue Gren­zen gezo­gen: Asyl­su­chen­de aus den defi­nier­ten »siche­ren Her­kunfts­staa­ten«, die ihren Antrag nach August 2015 gestellt haben, unter­lie­gen einem Beschäf­ti­gungs­ver­bot. Asyl­su­chen­de, die aus einem Her­kunfts­land mit einer Aner­ken­nungs­quo­te von unter 50 Pro­zent kom­men, wer­den bei der früh­zei­ti­gen Inte­gra­ti­on nicht unter­stützt: Sie dür­fen nicht an den Inte­gra­ti­ons­kur­sen des BAMF und an Maß­nah­men der Arbeits­för­de­rung nach SGB III teil­neh­men. Die­se sind Flücht­lin­gen mit ver­meint­lich »guter Blei­be­per­spek­ti­ve« vorbehalten.

Bundesländer handeln unterschiedlich

In Bay­ern bekom­men nur Asyl­su­chen­de mit einer »guten Blei­be­per­spek­ti­ve« eine Aus­bil­dungs­er­laub­nis, alle ande­ren müs­sen war­ten, bis über ihren Asyl­an­trag ent­schie­den ist. Ermes­sens­spiel­räu­me sind durch das Innen­mi­nis­te­ri­um gegen Null redu­ziert. Wer­den die Flücht­lin­ge aner­kannt, ist der Weg in Arbeit und Aus­bil­dung offen, aber wert­vol­le Zeit ist ver­lo­ren. Wird ihr Antrag abge­lehnt, droht ein voll­stän­di­ges Arbeits- und Aus­bil­dungs­ver­bot. Das baye­ri­sche Innen­mi­nis­te­ri­um bringt es auf den Punkt: »Auf­ent­halts­be­en­den­de Maß­nah­men haben Vor­rang vor Aus­bil­dung.« Die­se Hal­tung igno­riert die Ein­sicht, dass nicht alle die­je­ni­gen, die im Asyl­ver­fah­ren schei­tern, ein­fach so abge­scho­ben wer­den kön­nen. Es gibt oft recht­li­che, ver­wal­tungs­prak­ti­sche, huma­ni­tä­re oder gesund­heit­li­che Hindernisse.

Bay­ern hat die nied­rigs­ten Arbeits­lo­sen­quo­ten und einen hohen Bedarf an Aus­zu­bil­den­den in Hand­werk und Han­del. Den­noch macht man es Flücht­lin­gen und Betrie­ben extrem schwer, zuein­an­der­zu­kom­men. Der Pro­test bleibt nicht aus, wie die­ses Bei­spiel vom baye­ri­schen Rund­funk Ende Sep­tem­ber 2016 beweist:

»Um kurz vor 10 geht die Sire­ne los. Ein Bau­ar­bei­ter nach dem ande­ren legt das Werk­zeug auf den Boden, in einer Rei­he stei­gen sie die Trep­pe hoch, raus aus der Bau­gru­be, hin zum Con­tai­ner. Dort hängt ein gro­ßes Ban­ner: ›Kei­ne Abschie­bung für inte­grier­ten Flücht­lings­kol­le­gen! Tavus Qur­ban, wir ste­hen hin­ter Dir!‹ Tavus Qur­ban ist Afgha­ne, seit fast fünf Jah­ren arbei­tet er für Stras­ser Bau. Heu­te soll sein letz­ter Arbeits­tag sein. Sei­ne Arbeits­er­laub­nis endet zum 1. Oktober.«

Tavus Qur­ban hat­te bald dar­auf sei­ne zumin­dest befris­te­te Arbeits­er­laub­nis wie­der. Ande­re nicht. Zahl­lo­se Men­schen ver­fass­ten Pro­test­schrei­ben, star­te­ten Aktio­nen und for­der­ten: Aus­bil­dung vor Abschie­bung! Auch die Hand­werks­kam­mer und die Indus­trie- und Han­dels­kam­mer ver­su­chen bis heu­te, die baye­ri­sche Regie­rung zum Ein­len­ken zu bewegen.

1‑Euro-Jobs zu achtzig Cent

80

Cent Stun­den­lohn für einen „Ein-Euro-Job“

Der Poli­tik ist offen­bar bewusst, dass der Arbeits­markt nicht über­all und in aus­rei­chen­dem Maß für Geflüch­te­te zugäng­lich ist. Daher sol­len soge­nann­te Flücht­lings-Inte­gra­ti­ons-Maß­nah­men (FIM) bestehen­de Ange­bo­te ergän­zen. Für eini­ge mag das kon­kre­te Ange­bot durch­aus attrak­tiv sein. Gene­rell sind die FIM aber kri­tisch zu bewer­ten, da sie bestehen­de Sozi­al­stan­dards unter­lau­fen: Nach dem Modell der 1‑Eu­ro-Jobs dür­fen Flücht­lin­ge in ihrer Unter­brin­gungs­ein­rich­tung oder in sozia­len Ein­rich­tun­gen arbei­ten, erhal­ten pro Stun­de aber nur acht­zig Cent.

Ob die­se Maß­nah­men die sozia­le Inte­gra­ti­on för­dern, hängt von den Umstän­den ab: Das Har­ken von Fried­hofs­we­gen bei­spiels­wei­se ist eine wenig kom­mu­ni­ka­ti­ve Tätig­keit, die Lern­erfol­ge hal­ten sich somit in engen Gren­zen. Und nicht zuletzt wird ein 80-Cent-Job im Unter­schied zu einem noch so schlecht bezahl­ten »rich­ti­gen« Job bei einer auf­ent­halts­recht­li­chen Bewer­tung der Inte­gra­ti­ons­be­mü­hun­gen nicht als Plus­punkt gewertet.

Die FIM sind nur ein defi­zi­tä­rer Ersatz für eine Arbeit. Über­dies sind die zustän­di­gen Behör­den nicht sel­ten froh, wenn sie Leu­te in den vom Bund geför­der­ten Bil­lig­jobs unter­brin­gen kön­nen und küm­mern sich in der Fol­ge noch weni­ger um die Fra­ge, ob für die Betrof­fe­nen nicht ande­re Maß­nah­men, zum Bei­spiel der Qua­li­fi­zie­rung, ziel­füh­ren­der wären.

Staat setzt auf ehrenamtliches Engagement

Von Asyl­su­chen­den wird regel­mä­ßig erwar­tet, dass sie sich zwecks Bera­tung und Ver­mitt­lung selbst an die zustän­di­gen Stel­len wen­den. Ohne Unter­stüt­zung wäre das den meis­ten nicht mög­lich. Ob Pat*innen, Mentor*innen oder semi­pro­fes­sio­nel­le Jobvermittler*innen: Die vie­len ehren­amt­li­chen Unterstützer*innen sind das sta­bi­le Fun­da­ment dafür, dass Flücht­lin­ge und Betrie­be zusam­men­fin­den und auch die eine oder ande­re Hür­de neh­men. Die Beglei­tung der Flücht­lin­ge zu Ämtern oder Betrie­ben, abend­li­che Nach­hil­fe­stun­den und emo­tio­na­le Unter­stüt­zung sor­gen dafür, dass die Inte­gra­ti­on von Flücht­lin­gen in Aus­bil­dung und Arbeit gelingt.

Viel wird den Ehren­amt­li­chen von den staat­li­chen Struk­tu­ren auf­ge­la­den, doch auch ihr Enga­ge­ment kennt Gren­zen. Letzt­lich wird die Inte­gra­ti­on dort erfolg­reich ver­lau­fen, wo indi­vi­du­el­le Inter­es­sen und eige­ne Bemü­hun­gen der Flücht­lin­ge geach­tet wer­den und wo Behör­den, Agen­tu­ren, Betrie­be und Ehren­amt­li­che gut und ver­trau­ens­voll mit ihnen zusammenarbeiten.

Not­wen­dig sind poli­ti­sche Rah­men­be­din­gun­gen, die früh­zei­tig und dis­kri­mi­nie­rungs­frei den Zugang zu Arbeit und Aus­bil­dung ermög­li­chen und eine erfolg­te Inte­gra­ti­on auf­ent­halts­recht­lich anerkennen.

Dr. Ste­phan Dünn­wald, Baye­ri­scher Flüchtingsrat

(Die­ser Arti­kel erschien zuerst im Juni 2017 im Heft zum Tag des Flücht­lings 2017).


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