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Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Foto: Andreas Meyerhöfer / PRO ASYL

Das Bundesverwaltungsgericht hat in zwei Fällen entschieden, dass in anderen EU-Mitgliedstaaten als schutzberechtigt anerkannte und nicht vulnerable Personen dorthin zurückgeschickt werden dürfen – mit dem unionsrechtlich fragwürdigen Argument, dass die Betroffenen ihre existenziellen Bedürfnisse in der dortigen Schattenwirtschaft sichern könnten.

Man muss zwei­mal hin­schau­en, um es zu glau­ben: Das höchs­te deut­sche Ver­wal­tungs­ge­richt begrün­det die Ent­schei­dung, dass in Grie­chen­land und Ita­li­en aner­kann­te Per­so­nen grund­sätz­lich dort­hin zurück­ge­schickt wer­den dür­fen, damit, dass sie sich dort mit ille­ga­ler Beschäf­ti­gung durch­schla­gen könn­ten. In der ent­spre­chen­den Pres­se­mit­tei­lung zu dem Urteil vom 16. April heißt es: »Ihre wei­te­ren Grund­be­dürf­nis­se ein­schließ­lich Ernäh­rung kön­nen sie durch eige­nes Erwerbs­ein­kom­men, anfäng­lich jeden­falls in der soge­nann­ten Schat­ten­wirt­schaft, decken, zu dem gege­be­nen­falls Unter­stüt­zungs­leis­tun­gen der genann­ten Stel­len hinzutreten.«

Vorgeschichte: Schattenwirtschaft als Argument für Gerichte und Behörden

Ganz neu ist der Ver­weis auf die Schat­ten­wirt­schaft – also ille­ga­le Beschäf­ti­gung am Fis­kus vor­bei – nicht. Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) nutz­te die­ses Argu­ment bis­her im Hin­blick auf eine soge­nann­te inter­ne Flucht­al­ter­na­ti­ve im Her­kunfts­staat (BVerwG, B. v. 09.01.1998, 9 B 1130/97, juris). Das bedeu­tet, wenn das Gericht für eine schutz­su­chen­de Per­son ein Gebiet inner­halb eines Her­kunfts­staa­tes als sicher erach­tet und dort für die­se die Mög­lich­keit besteht, durch irre­gu­lä­re Beschäf­ti­gung ihre Exis­tenz zu bestrei­ten, darf sie nach Ansicht des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­rich­tes dort­hin zurück­ge­schickt werden.

Das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) ver­sucht seit lan­gem, die­se Grund­sät­ze auch auf die Sekun­där­mi­gra­ti­on inner­halb Euro­pas anzu­wen­den. So hat das Bun­des­amt bereits vor eini­gen Jah­ren den Stand­punkt ver­tre­ten, dass in Ita­li­en inter­na­tio­nal aner­kann­te Geflüch­te­te dort­hin abge­scho­ben und auf die dor­ti­ge Schat­ten­wirt­schaft ver­wie­sen wer­den kön­nen, um ihre exis­ten­zi­ells­ten Bedürf­nis­se zu befrie­di­gen. Damals hat­te das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt die­se Fra­ge nicht ent­schei­den müs­sen, weil aus sei­ner Sicht in dem kon­kre­ten Fall nicht aus­rei­chend dar­ge­legt wur­de, dass Betrof­fe­ne über­haupt ein Ein­kom­men in der dor­ti­gen Schat­ten­wirt­schaft erzie­len könn­ten, wel­ches die Finan­zie­rung einer men­schen­wür­di­gen Unter­kunft ermög­li­chen wür­de (BVerwG, B. v. 27.01.2022, 1 B 10/22). Gleich­wohl hat­te das Gericht hier bereits anklin­gen las­sen, dass der Ver­weis auf eine Tätig­keit in der Schat­ten­wirt­schaft für den Fall, dass sie ein aus­rei­chen­des Ein­kom­men ermög­licht, denk­bar ist, wenn die ille­ga­le Tätig­keit »nicht effek­tiv oder in Bezug auf die dort Täti­gen ver­folgt wird und in dem Sin­ne »lan­des­üb­lich« ist, als sie einen mehr als unwe­sent­li­chen Teil der Öko­no­mie die­ses Staa­tes bil­det« (a.a.O. Rn. 25 m. w. N.)

In zwei Urtei­len zu Ita­li­en und Grie­chen­land meint das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt nun, die­se Vor­aus­set­zun­gen als erfüllt anse­hen zu können:

Der ers­te Fall betrifft eine allein­ste­hen­de 57-jäh­ri­ge Syre­rin, der in Ita­li­en die Flücht­lings­ei­gen­schaft zuer­kannt wor­den war. Nach­dem das BAMF hier­von erfuhr, lehn­te es den in Deutsch­land gestell­ten Asyl­an­trag als unzu­läs­sig ab und ord­ne­te die Abschie­bung nach Ita­li­en an. In den anschlie­ßen­den ver­wal­tungs­ge­richt­li­chen Ver­fah­ren berief sich die Klä­ge­rin unter ande­rem dar­auf, dass sie kein Ita­lie­nisch spre­che und die Auf­nah­me einer regu­lä­ren Beschäf­ti­gung in Ita­li­en völ­lig unrea­lis­tisch sei: Der dor­ti­ge Arbeits­markt sei ange­spannt und es sei ein dra­ma­ti­scher Anstieg von irre­gu­lä­rer Arbeit und Aus­beu­tung aus­län­di­scher Arbeits­kräf­te zu ver­zeich­nen. Auf eine irre­gu­lä­re Tätig­keit dür­fe sie wegen der Gefahr straf­recht­li­cher Ver­fol­gung nicht ver­wie­sen werden.

Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt wies die Revi­si­on Ende 2024 zurück und ent­schied, dass »nicht vul­nerable« Per­so­nen, die in Ita­li­en inter­na­tio­na­len Schutz erhal­ten haben, zur Siche­rung ihrer ele­men­ta­ren Bedürf­nis­se auf eine Tätig­keit in der Schat­ten­wirt­schaft in Ita­li­en ver­wie­sen wer­den kön­nen. Auch die Klä­ge­rin zäh­le zu die­sem Per­so­nen­kreis (Urt. v. 21.11.2024, 1 C 24.23).

In Bezug auf die Zumut­bar­keit einer hier im Fokus ste­hen­den Tätig­keit in der Schat­ten­wirt­schaft führt das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt zunächst aus, dass ein Ver­weis auf »kri­mi­nel­le und ande­re staat­lich sank­tio­nier­te Tätig­kei­ten« unzu­läs­sig sei: »Eine Tätig­keit, bei der die Schutz­be­rech­tig­ten selbst einer straf- oder ord­nungs­wid­rig­keits­recht­li­chen Ver­fol­gung aus­ge­setzt wären, ist ihnen nicht zuzu­mu­ten«. Anders ver­hal­te es sich indes­sen »bei einer Erwerbs­tä­tig­keit, die im Prin­zip auch legal aus­ge­übt wer­den kann, die jedoch den öffent­li­chen Stel­len zur Ver­mei­dung von Steu­ern und Sozi­al­bei­trä­gen nicht gemel­det wird, sofern dies für den Schutz­be­rech­tig­ten als Arbeit­neh­mer nicht sank­ti­ons­be­wehrt ist oder Sank­tio­nen gegen ihn jeden­falls tat­säch­lich nicht ver­hängt wer­den«. Die Bemü­hun­gen sowohl der Euro­päi­schen Uni­on als auch des ita­lie­ni­schen Staa­tes zur Ver­mei­dung von irre­gu­lä­rer Beschäf­ti­gung stün­den dem nicht ent­ge­gen. Dies­be­züg­lich argu­men­tiert das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt: Wenn »Schwarz­ar­beit in der Bevöl­ke­rung der­art weit ver­brei­tet wie in Ita­li­en« sei, kön­ne »ihre effek­ti­ve Bekämp­fung nicht mehr durch das Ver­hal­ten von Ein­zel­per­so­nen, son­dern nur noch durch eng­ma­schi­ge staat­li­che Kon­trol­len und spür­ba­re Sank­tio­nie­run­gen von Arbeit- und Auf­trag­ge­bern bei Ver­stö­ßen erreicht werden«.

Man könn­te die­ses Argu­ment auch mit den Wor­ten umschrei­ben: Bei einem der­art gro­ßen Umfang von irre­gu­lä­rer Beschäf­ti­gung in Ita­li­en – das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt geht selbst davon aus, dass die Schat­ten­wirt­schaft im Jahr 2023 21,6 Pro­zent des ita­lie­ni­schen Brut­to­in­lands­pro­dukts abdeck­te und in den ver­gan­ge­nen 10 Jah­ren um die 20 Pro­zent lag – kommt es auf ein paar inter­na­tio­nal Schutz­be­rech­tig­te auch nicht mehr an.

Zu der sei­tens der Klä­ge­rin gel­tend gemach­ten Mög­lich­keit, bei irre­gu­lä­rer Beschäf­ti­gung straf­recht­lich ver­folgt zu wer­den, führt das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt zudem aus, dass Sank­tio­nen sich »erkenn­bar allein gegen kri­mi­nel­le Arbeit­ge­ber [rich­ten], etwa wegen Steu­er­hin­ter­zie­hung, Nicht­ab­füh­ren von Sozi­al­ab­ga­ben, feh­len­der Anmel­dung und Aus­beu­tung von Arbeit­neh­mern sowie ille­ga­ler Anwer­bungs­me­tho­den und Men­schen­han­dels.« Betrof­fe­nen Arbeitnehmer*innen wer­de dage­gen »Hil­fe als Opfer von Aus­beu­tung und Unter­stüt­zung zur Umwand­lung in ange­mel­de­te Arbeits­ver­hält­nis­se angeboten«.

Wende bei Rechtsprechung und Asylentscheidungen zu Griechenland

Seit 2020 sind etwa Hun­dert­tau­send in Grie­chen­land als inter­na­tio­nal schutz­be­rech­tigt aner­kann­te Men­schen nach Deutsch­land wei­ter­ge­wan­dert, im ver­gan­ge­nen Jahr waren es 25.112 Per­so­nen. Die meis­ten haben hier mit dem Argu­ment, dass ihnen in Grie­chen­land die Befrie­di­gung ele­men­tars­ter Bedürf­nis­se ver­sagt sei und ihnen Ver­elen­dung dro­he, erneut einen Asyl­an­trag gestellt.

Jah­re­lang ver­trat das BAMF die Auf­fas­sung, dass man die­se Per­so­nen nicht nach Grie­chen­land zurück­füh­ren kann, denn ihre dort dro­hen­de Ver­elen­dung wür­de gegen Art. 4 der Char­ta der Grund­rech­te der Euro­päi­schen Uni­on und Art. 3 der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on ver­sto­ßen und sei infol­ge­des­sen unzu­läs­sig. Es stützt sich dabei auf diver­se Län­der­be­rich­te (wie die Stel­lung­nah­me zur Situa­ti­on Aner­kann­te in Grie­chen­land von PRO ASYL/RSA) – sowie auf die Argu­men­ta­ti­on in zwei ent­spre­chen­den Urtei­len des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts (OVG) Nord­rhein-West­fa­len vom 26.01.2021 und des OVG Nie­der­sach­sen vom 19.04.2021. Daher sah sich das Bun­des­amt in den meis­ten Fäl­len für die Asyl­an­trä­ge zustän­dig und über­nahm die Ver­fah­ren in Deutschland.

Die Wen­de brach­ten zwei Urtei­le des Hes­si­schen Ver­wal­tungs­ge­richts­hofs vom 02. Sep­tem­ber 2024, in denen die­ser den Stand­punkt ein­nahm, dass zumin­dest jun­ge, gesun­de und allein­ste­hen­de Män­ner dar­auf ver­wie­sen wer­den könn­ten und dürf­ten, ihre ele­men­ta­ren Bedürf­nis­se durch Tätig­kei­ten in der grie­chi­schen Schat­ten­wirt­schaft zu sichern. Das BAMF griff die­se Argu­men­ta­ti­on sofort auf. Hat­te es im ers­ten Halb­jahr 2024 noch in 96,4 Pro­zent der Fäl­le ent­schie­den, dass eine Abschie­bung nach Grie­chen­land unzu­läs­sig ist, änder­te sich die­se Ent­schei­dungs­pra­xis nach den genann­ten Urtei­len des Hes­si­schen Ver­wal­tungs­ge­richts­ho­fes radi­kal: Im zwei­ten Halb­jahr 2024 lehn­te das BAMF 85 Pro­zent der Asyl­an­trä­gen von zuvor in Grie­chen­land Aner­kann­ten ab und ord­ne­te die Abschie­bung nach Grie­chen­land an (BT-Druck­sa­che 20/15133, Aw. auf Fra­ge 8a).

In der Fol­ge leg­ten zwei von den Ent­schei­dun­gen des Hes­si­schen Ver­wal­tungs­ge­richts­ho­fes betrof­fe­nen jun­gen Män­ner Tat­sa­chen­re­vi­si­on beim Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) ein. Es han­delt sich um einen in Nord-Gaza gebo­re­nen 34-jäh­ri­ger Mann und um einen 32-jäh­ri­gen soma­li­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen, der sich mit Hil­fe des PRO ASYL-Rechts­hil­fe­fonds wehr­te. Am 16. April 2025 wies das Gericht die Revi­sio­nen der Klä­ger zurück und bestä­tig­te damit die Urtei­le des Hes­si­schen Verwaltungsgerichtshofes.

Wie sich aus der Pres­se­mit­tei­lung (das schrift­li­che Urteil liegt noch nicht vor) ergibt, hat das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt dabei zunächst aner­kannt, dass vie­le Schutz­be­rech­tig­te »wegen büro­kra­ti­scher Hür­den und War­te­zei­ten bis zum Erhalt erfor­der­li­cher Doku­men­te unmit­tel­bar nach der Ankunft kei­nen Zugang zu staat­li­chen Unter­stüt­zungs­leis­tun­gen, ins­be­son­de­re aus dem aktu­el­len Über­brü­ckungs­pro­gramm, dem Inte­gra­ti­ons­pro­gramm Heli­os+ oder dem staat­li­chen Grund­ein­kom­men« haben. Sie könn­ten »aber vor­aus­sicht­lich zumin­dest in tem­po­rä­ren Unter­künf­ten oder Not­schlaf­stel­len mit grund­le­gen­den sani­tä­ren Ein­rich­tun­gen unter­kom­men, die unter ande­rem auf kom­mu­na­ler Ebe­ne und durch nicht­staat­li­che Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen betrie­ben wer­den«. Der hier ent­schei­den­de Satz aus der Pres­se­mit­tei­lung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts lau­tet schließ­lich: »Ihre wei­te­ren Grund­be­dürf­nis­se ein­schließ­lich Ernäh­rung kön­nen sie durch eige­nes Erwerbs­ein­kom­men, anfäng­lich jeden­falls in der soge­nann­ten Schat­ten­wirt­schaft, decken, zu dem gege­be­nen­falls Unter­stüt­zungs­leis­tun­gen der genann­ten Stel­len hinzutreten«.

Erste Entscheidungen im Rahmen der Tatsachenrevision

Die zwei Ver­fah­ren waren die ers­ten im Rechts­zug der Tat­sa­chen­re­vi­si­on ent­schie­de­nen Fäl­le. Die Tat­sa­chen­re­vi­si­on wur­de durch die ver­gan­ge­ne Ampel­re­gie­rung in das Asyl­pro­zess­recht ein­ge­fügt. Damit wur­de das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt, das bis dato in der Revi­si­on aus­schließ­lich recht­li­che Fra­gen klä­ren durf­te und an die Tat­sa­chen­fest­stel­lung in der Vor­in­stanz gebun­den war, zur einer der gesam­ten Ver­wal­tungs­ge­richts­bar­keit über­ge­ord­ne­ten Tat­sa­chen­in­stanz. Von der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts dür­fen nun also unter­in­stanz­li­che Gerich­te nicht mehr abwei­chen. Der Sinn und Zweck der Tat­sa­chen­re­vi­si­on liegt in der Vor­stel­lung, dass mit ihr im Fal­le diver­gie­ren­der Tat­sa­chen­fest­stel­lun­gen in den unte­ren Instan­zen bun­des­weit eine Ver­ein­heit­li­chung der Recht­spre­chung her­ge­stellt wer­den könne.

Unionsrechtliche Bedenken gegen den Verweis auf die Schattenwirtschaft innerhalb der EU

Es gibt gewich­ti­ge uni­ons­recht­li­che Beden­ken, wei­ter­ge­reis­te inter­na­tio­nal Schutz­be­rech­tig­ten auf eine irre­gu­lä­re Beschäf­ti­gung in jenem Staat zu ver­wei­sen, der ihnen die Aner­ken­nung zuge­spro­chen hat. Unter­in­stanz­li­che Gerich­te haben die­se Beden­ken bereits lan­ge vor der Ent­schei­dung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts berück­sich­tigt und sind unter ande­rem des­halb sowohl in Bezug auf Ita­li­en als auch zu Grie­chen­land zu dem Ergeb­nis gekom­men, dass die Wei­ter­ge­reis­ten nicht dort­hin zurück­ver­bracht wer­den dürfen.

Hin­ter­grund ist, dass sowohl bei­de Mit­glied­staa­ten natio­nal­staat­li­che Bemü­hun­gen unter­neh­men, irre­gu­lä­re Beschäf­ti­gung zu unter­bin­den, als auch die Euro­päi­sche Uni­on die dor­ti­ge Schat­ten­wirt­schaft bekämpft:

In Ita­li­en wur­de im Kampf gegen irre­gu­lä­re Beschäf­ti­gung und Steu­er­hin­ter­zie­hung unter der Regie­rung von Gui­sep­pe Con­te bereits Anfang 2020 der ver­pflich­ten­de elek­tro­ni­sche Kas­sen­bon ein­ge­führt, mit dem ver­hin­dert wer­den soll, dass Dienst­leis­tun­gen am Fis­kus vor­bei erbracht wer­den. Eine Maß­nah­me, um vom Bar­geld und damit vom nicht ver­steu­er­ten Ein­kom­men weg­zu­kom­men, besteht dar­in, dass seit Juli 2020 die Gren­ze für Bar­zah­lun­gen von 3.000 auf 2.000 Euro gesenkt wur­de. Alles, was dar­über hin­aus geht, muss per Ban­ko­mat, Kre­dit­kar­te, Scheck oder Über­wei­sung gezahlt wer­den. Bei Ver­stö­ßen dro­hen Geld­stra­fen zwi­schen 2.000 und 50.000 Euro. Unter Regie­rungs­chef Mario Draghi wur­de 2021 ein Dekret ver­ab­schie­det, wel­ches unter ande­rem vor­sieht, dass die Tätig­keit einer Fir­ma ein­zu­stel­len ist, wenn bei einer Kon­trol­le zehn oder mehr Pro­zent der Beschäf­tig­ten irre­gu­lär beschäf­tigt sind.

Grie­chen­land hat eben­falls zahl­rei­che Maß­nah­men zur Bekämp­fung der Schat­ten­wirt­schaft auf den Weg gebracht und war dabei in den ver­gan­ge­nen Jah­ren deut­lich erfolg­rei­cher als Ita­li­en. Hier­zu zäh­len Arbeits­markt­re­for­men, die fle­xi­ble­re Beschäf­ti­gungs­mög­lich­kei­ten eröff­net haben sowie Fort­schrit­te bei der Digi­ta­li­sie­rung, eine schär­fe­re Ver­fol­gung der Finanz­kri­mi­na­li­tät und der Steu­er­hin­ter­zie­hung. So wur­de eine Bar­geld­ober­gren­ze von 500 Euro fest­ge­setzt – höhe­re Beträ­ge müs­sen per Kre­dit­kar­te oder Über­wei­sung bezahlt wer­den. Zudem sind Anfang 2024 sämt­li­che Händ­ler und Dienst­leis­ter ver­pflich­tet, Kar­ten­ter­mi­nals für bar­geld­lo­se Zah­lun­gen vor­zu­hal­ten. Durch die­se Maß­nah­men hat sich laut einer Stu­die des Inter­na­tio­na­len Wäh­rungs­fonds der Anteil der Schat­ten­wirt­schaft in den Jah­ren 2013 bis 2021 nahe­zu halbiert.

Auf der Ebe­ne der Euro­päi­schen Uni­on haben das Euro­päi­sche Par­la­ment und der Rat durch Beschluss 2016/344/EU vom 9. März 2016 eine »Euro­päi­sche Platt­form zur Stär­kung der Zusam­men­ar­beit bei der Bekämp­fung nicht ange­mel­de­ter Erwerbs­tä­tig­keit« ein­ge­rich­tet, die den Län­dern der Euro­päi­schen Uni­on hel­fen soll, wirk­sa­mer den ver­schie­de­nen For­men der Schwarz­ar­beit zu begeg­nen. Wenn aber sowohl die Mit­glied­staa­ten als auch die Euro­päi­sche Uni­on irre­gu­lä­re Beschäf­ti­gung bekämp­fen: Kann dann ein deut­sches Gericht die­se Bemü­hun­gen kon­ter­ka­rie­ren, indem es Geflüch­te­te auf eine Tätig­keit in eben die­ser Schat­ten­wirt­schaft verweist?

In Arti­kel 4 Absatz 3 des Ver­trags über die Euro­päi­sche Uni­on (EUV) sind die Prin­zi­pi­en der loya­len Zusam­men­ar­beit und der Effek­ti­vi­tät nor­miert. Das Loya­li­täts­prin­zip besagt, dass sich die Uni­on und die Mit­glied­staa­ten auch unter­ein­an­der bei der Erfül­lung der Auf­ga­ben, die sich aus den Ver­trä­gen erge­ben, zu unter­stüt­zen haben. Der Effek­ti­vi­täts­grund­satz ver­bie­tet Maß­nah­men der Mit­glied­staa­ten, die im Wider­spruch zu uni­ons­recht­li­chen Maß­nah­men ste­hen. Da sich sowohl die Euro­päi­sche Uni­on, gestützt auf Arti­kel 153 EUV, als auch die Mit­glied­staa­ten Ita­li­en und Grie­chen­land die Bekämp­fung der Schat­ten­wirt­schaft auf die Fah­nen geschrie­ben hat, ist es ande­ren Mit­glied­staa­ten unter­sagt, die­se Bemü­hun­gen zu hin­ter­trei­ben. Eben dies geschieht aber, wenn Gerich­te in einem EU-Staat zu Tätig­kei­ten in der Schat­ten­wirt­schaft eines ande­ren Mit­glied­staa­tes gera­de­zu anhalten.

Neben dem Ver­stoß gegen das Prin­zip der loya­len Zusam­men­ar­beit liegt zudem auch ein Ver­stoß gegen das Rechts­staats­prin­zip vor. So pos­tu­liert bei­spiels­wei­se das Ver­wal­tungs­ge­richt Gel­sen­kir­chen zutref­fend, ein Ver­stoß gegen das Rechts­staats­prin­zip drän­ge sich auf, wenn ein Mit­glied­staat eine Per­son dar­auf ver­wei­se, in einem ande­ren Mit­glieds­staat das dort gel­ten­de Recht zu bre­chen – »sei die­ser Rechts­bruch auch fak­tisch kaum geahndet«.

Den genann­ten Ver­stö­ßen lässt sich auch nicht ent­ge­gen­hal­ten, dass es bei den aus Ita­li­en und Grie­chen­land wei­ter­ge­wan­der­ten inter­na­tio­nal Schutz­be­rech­tig­ten um eine über­schau­ba­re Zahl han­del­te, wie dies in der Ent­schei­dung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts zu Ita­li­en anklingt (»Ver­hal­ten von Ein­zel­per­so­nen«). Zum einen kommt es bei der Fra­ge des Vor­lie­gens eines Rechts­bruchs nicht auf des­sen Inten­si­tät an. Und zum ande­ren sind die Zah­len kei­nes­wegs so nied­rig, wie es das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt sug­ge­riert. Im Fal­le von Ita­li­en geht es ver­mut­lich um meh­re­re tau­send Per­so­nen, sta­tis­tisch wird dies jedoch nicht erfasst.

Auch in Bezug auf Grie­chen­land wür­de es sich wie oben aus­ge­führt um meh­re­re Tau­send Men­schen han­deln, wür­den alle Per­so­nen mit Aner­ken­nung in Grie­chen­land, denen das BAMF die Abschie­bung androht, tat­säch­lich nach Grie­chen­land abge­scho­ben werden.

Vorlage an den Europäischen Gerichtshof unerlässlich

Nach­dem das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt auf natio­na­ler Ebe­ne in letz­ter Instanz ent­schie­den hat, ver­bleibt den unter­in­stanz­li­chen Gerich­ten die Mög­lich­keit, den Euro­päi­schen Gerichts­hof im Wege eines Vor­la­ge­ver­fah­rens um eine letzt­ver­bind­li­che Aus­le­gung des Uni­ons­rechts zu ersu­chen. Auf­grund der dar­ge­stell­ten Ver­stö­ße gegen Uni­ons­recht und der gro­ßen Anzahl der betrof­fe­nen Per­so­nen ist eine sol­che Vor­la­ge aus Sicht von PRO ASYL unerlässlich.

(pva)