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Grenzkontrolle an der österreichisch-deutschen Grenze. Foto: picture alliance/dpa | Peter Kneffel

Kontrolle, Inhaftierung, Abschiebung – das sind die Eckpunkte des beschleunigten Dublin-Verfahrens, das an der österreichischen Grenze erprobt wird. Schon jetzt ist klar: Effektiver Rechtsschutz bleibt dabei auf der Strecke.

Bereits seit 2015 hält die Bun­des­re­gie­rung an Kon­trol­len zur Gren­ze nach Öster­reich fest – rechts­wid­rig, wie PRO ASYL an ver­schie­de­nen Stel­len bereits dar­ge­legt hat. Auch der Baye­ri­sche Ver­wal­tungs­ge­richts­hof ver­ur­teil­te jüngst eine im Som­mer 2022 statt­ge­fun­de­ne Grenz­kon­trol­le und bewer­te­te die pau­scha­le Ver­län­ge­rung der Grenz­kon­trol­len als recht­wid­rig. Er begrün­de­te das damit, dass für eine Ver­län­ge­rung der Grenz­kon­trol­len im Schen­gen-Raum immer wie­der neue Tat­sa­chen vor­lie­gen müs­sen. Bis­her kam es jedoch nur zu einer Neu­be­wer­tung bei unver­än­der­ter Sach­la­ge. Das ver­stößt gegen den Schen­ge­ner Grenz­ko­dex.

Im Rah­men eines soge­nann­ten Pilot­ver­fah­rens im Zustän­dig­keits­be­reich der Bun­des­po­li­zei­di­rek­ti­on Mün­chen wird seit Janu­ar 2025 an die Kon­trol­len ein Dub­lin-Ver­fah­ren unter Haft­be­din­gun­gen ange­knüpft. Dem­nach sol­len asyl­su­chen­de Men­schen, die zuvor bereits in einem ande­ren EU-Land regis­triert wur­den, in Haft ihr Asyl­ver­fah­ren durch­lau­fen und mög­lichst schnell ins Erst­ein­rei­se­land abge­scho­ben wer­den. Anstatt also asyl­su­chen­de Per­so­nen an die Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen wei­ter zu ver­wei­sen, wo sie dann ihr Asyl­ver­fah­ren durch­lau­fen, ist ihre unmit­tel­ba­re Inhaf­tie­rung vorgesehen.

Bera­ten­de vor Ort beschrei­ben die­se Pra­xis als nichts Neu­es – es han­delt sich um eine Ver­ste­ti­gung des Vor­ge­hens an der Gren­ze zu Öster­reich. Zwar sind in der Theo­rie im Dub­lin-Ver­fah­ren men­schen­recht­li­che Kon­troll­me­cha­nis­men ver­an­kert, jedoch blei­ben die anhal­ten­den Miss­stän­de und die von vie­len Betrof­fe­nen erleb­ten Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen regel­mä­ßig außer Acht. Berater*innen bezeich­nen gegen­über PRO ASYL sol­che Dub­lin-Ver­fah­ren in Haft als »aus­sicht­los«. Das zei­gen die Erfah­run­gen einer jun­gen Syre­rin, die direkt an der Gren­ze inhaf­tiert und weni­ge Wochen spä­ter nach abge­lehn­tem Asyl­an­trag nach Bul­ga­ri­en abge­scho­ben wurde.

An der deutschen Grenze direkt in die Hafteinrichtung 

Eine jun­ge Syre­rin flieht Ende 2024 nach Deutsch­land. Zuvor war sie in Bul­ga­ri­en, wo ihr Asyl­an­trag trotz des zu die­sem Zeit­punkt noch herr­schen­dem Assad-Regimes abge­lehnt wor­den war. Der Zugang zu Rechts­mit­teln blieb ihr ver­sperrt, die Situa­ti­on in Bul­ga­ri­en ist für Geflüch­te­te von Ent­rech­tung und Ver­elen­dung geprägt. Als sie die deutsch-öster­rei­chi­sche Gren­ze erreicht, wird sie im Rah­men der anhal­ten­den Grenz­kon­trol­len von der Bun­des­po­li­zei auf­ge­grif­fen und unver­züg­lich in einer nahe­ge­le­ge­nen Abschie­be­haft­an­stalt inhaftiert.

Es han­delt sich bei die­sem Vor­ge­hen offen­bar um kei­nen Ein­zel­fall, denn Bera­tungs­stel­len in Bay­ern wei­sen bereits seit eini­ger Zeit dar­auf hin, dass es im Anschluss an Grenz­kon­trol­len zur ver­mehr­ten Haft­an­wen­dung kommt. Die Bun­des­po­li­zei ent­schei­det sich immer öfter für die­se Maß­nah­me, wenn ein Abgleich der Daten einer asyl­su­chen­den Per­son mit der EURO­DAC-Daten­bank ergibt, dass die­se bereits in einem ande­ren euro­päi­schen Mit­glieds­staat einen Asyl­an­trag gestellt hat. Sie begrün­det die Haft dann mit einer ver­meint­li­chen Flucht­ge­fahr. Ziel der aus­ge­wei­te­ten Haft­an­wen­dung ist es, Über­stel­lun­gen in den für das Asyl­ver­fah­ren zustän­di­gen Mit­glieds­staat sicher­zu­stel­len und zu beschleu­ni­gen. Denn, in Haft erfolgt das dem Asyl­ver­fah­ren vor­ge­schal­te­te Dub­lin-Ver­fah­ren zur Ermitt­lung des zustän­di­gen Mit­glieds­staats mit ver­kürz­ten Fris­ten. Gemäß Art. 28 Dub­lin III-VO darf die Über­stel­lungs­haft bis zu sechs Wochen betra­gen. Vie­les deu­tet dar­auf hin, dass die geschil­der­te baye­ri­sche Pra­xis seit Jah­res­be­ginn in dem soge­nann­ten Pilot­ver­fah­ren  ver­ste­tigt wird.

Haftanwendung auch in vulnerablen Fällen 

PRO ASYL lie­gen Haft­be­schlüs­se vor, in denen das Kri­te­ri­um »ver­meint­li­che Flucht­ge­fahr« für die Haft­an­wen­dung weit aus­ge­dehnt wird. Bei­spiels­wei­se wer­tet die Bun­des­po­li­zei gro­tes­ker­wei­se immer wie­der geäu­ßer­te Sui­zid­ab­sich­ten als Indiz für eine dro­hen­de Flucht. Anstatt Maß­nah­men zur Sui­zid­prä­ven­ti­on ein­zu­lei­ten und medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung zu gewähr­leis­ten, wer­den die Betrof­fe­nen oft wochen­lang in Haft gesteckt, wodurch die psy­chi­sche Belas­tung noch grö­ßer wird.

Die Lin­ke befrag­te im Febru­ar die abge­wähl­te Bun­des­re­gie­rung nach beson­de­ren Schutz­me­cha­nis­men für vul­nerable Per­so­nen­grup­pen in dem »Pilot­ver­fah­ren«. Ohne wei­ter auf die bereits frag­li­che Iden­ti­fi­zie­rung ein­zu­ge­hen, ant­wor­te­te die Bun­des­re­gie­rung: »Wird eine sol­che Per­son [die beson­de­re Ver­fah­rens­ga­ran­tien benö­tigt] fest­ge­stellt, han­deln die Beam­tin­nen und Beam­ten mit größt­mög­li­cher Umsicht und Empa­thie für die Situa­ti­on der oder des Betrof­fe­nen«. (Druck­sa­che 20/14902, Ant­wort auf Fra­ge 21c). Inhaf­tie­rung also als empa­thi­sche Maßnahme?

Schnellverfahren auf Kosten des Rechtsschutzes

Kurz nach­dem die jun­ge Syre­rin inhaf­tiert wur­de, wird PRO ASYL auf den Fall auf­merk­sam und stellt ihr, vom PRO ASYL-Rechts­hil­fe­fonds bezu­schusst, eine Rechts­an­wäl­tin zur Sei­te. Auch von ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen im In- und Aus­land, etwa dem Münch­ner Flücht­lings­rat und der in Bul­ga­ri­en arbei­ten­den Orga­ni­sa­ti­on No Name Kit­chen, erhält sie umfang­rei­che Unter­stüt­zung, unter ande­rem in Form von Berich­ten, die ein­drück­lich ihre Vul­nerabil­tät bele­gen. Das sind Aus­gangs­be­din­gun­gen, wie sie nur sel­ten in Haft vor­lie­gen. Vie­len Betrof­fe­nen ist es auf­grund der ver­kürz­ten Fris­ten und des erschwer­ten Zugangs zu Bera­tungs­an­ge­bo­ten in Haft nicht mög­lich, Rechts­mit­tel in Anspruch zu neh­men und ihre Asyl­ver­fah­ren ent­spre­chend qua­li­fi­ziert zu betrei­ben. Im Fall der jun­gen Syre­rin ist das anders. Den­noch wird ihr Asyl­an­trag – trotz dazwi­schen­lie­gen­der Fei­er­ta­ge – in nur zwan­zig Tagen vom Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) als »unzu­läs­sig« abge­lehnt, mit dem Hin­weis, dass Bul­ga­ri­en wei­ter­hin für ihr Asyl­ver­fah­ren zustän­dig sei.

Nach knapp sechs Wochen in deut­scher Haft wird die jun­ge Frau nach Bul­ga­ri­en über­stellt. Die Befürch­tun­gen wer­den wahr, sie wird von den bul­ga­ri­schen Behör­den direkt wie­der inhaftiert.

Dabei kann das BAMF oder das Gericht von einem Selbst­ein­tritt Gebrauch machen oder Abschie­bungs­ver­bo­te anord­nen, wenn einer Per­son im ande­ren EU-Staat unmensch­li­che oder ernied­ri­gen­de Behand­lung droht. Bei einem Selbst­ein­tritt wird der Asyl­an­trag in Deutsch­land erneut inhalt­lich geprüft. Bei einem Abschie­bungs­ver­bot folgt für die betrof­fe­ne Per­son eine Auf­ent­halts­er­laub­nis. Die Grün­de für ein Abschie­bungs­ver­bot kön­nen sys­te­ma­ti­scher oder anhand des Ein­zel­falls begrün­de­ter Natur sein.

Trotz der im Fall der jun­gen Syre­rin bei Gericht vor­ge­leg­ten detail­lier­ten Bewei­se und Berich­te, die die unmensch­li­che Behand­lung in Bul­ga­ri­en sowie die sys­te­ma­ti­schen Män­gel in ihrem Asyl­ver­fah­ren in Bezug auf ihre Per­son bele­gen, schützt auch das Gericht sie nicht vor der Abschie­bung nach Bul­ga­ri­en. Es stellt sich die Fra­ge: Wenn selbst in so einem aus­führ­lich doku­men­tier­ten und enga­giert beglei­te­ten Fall kein Rechts­schutz gewährt wird, wann dann?

Zurück in Bulgarien und wieder in Haft

Nach knapp sechs Wochen in deut­scher Haft wird die jun­ge Frau nach Bul­ga­ri­en über­stellt. Die Befürch­tun­gen wer­den wahr, sie wird von den bul­ga­ri­schen Behör­den direkt wie­der inhaf­tiert. Die­se Pra­xis ist gän­gig. Nach Aus­kunft der Rechts­be­ra­tungs­stel­le Foun­da­ti­on for Access to Rights (FAR) wird die Mehr­heit der Rück­über­stell­ten und zuvor abge­lehn­ten Asyl­su­chen­den für bis zu 18 Mona­te in den Abschie­be­haft­zen­tren Bus­mant­si oder Lyu­bi­mets inhaf­tiert. Die Bedin­gun­gen dort sind men­schen­un­wür­dig. Im Sep­tem­ber 2024 waren Vertreter*innen ver­schie­de­ner Kir­chen­asyl­netz­wer­ke vor Ort. Sie doku­men­tier­ten Gewalt­an­wen­dung, unzu­rei­chen­de hygie­ni­sche Bedin­gun­gen und den feh­len­den Zugang zu medi­zi­ni­scher Behand­lung in Abschie­be­haft. Auch »psy­cho­lo­gi­sche oder psych­ia­tri­sche Unter­stüt­zung gibt es in den Haft­zen­tren nur in den drin­gen­den Not­fäl­len«, heißt es in dem Bericht.

Nur ein Vorgeschmack im Zeichen der angekündigten »Asylwende«

Weder in Bul­ga­ri­en noch in Deutsch­land erhielt die jun­ge Syre­rin im Asyl­ver­fah­ren den drin­gend benö­tig­ten Schutz. Trotz ihrer bekann­ten Vul­nerabi­li­tät wur­de sie an der deut­schen Gren­ze inhaf­tiert, womit eine dra­ma­ti­sche Ver­schlech­te­rung ihres Zustands in Kauf genom­men wur­de. Ange­sichts der schnel­len Ableh­nung ihres Asyl­be­geh­rens besteht der star­ke Ver­dacht, dass ihre im Asyl­ver­fah­ren vor­ge­brach­ten Bele­ge für die sys­te­mi­schen Schwach­stel­len Bul­ga­ri­ens im All­ge­mei­nen und die indi­vi­du­el­len Umstän­de ihres Fal­les im Spe­zi­el­len nicht ordent­lich geprüft wur­den. Der Fall der jun­gen Syre­rin zeigt die ekla­tan­ten Män­gel des als »Pilot­ver­fah­rens« bezeich­ne­ten Vor­ge­hens auf, das für Schutz­su­chen­de meist wie eine gegen­läu­fi­ge Ein­bahn­stra­ße fun­giert:  Ziel ist es, die Betrof­fe­nen so schnell wie mög­lich zurück in den zustän­di­gen Dub­lin-Staat zu beför­dern – indi­vi­du­el­le Schutz­be­lan­ge sind dabei nachrangig.

In der aktu­el­len Debat­te zu Zuwan­de­rungs­be­gren­zung und Zurück­wei­sun­gen an den Gren­zen kom­men Schick­sa­le wie das der jun­gen Syre­rin nicht vor. Dabei zeigt ihr Fall ein­drück­lich: Immer stär­ke­re Abschot­tungs­maß­nah­men und eine Ver­mi­schung des Sicher­heits­dis­kur­ses mit dem Recht auf Asyl füh­ren dazu, dass Schutz­be­dürf­ti­gen zuneh­mend der Zugang zu rechts­staat­li­chen Asyl­ver­fah­ren und zu effek­ti­vem Rechts­schutz ver­wehrt wird.

(tc, mz)