PRO ASYL und über 50 weitere namhafte Menschenrechts- und Seenotrettungsorganisationen sowie Wohlfahrtsverbände warnen davor, humanitäre Unterstützung von Menschen auf der Flucht zu kriminalisieren. Durch Änderungen des Aufenthaltsgesetzes könnte künftig das Retten vor dem Ertrinken sowie andere Formen humanitärer Hilfe auf den Fluchtwegen mit Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren geahndet werden. Die Bundesregierung will das Gesetz noch vor Weihnachten durch den Bundestag bringen.
„Hier wird bewusst der klare Unterschied zwischen profitorientierter Schleuseraktivität und humanitärer Nothilfe verwässert“, kritisiert Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL. „Dabei gerät eine Selbstverständlichkeit unter die Räder: Leben zu retten darf kein Verbrechen sein! Wer anderen Menschen in existenzieller Not hilft, darf nicht Gefahr laufen, dafür bestraft zu werden.“
Die Organisationen zeigen sich in der gemeinsamen Stellungnahme „Kriminalisierung von Seenotretter*innen verhindern!“ alarmiert über geplante Änderungen im „Rückführungsverbesserungsgesetz“, die das Bundesministeriums des Innern und für Heimat dem Bundeskabinett vorgelegt hat. Demnach soll künftig schon allein die uneigennützige Beihilfe zur unerlaubten Einreise unter Strafe gestellt werden, wenn sie „wiederholt oder zugunsten mehrerer Ausländer“ erfolgt. Übersetzt heißt das: Das ganz normale Helfen in einer existenziellen Notlage soll strafbar gemacht werden.
Mit den Änderungen wird eine rechtliche Grundlage geschaffen, humanitäre Arbeit weiter einzuschränken und zum Beispiel Seenotretter*innen, die mit privat finanzierten Schiffen Menschen vor dem Ertrinken retten, strafrechtlich zu verfolgen. Auch Menschenrechtsverteidiger*innen, humanitäre Organisationen und Geflüchtete selbst könnten nach den Änderungen verstärkt angeklagt werden.
Diese Kriminalisierung steht nicht im Einklang mit dem Völkerrecht und widerspricht der im Koalitionsvertrag hervorgehobenen „zivilisatorische[n] und rechtliche[n] Verpflichtung, Menschen nicht ertrinken zu lassen“ ebenso, wie der dort formulierten Ankündigung, zivile Seenotrettung nicht behindern zu wollen (Koalitionsvertrag, S. 113).
Die auf medialen Druck hin geäußerte Behauptung des Innenministeriums, dass mit den Änderungen nicht die Seenotrettung erschwert werden solle, da sie gerechtfertigt sei, um „Gefahren für Leib und Leben abzuwenden“, reicht nicht aus. Denn genau zur Kriminalisierung solcher Handlungen eröffnen die geplanten Änderungen den rechtlichen Spielraum. Und ist das Recht erst mal gesetzt, hilft es der angeklagten Person wenig, sich auf beschwichtigende Worte zu berufen.
Die den Aufruf unterzeichnende Organisationen fordern daher:
- das Bundesinnenministerium auf, die Ausweitung des § 96 zurückzunehmen und stattdessen eine humanitäre Klausel in das Gesetz aufzunehmen, die Sanktionen gegen humanitäre Hilfe ausschließt (wie in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2002/90/EG vorgesehen.)
- die Bundestagsabgeordneten auf, diese Änderungen in einem Antrag aufzugreifen und in den Bundestag einzubringen, wenn das Innenministerium dem Bundeskabinett keine neue Formulierungshilfe vorschlägt.
- alle am Gesetzgebungsprozess beteiligten Akteure auf, die Expertise der Zivilgesellschaft anzuhören und bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen (wie im Rahmen der Verbandsanhörung geäußerten Kritik am beschleunigten Gesetzgebungsverfahren bereits geäußert).
PRO ASYL übt darüber hinaus grundsätzliche Kritik am “Rückführungsverbesserungsgesetz” und fordert die Bundesregierung auf, den Entwurf zurückzuziehen. In seiner aktuellen Form kriminalisiert das Gesetz Retter*innen und Geflüchtete, verletzt ihre Grundrechte und stößt auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.
Hintergrundinformation
Der problematische Änderungsvorschlag versteckt sich in der Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP zum Entwurf des “Rückführungsverbesserungsgesetzes” – und zwar im Änderungsvorschlag des § 96 Absatz 4 im Aufenthaltsgesetz, der das Einschleusen in ein anderes EU-Land regelt.
Eine juristische Einschätzung zu den Folgen der Formulierungshilfe, die von Sea Watch, Ärzte ohne Grenzen, SOS Humanity, Louise Michel, RESQSHIP, MISSION LIFELINE, Mare*Go, SOS Mediterranee, Sea-Eye und United4Rescue an die Bundesregierung und an zuständige Fachpolitiker*innen im Bundestag geschickt wurde, finden Sie hier.
Eine rechtliche Analyse der Vorschläge und auch des Hergangs, wie der Vorschlag Eingang in den Entwurf fand, finden Sie hier.