19.01.2023

Mit gemisch­ten Gefüh­len reagie­ren die drei Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen PRO ASYL, bor­der­line-euro­pe und WatchTheMed/Alarm Pho­ne auf ein Urteil in Ita­li­en  zu einem Schiffs­un­glück im Jahr 2013 vor Lam­pe­du­sa: Zwar urteil­te der Gerichts­hof in Rom, dass sich die ita­lie­ni­sche Küs­ten­wa­che und die Mari­ne der vor­sätz­li­chen Unter­las­sung der Ret­tung schul­dig gemacht haben und so für den Tod von 268 Flücht­lin­gen ver­ant­wort­lich sind. Doch die bei­den Ange­klag­ten, Kapi­tän Leo­pol­do Man­na und Fre­gat­ten­ka­pi­tän Luca Lic­ciar­di, ent­gin­gen einer Ver­ur­tei­lung, weil der Fall ver­jährt ist. Nun muss geprüft wer­den, ob in einem zivil­recht­li­chen Ver­fah­ren der ita­lie­ni­sche Staat zu Ent­schä­di­gungs­leis­tun­gen für die Opfer ver­pflich­tet wer­den kann.„Not­ru­fe auf See müs­sen ernst genom­men und Ret­tungs­ope­ra­tio­nen unver­züg­lich ein­ge­lei­tet wer­den. Das ist die zen­tra­le Bot­schaft die­ses Pro­zes­ses, die sich nicht nur an die ita­lie­ni­schen son­dern an alle Küs­ten­wa­chen und Ein­satz­kräf­te im Mit­tel­meer rich­tet“, bewer­ten PRO ASYL, bor­der­line-euro­pe und WatchTheMed/Alarm Pho­ne das Urteil vom 16. Dezem­ber 2022. Men­schen in See­not müs­sen immer vor dem Ertrin­ken geret­tet wer­den! „Es hat län­ger als neun Jah­re gedau­ert, bis in die­sem Fall unter­las­se­ner Hil­fe­leis­tung mit Todes­fol­ge ein Urteil gespro­chen wur­de. Die ange­klag­ten Ver­ant­wort­li­chen konn­ten wegen Ver­jäh­rung nicht zur Rechen­schaft gezo­gen wer­den. Dies bleibt für die Ange­hö­ri­gen der Opfer eine bit­te­re Erfah­rung“, beto­nen die drei Orga­ni­sa­tio­nen weiter.

Left to die: Ver­wei­ger­te See­not­ret­tung kos­tet 268 Men­schen das Leben

Zum Hin­ter­grund: Acht Tage nach der bekann­te­ren Bootstra­gö­die vor Lam­pe­du­sa am 3. Okto­ber 2013 ertran­ken 268 Flücht­lin­ge, dar­un­ter 60 Kin­der, bei einem wei­te­ren Unglück vor der ita­lie­ni­schen Insel: Am 11. Okto­ber 2013 geriet ein Boot mit mehr als 400 syri­schen und paläs­ti­nen­si­schen Boots­flücht­lin­gen aus Liby­en kom­mend in aku­te See­not. Das Boot war vor­her von einem liby­schen Schnell­boot ver­folgt und beschos­sen wor­den. Über fünf Stun­den hin­weg setz­ten die Men­schen auf dem Boot ver­zwei­fel­te Not­ru­fe über ein Satel­li­ten-Tele­fon an die Küs­ten­wa­chen in Ita­li­en und Mal­ta ab. Ein nur 17 See­mei­len ent­fern­tes ita­lie­ni­sches Mari­ne­schiff wur­de bewusst von der ita­lie­ni­schen See­not­ret­tungs-Ein­satz­zen­tra­le nicht zum Unfall­ort beor­dert. Alle hät­ten geret­tet wer­den kön­nen, wenn die ita­lie­ni­schen Behör­den die See­not­ret­tung sofort ein­ge­lei­tet hät­ten, so auch das Ergeb­nis des ita­lie­ni­schen Jour­na­lis­ten Fabri­zio Gat­ti, der mit sei­nen Recher­chen die Ermitt­lun­gen und den jah­re­lan­gen Pro­zess in Gang brach­te. Im Urteil vom 16. Dezem­ber 2022 wird betont, dass der Schiff­bruch hät­te ver­hin­dert wer­den kön­nen, wenn die Ver­ant­wort­li­chen ihre Pflich­ten erfüllt und gemäß inter­na­tio­na­lem Recht gehan­delt hät­ten.Fünf Stun­den lang kam kei­ne Hil­fe für die ertrin­ken­den Men­schen Sehr aus­führ­lich haben die Rich­te­rin­nen ihr Urteil auf 87 Sei­ten begrün­det und den Ver­lauf des ver­han­del­ten Schiff­bru­ches detail­liert nach­ge­zeich­net. Die Prä­si­den­tin der Zwei­ten Straf­kam­mer Anna Maria Pazi­en­za und die Rich­te­rin­nen Maria Con­cet­ta Gian­nit­ti und Chia­ra Boco­la sind zu dem Schluss gekom­men, dass die ita­lie­ni­sche Mari­ne und Küs­ten­wa­che sich der vor­sätz­li­chen Unter­las­sung der Ret­tung schul­dig gemacht haben. Ihre Ent­schei­dung, nicht ein­zu­grei­fen, hat zu der hohen Zahl von toten Frau­en, Män­nern und Kin­dern geführt. „Unse­re Mandant*innen, die in den fünf Stun­den auf See, in denen sie ver­geb­lich auf Ret­tung war­te­ten, ihre Ange­hö­ri­gen und ihre Kin­der ertrin­ken sahen, haben uns immer wie­der gebe­ten, dafür zu sor­gen, dass sich das Gesche­he­ne nicht wie­der­holt. Des­halb haben sie auch die Qua­len die­ses lan­gen Pro­zes­ses auf sich genom­men“, so die Rechtsanwält*innen der neben­kla­gen­den Über­le­ben­den nach dem Urteil. Men­schen­le­ben auf See müs­sen immer geret­tet wer­denUnd wei­ter: „Wir kön­nen heu­te hof­fen, dass die­ses Urteil alle an die ver­fas­sungs­recht­li­chen und völ­ker­recht­li­chen Pflich­ten erin­nert, die den­je­ni­gen oblie­gen, die in der See­not­ret­tung tätig sind. Das Urteil des Römi­schen Gerichts­hofs betrifft nicht nur die Ver­gan­gen­heit, son­dern auch die Gegen­wart und Zukunft: Men­schen­le­ben auf See müs­sen immer geret­tet wer­den, und kein Befehl kann die­se Pflicht außer Kraft set­zen.“Spe­zi­ell für Ita­li­en gilt: Die neue ita­lie­ni­sche Regie­rung unter Gior­gia Melo­ni soll­te die­ses Urteil genau stu­die­ren und ihre Ver­ant­wor­tung für die See­not­ret­tung bedin­gungs­los aner­ken­nen. „Denn aktu­ell müs­sen wir erle­ben, wie der amtie­ren­de Innen­mi­nis­ter Matteo Pian­te­do­si und Infra­struk­tur­mi­nis­ter Matteo Sal­vi­ni erneut ver­su­chen, zivi­le Ret­tun­gen mit allen Mit­teln zu erschwe­ren und damit ver­mehrt Todes­op­fer bil­li­gend in Kauf neh­men“, so die drei Orga­ni­sa­tio­nen PRO ASYL, bor­der­line-euro­pe und WatchTheMed/Alarm Pho­ne.Kon­takt für Medi­en­an­fra­gen:PRO ASYL: Karl Kopp, presse@proasyl.de, 069 / 24 23 14 30bor­der­line-euro­pe: Judith Gleit­ze, italia@borderline-europe.deWatchTheMed/Alarm Pho­ne: Hagen Kopp, media@alarmphone.org

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