08.03.2024

Zum Inter­na­tio­na­len Frau­en­tag for­dert PRO ASYL Bund und Län­der auf, geflüch­te­te Frau­en in Deutsch­land bes­ser zu schüt­zen. Ins­be­son­de­re in Gemein­schafts­un­ter­künf­ten sind Frau­en nicht aus­rei­chend vor Gewalt geschützt und in Asyl­ver­fah­ren wird geschlechts­spe­zi­fi­sche Ver­fol­gung häu­fig nicht aus­rei­chend anerkannt.

Knapp 94.000 Frau­en und Mäd­chen haben in Deutsch­land 2023 einen Asy­l­erst­an­trag gestellt. Ins­be­son­de­re im Krieg und in stark auto­ri­tär und patri­ar­chal gepräg­ten Ver­hält­nis­sen müs­sen Frau­en Zwangs­ver­hei­ra­tung, kör­per­li­che und see­li­sche Miss­hand­lun­gen, sexu­el­le Über­grif­fe, Ver­ge­wal­ti­gun­gen, Geni­tal­ver­stüm­me­lun­g/-beschnei­dung und ande­re Grau­sam­kei­ten bis hin zu ihrer Ermor­dung fürchten.

Feh­len­der Gewalt­schutz in Unterkünften

Zum Inter­na­tio­na­len Frau­en­tag 2024 erin­nert PRO ASYL dar­an, dass Deutsch­land zu wenig tut, um  Frau­en und Mäd­chen – ins­be­son­de­re in den Sam­mel­un­ter­künf­ten – umfas­send vor Gewalt zu schüt­zen. „Oben­drein erhal­ten schutz­su­chen­de Frau­en durch den jüngs­ten Beschluss zum Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz erst nach drei lan­gen Jah­ren einen rela­tiv unge­hin­der­ten Zugang zu medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung und in das regu­lä­re Gesund­heits­sys­tem. Damit haben Bund und Län­der die Situa­ti­on von gewalt­be­trof­fe­nen geflüch­te­ten Frau­en nicht bes­ser gemacht, son­dern im Gegen­teil unver­ant­wort­lich ver­schärft“, erklärt Andrea Kothen, Refe­ren­tin von PRO ASYL. „Auch dis­kri­mi­nie­ren­de Bezahl­kar­ten wer­den das Leben der betrof­fe­nen Frau­en, etwa bei einem not­wen­di­gen Umzug in ein Schutz­haus, alles ande­re als leich­ter machen.“

Die seit 2018 gel­ten­de Istan­bul-Kon­ven­ti­on ver­pflich­tet die Staa­ten unter ande­rem zu geschlechts­sen­si­blen Auf­nah­me- und Asyl­ver­fah­ren. Sie bekräf­tigt für gewalt­be­trof­fe­ne Frau­en die Gewäh­rung inter­na­tio­na­len Flücht­lings­schut­zes nach den Regeln der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on. Im deut­schen Asyl­ver­fah­ren wer­den jedoch bis heu­te geflüch­te­te Frau­en mit Gewalt­er­fah­rung nicht sys­te­ma­tisch iden­ti­fi­ziert. Sie sind in den ihnen zuge­wie­se­nen Unter­künf­ten nicht aus­rei­chend vor Gewalt geschützt und haben kei­nen unge­hin­der­ten Zugang zu Bera­tung und Hilfsangeboten.

Man­geln­der Blick auf „geschlechts­spe­zi­fi­sche Verfolgung“

Auch in punc­to Asyl wird die Bun­des­re­pu­blik den Vor­ga­ben der Istan­bul-Kon­ven­ti­on bis­lang kaum gerecht. „Allein die Zah­len legen nahe, dass das The­ma geschlechts­spe­zi­fi­sche Gewalt beim Bun­des­amt nicht ange­mes­sen beleuch­tet wird“, sagt Andrea Kothen. Nur bei knapp 4.800 Frau­en und Mäd­chen hat das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge 2023 eine geschlechts­spe­zi­fi­sche Ver­fol­gung fest­ge­stellt – das ent­spricht ledig­lich 7,8 Pro­zent der inhalt­lich geprüf­ten bezie­hungs­wei­se 6,0 Pro­zent aller Asy­l­ent­schei­dun­gen von Frau­en. Von den 4.800 Asyl­an­trag­stel­le­rin­nen kamen aller­dings allein 3.200 aus Afgha­ni­stan. Hier hat­te das Bun­des­amt im Ver­lauf des Jah­res 2023 sei­ne Pra­xis ver­bes­sern müs­sen, nach dem eini­ge EU-Staa­ten Afgha­nin­nen als ver­folg­te sozia­le Grup­pe betrach­te­ten und schließ­lich auch die Euro­päi­sche Asyl­agen­tur ihre Aner­ken­nung empfahl.

Bezo­gen auf ande­re Her­kunfts­län­der lässt die behörd­li­che Ein­sicht in die struk­tu­rel­le Gewalt gegen Frau­en auf sich war­ten. Bei­spiel Iran: Trotz Scha­ria-Geset­zen und bru­ta­ler Repres­sio­nen gegen Frau­en, die sich nicht klag­los den vor­ge­schrie­be­nen Geschlech­ter­re­geln unter­wer­fen wol­len, erging nur in 7,6 Pro­zent der inhalt­lich geprüf­ten Asyl­an­trä­ge von Ira­ne­rin­nen eine Aner­ken­nung auf­grund geschlechts­spe­zi­fi­scher Ver­fol­gung. Bei­spiel Tür­kei: Hier erkann­te das Bun­des­amt gar nur in 2 Pro­zent der inhalt­lich geprüf­ten Fäl­le eine geschlechts­spe­zi­fi­sche Ver­fol­gung. Dabei wur­de die Tür­kei 2018 vom Euro­pa­rat auf­grund der sich immer stär­ker aus­brei­ten­den Gewalt gegen Frau­en, Zwangs­ver­hei­ra­tun­gen von Mäd­chen und will­kür­li­cher rich­ter­li­cher Mil­de gegen­über Gewalt­tä­tern gerügt. 2021 trat das Land medi­en­wirk­sam aus der Istan­bul-Kon­ven­ti­on aus.

EuGH: Flücht­lings­an­er­ken­nung für gewalt­be­trof­fe­ne Frauen 

Durch ein Urteil des Gerichts­hofs der Euro­päi­schen Uni­on (EuGH) vom 16. Janu­ar 2024 soll­te sich das künf­tig ändern: Das Gericht stell­te klar, dass Frau­en eines Her­kunfts­lan­des je nach den dort herr­schen­den Ver­hält­nis­sen auch ins­ge­samt als „bestimm­te sozia­le Grup­pe“ im Sin­ne der EU-Aner­ken­nungs­richt­li­nie gel­ten kön­nen. Frau­en, die im Her­kunfts­land kör­per­li­che oder psy­chi­sche Gewalt erlei­den – was aus­drück­lich sexua­li­sier­te und häus­li­che Gewalt ein­schließt – kön­nen dem­nach als Flücht­lin­ge aner­kannt werden.

Erfreu­lich deut­lich weist der EuGH in dem Urteil zudem auf die Wich­tig­keit und Ver­bind­lich­keit der Istan­bul-Kon­ven­ti­on hin: Nicht nur die Euro­päi­sche Uni­on, die die Kon­ven­ti­on 2023 unter­zeich­net hat, son­dern auch alle EU-Staa­ten sind dazu ange­hal­ten, die asyl­recht­li­chen Vor­ga­ben „im Lich­te der Istan­bul-Kon­ven­ti­on aus­zu­le­gen.“ Bund und Län­der haben bis Ende 2025, zur nächs­ten Über­prü­fung der Umset­zung der IK durch den Euro­pa­rat, noch eini­ge Haus­auf­ga­ben zu machen. PRO ASYL for­dert das BAMF auf, sei­ne Ent­schei­dungs­pra­xis ent­spre­chend zu ändern und allen Antrag­stel­le­rin­nen, die ver­folgt wer­den, weil sie Frau­en sind, Asyl zu gewähren.

 

 

 

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