05.09.2012

Der Euro­päi­sche Gerichts­hof (EuGH) hat heu­te ein weg­wei­sen­des Urteil zum Asyl­an­spruch von Men­schen, die aus reli­giö­sen Grün­den ver­folgt wer­den, ver­öf­fent­licht. Gläu­bi­gen darf der Flücht­lings­schutz nicht mit dem Hin­weis dar­auf ver­wehrt wer­den, dass sie sich reli­giö­ser Akti­vi­tä­ten und öffent­li­cher Glau­bens­be­tä­ti­gun­gen weit­ge­hend ent­hal­ten könn­ten, um kei­ne Ver­fol­gung auf sich zu ziehen.

PRO ASYL begrüßt das EuGH-Urteil, das den Flücht­lings­schutz in Deutsch­land stärkt und dafür sorgt, dass euro­päi­sches Recht end­lich durch­ge­setzt wird. Damit wird ein Vier­tel­jahr­hun­dert restrik­ti­ver deut­scher Recht­spre­chung beendet.

Hin­ter­grund der EuGH-Ent­schei­dung ist eine Vor­la­ge des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­rich­tes in Leip­zig. In den Aus­gangs­ver­fah­ren aus den Jah­ren 2003 und 2004 hat­ten zwei paki­sta­ni­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge, akti­ve Ange­hö­ri­ge der Ahma­di­y­ya-Glau­bens­ge­mein­schaft, gel­tend gemacht, wegen ihrer reli­giö­sen Akti­vi­tä­ten durch die stren­gen Blas­phe­mie-Geset­ze Paki­stans bedroht zu sein. Die­se sehen Gefäng­nis­stra­fen oder sogar die Todes­stra­fe vor.

Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt leg­te dem Euro­päi­schen Gerichts­hof drei Fra­gen im Zusam­men­hang mit der Inter­pre­ta­ti­on der soge­nann­ten Qua­li­fi­ka­ti­ons­richt­li­nie vor, die EU-weit regelt, wer als Flücht­ling anzu­er­ken­nen ist. Die­se Richt­li­nie war 2005 mit dem Zuwan­de­rungs­ge­setz in Deutsch­land umge­setzt wor­den. Die Fra­ge der Behand­lung von reli­giö­ser Ver­fol­gung blieb jedoch in der Pra­xis umstrit­ten. Die Bun­des­re­gie­rung ver­wei­ger­te sich der ange­mahn­ten Klar­stel­lung per Gesetz.

Vor­ge­legt hat­te das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt dem EuGH unter ande­rem die Fra­ge, ob es sich ledig­lich dann um einen Akt von Ver­fol­gung im Sin­ne von Art. 9 der Qua­li­fi­ka­ti­ons­richt­li­nie han­de­le, wenn der „Kern­be­reich“ der Reli­gi­ons­frei­heit bzw. das „reli­giö­se Exis­tenz­mi­ni­mum“ berührt sei. Von der Recht­spre­chung wur­de es bis dato als zumut­bar ange­se­hen, dass sich Betrof­fe­ne jeg­li­cher öffent­li­cher Aus­übung der Reli­gi­on ent­hiel­ten, um einer Ver­fol­gung zu entgehen.

Dem erteilt der EuGH nun eine kla­re Absa­ge. Der EuGH stellt fest: Hand­lun­gen, die einen schwer­wie­gen­den Ein­griff in die Glau­bens­be­tä­ti­gung dar­stel­len, kön­nen reli­giö­se Ver­fol­gung dar­stel­len. Zur Glau­bens­be­tä­ti­gung gehört auch, sei­nen Glau­ben öffent­lich zu leben. Laut EuGH sei es dem Antrag­stel­ler zudem nicht zuzu­mu­ten, auf bestimm­te Glau­bens­be­kun­dun­gen oder Glau­bens­be­tä­ti­gun­gen zu ver­zich­ten, um eine Gefahr der Ver­fol­gung zu vermeiden.

Das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge und die Ver­wal­tungs­ge­rich­te wer­den künf­tig Asyl­an­trag­stel­lern nicht ent­ge­gen­hal­ten kön­nen, sie hät­ten es selbst in der Hand, die Ver­fol­gungs­ge­fähr­dung durch den Ver­zicht auf reli­giö­se Betä­ti­gung zu besei­ti­gen. Die Gerichts­ent­schei­dung wird vor­aus­sicht­lich auch Aus­wir­kun­gen haben auf ande­re Ver­fol­gungs­sach­ver­hal­te. Auch Men­schen, die wegen ihrer sexu­el­len Ori­en­tie­rung ver­folgt wer­den, wird man künf­tig nicht mit der Zumu­tung kom­men kön­nen, sie könn­ten Ver­fol­gung durch das Ver­ber­gen ihrer Ori­en­tie­rung vermeiden.

Das Urteil des EuGH im Wortlaut »

 Bizar­res Reli­gi­ons­examen beim Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (29.04.09)

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