11.10.2022

PRO ASYL begrüßt das Urteil des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts, das heu­te ent­schie­den hat, dass die Abga­be einer Reue­er­klä­rung für Geflüch­te­te unzu­mut­bar ist. Rechts­exper­te Peter von Auer spricht von einem weg­wei­sen­den Urteil.

Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt in Leip­zig hat heu­te ent­schie­den, dass die Abga­be einer soge­nann­ten Reue­er­klä­rung unzu­mut­bar ist. „Einem sub­si­di­är schutz­be­rech­tig­ten Aus­län­der darf die Aus­stel­lung eines Rei­se­aus­wei­ses für Aus­län­der nicht mit der Begrün­dung ver­wei­gert wer­den, er kön­ne einen Pass sei­nes Her­kunfts­staa­tes auf zumut­ba­re Wei­se erlan­gen, wenn der Her­kunfts­staat die Aus­stel­lung eines Pas­ses an die Unter­zeich­nung einer „Reue­er­klä­rung knüpft, die mit der Selbst­be­zich­ti­gung einer Straf­tat ver­bun­den ist, und der Aus­län­der plau­si­bel dar­legt, dass er die Erklä­rung nicht abge­ben will, urteil­te das Gericht.

„Es ist ein weg­wei­sen­des Urteil, das klar macht: Wer der eri­tre­ischen Dik­ta­tur ent­kom­men ist und hier Schutz fin­det, darf nicht von deut­schen Behör­den dazu genö­tigt wer­den, sich für die Inan­spruch­nah­me kon­su­la­ri­scher Dienst­leis­tun­gen wie die Beschaf­fung eines Natio­nal­pas­ses an sein Her­kunfts­land zu wen­den und die­sem gegen­über zu erklä­ren, dass er mit einer Bestra­fung für die Flucht aus dem mör­de­ri­schen Natio­nal­dienst und aus dem Land ein­ver­stan­den ist“, erklärt Peter von Auer, Rechts­exper­te bei PRO ASYL. Die Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on hat das Gerichts­ver­fah­ren finan­zi­ell bezu­schusst.

Geflüch­te­te Män­ner und Frau­en aus Eri­trea stan­den bis­lang vor dem Pro­blem, dass deut­sche Behör­den sie auf­for­der­ten, sich an die eri­tre­ische Bot­schaft zu wen­den, um dort Doku­men­te zu erhal­ten, die die deut­schen Behör­den ver­lang­ten. Das trifft bei­spiels­wei­se auf einen Fami­li­en­va­ter zu, der sei­ne Frau und Kin­der nach­ho­len möch­te, eben­so wie auf eine sub­si­di­är Geschütz­te, die von den Aus­län­der­be­hör­den auf­ge­for­dert wird, zur Pass­be­schaf­fung bei der eri­tre­ischen Bot­schaft vor­zu­spre­chen. Dort muss­ten sie dann eine Reue­er­klä­rung abge­ben, in der sie ihre Flucht und die „Nicht­er­fül­lung natio­na­ler Ver­pflich­tun­gen“ angeb­lich bereu­en „Mit dem heu­ti­gen Urteil ist end­lich  Schluss damit, dass Geflüch­te­te sich zur Pass­be­schaf­fung an den Staat wen­den müs­sen, der sie in vie­len Fäl­len ver­folgt und gequält hat“, sagt Peter von Auer. „Die Bun­des­re­gie­rung muss auch dar­über hin­aus eine kla­re Abgren­zung zum dik­ta­to­ri­schen Regime Eri­tre­as fin­den. Des­halb soll­ten deut­sche Behör­den künf­tig auch dar­auf ver­zich­ten, von Eritreer*innen die Doku­men­ten­be­schaf­fung zu ver­lan­gen, wenn die­se an die Zah­lung der soge­nann­ten Dia­spora­steu­er geknüpft ist, also einer erzwun­ge­nen finan­zi­el­len Unter­stüt­zung des eri­tre­ischen Regimes“, for­dert er.

Hin­ter­grund

Der Klä­ger ist eri­tre­ischer Staats­an­ge­hö­ri­ger. Das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge gewähr­te ihm sub­si­diä­ren Schutz, weil ihm auf­grund sei­ner ille­ga­len Aus­rei­se aus Eri­trea bei einer Rück­kehr eine Inhaf­tie­rung dro­he, die mit Fol­ter oder unmensch­li­cher oder ernied­ri­gen­der Behand­lung ver­bun­den sei. Die Aus­län­der­be­hör­de lehn­te sei­nen Antrag auf Aus­stel­lung eines Rei­se­aus­wei­ses für Aus­län­der ab, weil es dem Klä­ger zuzu­mu­ten sei, bei der Bot­schaft Eri­tre­as einen Pass­an­trag zu stel­len. Die dar­auf erho­be­ne Ver­pflich­tungs­kla­ge hat­te in ers­ter Instanz Erfolg. Auf die Beru­fung des Beklag­ten hat das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt die Kla­ge abge­wie­sen. Die Vor­aus­set­zun­gen für die Aus­stel­lung eines Rei­se­aus­wei­ses sei­en nicht erfüllt. Anders als Flücht­lin­gen sei es sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten grund­sätz­lich zumut­bar, sich bei der Aus­lands­ver­tre­tung ihres Her­kunfts­staa­tes um die Aus­stel­lung eines Natio­nal­pas­ses zu bemü­hen. Zumut­bar sei auch die vom eri­tre­ischen Kon­su­lat ver­lang­te Abga­be einer Reue­er­klä­rung , in der der Erklä­ren­de bedaue­re, sei­ner natio­na­len Pflicht nicht nach­ge­kom­men zu sein, und erklä­re, auch eine even­tu­ell dafür ver­häng­te Stra­fe zu akzeptieren.

​Der 1. Senat des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts hat heu­te die Ent­schei­dung des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts geän­dert und das erst­in­stanz­li­che Urteil wie­der­her­ge­stellt. Der Klä­ger kann die Aus­stel­lung eines Rei­se­aus­wei­ses bean­spru­chen, weil er einen eri­tre­ischen Pass nicht zumut­bar erlan­gen kann und auch die sons­ti­gen Vor­aus­set­zun­gen vor­lie­gen. Die in der Reue­er­klä­rung ent­hal­te­ne Selbst­be­zich­ti­gung einer Straf­tat darf ihm gegen sei­nen plau­si­bel bekun­de­ten Wil­len auch dann nicht abver­langt wer­den, wenn sich – wie vom Beru­fungs­ge­richt fest­ge­stellt – die Wahr­schein­lich­keit einer Bestra­fung dadurch nicht erhöht.

Zur desas­trö­sen Men­schen­rechts­la­ge in Eri­trea und der Situa­ti­on eri­tre­ischer Geflüch­te­ter in Deutsch­land sie­he hier und hier.

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