22.05.2018

PRO ASYL for­dert ein Abschie­bungs­mo­ra­to­ri­um für Afghanistan

Die bun­des­wei­te AG für Flücht­lin­ge PRO ASYL pro­tes­tiert ener­gisch und mit Nach­druck gegen die Rea­li­täts­ver­wei­ge­rung in Deutsch­land und den für heu­te ange­setz­ten Abschie­be­flug nach Afgha­ni­stan. »Es ist uner­träg­lich, dass die Innen­mi­nis­ter eini­ger Bun­des­län­der mit stoi­scher Gleich­gül­tig­keit  monat­lich einen Abschie­be­flie­ger anset­zen. PRO ASYL for­dert ein Abschie­bungs­mo­ra­to­ri­um für Afgha­ni­stan« sagt Gün­ter Burk­hardt, Geschäfts­füh­rer von PRO ASYL. Die Innen­mi­nis­ter von Bund und Län­dern müs­sen sich bei ihrer Anfang Juni statt­fin­den­den Früh­jahrs­ta­gung mit der Situa­ti­on aus­ein­an­der­set­zen: Ein Lage­be­richt des Aus­wär­ti­gen Amtes ist seit Mona­ten über­fäl­lig, ableh­nen­de BAMF-Ent­schei­dun­gen basie­ren auf ver­al­te­ten Her­kunfts­län­der­in­for­ma­tio­nen, mit der Fik­ti­on, es gäbe siche­re Gebie­te, die als soge­nann­te »inlän­di­sche Flucht­al­ter­na­ti­ve« dekla­riert und als Begrün­dung für Ableh­nun­gen her­an­ge­zo­gen wer­den. »Bei der Dis­kus­si­on um die Qua­li­tät der BAMF-Ent­schei­dun­gen redet kaum jemand von den zahl­lo­sen ableh­nen­den  Fehl­ent­schei­dun­gen des BAMF, gera­de bei afgha­ni­schen Flücht­lin­gen«, kri­ti­siert Burk­hardt. Dabei geben Ver­wal­tungs­ge­rich­te bei Kla­gen gegen Asyl­be­schei­de afgha­ni­schen Flücht­lin­gen beson­ders häu­fig Recht: In 61% der Fäl­le wer­den Ableh­nun­gen von Gerich­ten korrigiert.

Die Sicher­heits­si­tua­ti­on in Afgha­ni­stan – beson­ders in Kabul – hat sich in den letz­ten Wochen noch­mals dra­ma­tisch ver­schlech­tert.  Das Aus­wär­ti­ge Amt hat nach wie vor kei­ne Fak­ten benannt, die eine Abschie­bung recht­fer­ti­gen könn­ten. Im Gegen­teil: Inter­na­tio­nal aner­kann­te Erkennt­nis­quel­len spre­chen von einer sich immer wei­ter ver­schär­fen­den Situa­ti­on und beschrei­ben aus­führ­lich die Umstän­de, anhand derer eine Abschie­bung abzu­leh­nen ist.

Anschlags­se­ri­en und kein Ende in Sicht

Um die Sicher­heits­si­tua­ti­on und ‑ent­wick­lung zu ver­deut­li­chen, genügt es schon, auf öffent­li­che Bericht­erstat­tung seit der letz­ten Sam­mel­ab­schie­bung am 25.04.2018 zu schau­en: »Mehr als 20 Tote bei Tali­ban-Angrif­fen« (tagesschau.de vom 26.04.2018), »Elf Kin­der ster­ben bei Angriff auf Nato-Kon­voi« (Zeit.de vom 30.04.2018), »25 Tote bei Dop­pel­an­schlag in Kabul«, (tagesschau.de vom 30.04.2018), »Koor­di­nier­te Atta­cken – Zahl­rei­che Tote bei Anschlä­gen in Kabul« (Spiegel.de vom 10.05.2018).   Beson­ders häu­fig wird dabei auch immer wie­der Kabul Anschlags­ziel und damit die Stadt, die vie­len Rück­keh­rern als Schutz­al­ter­na­ti­ve zuge­mu­tet wird.

Die­se Pres­se­be­rich­te sowie inter­na­tio­nal aner­kann­te Erkennt­nis­quel­len wer­den von deut­scher Sei­te nicht berück­sich­tigt. Afgha­ni­stan ist ein Bür­ger­kriegs­land, des­sen Sicher­heits­la­ge sich ste­tig ver­schlech­tert, so beschreibt es UNHCR. Folgt man dem Glo­bal Peace Index 2017, ist Afgha­ni­stan das zweit­un­si­chers­te Land der Erde, nur Syri­en wird als noch gefähr­li­cher ein­ge­schätzt. Auch das Euro­päi­sche Unter­stüt­zungs­bü­ro für Asyl­fra­gen (Euro­pean Asyl­um Sup­port Office, EASO) hat Erkennt­nis­se aus ver­schie­dens­ten Quel­len zusam­men­ge­stellt und bestä­tigt im Dezem­ber 2017: »Die Zahl der Sicher­heits­vor­fäl­le hat sich im Zeit­raum 2008 – 2017 mehr als ver­fünf­facht« (zur deut­schen zusam­men­fas­sen­den Über­set­zung vgl. PRO ASYL, https://www.proasyl.de/news/detaillierter-bericht-zeigt-wie-unsicher-afghanistan-ist/)  2017 star­ben den­noch fast 3.500 Zivi­lis­ten bei Aus­ein­an­der­set­zun­gen und Anschlä­gen, wei­te­re 7.000 wur­den ver­letzt. Vor allem die Haupt­stadt Kabul, mit 290 pro­to­kol­lier­ten Sicher­heits­vor­fäl­len von Sep­tem­ber 2016 bis Mai 2017, wird dabei zu einem Haupt­ziel für Anschläge.

Gericht­lich ste­hen grund­le­gen­de Ent­schei­dun­gen noch bevor (vgl. VG Wies­ba­den, 7 K 1757/16.WI.A; VG Leip­zig 1 K 825/16.A) – dem liegt zugrun­de, dass immer noch kein aktu­el­ler Lage­be­richt zu Afgha­ni­stan durch das Aus­wär­ti­ge Amt exis­tiert. Die­ser soll­te eigent­lich schon spä­tes­tens im Herbst 2017 vor­ge­legt wor­den sein. Das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um und das Aus­wär­ti­ge Amt beto­nen statt­des­sen wie­der­holt, dass die jet­zi­ge Dar­stel­lung der Sicher­heits­la­ge in  Afgha­ni­stan nicht voll­stän­dig sein kön­ne, es gebe kaum Mög­lich­kei­ten zur Gewin­nung eige­ner Erkennt­nis­se vor Ort. Letzt­lich ist die deut­sche Bot­schaft in Kabul nicht arbeits­fä­hig, was dem schwe­ren Anschlag in Kabul am 31.5.2017 zuzu­schrei­ben ist.

Es ist völ­lig wider­sprüch­lich, wenn von 2005–2016 auf­grund eines Beschlus­ses der Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz fast nie­mand nach Afgha­ni­stan abge­scho­ben wur­de, dann aber – bei sich ver­schlech­tern­der Sicher­heits­la­ge und ohne nach­weis­ba­re Gegen­quel­len – seit Dezem­ber 2016 Abschie­bun­gen durch­ge­führt wer­den. Die Bun­des­län­der ste­hen jetzt in ihrer men­schen­recht­li­chen Pflicht, sich erneut für ein Abschie­bungs­mo­ra­to­ri­um einzusetzen.

Hin­weis: Das Afghan Refu­gees Move­ment ruft heu­te ab 18 Uhr am Frank­fur­ter Flug­ha­fen, Ter­mi­nal 1 – Abflug B zu einer Demo gegen die Sam­mel­ab­schie­bung nach Afgha­ni­stan auf: https://www.facebook.com/afghanrefugeesmovement/posts/806176346258265

Alle Presse­mitteilungen