28.09.2023

Wich­ti­ger Hin­weis: Auf­grund von Vor­be­hal­ten gegen­über der Kri­sen­ver­ord­nung blo­ckiert Ita­li­en die Eini­gung. Die Ver­hand­lun­gen zwi­schen den EU-Mit­glied­staa­ten gestal­ten sich schwie­ri­ger, als es zunächst aus­ge­se­hen hat­te. An der Zustim­mung Deutsch­lands hat sich nichts geän­dert, das BMI hat inzwi­schen eine Mit­tei­lung dazu ver­öf­fent­licht.

Stand: 29.09. 09:00

Beim Tref­fen der EU-Innenminister*innen im Rat der EU am 28. Sep­tem­ber 2023 wur­de die lan­ge umstrit­te­ne Kri­sen­ver­ord­nung trotz mas­si­ven zivil­ge­sell­schaft­li­chen Pro­tests zwi­schen den Mit­glied­staa­ten ver­ein­bart. In Zei­ten von Kri­se, „höhe­rer Gewalt“ oder „Instru­men­ta­li­sie­rung“ sol­len Aus­nah­me­re­geln gel­ten, die das Recht auf Asyl weit­ge­hend aus­he­beln. Auch die Bun­des­re­gie­rung stimmt den Ver­schär­fun­gen der GEAS-Reform zu und ver­ab­schie­det sich damit voll­stän­dig vom Koali­ti­ons­ver­trag im Bereich der EU-Flücht­lings­po­li­tik – hier­für kann sie noch nicht ein­mal einen Ver­hand­lungs­er­folg in Brüs­sel vorweisen. 

„Die Zustim­mung der Bun­des­re­gie­rung zur Kri­sen­ver­ord­nung ist ein dra­ma­ti­sches Signal, dass Men­schen­rech­te kei­ne Rol­le mehr spie­len. Wäh­rend die Ampel-Regie­rung sich im Koali­ti­ons­ver­trag noch vor­ge­nom­men hat­te, rechts­wid­ri­ge Push­backs und das Leid an den Außen­gren­zen zu been­den, stimmt sie nun einer Ver­ord­nung zu, die genau dies mas­siv ver­schär­fen wür­de. Damit knickt sie auch vor den rech­ten Hard­li­nern in der EU ein, die erneut erfolg­reich ihre Agen­da durch­ge­setzt haben. Das macht uns weni­ger als ein Jahr vor der Euro­pa­wahl wirk­lich Angst“, kom­men­tiert Wieb­ke Judith, rechts­po­li­ti­sche Spre­che­rin von PRO ASYL.

Die Bun­des­re­gie­rung und die EU dür­fen sich nicht wei­ter von rech­ten Kräf­ten trei­ben las­sen, die flucht­po­li­ti­sche The­men für ihre (Wahlkampf-)Zwecke instru­men­ta­li­sie­ren. Wer For­de­run­gen von Rechtspopulist*innen über­nimmt, trägt zur gesell­schaft­li­chen Nor­ma­li­sie­rung rech­ter und rechts­extre­mer Posi­tio­nen bei. Hier­zu gehört ins­be­son­de­re die Infra­ge­stel­lung grund­le­gen­der Men­schen­rech­te wie dem Recht auf Asyl. Es ist eine Fehl­an­nah­me, dass man rech­ten Par­tei­en durch eine noch restrik­ti­ve­re Flucht- und Migra­ti­ons­po­li­tik das Was­ser abgra­ben könn­te – das Gegen­teil ist der Fall.

„Wenn aktu­ell tag­täg­lich mit men­schen­rechts­wid­ri­gen Vor­schlä­gen die Gren­zen des Denk­ba­ren, Sag­ba­ren und Mach­ba­ren ver­scho­ben wer­den, wird das Wer­te­fun­da­ment  der EU aus­ge­höhlt. Das ist im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes brand­ge­fähr­lich“, warnt Wieb­ke Judith zur auf­ge­heiz­ten öffent­li­chen Debat­te. Auf Wor­te fol­gen Taten – die Zahl der Angrif­fe auf Geflüch­te­te ist in Deutsch­land und der EU beängstigend.

Das sieht die Kri­sen­ver­ord­nung kon­kret vor

Im Fal­le einer (dro­hen­den) „Kri­se“ sowie bei einer behaup­te­ten „Instru­men­ta­li­sie­rung“ durch staat­li­che oder nicht­staat­li­che Akteur*innen kön­nen Asyl­re­gis­trie­run­gen drei bzw. vier Wochen aus­ge­setzt wer­den. In Ver­bin­dung mit den bereits im Schen­ge­ner Grenz­ko­dex im Rat geein­ten Ver­schär­fun­gen im Fall einer „Instru­men­ta­li­sie­rung“ (Schlie­ßung von Grenz­über­gän­gen und ver­stärk­ter Grenz­über­wa­chung zur Ver­hin­de­rung von „ille­ga­len Ein­rei­sen“) ist dies ein Rezept für mas­si­ve Push­backs. Eine neue Ver­schär­fung ist bei der Defi­ni­ti­on einer Instru­men­ta­li­sie­rung wohl auch zuletzt rein­ge­kom­men: Wenn huma­ni­tä­re Aktio­nen wie See­not­ret­tungs­maß­nah­men nicht nach „euro­päi­schen Stan­dards“ ver­lau­fen, kön­nen auch sie als sol­che Instru­men­ta­li­sie­rung ein­ge­stuft wer­den, womit die gan­zen Ein­schrän­kun­gen für die geret­te­ten Schutz­su­chen­den auch anwend­bar wären. Dies könn­te zukünf­tig von rech­ten Regie­run­gen wie in Ita­li­en gezielt genutzt werden.

Wer es trotz Grenz­ge­walt und Push­backs über­haupt schafft wäh­rend einer sol­chen „Kri­se“ oder „Instru­men­ta­li­sie­rung“, einen Asyl­an­trag zu stel­len, wird anschlie­ßend an den Gren­zen inhaf­tiert. Im Fal­le einer Kri­se kann dies alle Schutz­su­chen­den aus Her­kunfts­staa­ten mit einer Schutz­quo­te von bis zu 75 Pro­zent tref­fen, im Fal­le einer „Instru­men­ta­li­sie­rung“ aus­nahms­los alle asyl­su­chen­den Kin­der, Frau­en und Män­ner. Ins­ge­samt könn­ten schutz­su­chen­de Men­schen auf die­se Wei­se bis zu zehn Mona­te an den Außen­gren­zen inhaf­tiert wer­den. Eine Ände­rung in letz­ter Minu­te in den Vor­schlä­gen ist, dass nun nicht mehr abge­senk­te Unter­brin­gungs­stan­dards in die­ser Zeit gel­ten sol­len. Aller­dings hat die Erfah­rung der letz­ten Jah­re gezeigt, dass bei mona­te­lan­ger Haft oder Unter­brin­gung an den Außen­gren­zen regel­mä­ßig gegen sol­che Stan­dards ver­sto­ßen wird und die EU nichts dage­gen unternimmt.

Auf Basis der heu­te ver­ein­bar­ten Posi­ti­on im Rat der EU wer­den nun die Ver­hand­lun­gen mit dem Euro­pa­par­la­ment begin­nen (soge­nann­ter Tri­log). Das Euro­pa­par­la­ment hat­te im April 2023 jedoch eine deut­li­che ande­re Posi­ti­on zur Kri­sen­ver­ord­nung beschlos­sen, die unter ande­rem einen neu­en sofor­ti­gen Schutz asyl­su­chen­der Men­schen vor­sah sowie eine ver­bind­li­che Ver­tei­lung von Schutz­su­chen­den und kei­ne Aus­nah­men im Fall von „höhe­rer Gewalt“ und auch kei­ne Ver­schär­fun­gen im Fall einer „Instru­men­ta­li­sie­rung“. Die Ver­hand­lun­gen dürf­ten somit schwie­rig werden.

Mehr Infor­ma­tio­nen zur Kri­sen- und Instru­men­ta­li­sie­rungs­ver­ord­nung fin­den Sie hier.

Alle Presse­mitteilungen