23.06.2021

Am 25. Juni wird der Bun­des­rat über den Gesetz­ent­wurf zum Aus­län­der­zen­tral­re­gis­ter abstim­men. Die Bun­des­län­der soll­ten ihn ableh­nen. Denn die Sam­mel­wut deut­scher Behör­den birgt Gefah­ren für Geflüch­te­te und ist daten­schutz­recht­lich höchst fragwürdig.

Erklär­tes Ziel des „Geset­zes zur Wei­ter­ent­wick­lung des Aus­län­der­zen­tral­re­gis­ters“ ist es, die Daten­be­stän­de von Nicht­deut­schen, ins­be­son­de­re Geflüch­te­ten, erheb­lich aus­zu­wei­ten, zen­tral zu spei­chern und qua­si auf Tas­ten­druck Tau­sen­den von Behör­den zur Ver­fü­gung zu stel­len. Die daten­schutz­be­zo­ge­nen Grund­rech­te der Betrof­fe­nen wer­den dabei grob über­gan­gen. In der Sach­ver­stän­di­gen­an­hö­rung vor dem Innen­aus­schuss des Deut­schen Bun­des­tags haben Expert*innen erheb­li­che Daten­schutz­be­den­ken gel­tend gemacht. Auch PRO ASYL hat­te den Gesetz­ent­wurf zum Aus­län­der­zen­tral­re­gis­ter (AZR) aus­führ­lich kri­ti­siert.

Inzwi­schen hat die Bun­des­re­gie­rung zwar eini­ge Ver­bes­se­run­gen vor­ge­nom­men, doch die­se sind unzu­rei­chend. Den­noch hat der Gesetz­ent­wurf am 9. Juni den Bun­des­tag pas­siert. Nun ist es an den Län­dern, zu ver­hin­dern, dass hoch­sen­si­ble Daten – etwa über die sexu­el­le Ori­en­tie­rung von Schutz­su­chen­den oder die Flucht­ge­schich­ten der Betrof­fe­nen – einer Viel­zahl von Aus­län­der­be­hör­den, Poli­zei­dienst­stel­len, Sozi­al­äm­tern, Aus­lands­ver­tre­tun­gen, Auf­nah­me­ein­rich­tun­gen und wei­te­ren Behör­den zur Ver­fü­gung gestellt wer­den. Rund 16.500 Behör­den haben Zugriff auf das AZR.

Auch Doku­men­te wie Asyl­be­schei­de und Gerichts­ent­schei­dun­gen in asyl- und aus­län­der­recht­li­chen Ver­fah­ren sol­len künf­tig im AZR gespei­chert wer­den. Nach Ansicht von PRO ASYL und den Flücht­lings­rä­ten reicht es nicht aus, dabei bloß eini­ge Pas­sa­gen zu schwär­zen, wie die über­ar­bei­te­te Fas­sung es vor­sieht.  Nimmt man den grund- und euro­pa­recht­li­chen Schutz des Pri­vat­le­bens ernst, müss­ten – etwa bei Beschei­den des Bun­des­amts für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge – sämt­li­che Absät­ze gestri­chen wer­den, in denen per­sön­li­che Anga­ben gemacht wer­den. Was nach allen not­wen­di­gen Schwär­zun­gen übrig bleibt, dürf­te ent­we­der voll­kom­men nutz­los sein oder ohne­hin über­mit­telt wer­den. Der Ver­wal­tungs­auf­wand steht also in kei­nem Ver­hält­nis zum Nut­zen. Und mehr noch: Eine Ein­sicht in die (geschwärz­ten) Doku­men­te ist für die Auf­ga­ben­er­fül­lung der Behör­den schlicht nicht erfor­der­lich  – ihre Spei­che­rung ver­fehlt damit eines der wich­tigs­ten recht­li­chen Kri­te­ri­en für die Zuläs­sig­keit der Datenerhebung.

Geset­zes­no­vel­le ver­stößt gegen Ver­fas­sungs- und Europarecht

Beson­ders pro­ble­ma­tisch bleibt die Ver­knüp­fung von Per­so­nen­iden­ti­täts­num­mern aus dem Her­kunfts­land mit dem AZR-Daten­satz. „Damit geht eine erheb­li­che Miss­brauchs­ge­fahr ein­her“, warnt Andrea Kothen von PRO ASYL. Dies birgt „ins­be­son­de­re das Risi­ko, dass die Daten von Flücht­lin­gen ohne Kennt­nis der Betrof­fe­nen an den Ver­fol­ger­staat gelan­gen und die Per­son selbst oder ihre im Her­kunfts­land leben­den Ange­hö­ri­gen dadurch in Gefahr gera­ten.“ Die Miss­brauchs­ge­fahr wiegt umso schwe­rer, als es im zen­tra­li­sier­ten Spei­cher- und Abruf­ver­fah­ren des AZR kaum wirk­sa­me Kon­troll­me­cha­nis­men gibt. Die Instal­la­ti­on eines „Daten­cock­pits“ nach dem Vor­bild ande­rer Regis­ter hät­te die Mög­lich­kei­ten der Betrof­fe­nen, ein gewis­ses Maß an Kon­trol­le über die eige­nen Daten zu behal­ten, gestärkt. Ein ent­spre­chen­der Vor­schlag der Grü­nen wur­de im Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren jedoch nicht berücksichtigt.

„Mit der immer wei­ter aus­ufern­den Daten­sam­mel­wut in Bezug auf aus­län­di­sche Men­schen wird der Daten­schutz kom­plett aus­ge­höhlt. Für Ausländer*innen gilt nur ein Daten­schutz zwei­ter Klas­se“, erklärt Seán McGin­ley, Geschäfts­füh­rer des Flücht­lings­rats Baden-Würt­tem­berg. Tim­mo Sche­ren­berg, Geschäfts­füh­rer des Hes­si­schen Flücht­lings­ra­tes, ergänzt: „Gera­de hier in Hes­sen haben wir ja lei­der eini­ge Erfah­run­gen damit sam­meln kön­nen, wie gespei­cher­te Daten miss­bräuch­lich abge­ru­fen wer­den kön­nen, wie bei­spiels­wei­se der Skan­dal um den NSU 2.0 ein­drück­lich zeigt. Jetzt soll ein Gesetz ver­ab­schie­det wer­den, mit dem sehr viel mehr und sehr viel sen­si­ble­re Daten einem sehr viel grö­ße­ren Per­so­nen­kreis zugäng­lich gemacht wer­den sollen.“

In vie­ler Hin­sicht ist die Geset­zes­no­vel­le nicht mit Ver­fas­sungs- und Euro­pa­recht zu ver­ein­ba­ren. Dar­auf hat ins­be­son­de­re das Netz­werk Daten­schutz­ex­per­ti­se hin­ge­wie­sen. PRO ASYL und die Flücht­lings­rä­te for­dern die Län­der daher auf, den Gesetz­ent­wurf im Bun­des­rat abzu­leh­nen. Der Daten­schutz muss auch für Geflüch­te­te gelten!

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