29.12.2022

Im Janu­ar 2023 tritt das neue Chan­cen-Auf­ent­halts­recht in Kraft. Das Gesetz gibt Tau­sen­den von Men­schen, die seit vie­len Jah­ren in Deutsch­land leben und arbei­ten und den­noch in stän­di­ger Angst vor Abschie­bung leben müs­sen, Hoff­nung auf einen gesi­cher­ten Auf­ent­halt. Es gibt aber auch schlech­te Nach­rich­ten: Gut inte­grier­te jun­ge Men­schen sind in der ein­jäh­ri­gen Vor­dul­dungs­zeit, die sie auf­wei­sen müs­sen, um über­haupt von dem Chan­cen-Auf­ent­halts­recht pro­fi­tie­ren zu kön­nen, einer erhöh­ten Abschie­be­ge­fahr aus­ge­setzt. Wich­tig ist nun vor allem, dass das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um die Anwen­dungs­hin­wei­se an die Aus­län­der­be­hör­den so gestal­tet, dass mög­lichst vie­le Men­schen von dem Chan­cen-Auf­ent­halts­recht pro­fi­tie­ren können.

„Das neue Chan­cen-Auf­ent­halts­recht ist ein rich­ti­ger Schritt hin zur Abschaf­fung der Ket­ten­dul­dun­gen, unter denen Zehn­tau­sen­de von Men­schen lei­den. Es ent­hält aber auch noch eini­ge Kon­struk­ti­ons­feh­ler: So bie­tet die Stich­tags­re­ge­lung nur eine Lösung für die Grup­pe von Men­schen, die zum 31. Okto­ber 2022 fünf Jah­re in Deutsch­land leb­ten und bestimm­te Bedin­gun­gen erfül­len. Das grund­sätz­li­che Pro­blem der Ket­ten­dul­dun­gen und der damit ein­her­ge­hen­den erschwer­ten Inte­gra­ti­on wird aber nicht gelöst, es gibt kei­ne Abkehr von den Ket­ten­dul­dun­gen. Wei­ter­hin wer­den Zehn­tau­sen­de Men­schen in Angst und Schre­cken leben müs­sen, weil sie kei­ne dau­er­haf­te Per­spek­ti­ve haben und stän­dig die Abschie­bung fürch­ten müs­sen“, sagt Tareq Alaows, flücht­lings­po­li­ti­scher Spre­cher von PRO ASYL.

Gut inte­grier­ten Jugend­li­chen droht Abschie­bung

Erhöh­te Abschie­be­ge­fahr besteht für gut inte­grier­te jun­ge Men­schen. Zwar sol­len sie künf­tig bereits nach drei statt nach vier Jah­ren Auf­ent­halt in Deutsch­land eine Auf­ent­halts­er­laub­nis nach Para­graf 25a Auf­ent­halts­ge­setz (Auf­enthG) erhal­ten kön­nen und dies nicht mehr nur bis zum 21., son­dern bis zum 27. Lebens­jahr. Doch dafür müs­sen sie sich künf­tig seit min­des­tens einem Jahr im pre­kä­ren Sta­tus der Dul­dung befin­den.

Die­se Vor­dul­dungs­zeit ver­schafft Aus­län­der­be­hör­den zusätz­li­che Spiel­räu­me, gut inte­grier­te Jugend­li­che abzu­schie­ben, bevor die Blei­be­rechts­re­ge­lung über­haupt greift – obwohl ein jun­ger Mensch zum Bei­spiel mit­ten in einer Aus­bil­dung steckt. „Um sol­che Abschie­bun­gen zu ver­hin­dern, muss das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um kla­re Anwen­dungs­hin­wei­se mit prag­ma­ti­schen Lösun­gen an die Behör­den for­mu­lie­ren: Bei jun­gen Men­schen, die alle Bedin­gun­gen außer der neu­en zwölf­mo­na­ti­gen Vor­dul­dungs­zeit erfül­len, müs­sen die Aus­län­der­be­hör­den auf eine mög­li­che Abschie­bung ver­zich­ten. Die jun­gen Men­schen brau­chen ihre Ener­gie für die Aus­bil­dung – und sol­len sie nicht für Zukunfts­sor­gen ver­schwen­den müs­sen“, sagt Tareq Alaows, flücht­lings­po­li­ti­scher Spre­cher von PRO ASYL.

Aus­län­der­be­hör­den müs­sen in kla­rer Spra­che münd­lich und schrift­lich bera­ten

„Wich­tig für den Erfolg des neu­en Chan­cen-Auf­ent­halts­rechts ist auch, dass die Aus­län­der­be­hör­den ihre im Gesetz ver­an­ker­te Hin­weis­pflicht best­mög­lich erfül­len und ihr so nach­kom­men, dass die Men­schen die Hin­wei­se auch ver­ste­hen und ihre Chan­ce auf das Chan­cen-Auf­ent­halts­recht nut­zen kön­nen. Münd­li­che Hin­wei­se, die oft unver­ständ­lich sind, rei­chen hier nicht aus. Nötig sind ver­ständ­lich for­mu­lier­te Hin­weis­blät­ter in einer kla­ren Spra­che“, sagt Alaows.

Dazu gehört zum Bei­spiel auch eine schrift­li­che Zusi­che­rung der Behör­de für die­je­ni­gen, die inner­halb des Chan­cen-Auf­ent­halts­rechts einen Pass beschaf­fen müs­sen. In die­ser Zusi­che­rung muss ste­hen, dass die Per­son, wenn sie alle Bedin­gun­gen des Anschluss­sta­tus nach dem Chan­cen-Auf­ent­halts­recht erfüllt, inklu­si­ve Iden­ti­täts­klä­rung, in Deutsch­land blei­ben kann und eine Auf­ent­halts­er­laub­nis bekommt.

Prak­ti­sche Lösun­gen im Sin­ne der Begüns­tig­ten sind nötig


Auch sonst geht es oft um prak­ti­sche Lösun­gen. So haben die­je­ni­gen, die das Chan­cen-Auf­ent­halts­recht erhal­ten, 18 Mona­te Zeit, um die Bedin­gun­gen für einen dau­er­haf­ten Auf­ent­halt zu erfül­len. Die­se Frist soll­te aber erst dann begin­nen, wenn der oder die Begüns­tig­te die Auf­ent­halts­er­laub­nis auch tat­säch­lich in der Hand hält. Das bedeu­tet: Die Aus­län­der­be­hör­den soll­ten das Ablauf­da­tum der Auf­ent­halts­er­laub­nis­se so set­zen, dass die Dau­er des Drucks bei der Bun­des­dru­cke­rei, der Ver­sand an die Behör­den und die Über­ga­be an die Begüns­tig­ten ein­be­rech­net sind.

So macht es bei­spiels­wei­se kei­nen Sinn, wenn in einer Auf­ent­halts­er­laub­nis bereits das Ablauf­da­tum 15. Juni 2024 ein­ge­tra­gen ist, der oder die Begüns­tig­te aber erst für Ende Juli 2023 einen Ter­min bei der Aus­län­der­be­hör­de zur Über­ga­be bekommt – denn dann sind schon Wochen der kost­ba­ren Zeit ver­stri­chen.

Zum Hin­ter­grund

Mit dem Gesetz zur Ein­füh­rung eines Chan­cen-Auf­ent­halts­rechts sol­len vor allem Lang­zeit­ge­dul­de­te eine Per­spek­ti­ve der Auf­ent­halts­si­che­rung bekom­men. Zudem sol­len für die­sen Per­so­nen­kreis Anrei­ze zur Inte­gra­ti­on und Iden­ti­täts­klä­rung geschaf­fen wer­den, ohne dass die Betrof­fe­nen eine Abschie­bung befürch­ten müs­sen. Dafür ist das Chan­cen-Auf­ent­halts­recht im § 104c Auf­enthG ein­ge­führt wor­den.

Als lang­fris­ti­ges Ziel sol­len die begüns­tig­ten Per­so­nen dann in die Auf­ent­halts­er­laub­nis für gut inte­grier­te Jugend­li­che und jun­ge Voll­jäh­ri­ge nach § 25a Auf­enthG oder in die Auf­ent­halts­er­laub­nis für Erwach­se­ne bei nach­hal­ti­ger Inte­gra­ti­on nach § 25b Auf­enthG wech­seln. Die­se bei­den Auf­ent­halts­ti­tel sind im Zuge des Gesetz­ge­bungs­ver­fah­rens eben­falls geän­dert wor­den.

Ihr Ver­spre­chen aus dem Koali­ti­ons­ver­trag, der bis­he­ri­gen Pra­xis der Ket­ten­dul­dun­gen mit einem soge­nann­ten Chan­cen-Auf­ent­halts­recht ent­ge­gen­zu­wir­ken, setzt die Bun­des­re­gie­rung lei­der nur unzu­rei­chend um. In ihrem am 7. Dezem­ber 2021 ver­ab­schie­de­ten Koali­ti­ons­ver­trag kün­dig­te die Regie­rungs­ko­ali­ti­on an:

»Der bis­he­ri­gen Pra­xis der Ket­ten­dul­dun­gen set­zen wir ein Chan­cen-Auf­ent­halts­recht ent­ge­gen: Men­schen, die am 1. Janu­ar 2022 seit fünf Jah­ren in Deutsch­land leben, nicht straf­fäl­lig gewor­den sind und sich zur frei­heit­li­chen demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung beken­nen, sol­len eine ein­jäh­ri­ge Auf­ent­halts­er­laub­nis auf Pro­be erhal­ten kön­nen, um in die­ser Zeit die übri­gen Vor­aus­set­zun­gen für ein Blei­be­recht zu erfül­len (ins­be­son­de­re Lebens­un­ter­halts­si­che­rung und Iden­ti­täts­nach­weis gemäß §§ 25 a und b Auf­enthG).«

Hin­weis:

Die Ent­wurfs­ver­si­on des Geset­zes vom 28.09.2022 fin­den Sie 
hier. Das Gesetz soll Anfang Janu­ar 2023 am Tag nach sei­ner Ver­kün­dung im Bun­des­ge­setz­blatt in Kraft tre­ten.

PRO ASYL hat umfang­rei­che Bera­tungs­hin­wei­se zum Chan­cen-Auf­ent­halts­recht ver­öf­fent­licht: https://www.proasyl.de/hintergrund/hinweise-zum-chancen-aufenthaltsrecht/

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