04.05.2022

Geflüch­te­te wer­den an zahl­rei­chen Grenz­ab­schnit­ten der EU Opfer von rechts­wid­ri­gen Zurück­wei­sun­gen und ande­ren schwer­wie­gen­den Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen. Heu­te wird im Euro­pa­par­la­ment eine von der Stif­tung PRO ASYL mit­fi­nan­zier­te Stu­die prä­sen­tiert, in der die Schaf­fung eines unab­hän­gi­gen Über­wa­chungs­me­cha­nis­mus des Grenz­schut­zes an den EU-Außen­gren­zen vor­ge­schla­gen wird. 

PRO ASYL hat heu­te gemein­sam mit Politiker*innen ver­schie­de­ner Par­tei­en im Euro­päi­schen Par­la­ment eine Stu­die vor­ge­stellt, in der die Schaf­fung eines unab­hän­gi­gen Über­wa­chungs­me­cha­nis­mus des Grenz­schut­zes an den EU-Außen­gren­zen ange­regt wird. Ziel ist es, die von Grenz­schüt­zern ver­üb­ten Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen an Geflüch­te­ten mit­hil­fe eines neu zu schaf­fen­den Kon­sor­ti­ums zu doku­men­tie­ren, um die­se in einem nächs­ten Schritt ahn­den zu kön­nen. „Der Rück­tritt von Fron­tex-Chef Fabri­ce Leg­ge­ri ver­gan­ge­ne Woche hat ein­mal mehr deut­lich gemacht, wie viel beim The­ma euro­päi­scher Grenz­schutz im Argen liegt“, sagt Karl Kopp, Lei­ter der Euro­pa-Abtei­lung von PRO ASYL. „Wir zei­gen heu­te Mög­lich­kei­ten auf, wie die exter­ne Kon­trol­le des Grenz­schut­zes, die es bis­lang nicht gibt, aus­se­hen müsste.“

Die Stu­die wur­de her­aus­ge­ge­ben und finan­ziert von PRO ASYL, dem Euro­pa­rat, von poli­ti­schen Frak­tio­nen im Euro­päi­schen Par­la­ment sowie von ein­zel­nen Euro­pa-Abge­ord­ne­ten aus drei der sie­ben poli­ti­schen Grup­pen. Bei der Vor­stel­lung war auch EU-Innen­kom­mis­sa­rin Ylva Johans­son anwesend.

„Die Straf­lo­sig­keit an Euro­pas Außen­gren­zen muss ein Ende haben“

Vor dem Hin­ter­grund sys­te­ma­ti­scher Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen an den EU-Außen­gren­zen wur­de eine Mach­bar­keits­stu­die erstellt, die der Fra­ge nach­geht, inwie­fern der Grenz­schutz durch einen Rechts­schutz­me­cha­nis­mus ergänzt wer­den kann. Kon­kret geht es dar­um, unab­hän­gi­ge Men­schen­rechts­be­ob­ach­ter zu ent­sen­den, die Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen an den Gren­zen detail­liert doku­men­tie­ren, was die Grund­la­ge für nach­fol­gen­de straf­recht­li­che Ermitt­lun­gen ist. „Die Straf­lo­sig­keit, mit der euro­päi­sche und natio­na­le Grenz­schüt­zer Geflüch­te­te ihrer ele­men­ta­ren Rech­te berau­ben, muss ein Ende haben“, for­dert Kopp. Der Jurist Mar­kus Jae­ger, Koor­di­na­tor der Stu­die und ehe­ma­li­ger Lei­ter der Direk­ti­on für Migra­ti­on beim Euro­pa­rat, ergänzt: Unbe­straf­te, schwe­re Ver­stö­ße gegen den Rechts­staat, der Euro­pa nun ein­mal sein soll, wei­chen den Rechts­staat an sich auf. Das bestehen­de Ungleich­ge­wicht zwi­schen Grenz­schutz auf der einen Sei­te und dem Rechts­schutz von Geflüch­te­ten auf der ande­ren Sei­te ist besorgniserregend.“

Über ille­ga­le Push­backs und ande­re rechts­wid­ri­ge Prak­ti­ken berich­ten bis­lang vor allem Journalist*innen und NGOs, es exis­tiert jedoch kei­ne effek­ti­ve und kon­ti­nu­ier­li­che Über­wa­chung. Die Stu­die zeigt auf, wie bereits bestehen­de Insti­tu­tio­nen aus den Mit­glied­staa­ten – etwa Ombuds­män­ner und ‑frau­en, natio­na­le Stel­len gegen Fol­ter sowie Men­schen­rechts­kom­mis­sio­nen –ein künf­ti­ges Kon­sor­ti­um bil­den könn­ten, das eine wirk­sa­me Über­wa­chung der Grund- und Men­schen­rech­te an den Gren­zen bietet.

Rechts­schutz genau­so soli­da­risch und euro­pä­isch gestal­ten wie Grenzschutz

Hier­für ist es not­wen­dig, die Beobachter*innen eines künf­ti­gen Kon­sor­ti­ums mit einem umfas­sen­den Man­dat aus­zu­stat­ten, das nicht nur alle Orte und Situa­tio­nen, son­dern auch alle Akteu­re, natio­na­le oder inter­na­tio­na­le, öffent­li­che oder pri­va­te umfasst. Alle Akteu­re des Grenz­schut­zes müss­ten zur unein­ge­schränk­ten Zusam­men­ar­beit mit dem Kon­sor­ti­um und sei­nen Beobachter*innen ver­pflich­tet sein. Die unab­hän­gi­gen Stel­len müs­sen über Ermitt­lungs­be­fug­nis­se ver­fü­gen. Dies umfasst den unge­hin­der­ten Zugang zu allen Orten, ange­kün­digt oder unangekündigt.

Damit sich unab­hän­gi­ge natio­na­le Men­schen­rechts­in­sti­tu­tio­nen an einem künf­ti­gen Kon­sor­ti­um betei­li­gen kön­nen, müss­ten die Kos­ten für ihre Bei­trä­ge von der EU über­nom­men wer­den. Lang­fris­tig könn­te das Bud­get für die soli­da­ri­sche euro­päi­sche Men­schen­rechts­über­wa­chung aus dem ste­tig anstei­gen­den Fron­tex-Bud­get stammen.

Vor­schlag: Ein auf zwei Jah­re ange­leg­tes Pilotprojekt

Die Herausgeber*innen der Stu­die schla­gen ein Pilot­pro­jekt an einer EU-Außen­gren­ze vor, von der beson­ders vie­le Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen berich­tet wer­den. Zwei Jah­re lang könn­ten die Emp­feh­lun­gen und Vor­schlä­ge aus der Stu­die dort aus­pro­biert wer­den. Dafür ist eine Finan­zie­rung durch die EU-Kom­mis­si­on in Höhe von rund drei Mil­lio­nen Euro nötig. „Soll­ten die Ergeb­nis­se des Pilot­pro­jekts bestä­ti­gen, dass der Men­schen­rechts­me­cha­nis­mus funk­tio­niert, könn­ten das Man­dat und die Bestim­mun­gen für die Finan­zie­rung in die ein­schlä­gi­gen EU-Rechts­vor­schrif­ten auf­ge­nom­men wer­den. Damit könn­te der Mecha­nis­mus lang­fris­tig an allen EU-Außen­gren­zen ein­ge­setzt wer­den“, sagt Karl Kopp. Mit einer soli­den und sta­bi­len recht­li­chen und finan­zi­el­len Grund­la­ge könn­te der Mecha­nis­mus zum Dreh- und Angel­punkt wer­den für ein ech­tes Sys­tem von Kon­trol­len und Gegen­kon­trol­len. „Ich stel­le nicht infra­ge, dass es Grenz­schutz braucht“, erklärt Mar­kus Jae­ger. „Doch genau­so soli­da­risch und euro­pä­isch, wie die­ser gestal­tet wird, soll­te Euro­pa vor­ge­hen, um einen Rechts­schutz herzustellen.“

Hin­ter­grund

Hier fin­den Sie die Stu­die. Ein zusam­men­fas­sen­des Inter­view mit Mar­kus Jae­ger, Koor­di­na­tor der Stu­die, lesen Sie hier.

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