Geflüchtete werden an zahlreichen Grenzabschnitten der EU Opfer von rechtswidrigen Zurückweisungen und anderen schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen. Heute wird im Europaparlament eine von der Stiftung PRO ASYL mitfinanzierte Studie präsentiert, in der die Schaffung eines unabhängigen Überwachungsmechanismus des Grenzschutzes an den EU-Außengrenzen vorgeschlagen wird.
PRO ASYL hat heute gemeinsam mit Politiker*innen verschiedener Parteien im Europäischen Parlament eine Studie vorgestellt, in der die Schaffung eines unabhängigen Überwachungsmechanismus des Grenzschutzes an den EU-Außengrenzen angeregt wird. Ziel ist es, die von Grenzschützern verübten Menschenrechtsverletzungen an Geflüchteten mithilfe eines neu zu schaffenden Konsortiums zu dokumentieren, um diese in einem nächsten Schritt ahnden zu können. „Der Rücktritt von Frontex-Chef Fabrice Leggeri vergangene Woche hat einmal mehr deutlich gemacht, wie viel beim Thema europäischer Grenzschutz im Argen liegt“, sagt Karl Kopp, Leiter der Europa-Abteilung von PRO ASYL. „Wir zeigen heute Möglichkeiten auf, wie die externe Kontrolle des Grenzschutzes, die es bislang nicht gibt, aussehen müsste.“
Die Studie wurde herausgegeben und finanziert von PRO ASYL, dem Europarat, von politischen Fraktionen im Europäischen Parlament sowie von einzelnen Europa-Abgeordneten aus drei der sieben politischen Gruppen. Bei der Vorstellung war auch EU-Innenkommissarin Ylva Johansson anwesend.
„Die Straflosigkeit an Europas Außengrenzen muss ein Ende haben“
Vor dem Hintergrund systematischer Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen wurde eine Machbarkeitsstudie erstellt, die der Frage nachgeht, inwiefern der Grenzschutz durch einen Rechtsschutzmechanismus ergänzt werden kann. Konkret geht es darum, unabhängige Menschenrechtsbeobachter zu entsenden, die Menschenrechtsverletzungen an den Grenzen detailliert dokumentieren, was die Grundlage für nachfolgende strafrechtliche Ermittlungen ist. „Die Straflosigkeit, mit der europäische und nationale Grenzschützer Geflüchtete ihrer elementaren Rechte berauben, muss ein Ende haben“, fordert Kopp. Der Jurist Markus Jaeger, Koordinator der Studie und ehemaliger Leiter der Direktion für Migration beim Europarat, ergänzt: „Unbestrafte, schwere Verstöße gegen den Rechtsstaat, der Europa nun einmal sein soll, weichen den Rechtsstaat an sich auf. Das bestehende Ungleichgewicht zwischen Grenzschutz auf der einen Seite und dem Rechtsschutz von Geflüchteten auf der anderen Seite ist besorgniserregend.“
Über illegale Pushbacks und andere rechtswidrige Praktiken berichten bislang vor allem Journalist*innen und NGOs, es existiert jedoch keine effektive und kontinuierliche Überwachung. Die Studie zeigt auf, wie bereits bestehende Institutionen aus den Mitgliedstaaten – etwa Ombudsmänner und ‑frauen, nationale Stellen gegen Folter sowie Menschenrechtskommissionen –ein künftiges Konsortium bilden könnten, das eine wirksame Überwachung der Grund- und Menschenrechte an den Grenzen bietet.
Rechtsschutz genauso solidarisch und europäisch gestalten wie Grenzschutz
Hierfür ist es notwendig, die Beobachter*innen eines künftigen Konsortiums mit einem umfassenden Mandat auszustatten, das nicht nur alle Orte und Situationen, sondern auch alle Akteure, nationale oder internationale, öffentliche oder private umfasst. Alle Akteure des Grenzschutzes müssten zur uneingeschränkten Zusammenarbeit mit dem Konsortium und seinen Beobachter*innen verpflichtet sein. Die unabhängigen Stellen müssen über Ermittlungsbefugnisse verfügen. Dies umfasst den ungehinderten Zugang zu allen Orten, angekündigt oder unangekündigt.
Damit sich unabhängige nationale Menschenrechtsinstitutionen an einem künftigen Konsortium beteiligen können, müssten die Kosten für ihre Beiträge von der EU übernommen werden. Langfristig könnte das Budget für die solidarische europäische Menschenrechtsüberwachung aus dem stetig ansteigenden Frontex-Budget stammen.
Vorschlag: Ein auf zwei Jahre angelegtes Pilotprojekt
Die Herausgeber*innen der Studie schlagen ein Pilotprojekt an einer EU-Außengrenze vor, von der besonders viele Menschenrechtsverletzungen berichtet werden. Zwei Jahre lang könnten die Empfehlungen und Vorschläge aus der Studie dort ausprobiert werden. Dafür ist eine Finanzierung durch die EU-Kommission in Höhe von rund drei Millionen Euro nötig. „Sollten die Ergebnisse des Pilotprojekts bestätigen, dass der Menschenrechtsmechanismus funktioniert, könnten das Mandat und die Bestimmungen für die Finanzierung in die einschlägigen EU-Rechtsvorschriften aufgenommen werden. Damit könnte der Mechanismus langfristig an allen EU-Außengrenzen eingesetzt werden“, sagt Karl Kopp. Mit einer soliden und stabilen rechtlichen und finanziellen Grundlage könnte der Mechanismus zum Dreh- und Angelpunkt werden für ein echtes System von Kontrollen und Gegenkontrollen. „Ich stelle nicht infrage, dass es Grenzschutz braucht“, erklärt Markus Jaeger. „Doch genauso solidarisch und europäisch, wie dieser gestaltet wird, sollte Europa vorgehen, um einen Rechtsschutz herzustellen.“
Hintergrund
Hier finden Sie die Studie. Ein zusammenfassendes Interview mit Markus Jaeger, Koordinator der Studie, lesen Sie hier.