In Baden-Württemberg wurde eine geflüchtete Frau aus einer Gemeinschaftsunterkunft heraus bei Minustemperaturen auf die Straße gesetzt. Grundlage dafür ist eine von der Ampelregierung beschlossene Leistungsstreichung. Das Sozialgericht Karlsruhe befand in einer Eilentscheidung: Das ist verfassungs- und europarechtswidrig.
Angesichts der bevorstehenden Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen appelliert PRO ASYL an die künftigen Regierungsparteien, keine Politik der Entrechtung auf dem Rücken von Geflüchteten zu betreiben und zur rechtsstaatlich basierten Asylpolitik zurückzukehren.
Aktueller Anlass ist ein Fall aus Baden-Württemberg: Mitte Februar setzte eine der reichsten Kommunen Deutschlands eine junge, geflüchtete Frau bei Minustemperaturen auf die Straße. Ihr wurde jegliche soziale Unterstützung und sogar das Nutzungsrecht für ihr Zimmer in der Gemeinschaftsunterkunft entzogen. Das Sozialamt begründete den Rauswurf damit, dass sich die Frau nach Kroatien begeben müsse, in das für ihr Asylverfahren zuständige Land. Hintergrund ist eine entsprechende Regelung aus dem so genannten Sicherheitspaket, das am 31.Oktober 2024 in Kraft getreten ist.
„Dieser vorhersehbare Skandal bestätigt die Kritik von PRO ASYL: Rechtlich unhaltbare Gesetze durchzusetzen, die lediglich populistische Forderungen nach harter Migrationspolitik bedienen sollen, ist eine erfolglose Strategie. Diese Strategie hat aber gravierende Auswirkungen auf Menschenleben”, sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL. „Das ist ein klarer Appell an die neue Koalition, rechtmäßige Asylpolitik zu betreiben und sich von der Illusion zu lösen, mit harter Migrationspolitik den Aufstieg der extremen Rechten aufhalten zu können.”
Gericht erklärt Leistungsausschluss für klar rechtswidrig
PRO ASYL unterstützte die Klage der betroffenen Frau, die mithilfe einer Anwältin beim Sozialgericht gegen den Beschluss der Stadt vorging. Aufgrund der akut drohenden Obdachlosigkeit der jungen Frau entschied das Sozialgericht Karlsruhe vergangene Woche binnen weniger Stunden. Es erklärte am 19. Februar 2025 mit deutlichen Worten, dass es den Leistungsausschluss sowohl für verfassungs- als auch für europarechtswidrig hält. (S 12 AY 424/25 ER) Nach dem Richterspruch konnte die Geflüchtete in die Unterkunft zurückkehren.
Überraschend kommt die Entscheidung des SG Karlsruhe nicht: Bereits in der Sachverständigenanhörung des Bundestags zum Sicherheitspaket hatten Expert*innen und Organisationen, darunter auch PRO ASYL, die Ampel-Regierung vor der vollständigen Leistungsstreichung gewarnt.
„Der Fall zeigt, wie weit sich die ‚Parteien der Mitte‘ treiben lassen, um den vermeintlichen Volkszorn zu befrieden. Es ist bitter, dass die Leidtragenden solch menschenverachtender gesetzlicher Regelungen sich nun einzeln vor Gerichten wehren müssen“, sagt Tareq Alaows.
Kein Einzelfall: Gerichte kassieren die Entscheidungen von Sozialämtern
In den vergangenen Monaten häuften sich Fälle, in denen Sozialämter Leistungskürzungen für Geflüchtete auf Grundlage des Sicherheitspakets beschlossen. Diese Kürzungen wurden im Anschluss von Gerichten ausnahmslos abgeschmettert.
Nach Auffassung des Sozialgerichts Speyer (20.02.2024 – S 15 AY 5/25 ER) verstößt die Leistungsstreichung gegen die Verfassung. Am 17. Dezember 2024 machte das Sozialgericht Nürnberg klar, dass es die Norm mit dem Europarecht nicht für vereinbar hält (richterlicher Hinweis – S 17 AY 68/24 ER). Ähnliche Zweifel an der Vereinbarkeit des Leistungsentzugs mit Europäischem Recht äußerten die Sozialgerichte in Landshut (18.12.2024 – S 11 AY 19/24 ER), Osnabrück (18.12.2024 – S 44 AY 25/24 ER), Darmstadt (04.02.2025 – S 16 AY 2/25 ER) und Trier (20.02.2025 – S 3 AY 4/25 ER).
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