18.02.2010

Ein Fami­li­en­va­ter wur­de zum zwei­ten Mal in den Koso­vo abgeschoben

Ver­wal­tungs­ge­richt Kas­sel: „Ein Gebot der Selbst­be­haup­tung der deut­schen Rechtsordnung“

Am 9. Febru­ar 2010 wur­de der jun­ge Rom Elvis A. aus Ful­da­tal bei Kas­sel in den Koso­vo abge­scho­ben. Der 26-Jäh­ri­ge, nach Roma-Recht ver­hei­ra­tet und Vater zwei­er Kin­der, war bereits im Mai 2009 nach einem Auf­ent­halt von zehn Jah­ren erst­ma­lig abge­scho­ben wor­den. Schlim­me Erfah­run­gen im Koso­vo ver­an­lass­ten ihn im Janu­ar, erneut Zuflucht in Deutsch­land zu suchen. Recher­che­er­geb­nis­se bele­gen: Die Abschie­bung, die die jun­ge Fami­lie zum zwei­ten Mal bin­nen eines Jah­res aus­ein­an­der­reißt, ist ein men­schen­recht­li­cher Skandal.

Schon Elvis A.’s ers­te Abschie­bung war unmensch­lich und unver­hält­nis­mä­ßig. Elvis A. arbei­te­te mit regel­mä­ßi­gem Ein­kom­men in Kas­sel, hat­te kei­ner­lei Straf­ta­ten began­gen und war gut inte­griert. Die Ertei­lung einer Auf­ent­halts­er­laub­nis nach der Alt­fall­re­ge­lung schei­ter­te nur dar­an, dass er zwei Mona­te nach dem Stich­tag nach Deutsch­land gekom­men war. Sei­ne Frau und sei­ne bei­den Söh­ne im Alter von einem 1 3/4‑Jahr und zehn Mona­ten haben Auf­ent­halts­er­laub­nis­se im Rah­men der Alt­fall­re­ge­lung erhal­ten und dür­fen damit in Deutsch­land blei­ben. Der Aus­län­der­be­hör­de war bekannt, dass Elvis A. und sei­ne Frau ledig­lich noch auf die letz­ten Doku­men­te war­te­ten, um auch nach deut­schem Recht hei­ra­ten zu kön­nen. Doch am spä­ten Abend des 25. Mai 2009 brach die Poli­zei die Woh­nungs­tür der Fami­lie auf. Elvis A. wur­de am nächs­ten Tag in den Koso­vo abge­scho­ben. Der jüngs­te Sohn war da gera­de einen Monat alt. Auch der älte­re Sohn muss­te sei­nen ers­ten Geburts­tag ohne den Vater begehen.

Im Koso­vo sah sich Elvis A. zunächst allen Pro­ble­men gegen­über, die vie­le abge­scho­be­ne Min­der­hei­ten­an­ge­hö­ri­ge tref­fen: Er konn­te sich nicht regis­trie­ren las­sen, er war nicht kran­ken­ver­si­chert und bekam ohne Regis­trie­rung kei­ne Sozi­al­leis­tun­gen. Im Hei­mat­ort sei­ner Eltern stell­te er fest, dass sein Eltern­haus zer­stört war. Nach sei­nen Anga­ben wur­de er von einer Grup­pe jun­ger Alba­ner zunächst bedroht und spä­ter zusam­men­ge­schla­gen. Nach einer not­dürf­ti­gen Ver­sor­gung sei­nes gebro­che­nen Nasen­beins und ande­rer Ver­let­zun­gen – für mehr reich­te das Geld nicht – habe er ver­sucht, Anzei­ge zu erstat­ten. Die aller­dings habe die Poli­zei nicht zu Pro­to­koll genommen.

Voll­kom­men mit­tel­los schlug sich Elvis A. in den nächs­ten Mona­ten Gast bei einer Roma­fa­mi­lie in Pris­ti­na durch. Die­ses Obdach ver­lor er, als die Gast­ge­ber­fa­mi­lie aus der Schweiz abge­scho­be­ne Ver­wand­te auf­neh­men muss­te. Aus Furcht vor wei­te­ren Bedro­hun­gen durch alba­ni­sche Natio­na­lis­ten habe er sich ent­schlos­sen, ille­gal zu sei­ner Fami­lie nach Deutsch­land zurückzukehren.

Nach sei­ner erneu­ten Ein­rei­se im Janu­ar 2010 ging er mit sei­nem Rechts­an­walt Diet­rich Woll­schlae­ger aus Han­no­ver zur Aus­län­der­be­hör­de, stell­te einen Asyl­fol­ge­an­trag und reich­te eine Peti­ti­on beim Hes­si­schen Land­tag ein. Noch vor Ver­las­sen der Aus­län­der­be­hör­de der Stadt Kas­sel wur­de er jedoch in Abschie­bungs­haft genommen.

Ohne Wür­di­gung der vor­ge­tra­ge­nen Pro­ble­me wur­de die Peti­ti­on in kür­zes­ter Zeit im Eil­ver­fah­ren abge­lehnt, ein Abschie­bungs­ter­min umge­hend für den 9. Febru­ar festgesetzt.

Nach­dem fest­stand, dass das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge kein wei­te­res Ver­fah­ren durch­füh­ren wür­de, stell­te Elvis A.’s Rechts­an­walt einen Eil­an­trag beim Ver­wal­tungs­ge­richt Kas­sel, um die Abschie­bung abzu­wen­den. Er bezog sich bei der Begrün­dung nicht nur auf die Gefähr­dung im Koso­vo, son­dern auch auf die unzu­mut­ba­re Fami­li­en­tren­nung und – unter­mau­ert durch ein fach­ärzt­li­ches Gut­ach­ten – die bereits ein­ge­tre­te­nen psy­chi­schen Fol­gen der Abschie­bung bei sei­ner Frau.

Doch der Ein­zel­rich­ter des VG Kas­sel mach­te erneut kur­zen Pro­zess. Elvis A.’s Erleb­nis­sen im Koso­vo maß er kei­ner­lei Bedeu­tung bei und ver­wies ihn dar­auf, im übli­chen Ver­fah­ren ein Visum zum Zweck der Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung zu bean­tra­gen. Dass die Fami­lie durch die ers­te Abschie­bung über­haupt erst getrennt wur­de, inter­es­sier­te den Rich­ter genau­so wenig wie die prak­ti­schen Schwie­rig­kei­ten, jetzt ein Visum zu erhal­ten, denn der Fami­li­en­va­ter unter­lag bereits nach der ers­ten Abschie­bung einer Ein­rei­se­sper­re. Deren Auf­he­bung kann er erst nach eini­ger Zeit bean­tra­gen. Eine der Vor­aus­set­zun­gen: die Bezah­lung der Abschie­bungs­kos­ten. Die abseh­ba­re lan­ge Fami­li­en­tren­nung wird vom Rich­ter mit schrä­gen Ver­glei­chen baga­tel­li­siert: Kin­der von See­leu­ten oder Sol­da­ten im Aus­lands­ein­satz müss­ten ja auch zeit­wei­se ohne ihren Vater aus­kom­men. Bei ihnen ist aller­dings abseh­bar, dass sie zurück­keh­ren und wann.

Der aktu­el­le Stand: Zwei klei­ne, zutiefst ver­stör­te Kin­der ohne ihren Vater, der alle Hän­de voll zu tun hat, sich selbst zu hel­fen, eine psy­chisch kran­ke Mut­ter, der nie­mand sagen kann, wann und wie die­ses grau­sa­me Spiel, das mit der Fami­lie getrie­ben wird, endet.

War­um es statt­fin­den muss­te, hat der Ein­zel­rich­ter in sei­nen Beschluss vom 8. Febru­ar 2010 hin­ein­ge­schrie­ben: „Es ist ein Gebot der Selbst­be­haup­tung der deut­schen Rechts­ord­nung, gera­de bei der­ar­ti­gen Fäl­len der Umge­hung der Ein­rei­se- und Auf­ent­halts­be­stim­mun­gen am Erfor­der­nis der kon­trol­lier­ten Ein­rei­se festzuhalten.“

Kon­takt:

Tel. 069 23 06 95

E‑Mail: presse@proasyl.de

Bas­ti­an Wre­de, Flücht­lings­rat Nie­der­sach­sen (recher­chiert Roma-Abschie­bun­gen in den Koso­vo): 05121 15 605

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