03.06.2016

Ges­tern Abend haben unse­re drei PRO ASYL-Anwäl­tin­nen, ein lokal ansäs­si­ger grie­chi­scher Anwalt und der grie­chi­sche Flücht­lings­rat einen Eil­an­trag zum Stopp der unmit­tel­bar dro­hen­den Abschie­bung eines vom IS ver­folg­ten Syrers von Grie­chen­land in die Tür­kei beim Euro­päi­schen Gerichts­hof für Men­schen­rech­te (EGMR) in Straß­burg ein­ge­reicht. Dies ist der ers­te Fall des EU-Tür­kei-Deals, der nun den EGMR erreicht.

Der syri­sche Schutz­su­chen­de arbei­te­te in der Ölin­dus­trie in Syri­en. Am 25. März such­ten ihn Emis­sä­re des IS in sei­ner Woh­nung in Istan­bul auf mit der Auf­for­de­rung, sofort nach Syri­en zurück­zu­keh­ren und dort für den IS in der Ölför­de­rung zu arbei­ten. Der Schutz­su­chen­de, der auch auf­grund sei­ner Homo­se­xua­li­tät gefähr­det ist, floh Hals über Kopf mit einem Sprung aus sei­nem Küchen­fens­ter und erreich­te Les­bos am 29. März.

Nach der Befra­gung durch das Euro­pean Asyl­um Sup­port Office (EASO) am 6. Mai wur­de sein Asyl­an­trag für unzu­läs­sig erklärt, die Flucht­grün­de nicht geprüft. Es droht die Abschie­bung in die Tür­kei. Die grie­chi­sche Beru­fungs­in­stanz ent­schied dann ohne wei­te­re Sach­ver­halts­auf­klä­rung auf Abschie­bung in die Tür­kei. Der Schutz­su­chen­de ist gegen­wär­tig auf Les­bos in Haft. PRO ASYL führt mit grie­chi­schen und tür­ki­schen Anwäl­tin­nen und Men­schen­recht­lern das Refu­gee Sup­port Pro­gram Aege­an (RSPA) durch. In die­sem Kon­text haben grie­chi­sche Rechts­an­wäl­te Kla­ge vor dem EGMR ein­ge­reicht, um die Abschie­bung in die Tür­kei zu stoppen.

PRO ASYL wirft der Euro­päi­schen Uni­on vor, unter Aus­he­be­lung des Rechts­staats Schutz­su­chen­de in die Tür­kei abschie­ben zu wol­len. Mehr als 3.000 Per­so­nen sind fak­tisch ohne Mög­lich­keit, den Rechts­weg zu beschrei­ten unter men­schen­un­wür­di­gen Umstän­den in Grie­chen­land in Haft. PRO ASYL brand­markt die Zustän­de als skan­da­lö­se Men­schen­rechts­ver­let­zung, selbst wenn es nun in die­sem Fall gelun­gen ist, Rechts­mit­tel einzulegen.

Der EU-Tür­kei-Deal stellt Flücht­lin­ge schutz­los. PRO ASYL hat des­halb eine Kam­pa­gne gestar­tet, die sich an die Bun­des­kanz­le­rin richtet.

„Die Bun­des­kanz­le­rin hat maß­geb­lich den EU-Tür­kei-Deal initi­iert. Nun geschieht vor unser allen Augen Unrecht“, kri­ti­siert PRO ASYL-Geschäfts­füh­rer Gün­ter Burk­hardt. Burk­hardt appel­liert an die Kanz­le­rin Mer­kel und den grie­chi­schen Minis­ter­prä­si­den­ten Tsi­pras: „Stop­pen Sie den EU-Tür­kei-Deal! Schutz­su­chen­de wie der syri­sche Homo­se­xu­el­le dür­fen nicht in die Tür­kei abge­scho­ben werden.“

Der EU-Tür­kei-Deal hat ein men­schen­recht­li­ches Desas­ter in der Ägä­is ver­ur­sacht. Dies war der EU, der Bun­des­re­gie­rung und allen Beob­ach­tern vor­her klar. PRO ASYL hofft, dass der EGMR die Abschie­bung stoppt und die Recht­lo­sig­keit been­det wird.

Zum Hin­ter­grund

Ers­te Erfah­run­gen mit den Fol­gen des EU-Türkei-Deals

PRO ASYL hat mit dem 14-köp­fi­gen Team des RSPA die ers­ten Aus­wir­kun­gen des EU-Tür­kei-Deals doku­men­tiert. Die Rea­li­tät ist:

  • Die Tür­kei hat bis­lang kein Asyl­recht, das zur Aner­ken­nung nach der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on führt, von einem rechts­staat­li­chen Ver­fah­ren, wonach Behör­den­ent­schei­dun­gen von unab­hän­gi­gen Gerich­ten geprüft wer­den, ganz zu schwei­gen. Selbst syri­sche Flücht­lin­ge haben ledig­lich Zugang zu „vor­über­ge­hen­dem Schutz“ – in der Pra­xis ist auch die­ser schwer erreichbar.
  • Inhaf­tie­rung und men­schen­un­wür­di­ge Behand­lung von Zurückgeschobenen:
    Knapp 400 Schutz­su­chen­de wur­den im April in die Tür­kei zurück­ge­schickt. Ein Teil von ihnen woll­te in Grie­chen­land Asyl bean­tra­gen. Unmit­tel­bar nach ihrer Abschie­bung wur­den alle Nicht-Syrer in der Tür­kei inhaf­tiert. Rechts­an­wäl­ten wur­de der Zugang ver­wehrt. Auch UNHCR wur­de die Kon­takt­auf­nah­me zu den Schutz­su­chen­den ver­wei­gert. Par­al­lel berich­ten Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen wie Amnes­ty Inter­na­tio­nal, Human Rights Watch, Mül­teci-DER u.a. von ille­ga­len Zurück­schie­bun­gen aus der Tür­kei, z.B. nach Afgha­ni­stan, Iran und Irak. PRO ASYL-Recher­chen erga­ben, dass eine yezi­di­sche Fami­lie, die vor dem IS-Ter­ror floh, von der grie­chi­schen Insel Samos in die Tür­kei abge­scho­ben wur­de. Dort wur­de ihr der Zugang zu einem Asyl­ver­fah­ren ver­wehrt. Ange­sichts der Andro­hung „frei­wil­lig aus­zu­rei­sen“ oder über einen sehr lan­gen Zeit­raum im Haft­zen­trum Kirk­lar­e­li inhaf­tiert zu blei­ben, gab die Fami­lie auf und kehr­te in den Nord­irak zurück.

Die Tür­kei ist weit davon ent­fernt, ihren eige­nen Staats­an­ge­hö­ri­gen Men­schen- und Bür­ger­rech­te zu garan­tie­ren. Recher­chen und Doku­men­ta­tio­nen von Men­schen­rechts-orga­ni­sa­tio­nen zei­gen, dass Flücht­lings­rech­te in der Tür­kei ekla­tant ver­letzt wer­den. Todes­schüs­se an der syrisch-tür­ki­schen Gren­ze, völ­ker­rechts­wid­ri­ge Abschie­bun­gen aus der Tür­kei nach Syri­en und Irak, sowie die will­kür­li­che Inhaf­tie­rung von Schutz­su­chen­den sind umfang­reich dokumentiert.

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