16.11.2023

PRO ASYL und die Flücht­lings­rä­te der Bun­des­län­der war­nen anläss­lich des Tref­fens des tür­ki­schen Prä­si­den­ten Erdoğan mit Bun­des­kanz­ler Scholz am Frei­tag, den 17. Novem­ber in Ber­lin, vor einer Neu­auf­la­ge des men­schen­feind­li­chen EU-Tür­kei-Deals und for­dern eine men­schen­rechts­ba­sier­te Außen­po­li­tik, ins­be­son­de­re gegen­über der Türkei!

„Die der­zei­ti­ge Poli­tik der Abwehr und Abschot­tung setzt auf einen Kuschel­kurs mit auto­ri­tä­ren Regi­men. Aber der Bun­des­re­gie­rung muss klar sein: Flücht­lings­deals wie mit der Tür­kei füh­ren zu immensem Leid von Schutz­su­chen­den, ver­let­zen ihre Men­schen­rech­te und funk­tio­nie­ren in der Pra­xis schlicht nicht. Die beschwo­re­ne Part­ner­schaft zwi­schen bei­den Län­dern sta­bi­li­siert ein Regime in der Tür­kei, das selbst für immer mehr Flucht ver­ant­wort­lich ist“, sagt Wieb­ke Judith, rechts­po­li­ti­sche Spre­che­rin von PRO ASYL.

Der EU-Tür­kei-Deal war und ist recht­lich, huma­ni­tär und mora­lisch inak­zep­ta­bel. Die Fol­gen für Geflüch­te­te sind fatal: Men­schen wer­den in der Tür­kei fest­ge­setzt und immer wie­der rechts­wid­rig und mit bru­ta­ler Gewalt über die Gren­ze zurück in die Kriegs­ge­bie­te nach Nord­sy­ri­en gezwun­gen oder an ihre Ver­fol­ger im Iran oder Afgha­ni­stan aus­ge­lie­fert. In Grie­chen­land lös­te der Deal eine per­ma­nen­te huma­ni­tä­re Kri­se aus. In den EU-finan­zier­ten Flücht­lings­la­gern auf den Ägä­is-Inseln wer­den Schutz­su­chen­de ihrer Rech­te beraubt und phy­sisch und psy­chisch ver­letzt. In Grie­chen­land stieg sowohl an der Lan­des­gren­ze als auch in der Ägä­is die Zahl ille­ga­ler und töd­li­cher Zurück­wei­sun­gen auf Rekord­hö­hen. Trotz­dem wird laut Beschluss von Kanz­ler und Ministerpräsident*innen vom 6. Novem­ber 2023 die Bun­des­re­gie­rung  „die wirk­sa­me Fort­set­zung und Umset­zung des EU-Tür­kei-Abkom­mens wei­ter­hin unterstützen“.

Flücht­lin­ge aus der Tür­kei: Stei­gen­de Zah­len und sin­ken­de Anerkennungsquoten

Das Regime von Recep Tayyip Erdoğan zwingt vie­le Men­schen zur Flucht – außer­halb des eige­nen Lan­des durch den Dau­er­be­schuss auf die Kurd*innen im Nord­irak und Nord­sy­ri­en sowie aus dem eige­nen Land. So ist die Tür­kei nach Syri­en aktu­ell das Haupt­her­kunfts­land von Schutz­su­chen­den in Deutsch­land, denn der tür­ki­sche Staat ver­folgt Kritiker*innen mit vol­ler Här­te, unter­drückt Min­der­hei­ten im eige­nen Land.

Bis Okto­ber 2023 stell­ten über 45.000 tür­ki­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge einen Asy­l­erst­an­trag. Die sich ver­schär­fen­de Men­schen­rechts­la­ge in der Tür­kei spie­gelt sich jedoch nicht in der Schutz­quo­te von Asyl­an­trag­stel­len­den aus der Tür­kei wider. Die­se liegt aktu­ell bei nur 19 Pro­zent. Das bedeu­tet, dass nicht mal jeder fünf­te Antrag bei dem Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) erfolg­reich ist.

„Auch innen­po­li­tisch muss sich Deutsch­land ehr­lich machen und aner­ken­nen, dass es sich bei der Tür­kei nicht län­ger um einen ver­läss­li­chen, demo­kra­ti­schen Part­ner han­delt. Statt­des­sen unter­stellt das BAMF  wei­ter­hin einen grund­sätz­lich rechts­staat­li­chen Umgang mit Oppo­si­tio­nel­len und lehnt in einer Viel­zahl von Ver­fah­ren Schutz­su­chen­de ab, die in der Tür­kei mit Berufs­ver­bo­ten belegt oder straf­recht­lich ver­folgt wer­den. Man muss sich fra­gen, ob hier im vor­aus­ei­len­den Gehor­sam gehan­delt wird, um Erdoğan nicht zu ver­är­gern“, kom­men­tiert Kai Weber, Geschäfts­füh­rer des Flücht­lings­rats Nie­der­sach­sens für die Flüchtlingsräte.

Es ist all­seits aner­kannt, dass die Tür­kei umfäng­lich auf kon­stru­ier­te Ter­ro­ris­mus­vor­wür­fe gegen­über unlieb­sa­men Ein­zel­per­so­nen oder Grup­pie­run­gen zurück­greift. Ihnen dro­hen rechts­staats­wid­ri­ge Ver­fah­ren und lang­jäh­ri­ge Haft­stra­fen. Erdoğan herrscht in der Tür­kei seit 20 Jah­ren und hat seit­her den Staat, sei­ne Insti­tu­tio­nen und das Jus­tiz­we­sen weit­ge­hend sei­nem auto­kra­ti­schen Wil­len unter­wor­fen. Nach dem Putsch­ver­such von 2016 kam es zum weit­ge­hen­den Umbau der Jus­tiz, um die­se regie­rungs­kon­form zu schalten.

PRO ASYL und die Flücht­lings­rä­te der Bun­des­län­der for­dern, dass die Bun­des­re­gie­rung gegen­über dem tür­ki­schen Staats­prä­si­den­ten kon­se­quent men­schen­recht­li­che Stan­dards ver­tei­digt  – innen­po­li­tisch, außen­po­li­tisch und selbst­ver­ständ­lich auch flücht­lings­po­li­tisch. Auch die umfäng­li­che Über­ar­bei­tung der BAMF-Ent­schei­dungs­pra­xis zur Tür­kei ist längst überfällig.

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