24.02.2023

Auch nach einem Jahr des ver­bre­che­ri­schen Angriffs­krie­ges durch Russ­land auf die Ukrai­ne gibt es für Men­schen, die das Kämp­fen und Töten in dem Krieg ver­wei­gern, kei­ne lega­len Zugangs­we­ge zu Asyl in Euro­pa und Deutsch­land. PRO ASYL und Con­nec­tion e.V. for­dern deut­sche Politiker*innen auf, ihren voll­mun­di­gen Ver­spre­chun­gen Taten fol­gen zu lassen.

Seit dem Angriff Russ­lands auf die Ukrai­ne ver­su­chen sich Hun­dert­tau­sen­de Men­schen einer Betei­li­gung an die­sem Krieg zu ent­zie­hen. Nach aktu­el­len Schät­zun­gen von Con­nec­tion e.V. haben mitt­ler­wei­le 150.000 mili­tär­dienst­pflich­ti­ge Män­ner Russ­land ver­las­sen, wegen der restrik­ti­ven Visa­po­li­tik der Län­der im Schen­gen-Raum vor allem in die Nach­bar­staa­ten. Bei Bela­rus geht die Orga­ni­sa­ti­on von 22.000 und bei der Ukrai­ne von 175.000 Män­nern aus, die das Land ver­las­sen haben.

Pre­kä­re Situa­ti­on für Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer und Militärdienstentzieher

PRO ASYL und Con­nec­tion e.V. kri­ti­sie­ren, dass für Men­schen, die sich in Russ­land oder Bela­rus dem Krieg ent­zie­hen, bis heu­te kei­ne lega­len Zugangs­we­ge zum Recht auf Asyl geschaf­fen wur­de. Weder wur­den mehr huma­ni­tä­re Visa für sol­che Men­schen erteilt, noch wur­den die Gren­zen geöff­net, wie dies für flie­hen­de Ukrainer*innen der Fall war, noch ist eine Ände­rung der BAMF-Ent­schei­dungs­pra­xis bei Asyl­an­trä­gen von Rus­sen erkennbar.

Con­nec­tion e.V. und PRO ASYL sind bis dato kei­ne BAMF-Beschei­de bekannt, in denen Rus­sen, die vor einem Kriegs­dienst geflo­hen sind, Schutz zuer­kannt wur­de. Statt­des­sen liegt ihnen ein nega­ti­ver BAMF-Bescheid eines rus­si­schen Mili­tär­dienst­ent­zie­hers von Ende Janu­ar 2023 (also bereits nach der Ankün­di­gung einer Teil­mo­bil­ma­chung in Russ­land) vor. In die­sem Bescheid wird einem Mann, der sich der Rekru­tie­rung in Russ­land ent­zo­gen hat­te, sein Schutz­be­geh­ren mit dem unver­ständ­li­chen Argu­ment abge­lehnt, dass nicht davon aus­zu­ge­hen sei, dass er im Rah­men einer Mobil­ma­chung zu den Streit­kräf­ten ein­ge­zo­gen wür­de. Die­se Ein­schät­zung ver­kennt völ­lig die der­zei­ti­ge rea­le Gefahr für alle wehr­fä­hi­gen Män­ner in Russ­land, als Akteur in den Krieg ein­be­ru­fen zu werden.

Die Zahl rus­si­scher Mili­tär­dienst­pflich­ti­ger, die in Deutsch­land Asyl bean­tragt haben, ist zwar gestie­gen, ist aber mit schät­zungs­wei­se 600 Asy­l­erst­an­trä­gen in dem Zeit­raum März bis Dezem­ber 2022 immer noch auf einem nied­ri­gen Niveau. Grund dafür ist, dass die meis­ten kei­nen siche­ren Flucht­weg in die Euro­päi­sche Uni­on und nach Deutsch­land sehen. Die Situa­ti­on für geflo­he­ne Rus­sen und Bela­rus­sen in Staa­ten wie Kasach­stan, Geor­gi­en, Arme­ni­en, Tür­kei oder Ser­bi­en aber ist zum Teil pre­kär. Die Tür­kei – und seit Ende Janu­ar auch Kasach­stan – gewährt rus­si­schen Staatsbürger*innen nur einen begrenz­ten Auf­ent­halts­sta­tus von drei Mona­ten, der nicht belie­big ver­län­ger­bar ist. Ihnen droht eine Abschie­bung zurück nach Russ­land. PRO ASYL und Con­nec­tion e.V. schlie­ßen sich daher der For­de­rung des Forum Men­schen­rech­te an: „Für Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer dür­fen die EU-Gren­zen nicht ver­schlos­sen sein.“

Eine zusätz­li­che Hür­de stellt das Dub­lin-Abkom­men dar, wonach das EU-Land für einen Asyl­an­trag zustän­dig ist, über das der Flücht­ling ein­ge­reist ist bzw. das ein Visum aus­ge­stellt hat. Auch dies­be­züg­lich liegt den Orga­ni­sa­tio­nen ein BAMF-Bescheid vor, mit dem ein rus­si­scher Mili­tär­dienst­ent­zie­her in Deutsch­land zur Aus­rei­se nach Polen auf­ge­for­dert wird. Polen hin­ge­gen steht rus­si­schen Ver­wei­ge­rern sehr nega­tiv gegen­über, so dass dem Betrof­fe­nen eine Ket­ten­ab­schie­bung nach Russ­land droht.

Wor­te, denen kei­ne Taten folgen

Dabei wur­de den sich dem Kriegs­dienst ent­zie­hen­den Men­schen von deut­schen Politiker*innen wie­der­holt Schutz und Asyl in Deutsch­land ange­bo­ten. In dem Bun­des­tags­be­schluss zur Unter­stüt­zung der Ukrai­ne vom 28.4.22 stand der Appell an rus­si­sche Sol­da­ten, die Waf­fen nie­der­zu­le­gen und der Hin­weis, dass ihnen „der Weg ins deut­sche und euro­päi­sche Asyl­ver­fah­ren offen­steht“. In einer Stel­lung­nah­me erklärt das Innen­mi­nis­te­ri­um im Mai 2022, dass „bei glaub­haft gemach­ter Deser­ti­on eines rus­si­schen Asyl­an­trag­stel­len­den der­zeit in der Regel von dro­hen­der Ver­fol­gungs­hand­lung für den Fall der Rück­kehr in die Rus­si­sche Föde­ra­ti­on aus­ge­gan­gen“ wer­de. Die­ses Schutz­ver­spre­chen gel­te jedoch nicht für Mili­tär­dienst­ent­zie­her, die sich bereits einer Rekru­tie­rung ent­zo­gen haben.

Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz: „Ich bin dafür, die­sen Men­schen [Rus­sen, die die Ein­be­ru­fung zum Mili­tär ver­wei­gern] Schutz anzubieten.“

Bun­des­in­nen­mi­nis­te­rin Nan­cy Fae­ser: „Wer sich dem Regime von Prä­si­dent Wla­di­mir Putin mutig ent­ge­gen­stellt und des­halb in größ­te Gefahr begibt, kann in Deutsch­land wegen poli­ti­scher Ver­fol­gung Asyl beantragen.“

FDP-MdB Kon­stan­tin Kuh­le: „Es wird vor­kom­men, dass jet­zi­ge oder ehe­ma­li­ge Ange­hö­ri­ge des rus­si­schen Sicher­heits­ap­pa­rats oder staat­li­cher Behör­den ent­schei­den, das Land zu ver­las­sen. Die­sen Men­schen soll­te die EU in Aus­sicht stel­len, dass eine bevor­zug­te Bear­bei­tung ihrer Asyl­ver­fah­ren in Betracht kommt. Wer den Mut hat, sich in Russ­land gegen Putins Regime zu stel­len, der muss Asyl in der Euro­päi­schen Uni­on bekommen.“

Bun­des­au­ßen­mi­nis­te­rin Anna­le­na Baer­bock mit Blick auf das deut­sche Asyl­recht: „Das zählt für jeden Bür­ger auf die­ser Welt und das zählt natür­lich auch für Rus­sen, die um Leib und Leben Sor­ge haben.“ Es gin­ge jetzt dar­um, „das Asyl­recht hochzuhalten.“

Par­la­ments­ge­schäfts­füh­re­rin der Grü­nen Ire­ne Miha­lic: „Wer sich als Sol­dat an dem völ­ker­rechts­wid­ri­gen und mör­de­ri­schen Angriffs­krieg Putins gegen die Ukrai­ne nicht betei­li­gen möch­te und des­halb aus Russ­land flieht, dem muss in Deutsch­land Asyl gewährt werden.“

Wer sich einem Krieg ent­zieht, ver­dient Schutz

PRO ASYL und Con­nec­tion e.V. for­dern von der deut­schen Bun­des­re­gie­rung, Mög­lich­kei­ten zu schaf­fen, Schutz und Asyl für Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer, Mili­tär­dienst­ent­zie­her und Deser­teu­re zu garan­tie­ren. Dazu gehört:

  • Rus­si­sche Staatsbürger*innen müs­sen auch von Län­dern außer­halb Russ­lands, wo ihnen eine Abschie­bung nach Russ­land droht, Anträ­ge zur Auf­nah­me in die Euro­päi­sche Uni­on stel­len kön­nen. Ihnen soll­te der Weg zu huma­ni­tä­ren Visa ermög­licht werden.
  • Öff­nung der Gren­zen! Eine Auf­nah­me Schutz­su­chen­der kann nur gelin­gen, wenn die ille­ga­len Push­backs gestoppt wer­den und die Men­schen Zugang zu einem fai­ren Asyl­ver­fah­ren erhal­ten. Aber die der­zei­ti­gen Rege­lun­gen für eine Visa­ver­ga­be hin­dern vie­le dar­an, siche­re Län­der zu erreichen.
  • Mit Blick auf Asyl oder einen ande­ren Auf­ent­halts­sta­tus müs­sen die EU-Län­der nicht nur Kri­te­ri­en für Deser­teu­re ent­wi­ckeln, son­dern vor allem Lösun­gen für die grö­ße­re Zahl der Mili­tär­dienst­ent­zie­her fin­den. Sie wären bei einer zwangs­wei­sen Rück­kehr nach Russ­land einer Rekru­tie­rung für einen völ­ker­rechts­wid­ri­gen Krieg unterworfen.
  • Die EU soll­te ein Auf­nah­me­pro­gramm beschlie­ßen, damit die­je­ni­gen rus­si­schen Staatsbürger*innen, die sich unter gro­ßem Risi­ko von der Regie­rung ihres Lan­des abge­wandt haben, Mög­lich­kei­ten der Aus­bil­dung und Beschäf­ti­gung erhalten.
  • Ukrai­ni­sche Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer, die in der Ukrai­ne mehr­jäh­ri­ge Haft­stra­fen befürch­ten müs­sen, ver­die­nen eben­falls die Unter­stüt­zung der EU und müs­sen Schutz erhal­ten. Die Ukrai­ne ist auf­zu­for­dern, das Men­schen­recht auf Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung umzusetzen.

 

Wei­te­re Informationen

Hin­ter­grund­bei­trag „Bun­des­amt für Migra­ti­on lehnt Asyl für rus­si­schen Ver­wei­ge­rer ab – Russ­land, Bela­rus, Ukrai­ne: Wie steht es um den Schutz der Ver­wei­ge­rer?“ vom 17. Febru­ar 2023: https://de.Connection-eV.org/article-3735 bzw. www.proasyl.de/news/bundesamt-fuer-migration-lehnt-asyl-fuer-russischen-verweigerer-ab/.

 

Kon­takt

Rudi Fried­rich, Con­nec­tion e.V., 069–82375534

Pres­se­stel­le PRO ASYL, presse@proasyl.de

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