12.10.2016

PRO ASYL: Nicht die Rea­li­tät in den Flucht­län­dern ent­schei­det, son­dern die Abschre­ckungs­in­ter­es­sen der Bundesregierung

Zwi­schen Janu­ar und Sep­tem­ber 2016 wur­den 460.000 Asy­l­ent­schei­dun­gen getrof­fen, rund 70.000 allein im Sep­tem­ber. PRO ASYL kri­ti­siert, dass dies zu Las­ten der Ent­schei­dungs- und Anhö­rungs­qua­li­tät geschieht. Neu­ein­ge­stell­te und kurz­ge­schul­te Anhö­re­rIn­nen schau­en in vie­len Fäl­len kaum noch auf das indi­vi­du­el­le Ver­fol­gungs­schick­sal – sie hät­ten auch gar kei­ne Zeit. Inzwi­schen sind in allen Ver­fah­ren die­je­ni­gen, die die Asyl­su­chen­den anhö­ren und die­je­ni­gen, die ent­schei­den, zwei ver­schie­de­ne Per­so­nen – ein Unding, geht es doch um die Glaub­haf­tig­keit des dar­ge­stell­ten Verfolgungsschicksals.

Die neu­es­ten Asyl­sta­tis­ti­ken bestä­ti­gen die Kri­tik, die PRO ASYL schon anhand der letz­ten Asyl­mo­nats­sta­tis­ti­ken geäu­ßert hat. Obwohl sich die Situa­ti­on in den wich­tigs­ten Her­kunfts­staa­ten nicht ver­än­dert hat, wird immer häu­fi­ger umfas­sen­der asyl­recht­li­cher Schutz ver­wei­gert. Inner­halb eines ein­zi­gen Monats nahm die Quo­te der Fäl­le, in denen nur noch der soge­nann­te sub­si­diä­re Schutz gewährt wur­de, noch­mals um 2% auf rund 45% zu. (Zu der Ent­wick­lung bis dato sie­he Pres­se­er­klä­rung vom August).

Mit fai­ren und indi­vi­du­el­len Asyl­ver­fah­ren hat das Gan­ze immer weni­ger zu tun. Es steigt auch infol­ge­des­sen dras­tisch die Zahl der bei den Ver­wal­tungs­ge­rich­ten anhän­gi­gen Asyl­ver­fah­ren. Bei der heu­ti­gen Bun­des­pres­se­kon­fe­renz wur­de for­mu­liert, dass bis Okto­ber 2016 ca. 19.500 Kla­gen von Syre­rIn­nen bei Ver­wal­tungs­ge­rich­ten gegen die Ent­schei­dung, nur sub­si­diä­ren Schutz zu gewäh­ren, ein­ge­reicht wur­den. Bei rund 1.900 Ent­schei­dun­gen waren nur 120 erfolg­los, 1.400 dage­gen erfolg­reich gewe­sen, der Rest hat sich aus ande­ren Grün­den erledigt.

Die in Kür­ze zu erwar­ten­den nach den Her­kunfts­län­dern auf­ge­schlüs­sel­ten Zah­len wer­den den Trend der ver­gan­ge­nen Mona­te bestä­ti­gen. Ins­be­son­de­re für syri­sche, afgha­ni­sche, ira­ki­sche und eri­tre­ische Flücht­lin­ge sin­ken die Aner­ken­nungs­quo­ten. Schlüs­si­ge Erklä­run­gen von Sei­ten des Bun­des­am­tes für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge zur Ver­än­de­rung der Ent­schei­dungs­pra­xis gibt es nicht, eben­so kei­ne Ver­bes­se­run­gen der men­schen­recht­li­chen Situa­ti­on in die­sen Staaten.

Dass eine zuneh­men­de Zahl von Asyl­su­chen­den nicht mehr den GFK-Sta­tus son­dern nur noch den sub­si­diä­ren Schutz bekommt, hat eine sicht­ba­re und poli­tisch gewoll­te Funk­ti­on: Der Fami­li­en­nach­zug wird auf die lan­ge Bank gescho­ben, denn den Nach­zug ihrer Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen kann die­se Per­so­nen­grup­pe erst nach dem 16. März 2018 bean­tra­gen – Ergeb­nis einer Neu­re­ge­lung in die­sem Jahr.

Nach­dem bei afgha­ni­schen Schutz­su­chen­den die Schutz­quo­te bis in den Vor­mo­nat hin­ein von rund 78% im Jahr 2015 auf rund 48% im August 2016 dras­tisch gesun­ken ist, steht zu befürch­ten, dass sich die­ser Trend im Sep­tem­ber fort­ge­setzt hat. Zwar ist Afgha­ni­stan in den ver­gan­ge­nen Mona­ten nicht siche­rer gewor­den, wie das erneu­te Auf­tau­chen der Tali­ban in Kun­duz, mas­si­ve Kriegs­hand­lun­gen in vie­len Pro­vin­zen und die hohe Zahl der zivi­len Opfer auch in die­sem Jahr zei­gen. Aber einen här­te­ren Umgang mit afgha­ni­schen Schutz­su­chen­den hat der Innen­mi­nis­ter seit dem Herbst 2015 pro­pa­giert, mit der pau­scha­len Behaup­tung, Afgha­ni­stan sei sicher.

Bereits vor der Afgha­ni­stan-Geber­kon­fe­renz und dem Abschluss von Abkom­men, die Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan erleich­tern sol­len, hat das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge den öffent­lich geäu­ßer­ten Erwar­tun­gen des Bun­des­in­nen­mi­nis­ters Rech­nung getra­gen und ließ die Aner­ken­nungs­quo­ten in den Kel­ler fal­len. Anhö­rungs­pro­to­kol­le, die PRO ASYL errei­chen, zei­gen, dass Ein­zel­schick­sa­le und indi­vi­du­el­le Ver­fol­gung das BAMF immer weni­ger inter­es­sie­ren. In Ent­schei­dun­gen fin­den sich statt­des­sen immer mehr beschö­ni­gen­de Aus­füh­run­gen zur Sicherheitslage.

Da PRO ASYL kei­ne offi­zi­el­len Monats­zah­len des BAMF vom Sep­tem­ber 2016 vor­lie­gen, errech­nen wir die Zah­len anhand der Asyl­ge­schäfts­sta­tis­ti­ken des BAMF. Hier­bei wer­den die Zah­len der Geschäfts­sta­tis­tik August (also die Ent­schei­dun­gen Jan-Aug) von den Zah­len der aktu­el­len Geschäfts­sta­tis­tik Sep­tem­ber (also den Ent­schei­dun­gen Jan-Sep) abge­zo­gen, so dass im Ergeb­nis Zah­len für den Monat Sep­tem­ber blei­ben. Da es u.a. nach­träg­li­che Kor­rek­tu­ren der monat­li­chen Zah­len geben kann, sind die errech­ne­ten Wer­te kei­ne kon­kre­ten Monats­zah­len, son­dern Nähe­rungs­wer­te, die der Rea­li­tät aber sehr nahe kom­men dürften.

Um die Ent­schei­dungs­pra­xis des BAMF noch rea­lis­ti­scher abbil­den zu kön­nen, rech­nen wir zudem die „sons­ti­gen Ver­fah­rens­er­le­di­gun­gen“ aus den Quo­ten raus (so genann­te „berei­nig­te Schutz­quo­te“), da in die­sen Ver­fah­ren kei­ne inhalt­li­che Prü­fung der Asyl­grün­de statt­fin­det (bspw. weil auf­grund der Dub­lin-Ver­ord­nung ein ande­rer EU-Staat für die Prü­fung des Asyl­an­trags zustän­dig ist oder wegen Ver­fah­rens­ein­stel­lung, weil ein Asyl­an­trag zurück­ge­nom­men wur­de). Somit fin­den nur die­je­ni­gen Asyl­ver­fah­ren, in denen die Asyl­grün­de der Betrof­fe­nen inhalt­lich  geprüft wur­den und in denen Schutz erteilt oder abge­lehnt wur­de, Berück­sich­ti­gung in unse­ren Berech­nun­gen. Durch einen hohen Anteil for­mel­ler Erle­di­gun­gen wür­de die­se tat­säch­li­che Schutz­quo­te verzerrt.

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