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Während wir Weihnachten feiern: Geflüchtete sitzen weiter in der Kälte fest
Während wir uns in Deutschland auf ruhige Weihnachtsfeiertage im Kreise der Familie vorbereiten, stecken an den europäischen Außengrenzen immer noch Geflüchtete fest und harren bei Minusgraden in den Wäldern an der polnisch-belarussischen Grenze aus. Für diese Menschen braucht es schnelle Lösungen!
Im Koalitionsvertrag hat die neue Bundesregierung sich klar zu ihrer humanitären Verantwortung und dem Flüchtlingsschutz bekannt – aber gegen die fortlaufende humanitäre Katastrophe an den europäischen Außengrenzen wird nichts unternommen. Tatenlos sehen Deutschland und die anderen EU-Staaten dabei zu, wie Schutzsuchende seit Wochen verzweifelt an der Grenze zwischen Polen und Belarus festsitzen und von Grenzbeamten des EU-Mitgliedsstaates immer wieder illegal zurückgewiesen werden. Mindestens 17 Menschen sind dort schon ums Leben gekommen, das Nachrichtenmagazin Der Spiegel hat kürzlich ihre Geschichten und die Todesumstände dokumentiert.
Die Gewalt an den Außengrenzen, die fehlende Rechtsstaatlichkeit und ihre tödlichen Folgen werden dabei von deutschen und europäischen Politiker*innen toleriert, es wird sogar kritiklos Solidarität bekundet. Auch von der deutschen Bundesregierung – so hat Bundeskanzler Olaf Scholz Mitte Dezember ein »solidarisches Vorgehen gemeinsam mit Polen« angekündigt.
Menschenverachtendes Pingpong-Spiel
Unterdessen geht das menschenverachtende Pingpong-Spiel an den Grenzen weiter: Die belarussische Regierung lässt die schutzsuchenden Menschen, darunter Familien mit Kindern und alte Menschen, auf die polnische Seite bringen und sie im Grenzgebiet unter lebensgefährlichen Umständen, bei eisigen Temperaturen im Wald ausharren. Die polnischen Grenzschützer treiben sie dann wieder zurück – wo auf der anderen Seite erneut die belarussischen Truppen warten. Dieses Prozedere wiederholt sich wieder und wieder – und immer wieder auch mit tödlichen Folgen für Flüchtlinge.
Dass Menschen an Europas Grenze als direkte Konsequenz von illegalen Pushbacks sterben und es keinen öffentlichen Aufschrei, ja sogar politische Unterstützung dafür gibt, hätte man sich noch vor wenigen Jahren kaum ausmalen können. Und jetzt setzen Belarus und die EU auf eine unterstützte »Rückreise« der betroffenen Menschen – de facto also auf von Europa bezahlte Abschiebungen. Völlig ignoriert wird dabei, dass etliche Betroffene aus Kriegs- und Krisengebieten wie Afghanistan, Syrien oder dem Irak stammen und schlichtweg nicht dorthin zurückkehren können.
Ebenso kommt in der Debatte nicht vor, dass viele der Schutzsuchenden familiäre oder andere Verbindungen nach Deutschland haben und demzufolge eine besondere Verantwortung für sie besteht. Wir erhalten immer mehr Hilferufe von verzweifelten Angehörigen; der Flüchtlingsrat Niedersachsen hat zwei beispielhafte Einzelfälle dokumentiert:
Fall 1: 71-jähriger Syrer wird Zeuge vom Tod seiner Begleiterin
Mustafa B.* ist Ende September nach Belarus eingereist. In seinem Heimatland Syrien droht ihm Haft. Sein Sohn lebt in Lüneburg. Der 71-jährige ist, wie so viele, als politischer Flüchtling mit einem Touristenvisum nach Belarus gereist. Man sagte ihm, von dort werde er leicht nach Europa weiterreisen können.
Bereits wenige Tage nach seiner Einreise fand er sich gemeinsam mit einer syrischen Frau und einem jüngeren syrischen Mann, die er beide auf der Flucht kennenlernte, in der polnisch-belarussischen militärischen Grenzzone mitten im Wald wieder. Die polnischen Grenzbeamten drängten die Schutzsuchenden in die Hände der belarussischen Grenzschützer, die dann wiederum die Schutzsuchenden an der Rückreise nach Belarus hinderten. Die belarussische Armee rief ihnen zu: »Entweder gehen Sie nach Polen oder Sie werden im Wald sterben.«
Als Mustafa und der mitreisende Syrer nach medizinischer Nothilfe für die Frau bei den belarussischen Sicherheitskräften fragten, wurden sie erniedrigt, ausgelacht und gewaltsam zurückgedrängt.
Die Frau, mit der Mustafa reiste, war stark entkräftet. Von Tag zu Tag baute sie weiter ab. Als Mustafa und der mitreisende Syrer nach medizinischer Nothilfe für die Frau bei den belarussischen Sicherheitskräften fragten, wurden sie erniedrigt, ausgelacht und gewaltsam zurückgedrängt. Schließlich starb die Frau aufgrund der verweigerten medizinischen Notversorgung und Einsperrung im Grenzgebiet.
Im Zuge des Abtransports der verstorbenen Frau gelangte Mustafa wieder nach Minsk. Nach den schweren und traumatischen Erlebnissen sitzt er dort nun fest und wartet darauf, dass die Bundesregierung ihm die Möglichkeit gibt, zu seinem Sohn nach Niedersachsen zu ziehen. Seine Habseligkeiten und Dokumente verlor er im Chaos im Wald. Sein gesundheitlicher Zustand ist mittlerweile sehr kritisch.
Fall 2: 57-jährige Frau mit Alzheimer ist in Lagerhalle eingesperrt
Wassila A.* musste bereits mehrfach innerhalb Syriens flüchten, und als sich schließlich die Gelegenheit bot, nach Belarus zu gelangen, ergriff sie diese Chance. Man sagte ihr, sie könne von Minsk aus nach Deutschland weiterreisen, um zu ihren in Deutschland lebenden zwei Kindern zu kommen. Wassila leidet an Alzheimer-Demenz, einer unheilbaren Störung des Gehirns. Sie ist zunehmend vergesslich, verwirrt und orientierungslos und ist in einer der für gestrandete Geflüchtete errichteten Lagerhalle mit circa zweitausend weiteren Schutzsuchenden in Belarus eingesperrt.
Sie ist nach ihrer Nierentransplantation lebenslang auf Medikamente und regelmäßige Untersuchungen angewiesen, ohne die sie nicht überleben würde. Die Versorgung in der Lagerhalle ist jedoch katastrophal. Die belarussischen Sicherheitskräfte fuhren sie zu einem Krankenhaus, in dem ihr Medikamente für lediglich 20 Tage gegeben wurden. Ob sie ein zweites Mal Medikamente bekommen wird, wurde ihr bisher nicht bestätigt. Vielmehr wird ihr von den Sicherheitskräften ein Transport zurück zu der polnisch-belarussischen Grenzzone angeboten, wo tausende von Menschen im Wald in der Kälte ausharren in der Hoffnung, in der EU Schutz zu finden.
Der volljährige Sohn und die volljährige Tochter von Wassila leben bereits seit mehreren Jahren in Deutschland und sind die wichtigsten – und einzigen! – Bezugspersonen, die sie durch die Alzheimer-Demenz-Zeit begleiten können. Nun machen sie sich große Sorgen, ob ihre Mutter die notwendigen Medikamente erhält – denn jeder weitere Tag in dieser Lagerhalle ist mit einem großen Risiko verbunden und könnte sie das Leben kosten.
Zusätzlich droht das belarussische Personal in der Lagerhalle den Schutzsuchenden, dass sie entweder abgeschoben oder ins Grenzgebiet gebracht würden. Die Menschen werden so gezielt in Panik versetzt.
Schnelle politische Entscheidung nötig
Es braucht jetzt eine rasche, politische Entscheidung für eine Aufnahme der Geflüchteten an der polnisch-belarussischen Grenze und zwar noch in diesem Jahr – bevor weitere Tote zu beklagen sind. Die neue Bundesregierung muss dabei klar Partei für die schutzsuchenden Menschen ergreifen und darf die Verantwortung Polens an den menschenverachtenden und rechtswidrigen Praktiken nicht länger kleinreden!