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Tod in der JVA Landshut: Starb Muslim H. durch exzessive Polizeigewalt?
Muslim H. aus dem Kosovo sollte Anfang April mit einer Lufthansa-Maschine aus Deutschland nach Ungarn abgeschoben werden. Er wehrte sich gegen die Abschiebung, indem er eine Stewardess in seine Gewalt brachte. Muslim H. wurde anschließend in der Justizvollzugsanstalt inhaftiert. Dort starb er nun, als ihn acht Beamte überwältigten.
Nach Angaben der Polizei randalierte Muslim H. in der Haftanstalt. Nachdem er sich selbst verletzt hatte, leistete er den eingreifenden Justizvollzugsbeamten erheblichen Widerstand und verletzte einen der Beamten sowie einen Sanitäter. In der Pressemitteilung der Polizei heißt es, „der renitente Häftling konnte schließlich zu Boden gebracht und fixiert werden, wobei er weiterhin Widerstand leistete. Im Zuge der Auseinandersetzung stellten die Beamten den nach ersten Angaben plötzlich eintretenden Atem- bzw. Herzstillstand des Gefangenen fest.“ Der Mann habe zwar vom sofort verständigten Notarzt reanimiert werden können, verstarb jedoch im Laufe des Tages in einem Krankenhaus.
Lagebedingter Erstickungstod?
Haben sich die Beamten zu acht auf Muslim H. geworfen, ihm beim Fixieren die Luft zum Atmen genommen, und als er sich in Panik wehrte, noch stärker hingelangt? Welche Halte- und gegebenenfalls Fesselungstechniken wurden angewandt? Wird Widerstand mit Gewalt gebrochen, ist beileibe nicht jedes Mittel zulässig. Sein Tod weckt Erinnerungen an mehrere Fälle von Flüchtlingen, die im Zuge ihrer Abschiebung durch Gewaltanwendung von Polizeibeamten einem sogenannten lagebedingten Erstickungstod starben. Dabei wird dem Opfer durch massive Fixierung des ganzen Körpers die Atembewegung des Brustkorps verhindert – etwa wie im Fall Amir Ageebs vor fünfzehn Jahren, der gefesselt mit einem Helm auf dem Kopf bei seiner Abschiebung in einer Lufthansa-Maschine starb, als Polizeibeamte seinen Oberkörper nach unten drückten.
War Muslim.H in der JVA richtig untergebracht?
Das Muslim H.s körperliche Vorschäden hatte, ist nicht bekannt. Sein Anwalt Martin Paringer beschrieb dem Münchner Merkur gegenüber seinen Mandanten als kräftigen jungen Mann, der zu keinem Zeitpunkt über körperliche Probleme geklagt habe. Paringers Auffassung nach habe Muslim H. dagegen psychische Probleme gehabt. Der Anwalt habe die Staatsanwaltschaft darauf hingewiesen, dass sein Mandant in der JVA nicht richtig untergebracht sei. Markus Hegele, der Sprecher der JVA Landshut, verwies der Süddeutschen Zeitung gegenüber hingegen auf das „unauffällige“ Verhalten des Mannes während der Haftzeit. Eine psychologische Begutachtung von Muslim H. war offenbar geplant, stand jedoch aus.
Abschiebung nach Ungarn – Für Muslim H. der Horror
Muslim H. war offenbar auf der Flucht aus dem Kosovo in Ungarn gestrandet und hatte mehrmals versucht, von dort aus weiterzufliehen. In Ungarn leben Flüchtlinge in der Regel unter menschenunwürdigen Bedingungen in Lagern, werden inhaftiert oder obdachlos auf die Straße gesetzt. Auf der Flucht in Richtung Niederlande wurde Muslim H. Ostfriesland verhaftet und wegen illegaler Einreise in Passau inhaftiert. Auf der Grundlage der Dublin-Verordnung sollte er im April von Deutschland aus wieder nach Ungarn abgeschoben werden.
Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen
Die Staatsanwaltschaft Landshut hat nun die Ermittlungen zur Klärung der Todesumstände von Muslim H. aufgenommen. Hierzu sei eine Obduktion angeordnet worden, deren Ergebnisse in wenigen Wochen erwartet werden. „Eine erste vorläufige Beschau führte nicht zu klaren Erkenntnissen hinsichtlich der Todesursache“, verbreitete die Polizei einstweilen. In der Süddeutschen Zeitung heißt es, die Staatsanwaltschaft hoffe auch auf die Befragung aller Beteiligten – bleibt zu befürchten, dass die beteiligten Beamten ihre Aussagen „synchronisieren“. Der Prozess um den Tod von Oury Jalloh, der 2005 in einer Dessauer Polizeizelle an Händen und Füßen gefesselt verbrannte, hat gezeigt, zu welchen gravierenden Vertuschungen es bei entsprechenden Fällen im deutschen Rechtsstaat kommen kann.
Schon jetzt ist es ein Skandal, dass in der Obhut deutschen Vollzugspersonals ein Mensch unter deren Händen stirbt. Von der Staatsanwaltschaft muss umgehend akribisch aufgeklärt werden, wie es passieren konnte, dass ein Mensch in den Räumen einer Haftanstalt zu Tode kommt, während er von acht Bediensteten fixiert wird.
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Augsburger Allgemeine: „Geiselnehmer stirbt in Haft“
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