14.11.2014
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Dank Monika Bühler und ihren Mitstreiter_innen sind zwei syrische Familien heute in Sicherheit. Foto: Privat

Viele Syrer sind mit dem Versuch gescheitert, ihre im Bürgerkrieg bedrohten Verwandten zu sich in Sicherheit zu bringen: Die finanziellen Hürden sind zu hoch. In Bonn hilft ein privater Unterstützerkreis – durch Bürgschaften. Monika Bühler von der „Beueler Initiative gegen Fremdenhass“ hat mit uns über die Aufnahmeaktion gesprochen.

Frau Büh­ler, zwei Fami­li­en aus Syri­en sind in Deutsch­land in Sicher­heit. Mit Ihrer Unter­stüt­zung haben die Ange­hö­ri­gen nun ihre Lie­ben bei sich in Bonn. Wie haben Sie erreicht, dass die bei­den Fami­li­en her­kom­men konnten?

Wir haben für die acht ein­ge­la­de­nen Ver­wand­ten indi­vi­du­el­le Bürg­schaf­ten zur Siche­rung des Lebens­un­ter­halts übernommen.

Was hat Sie auf die Idee gebracht, die Auf­nah­me­ak­ti­on zu starten?

Eine syri­sche Fami­lie kommt schon seit 19 Jah­ren in unser  „Café Inter­na­tio­nal“. Sai­da* hat­te immer wie­der erzählt, dass es ihren Ver­wand­ten in Syri­en durch den Krieg schlecht ging. Irgend­wann hat sie geweint, weil  sie ihr Zuhau­se ver­lo­ren hat­ten. Sie hat­ten vor­sichts­hal­ber ihre Ver­wand­ten im Lan­des­auf­nah­me­pro­gramm regis­trie­ren las­sen, konn­ten die Bürg­schaf­ten aber finan­zi­ell nicht tra­gen. Wenn man so eine Ein­la­dung aus­spricht, muss man ja beim Aus­län­der­amt nach­wei­sen, dass man genü­gend Geld zur Ver­fü­gung hat.

Und da haben Sie sich direkt bereit erklärt, für die Fami­lie einzuspringen?

Zunächst waren vie­le in unse­rer Initia­ti­ve sehr skep­tisch, sie woll­ten auf gar kei­nen Fall bür­gen, aber monat­lich etwas spen­den. Dann war jemand, zu dem pri­va­te Kon­tak­te bestan­den, bereit, eine Woh­nung zu ver­mie­ten. Nach und nach setz­te sich dann doch  die Hal­tung durch: Wir  müs­sen hel­fen, wir ken­nen die­se Leu­te, da müs­sen wir alle Hebel in Bewe­gung set­zen. Wir haben dann einen Kos­ten­plan für Ein­rei­se und  Unter­halt der zwei Fami­li­en über zwei Jah­re auf­ge­stellt. Die­ser Plan ist übri­gens auf unse­rem Blog veröffentlicht.

Und Sie haben über die Zei­tung nach Bür­gen gesucht.

In unse­rer Grup­pe haben wir über drei Bürg­schaf­ten hin­aus nicht genug Muti­ge gefun­den. Also haben wir in der Zei­tung einen Auf­ruf ver­öf­fent­licht, dass wir wei­te­re Unter­stüt­zer und  Bür­gen suchen. Drei kamen dar­über zu uns, zwei wei­te­re konn­ten über unse­re Initia­ti­ve direkt ange­spro­chen wer­den. So fan­den sich die acht indi­vi­du­el­len Bür­gen für jeweils eine Per­son der zwei ein­ge­la­de­nen Fami­li­en. Auf den Auf­ruf hin mel­de­ten sich auch Men­schen, die vor dem – in Anfüh­rungs­zei­chen – Bürg­schafts­ri­si­ko zurück­schreck­ten, aber über einen län­ge­ren Zeit­raum Dau­er­auf­trä­ge, auch über höhe­re Spen­den ein­rich­ten woll­ten. So war abseh­bar, dass wir die Ein­la­dun­gen durch eine akti­ve Kern­grup­pe von 12–15 Per­so­nen als Soli­dar­ge­mein­schaft und einen wach­sen­den  Unter­stüt­zer­kreis stem­men konnten.

Was sind das für Men­schen, die sich auf Ihren Zei­tungs­auf­ruf gemel­det haben? Men­schen, die ohne­hin mit Flücht­lin­gen zu tun haben? 

Die Spen­der waren sicher­lich meis­tens flücht­lings­po­li­tisch nicht  orga­ni­sier­te Leu­te, die aber offen für Frem­de, für Flücht­lin­ge sind, und ange­sichts der Hilf­lo­sig­keit der gro­ßen Poli­tik gegen­über  Krieg und Elend in Syri­en wenigs­tens selbst prak­tisch hel­fen wol­len. Her­vor­zu­he­ben ist, dass  akti­ve Chris­ten in Beu­el und  Kir­chen­ge­mein­den selbst grö­ße­re Spen­den­ak­tio­nen gestar­tet haben. 

Könn­te denn jede Per­son mit einem durch­schnitt­li­chen Ein­kom­men eine Bürg­schaft finan­zi­ell leisten? 

Die Bür­gen müs­sen  ja erst­mal kein Geld geben, son­dern nur die Bereit­schaft dazu aus­drü­cken, für den Unter­halt einer Per­son min­des­tens für die zunächst zwei­jäh­ri­ge Auf­ent­halts­er­laub­nis auf­zu­kom­men. Das heißt prak­tisch, dass sie nur dann die staat­li­che Hil­fe zum Lebens­un­ter­halt inklu­si­ve Wohn­geld erstat­ten müs­sen, wenn die Flücht­lin­ge die­se auch bean­spru­chen. Grund­sätz­lich läuft  die Ver­sor­gung der Flücht­lin­ge bei uns als soli­da­ri­sche Gemein­schafts­ak­ti­on. Die Mit­glie­der der Akti­ven­grup­pe, die Bür­gen und die wei­te­ren Unter­stüt­zer  bestim­men selbst, wie und wie viel sie spen­den wol­len. Die kon­kre­ten Sum­men wer­den nur von  unse­rer Finanz­frau erfasst, die auch die Spen­den­be­schei­ni­gun­gen aus­stellt. Mit der bis­he­ri­gen Spen­den­sum­me ist der Unter­halt der Flücht­lin­ge für  das ers­te Jahr abge­si­chert. Für das zwei­te Jahr brau­chen wir noch Spenden.

Wie wich­tig war die Tat­sa­che, dass Sie schon eine Woh­nung hat­ten, für das Gelin­gen der Aktion? 

Die Woh­nun­gen konn­ten durch per­sön­li­che Kon­tak­te ange­mie­tet wer­den. Wenn wir uns um die Woh­nun­gen am frei­en Markt hät­ten küm­mern müs­sen, wäre es sehr schwie­rig gewor­den. Das wis­sen wir von einer ande­ren Flücht­lings­in­itia­ti­ve in Bonn. Sie haben die Erfah­rung gemacht, dass zunächst kei­ner an Flücht­lin­ge ver­mie­ten woll­te. Es ging nur mit poli­ti­schem Druck auf eine Wohnungsbaugesellschaft. 

Wie lan­ge hat es im Fal­le der von Ihnen unter­stütz­ten Fami­li­en denn gedau­ert vom ers­ten Schritt, bis die Men­schen tat­säch­lich hier waren?

Dass Sai­da wei­nend zu uns kam, das war am 8. März 2014. Am 14. April hat­ten wir dann alle Ver­pflich­tungs­er­klä­run­gen beim Aus­län­der­amt abge­ge­ben. Zwei Tage spä­ter haben die bei­den Fami­li­en sich auf die Flucht in die Tür­kei bege­ben. Eine Fami­lie stammt aus Alep­po. Sie haben sich nahe der tür­ki­schen Gren­ze getrof­fen und sind dann gemein­sam geflo­hen. Ende Juli war die ers­te Fami­lie hier in Beu­el, Anfang August die zweite.

War es mit Hür­den ver­bun­den, die Ver­pflich­tungs­er­klä­rung abzugeben? 

Zu Anfang hat­ten sich noch mehr von uns bereit erklärt, zu bür­gen. Lei­der gab es bei der Aus­län­der­be­hör­de eine Mit­ar­bei­te­rin, die nicht rich­tig infor­miert war und beim ers­ten Kon­takt sinn­ge­mäß erklär­te: Sind Sie ver­rückt, so eine Ver­pflich­tungs­er­klä­rung abzu­ge­ben? Und wenn die jetzt auf die Idee kom­men, in einem Fünf-Ster­ne-Hotel zu woh­nen? Oder sich einen Por­sche kau­fen? Dann müs­sen Sie das alles zah­len. Das war ein­fach Quatsch, hat aber doch poten­ti­el­le Bür­gen abge­schreckt. Die Frau hat nach unse­rem Wider­spruch übri­gens ziem­lich Ärger gekriegt.

War­um muss­ten die Fami­li­en erst in die Tür­kei flie­hen, wenn sie doch eine Ein­la­dung nach Deutsch­land hatten? 

Man kommt aus Syri­en ja nur über Flucht raus. Und die Flucht über die Tür­kei war sehr dra­ma­tisch. Beim ers­ten Aus­rei­se­ver­such ist die eine Fami­lie am Flug­ha­fen in Istan­bul fest­ge­hal­ten wor­den. Sie hat­te schon ein­ge­checkt und durf­te dann nicht in den Flie­ger.  Schließ­lich muss­te die­se Fami­lie in der Tür­kei vor dem end­gül­ti­gen Abflug nach Deutsch­land 1.200 Euro Stra­fe wegen ille­ga­lem Auf­ent­halt in der Tür­kei zah­len. Dage­gen hat auch Pro Asyl inter­ve­niert, das macht die Tür­kei jetzt nicht mehr. Die ande­re Fami­lie fand in Istan­bul kei­ne Unter­kunft und muss­te dann zur syri­schen Gren­ze zurück, wo sie unter­ka­men. Ihre Flü­ge waren wesent­lich teu­rer und am Flug­ha­fen wur­den ihnen 400 Euro Bestechungs­geld für eine rei­bungs­lo­se Aus­rei­se abgepresst.

Wie leben die Fami­li­en mit der neu­en Situation? 

Sie fan­gen jetzt an, ihre Flucht­si­tua­ti­on und das Elend der Ver­trei­bung zu bewäl­ti­gen. Wir haben fest­ge­stellt, sie selbst zu fra­gen, das geht im Moment nicht. Sie müs­sen dann über ihre Lei­d­er­fah­run­gen reden, und das fällt ihnen sehr schwer. Sie brau­chen jetzt Ruhe. Spä­ter wird man sehen, ob viel­leicht eine Trau­ma­be­hand­lung nötig ist. Für die drei Kin­der im Schul­al­ter haben wir halb­wegs pas­sen­de Schul­klas­sen gefun­den. Der Nach­hol­be­darf ist aber teil­wei­se groß – sie waren ja drei Jah­re nicht in der Schu­le Die Eltern haben mit ers­tem Deutsch­un­ter­richt begon­nen. Aber wir sind  noch dabei, die Papie­re für den kos­ten­lo­sen Inte­gra­ti­ons- und Deutsch­kurs zusam­men­zu­be­kom­men. Wenn die vor­lie­gen, wird der Antrag beim Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge gestellt, und dann dau­ert es noch ein­mal ein paar Wochen.

Was für eine Flücht­lings­po­li­tik wün­schen Sie sich? 

Ich fin­de es ganz wich­tig, dass die Flücht­lin­ge mensch­lich auf­ge­nom­men wer­den. Das kön­nen die Ange­hö­ri­gen eigent­lich am bes­ten. Die huma­ni­tä­ren Auf­nah­me­pro­gram­me für die syri­schen Flücht­lin­ge  müss­ten aus­ge­baut wer­den, damit sie nicht ris­kan­te Flucht­we­ge in der Hoff­nung auf Asyl auf sich neh­men müs­sen. Vor allem müs­sen pri­va­te Initia­ti­ven und hier leben­de Syrer, die Ver­wand­te her­ho­len wol­len, viel mehr und auch finan­zi­ell unter­stützt wer­den. Es sind ja die ein­la­den­den Fami­li­en hier, die am meis­ten und am bes­ten  Hil­fe leis­ten. In unse­rem Fall haben sie die gan­zen Lauf­e­rei­en zu den Ämtern gemacht, sie dol­met­schen beim Arzt und stüt­zen ihre Ver­wand­ten im All­tag. Außer­dem muss der Deutsch­un­ter­richt schnel­ler anlau­fen, die Men­schen sol­len nicht mona­te­lang dar­auf war­ten müssen.

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen im Blog  http://beuelerinisyrienfluechtlinge.wordpress.com

Infor­ma­tio­nen des Flücht­lings­rats zum Stand des Auf­nah­me­pro­gramms in NRW

*Name zum Schutz der Per­son geändert

 Jetzt kommt der Win­ter, dann kommt der Tod (04.12.14)