25.05.2016
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Offizielles Aufnahmelager für Flüchtlinge in Eleonas. Die Versorgung der Menschen ist dürftig, die Lebensbedingungen in den Camps gerade für besonders Schutzbedürftige schwer zu ertragen. Für Menschen mit Behinderung gibt es beispielsweise keinen behindertengerechten Zugang. Foto: Salinia Stroux

In Griechenland läuft die Räumung des Elendscamps von Idomeni, das zum Sinnbild europäischer Kaltherzigkeit gegen Notleidende geworden ist. Die Menschen sollen in „staatlich organisierte“ Lager gebracht werden, wo die Zustände meist ebenso menschenunwürdig sind. Von Flüchtlingsaufnahme und vereinbarter Verteilung in andere EU-Länder kein Wort.

Ido­me­ni, das Sym­bol der geschei­ter­ten EU-Flücht­lings­po­li­tik, wird geräumt. Das Elend der in Grie­chen­land Gestran­de­ten steigt aus Sicht von PRO ASYL ins Uner­mess­li­che. Eine Per­spek­ti­ve auf Schutz und ein men­schen­wür­di­ges Leben ist für die Betrof­fe­nen in Grie­chen­land nicht in Sicht. Seit Mona­ten har­ren Schutz­su­chen­de an der grie­chisch-maze­do­ni­schen Gren­ze aus, die meis­ten von ihnen in der Hoff­nung, doch noch einen Weg über den Bal­kan in Rich­tung ihrer Ver­wand­ten in ande­ren EU Staa­ten zu fin­den. Vie­le der Men­schen vor Ort erklä­ren auch, dass sie solan­ge wie mög­lich durch­hal­ten wol­len, um nicht von Euro­pa und der Welt ver­ges­sen zu werden.

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Hun­der­te Schutz­su­chen­de, unter ihnen beson­ders Schutz­be­dürf­ti­ge wie Klein­kin­der, Babies, Kran­ke, Schwan­ge­re, Men­schen mit Behin­de­rung etc. schla­fen auf engs­tem Raum im Ein­gangs­be­reich des Hafens von Pirä­us. Foto: Sali­nia Stroux

Genau die­ses Ver­ges­sen droht jetzt. Denn die Lager, in wel­che die Men­schen ver­bracht wer­den sol­len, bie­ten meist kei­nes­wegs bes­se­re Lebens­be­din­gun­gen – ihr „Vor­teil“ liegt allein dar­in, dass sie nicht im Fokus des öffent­li­chen und media­len Inter­es­ses ste­hen. Wie Recher­chen von Mit­ar­bei­ten­den des PRO ASYL-Pro­jekts „Refu­gee Sup­port Pro­gram in the Aege­an“ (RSPA) jedoch zei­gen, sind die Zustän­de in den ande­ren Auf­fang­la­gern vor allem für beson­ders schutz­be­dürf­ti­ge Men­schen wie z.B. alte Men­schen, kör­per­lich Behin­der­te, Schwan­ge­re, unbe­glei­te­te Min­der­jäh­ri­ge, chro­nisch Kran­ke etc. untrag­bar und teil­wei­se lebensgefährlich.

Allei­ne in der Umge­bung von Athen sind etwa 11.500 Flücht­lin­ge in staat­lich orga­ni­sier­ten Not­un­ter­künf­ten unter­ge­bracht, die meis­ten ohne aus­rei­chen­de Grund­ver­sor­gung. Es gibt prak­tisch nir­gends ein Sys­tem zur Iden­ti­fi­ka­ti­on beson­ders Schutz­be­dürf­ti­ger und bei wei­tem nicht aus­rei­chend geeig­ne­te Unter­künf­te für die­se Grup­pe. Ein afgha­ni­scher Fami­li­en­va­ter, der mit sei­nem zwei Jah­re alten Sohn und sei­ner hoch­schwan­ge­ren Frau im Lager von Elli­ni­ko in Athen unter­ge­bracht ist, berichtet:

“Wir sind seit zwei Mona­ten hier. 1500 Men­schen leben hier in einer gro­ßen Hal­le. Es gibt zu wenig Toi­let­ten und Duschen. Die Kin­der bekom­men Atem­pro­ble­me und ich habe mir hier die Hand gebrochen.“

Gleich­zei­tig ist es für die Betrof­fe­nen prak­tisch unmög­lich, in Grie­chen­land einen Antrag auf Asyl, Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung oder Umver­tei­lung inner­halb Euro­pas zu stel­len. Die grie­chi­sche Asyl­be­hör­de ist voll­kom­men über­las­tet und außer Stan­de, die Anzahl die Schutz­su­chen­den über­haupt zu regis­trie­ren. Per­sön­li­che Regis­trie­run­gen kön­nen von der unter­be­setz­ten Behör­de nicht mehr geleis­tet wer­den. Wer Zugang zum Ver­fah­ren will, muss erst einen Ter­min über Sky­pe (Inter­net-Tele­fo­nie) ver­ein­ba­ren: „Aktu­ell ver­su­chen 50.000 Men­schen, über Sky­pe einen Ter­min zu bekom­men“, erklärt Maria Stavro­pou­lou, die Direk­to­rin der grie­chi­schen Asyl­be­hör­de, die nach eige­nen Anga­ben min­des­tens 700 wei­te­re Mit­ar­bei­ter bräuch­te. Auf­grund der Spar­zwän­ge besteht in Grie­chen­land aller­dings ein all­ge­mei­ner Einstellungsstopp.

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Außer­halb des Lagers von Elli­ni­kon ste­hen Dut­zen­de von Zel­ten. Die Men­schen ver­su­chen, mit Bett­la­ken ein wenig Pri­vat­sphä­re zu schaf­fen. Foto: Sali­nia Stroux

Der Grie­chi­sche Flücht­lings­rat hat bis­her ver­sucht, Schutz­su­chen­de bei der Ter­min­ver­ein­ba­rung über Sky­pe zu unter­stüt­zen, und hat dabei die Erfah­rung gemacht, dass seit dem 20. März täg­lich mehr als 200 Per­so­nen selbst mit Unter­stüt­zung kei­nen Ter­min ver­ein­ba­ren konn­ten. In einer Pres­se­er­klä­rung vom 19. April beto­nen die Kol­le­gen, dass „die Mehr­heit der Per­so­nen, die kei­nen Zugang zum Ver­fah­ren fin­det beson­ders schutz­be­dürf­tig ist, vor allem unbe­glei­te­te Min­der­jäh­ri­ge und Babies, hoch­schwan­ge­re Frau­en, Men­schen die unmit­tel­ba­re medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung benö­ti­gen sowie eine gro­ße Anzahl an Fami­li­en und Allein­er­zie­hen­den mit klei­nen Kin­dern, die sofor­ti­gen Schutz benötigen.“

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Flücht­lin­ge wur­den seit Sep­tem­ber 2015 aus Grie­chen­land auf ande­re EU-Län­der umverteilt. 

Einem gro­ßen Teil die­ser Men­schen kann und muss außer­halb Grie­chen­lands gehol­fen wer­den. Die Wege und Mög­lich­kei­ten exis­tie­ren. Sowohl über Fami­li­en­zu­sam­men­füh­run­gen als auch über das soge­nann­te Relo­ca­ti­on Pro­gramm der EU, wel­ches am 22. Sep­tem­ber 2015 ver­ein­bart wur­de, könn­ten Schutz­be­dürf­ti­ge Grie­chen­land legal in Rich­tung ande­rer EU Staa­ten ver­las­sen. Im Rah­men die­ses Pro­gramms hat die EU zuge­sagt, inner­halb von zwei Jah­ren 63.302 Flücht­lin­ge aus Grie­chen­land zu ver­tei­len. Deutsch­land allei­ne ist ver­pflich­tet 17.209 Men­schen auf­zu­neh­men. Tat­säch­lich konn­ten seit Sep­tem­ber 2015 ins­ge­samt gera­de ein­mal 900 Flücht­lin­ge Grie­chen­land auf die­sem Weg ver­las­sen. Deutsch­land hat von den zuge­sag­ten 17.000 Per­so­nen erst 37 aufgenommen.

Ange­sichts des Elends und des Leids, das vor allem beson­ders schutz­be­dürf­ti­ge Frau­en und Kin­der in Grie­chen­land erdul­den müs­sen, ist das eine abso­lut beschä­men­de Bilanz. Das am Diens­tag ange­kün­digt wird, 8.000 Men­schen aus Ido­me­ni fort­zu­schaf­fen und in neue Elend­sla­ger abzu­schie­ben ist, vor die­sem Hin­ter­grund ein wei­te­rer mora­li­scher Tief­punkt im Umgang Euro­pas mit Schutzsuchenden.