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Oster-Appell 2012: Dauerhaftes Bleiberecht für Flüchtlinge
Mit dem Oster-Appell fordern zahlreiche UnterzeichnerInnen - darunter viele Abgeordnete des deutschen Bundestages - ein Bleiberecht für Flüchtlinge, die lange in Deutschland leben.
Anlässlich des Oster-Appells 2012 erklären die Initiatoren, Prof. Dr. Christian Schwarz-Schilling, Bundesminister a.D. und Tom Koenigs, Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe:
„Flüchtlinge, die vor Krieg, Völkermord und schweren Menschenrechtsverbrechen bei uns Zuflucht gefunden haben und bereits mehrere Jahre in Deutschland leben, sollen ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten.
Es werden immer noch Menschen und Familien mit Kindern abgeschoben, die bereits seit zehn der fünfzehn Jahren hier leben. Sie sind in unsere Gesellschaft integriert. Ihre Kinder sind hier geboren und gehen in Deutschland zur Schule. Hier von „Rückführung“ zu sprechen ist irreführend. Vor allem für Kinder bedeutet eine Abschiebung die Vertreibung in ein fremdes Land.
Wir fordern in unserem Oster-Appell 2012 Entscheidungsträger aus Bund und Ländern auf, sich für eine umfassende Bleiberechtsregelung einzusetzen. Deutschland braucht eine humanitäre und solidarische Flüchtlings- und Asylpolitik.“
Der Oster-Appell hat Tradition. Er wird nach 2000 und 2010 dieses Jahr zum dritten Mal verbreitet. 2010 haben Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen den Oster-Appell unterzeichnet.
Der Wortlaut des Oster-Appells 2012:
Wir, die Unterzeichner der Osterappelle 2000 und/oder 2010, haben uns dafür eingesetzt, dass der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 30.06.2000, der mit überwältigender Mehrheit angenommen worden ist, umgesetzt werden soll. Dieser Beschluss sollte dafür sorgen, dass Flüchtlinge, die bei uns Zuflucht vor Krieg, Völkermord und Menschenrechtsverletzungen gesucht und gefunden haben, bei uns als willkommene Bürger aufgenommen werden oder – nur wenn zumutbar – mit Würde und freiwillig zurückgeführt werden sollen.
Wir müssen feststellen, dass es bis heute immer wieder Abschiebungen von Menschen gibt, die mehr als zehn oder fünfzehn Jahre in Deutschland gelebt haben, obwohl sie in unsere Gesellschaft gut integriert sind. Ihre Kinder, oftmals inzwischen selbst volljährig geworden, haben den größten Teil ihres Lebens oder gar ihr ganzes hier verbracht. Für sie bedeutet die „Rückführung“ die Vertreibung in ein ihnen fremdes Land.
Dies geschieht trotz mehrerer Bleiberechtsregelungen, die in vieler Hinsicht zu kurz griffen und viele Fälle, in denen Menschen über Jahre hinweg lediglich mit Duldung in Deutschland leben, nicht gelöst haben. Das trifft Alte, Kranke, größere Familien, die ihren Lebensunterhalt nur begrenzt sichern können. Derweil werden gewachsene Bindungen zerstört und Familien getrennt.
Deutsche Nachbarn, Freunde, Kollegen, Lehrer, Klassenkameraden können es nicht fassen, was hier mit ihren friedlichen Mitmenschen geschieht – aber es geschieht fast jeden Tag irgendwo in Deutschland. Wir verweisen hierzu auf eine bemerkenswerte Dokumentation des ZDF von Dunja Hayali und Thomas Gill über die „Rückführung“ oder Abschiebung von Roma-Familien aus Deutschland.
Mit diesem dritten Oster-Appell möchten wir dringend auffordern, das Problem, das die Politik seit Jahren mit unzureichenden Teillösungen vor sich herschiebt, zügig und umfassend zu lösen. Im Zentrum steht die Forderung nach einer umfassenden Bleiberechtsregelung. Nachdem mehrere Bundesländer Initiativen für eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung ergriffen haben, besteht Grund zur Hoffnung. Die Vorschläge aus Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz müssen kurzfristig auf ihre Tauglichkeit überprüft und das Gesetzgebungsverfahren vorangebracht werden. Dass die politische Willensbildung in Richtung auf eine dauerhafte Bleiberechtsregelung ohne Bindung an einen bestimmten Stichtag geht, begrüßen wir sehr. Um die oben geschilderten unmenschlichen Abschiebungen tatsächlich verhindern zu können, müssen wichtige weitere Bedingungen erfüllt sein:
- Die Anforderungen an die Lebensunterhaltssicherung dürfen nicht überzogen sein, damit nicht erneut Alte, Kranke, Behinderte und große Familien aus dem Bleiberecht heraus gedrängt werden.
- Ausschlussgründe dürfen nicht so formuliert sein, dass sie von Ausländerbehörden als Waffe gegen missliebige Personen und Personengruppen eingesetzt werden können, wie wir das bislang erleben müssen.
Unabhängig von den gesetzlichen Überlegungen, die von den verschiedenen Ländern in den Bundesrat eingebracht werden, möchten wir als wichtigste Prioriät des dritten Oster-Appells auf folgende Punkte hinweisen.
1. Einzelpersonen und Familien, die sich über 4 Jahre bei uns aufhalten, sich nichts zuschulden haben kommen lassen und sich auf dem Weg der Integration in unsere Gesellschaft befinden, aus dem Duldungsstatus zu befreien und alle Chancen zu eröffnen, um ihnen den Weg zur Integration in unsere Gesellschaft zu erleichtern. Dazu gehört vor allem, dass die einzelnen Personen die Freiheit haben, ihre berufliche Entwicklung zu fördern. Die Behörden müssen diese Tendenz stärken und nicht behindern. D. h. vor allem junge Menschen sollen bei der Absolvierung weiterer Bildungsabschlüsse unterstützt werden und allgemein die unbeschränkte Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit zugestanden werden.
Eine neue verbesserte Bleiberechtsregelung und ggf. weitere Gesetzesänderungen müssen es ausschließen, dass Arbeits- und Ausbildungsverbote als Sanktionsinstrumente von den Ausländerbehörden missbraucht werden.
2. Die Unterbringung in Kollektivunterkünften, die einen deprimierenden Einfluss auf Asylbewerber ausüben, darf höchstens drei Monate dauern. Anschließend müssen sie – möglichst mit Rücksicht auf familiäre Bindungen – in kleinen Zentren, auf die Kommunen verteilt, untergebracht werden. Spätestens nach einem Jahr sollten die Betroffenen dann aber die Möglichkeit einer dezentralen Unterbringung und einen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Familiäre Bindungen der in unser Land geflohenen Menschen sollten bei der Wohnsitzsuche entsprechenden Vorrang haben. Kinder sollten grundsätzlich nicht in Kollektivunterkünften untergebracht werden. Das widerspricht dem Kindeswohl und verletzt die UN-Kinderrechtskonvention.
3. Es ist darauf zu achten, dass die Einbeziehung von Asylsuchenden in Deutschkurse und Integrationsmaßnahmen von Beginn an beachtet wird. Es ist widersinnig, Flüchtlinge z.T. über Jahre von solchen Angeboten auszusperren, womöglich noch mit Arbeitsverboten und ihnen später vorzuwerfen, sie seien nicht genügend integriert. Eine nachträgliche Integration durch kompensatorische Programme ist viel schwieriger, mühseliger und kostspieliger.
4. Wir haben in den letzten Jahren insbesondere in einigen Bundesländern erlebt, dass Ausländerbehörden restriktive Interpretationen des Ausländerrechts und insbesondere der Bleiberechtsregelung gegen die Betroffenen durchgesetzt haben, was letztlich in unmenschliche Abschiebungen gemündet ist. Sie sind von der Fachaufsicht dabei oft ebenso wenig kontrolliert worden wie bei der Verhängung ausländerrechtlicher Sanktionen, die mit angeblicher Nichtmitwirkung bei der Passbeschaffung oder einer früheren Identitätstäuschung begründet wurden. Eine verbesserte Bleiberechtsregelung muss Klarheit schaffen.
Wir fordern aber auch die Bereitschaft der Innenminister ein, den humanitären Gehalt dieser Regelung entschlossen – notfalls auch gegen die bisherigen Gepflogenheiten nachgeordneter Behörden – durchzusetzen.
Viele Fälle inhumaner Abschiebung könnten zudem im Vorfeld gelöst werden, wenn die Arbeit der Härtefallkommissionen, die sich in den Bundesländern mit humanitär besonders gelagerten Einzelfällen befassen, verbessert würde – etwa durch eine andere verwaltungsfernere Zusammensetzung und Geschäftsordnungen, die weniger restriktive Ausschlussgründe vom Härtefallverfahren vorsehen. Ebenso in der Kompetenz der Bundesländer liegt es, durch eine vernünftige Auslegung von § 25 Abs. 5 AufenthG die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen von der Ausnahme zur Regel werden zu lassen. Es ist unerträglich erleben zu müssen, wie entscheidend für die ausländerrechtliche Lebensperspektive von Menschen der Zufall ist, der sie in den einen oder anderen Teil unseres föderal strukturierten Landes verschlagen hat.
Wir appellieren abschließend dringend an die Entscheidungsträger in Bund und Ländern, jetzt zügig zu handeln und bis zu Verabschiedung der notwendigen Gesetzesänderungen dafür Sorge zu tragen, dass es keine weiteren unverantwortbaren Abschiebungen gibt.
Initiatoren des dritten Oster-Appells 2012:
Prof. Dr. Christian Schwarz-Schilling, Bundesminister a.D. / Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina a.D.
Tom Koenigs, MdB, Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe des deutschen Bundestags
Erneute Erstunterzeichner aus den Jahren 2000 und 2012:
Oster- Appell 2012
- Gerhart R. Baum, Bundesminister a. D., Rechtsanwalt, Köln
- Marieluise Beck, MdB, Sprecherin für Osteuropapolitik, Bündnis 90/ Die Grünen
- Volker Beck, MdB
- Rudolf Bindig, ehemaliger MdB, 1976 – 2005, ehemaliger Sprecher für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe der SPD-Bundestagsfraktion; Ehrenmitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Weingarten
- Wilfried Böhm, Melsungen
-Reinhard Bütikofer, MEP European Parliament, Brussels
-Freimut Duve, Ehem. Beauftragter der OSZE für die Freiheit der Medien; Hamburg
- Rainer Eppelmann, Minister a. D., Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Aufarbeitung, Berlin
- Dr. Heiner Geißler, Gleisweiler
- Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister a. D., Vorsitzender Deutsche Telekom Stiftung , Bonn
- Hans Koschnick, Bürgermeister a.D.
- Barbara Lochbihler, MdEP, Vorsitzende des Unterausschusses für Menschenrechte im Europäischen Parlament
- Dr. Rupert Neudeck; Gründer Cap Anamur Vorstand Grünhelme e.V., Troisdorf
- Ruprecht Polenz, MdB, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag
- Claudia Roth, Mitglied des Deutschen Bundestages, Bundesvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen
- Hermann Otto Solms, MdB, Bundestagsvizepräsident
- Dr. Angelika Koester-Lossack, Ortsbeiraetin der GLB (Gruene Liste Bensheim), Sprecherin der GLB Mitglied des Vorstandes Synagogenverein Auerbach, Mitglied des Vorstandes Forward Germany, e.V. Bensheim
- Angelika Graf, MdB, SPD-Bundestagsfraktion, Berlin
- Heide Mattischeck, MdB a.D.
- Bärbel Sothmann MdB a. D., Bad Homburg
- Prof. Dr. Dr. h.c. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Co-Chair, International Resource Panel, UNEP, Emmendingen
- Wilfried Böhm, Melsungen
- Hans-Christian Schmid, Berlin
- Ulla Jelpke, Mitglied des Bundestages, Berlin
- Andrej Hunko, Mitglied des Bundestages, Fraktion DIE LINKE, Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
- Raju Sharma, MdB (Die Linke)
- Niema Movassat, MdB, Fraktion DIE LINKE
- Viola von Cramon, MdB Sprecherin für die Auswärtigen Beziehungen der Europäischen Union
- Ingrid Hönlinger, MdB, Sprecherin für Demokratiepolitik Mitglied und Obfrau im Rechtsausschuss, Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen
- Bosiljka Schedlich, Südost Europa Kultur e.V., Berlin
Flüchtlingsorganisationen:
- Kai Weber Geschäftsführer Flüchtlingsrat Niedersachsen, Hildesheim
- Günter Wrede, VHS Mülheim an der Ruhr
- Pro Asyl, Frankfurt
- Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V.; “Jobbrücke und Jobchance – Beratungsstelle und Arbeitsvermittlung für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt”
- Anne Schmidt-Hütsch; Altenstadt
- Intiative zur Rückkehr der abgeschobenen armenischen Familie Sogamanian aus Hessen Flüchtlingshilfe Altenstadt e.V.
- Günther Flößer Arbeitskreis Asyl Backnang
- Sylvia Dahlheimer, Gelnhausen, Kinderhilfe-Kazan
- Tilman Zülch, Generalsekeretär der Gesellschaft für bedrohte Völker
- Jasna Causevic, Südosteuropa-Referentin
- Siegfried Pick, Pfarrer
- Arbeitskreis Asyl Rheinland-Pfalz, Bad Kreuznach
Neue Unterzeichner des Oster-Appells (2012)
- Manfred Nink, MdB
- Maria Klein-Schmeink, MdB, Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen
- Präsident Prof. Wolfgang Schulhoff, Handwerkskammer Düsseldorf
- Dorothea Steiner, MdB, Umweltpolitische Sprecherin, Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen
- Dr. Hermann E. Ott, MdB, Klimapolitischer Sprecher, B90/Grüne im Bundestag
- Büro Monika Lazar MdB, Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Mitglied im Rechtsausschuss, Sprecherin für Frauenpolitik, Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus
- Sven-Christian Kindler, Mitglied des Bundestages, Mitglied im Haushaltsausschuss, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
- Sevim Dagdelen (MdB), Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion DIE LINKE
- Harald Weinberg, MdB, Fraktion DIE LINKE
- Frank Schwabe, MdB
- Richard Pitterle, Mitglied des Deutschen Bundestages der Fraktion DIE LINKE
- Johannes Neudeck, Beauftragter für Friedens- und Versöhnungsarbeit Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens, Dresden
- Sabine Stüber, MdB, DIE LINKE, Mitglied im Petitionsausschuss Deutscher Bundestag
- Dr. Marlies Volkmer; Mitglied des Deutschen Bundestages; Stellv. gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion
- Kathrin Vogler, MdB (DIE LINKE), Obfrau im Unterausschuss Zivile Krisenprävention, Stv. Vorsitzende des Gesundheitsausschusses
- Sylvia Kotting-Uhl MdB, Atompolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Berlin
- Biggi Bender, Mitglied des Bundestages, Berlin
- Dr. Diether Dehm, MdB, Europapolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, Mittelstandspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE
- Klaus Minkel, Ehrenstadtrat, MdB 15. WP, Bad Vilbel
- Alfred Hofmann, Leopoldshöhe
Stand: 02.04.12 – eine aktualiserte Version des Osterappells finden Sie auf der Seite des Flüchtlingsrats Niedersachsen:
Hamburg startet Bundesratsinitiative für eine Bleiberechtsregelung (21.09.12)