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Nachhaltig wie nasser Keks: Eckpunkte sozialdemokratischer Asylpolitik
In einem Papier Namens „Eckpunkte sozialdemokratischer Flüchtlingspolitik“ stellt die SPD ihr asylpolitisches Programm dar – wenn denn von Programmatik die Rede sein könnte. Vor allem scheint die SPD eines zu wollen: Bloß keinen Streit mit der Union.
Die SPD-Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten haben mit dem Parteivorsitzenden am 3. August 2015 telefoniert. Die Ergebnisse dieser „Telefonschaltkonferenz“ sind inzwischen durchgesickert. Sie lesen sich so inkohärent, als sei die Leitung mehrfach unterbrochen worden. Je näher man den konkreten Problemen kommt, umso mehr sind die Formulierungen bröckelig wie nasser Keks.
„Parteipolitischer Streit ist überflüssig“
In Punkt 2 bereits heißt es: „Parteipolitischer Streit ist nicht nur überflüssig, sondern schadet dieser Zusammenarbeit.“ Wir finden: Parteipolitischer Streit gehört zur Demokratie. Ein Wettbewerb der Parteien um eine bessere Flüchtlingsunterbringung sowie faire und zügige Asylverfahren wäre zu begrüßen.
Viel wichtiger als solches Harmoniebedürfnis wäre es, wenn Sozialdemokratinnen und ‑demokraten in Führungsverantwortung nicht jeder schlechten Idee hinterherliefen und so jetzt auch die Auffassung der Union vertreten würden, der „westliche Balkan“ sei sicher. Dass es mit Frank-Walter Steinmaier ein Außenminister ist, der sich seit letzter Woche öffentlich mit der pauschalen Betrachtung über den „westlichen Balkan“ – eine geographische Bezeichnung, die dieser Region übrigens erst im Streit über die Asylgründe von Flüchtlingen aus der Region übergestülpt worden ist – zufrieden gibt, wo sein Job gerade darin bestünde, zu differenzieren, macht die Sache nicht besser.
Fordern, was längst zugesagt ist
In Punkt 3 der Eckpunkte fordert die sozialdemokratische Telefonkonferenz eine weitere Beschleunigung der Asylverfahren. Das Bundesinnenministerium wird aufgefordert, die Zahl der Entscheider im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge weiter deutlich zu erhöhen. Gut gebrüllt, Löwe! Was aber tut das Bundesamt im Moment denn anderes neben der Verschickung ablehnender Textbausteine an Asylsuchende aus den Balkanstaaten als aktuell diese Bewerbungsgespräche zu führen – für Stellen, die längst zugesagt sind?
In diesem Zusammenhang könne auch die Ausbreitung der sicheren Herkunftsländer aus dem Westbalkan bei der Verfahrensbeschleunigung helfen, so die Telefonrunde. Die Statistiken und Evaluierungsberichte in jüngster Zeit zeigen, dass dieser Effekt bei den bereits für sicher erklärten Herkunftsstaaten nicht eingetreten ist. Warum also trotzdem?
Weil nicht sein kann, was nicht sein darf
Schwer verzeihlicher Unfug ist das nächste: „Sie [die übrigen Länder des westlichen Balkans] streben in die EU. Die EU unterstützt diesen Prozess. Aus ihnen kann es schon deshalb keine Flüchtlinge in großer Zahl geben, weil sie ansonsten nicht Mitglied der EU werden dürften.“ Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Weil die Staaten in die EU streben, darf es dort offenbar keine Menschenrechtsverletzungen und im Ergebnis Flüchtlinge von dort geben. Es kommt der SPD also bei der Bewertung der Menschenrechtslage in den künftigen sicheren Herkunftsstaaten nicht auf die Realität an, sondern auf die gute Absicht.
Man würde, gerade von Sozialdemokraten, gerne hören, wie denn die Beitrittsprozesse auf dem Balkan und die Sachstände in Sachen Rechtstaatlichkeit eingeschätzt werden. Wofür und wie effizient werden die Mittel, die für die „Heranführung“ für die EU zur Verfügung gestellt werden, ausgegeben? Ist Kosovo ein Staat und – wenn ja – wovon soll er künftig leben?
Darf der Staat Montenegro, von vielen als Mafia-Staat bezeichnet, als Erblehen der Dynastie des Milo Djukanovic mit derselben Führungsclique in die EU? Oder nimmt man die Verfolgung der organisierten Kriminalität künftig ernst, auch wenn sie staatsnah ist? Setzen sich die Führungsfiguren der Sozialdemokratie für die Sicherheit von Journalisten im Lande ein?
SPD stimmt Abschiebelagern zu
Unter Punkt 4 möchten die SPD-Granden „spezialisierte Strukturen für die Herkunftsländer aus dem westlichen Balkan in den Aufnahmeeinrichtungen, wie sie zwischen den Ländern und dem Bund bereits mehrfach verabredet wurden“. Das sind im Klartext Abschiebelager für die Hoffnungslosen. Dazu müsse der Bund zusätzliche Entscheider an die benannten Standorte schicken, „damit niemand lange dort verweilt.“
Ein frommer Wunsch: Die meisten geplanten Außenstellen dieser und anderer Art werden gegen Ende des Jahres oder im nächsten Jahr entstehen. So lange werden wohl viele Asylsuchende aus den Balkanstaaten ziemlich lange in Erstaufnahmeeinrichtungen verweilen müssen, die aktuell dramatisch überfüllt sind. Das aber will die SPD andererseits nicht: „Solche Einrichtungen machen nur Sinn und sind nur akzeptabel, wenn die Verfahren schnell beendet werden und die Betreffenden nach wenigen Wochen wieder ausreisen.“ Wie denn also, SPD?
Einwanderungsgesetz vs. Asylgrundrecht
Der Bund soll, so Punkt 5, die Erteilung eines Arbeitsvisums an die Bürger der westlichen Balkanstaaten zusagen, wenn sie einen branchenüblichen Arbeitsvertrag in Deutschland haben. Dies könne durch eine fachliche Weisung an die Bundesanstalt für Arbeit ohne neue Rechtsgrundlage geschehen. Man fragt sich, wie sich die SPD dieses Verfahren konkret vorstellt. Das Bundesamt hat gerade angekündigt, regelmäßig und für alle als offensichtlich unbegründet abgelehnten Asylsuchenden aus Balkanstaaten Wiedereinreisesperren zu verhängen. Wen diese treffen, der hat nichts von der geforderten Praxis.
In Top 5 findet sich dann auch die Bemerkung, in diesem Zusammenhang wäre ein Einwanderungsgesetz hilfreich. Es mag viele Gründe für die Novellierung des Ausländerrechts in Richtung eines Einwanderungsgesetzes geben, eine weitere Aushöhlung des Asylgrundrechts legitimiert diese Absicht nicht.
Asylbewerberleistungsgesetz: Verbeugung vor dem Bund
Top 6 zeigt, wie hinderlich es ist, keine wirkliche politische Meinung zu haben, aber dennoch miteinander zu telefonieren. Immerhin: Es geht um Geld. Der Bund soll nach einem Jahr Aufenthalt künftig die finanziellen Leistungen für die Asylbewerber und die Geduldeten übernehmen – nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und, wenn dessen Leistungen auslaufen, die der sogenannten „Analogleistungen“. Hätte man ein Rückgrat, müsste da jetzt stehen: Wir wollen in diesem Kontext das Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen.
Es heißt dort aber nur unter Verbeugung vor dem Bund, dieser könne die Leistung neu strukturieren und auch die Beteiligten gleich in das Regelsystem des SGB II überführen. Das müsse am Ende seine sachliche Entscheidung sein. Nun sind die Ministerpräsidenten der Länder nicht der Gesetzgeber in diesem Fall, aber niemand hätte sie gehindert, in ihren Eckpunkten hierzu eine prononcierte Meinung vorzutragen.
Auch bei der Frage der zusätzlichen Integrationsmaßnahmen lässt es die Telefonrunde bei dem Hinweis bewenden, es müsse Einigung darüber erzielt werden, was im Bereich Sprachausbildung, Schule, Berufsausbildung, Qualifizierung und Integration in den Arbeitsmarkt, Wohnraumentwicklung und Gesundheitskosten getan werden müsste. Das sozialdemokratisch durchzubuchstabieren, wäre eines programmatischen Versuches wert gewesen.
So bleibt nur der Trost: Wahrscheinlich war die telefonische Besprechung mit dem Beschluss derart runder Eckpunkte nicht all zu teuer.