04.02.2012
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Gang im Flüchtlingslager Würzburg. Foto: Bayerischer Flüchtlingsrat

Nach dem Suizid eines Flüchtlings aus dem Iran in einem Würzburger Flüchtlingslager steht die Bayrische Landesregierung und die Regierung Unterfrankens verstärkt in der Kritik.

Der 29jährige Moham­mad R. hat­te sich in der Nacht zum Sonn­tag in sein Zim­mer ein­ge­schlos­sen und sich dort das Leben genom­men. Er hin­ter­lässt im Iran sei­ne Frau und ein Kind. Nach sei­nem Tod haben rund 80 Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner des Lagers spon­tan vor dem Würz­bur­ger Rat­haus demonstriert.

 Die Grü­nen im Land­tag for­dern Auf­klä­rung über die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung und Behand­lung des Ira­ners. „Wie konn­te es sein, dass Alarm­zei­chen offen­bar nicht erkannt wur­den?“, frag­te die asyl­po­li­ti­sche Spre­che­rin Rena­te Acker­mann. Ihren Infor­ma­tio­nen zufol­ge sei bereits bei der Erst­auf­nah­me von Moham­mad R. in Zirn­dorf ein pro­ble­ma­ti­scher Gesund­heits­zu­stand fest­ge­stellt wor­den. Wäh­rend einer sta­tio­nä­ren Behand­lung im Dezem­ber habe er laut einer ärzt­li­chen Beschei­ni­gung Sui­zid­ge­dan­ken geäu­ßert. Die Staats­re­gie­rung soll nun dem Sozi­al­aus­schuss berich­ten, in wel­cher Wei­se in der „Gemein­schafts­un­ter­kunft“ (GU) in Würz­burg auf die Sui­zid­ge­fähr­dung des 29-Jäh­ri­gen reagiert wurde.

Ein Spre­cher der Regie­rung von Unter­fran­ken beton­te, „dass nach bis­he­ri­gem Kennt­nis­stand kei­ner­lei Zusam­men­hang zwi­schen dem Sui­zid und Art und Wei­se der Unter­brin­gung“ bestehe. Land­tags­prä­si­den­tin Bar­ba­ra Stamm (CSU)sagte, „ es gibt hier eine bun­des­wei­te Gesetz­ge­bung. Der Tat­be­stand einer Auf­nah­me­ein­rich­tung ist kei­ne baye­ri­sche Spe­zia­li­tät“. Sozi­al­mi­nis­te­rin Chris­ti­ne Hadert­hau­er (CSU) ließ mit­tei­len, sie habe „kei­nen Grund, an der Aus­sa­ge der Bezirks­re­gie­rung zu zwei­feln, wonach der tra­gi­sche Selbst­mord nichts mit der Unter­brin­gung zu tun hat“.

Dies wird von vie­len Sei­ten bezwei­felt. So mach­te die Inter­na­tio­na­len Föde­ra­ti­on Ira­ni­scher Flücht­lin­ge auf die men­schen­un­wür­di­ge Situa­ti­on in der „Gemein­schafts­un­ter­kunft“ – in Wirk­lich­keit eine ehe­ma­li­ge Kaser­ne – auf­merk­sam. Clau­dia Roth, Bun­des­vor­sit­zen­de der Grü­nen, schrieb in einer schrift­li­chen Reak­ti­on, es sei nach­ge­wie­sen, dass die Unter­brin­gung in Gemein­schafts­un­ter­künf­ten Men­schen krank mache und psy­chisch und phy­sisch stra­pa­zie­re. „Den­noch hält Bay­ern unver­dros­sen an die­ser unver­ant­wort­li­chen und ent­wür­di­gen­den Art der Unter­brin­gung bei Asyl­be­wer­bern fest“. Die Staats­re­gie­rung dür­fe sich bei der medi­zi­ni­schen und psy­cho­lo­gi­schen Ver­sor­gung nicht über­wie­gend auf den Ein­satz ehren­amt­lich Enga­gier­ter verlassen.

Dr. August Stich von der Mis­si­ons­ärzt­li­chen Kli­nik, der mit einem Team und zusam­men mit Ehren­amt­li­chen und Wohl­fahrts­ver­bän­den die Flücht­lin­ge betreut, sag­te, die psy­chi­schen Pro­ble­me von Moham­mad R. sei­en lan­ge bekannt gewe­sen. Bereits im Dezem­ber habe er Selbst­mord­ab­sich­ten geäu­ßert und sei des­halb in der Würz­bur­ger Uni­kli­nik für Psych­ia­trie unter­sucht wor­den. Dort habe man emp­foh­len, an der Art der Unter­brin­gung etwas zu verändern.

Stich übte zudem gegen­über der Pres­se schar­fe Kri­tik an der Unter­brin­gung und Ver­sor­gung der Flücht­lin­ge: Das Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz ver­wei­ge­re Flücht­lin­gen medi­zi­ni­sche Hil­fe bei psy­chi­schen Pro­ble­men und Trau­ma­ti­sie­run­gen. Die Unter­brin­gungs­be­din­gun­gen sei­en dar­auf aus­ge­rich­tet, die Asyl­su­chen­den zu zer­mür­ben. Auch der ört­li­che Bür­ger­ver­ein pro­tes­tier­te gegen die Pra­xis des Lagerzwangs.

Dass erst nach dem Sui­zid von Moham­mad R. wie­der in einer brei­te­ren Öffent­lich­keit über die Lager­un­ter­brin­gung und die man­geln­de medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung von Flücht­lin­gen dis­ku­tiert wird, ist trau­rig und beschä­mend. Der noch in vie­len Bun­des­län­dern fort­be­stehen­de Lager­zwang und die vom Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz vor­ge­ge­be­nen Lebens­be­din­gun­gen von Flücht­lin­gen in Deutsch­land machen krank und sind men­schen­un­wür­dig. Das ist seit lan­gem bekannt. 

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