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Nach Suizid in Würzburg: Kontroverse über Unterbringung und Versorgung von Asylsuchenden

Nach dem Suizid eines Flüchtlings aus dem Iran in einem Würzburger Flüchtlingslager steht die Bayrische Landesregierung und die Regierung Unterfrankens verstärkt in der Kritik.
Der 29jährige Mohammad R. hatte sich in der Nacht zum Sonntag in sein Zimmer eingeschlossen und sich dort das Leben genommen. Er hinterlässt im Iran seine Frau und ein Kind. Nach seinem Tod haben rund 80 Bewohnerinnen und Bewohner des Lagers spontan vor dem Würzburger Rathaus demonstriert.
Die Grünen im Landtag fordern Aufklärung über die medizinische Versorgung und Behandlung des Iraners. „Wie konnte es sein, dass Alarmzeichen offenbar nicht erkannt wurden?“, fragte die asylpolitische Sprecherin Renate Ackermann. Ihren Informationen zufolge sei bereits bei der Erstaufnahme von Mohammad R. in Zirndorf ein problematischer Gesundheitszustand festgestellt worden. Während einer stationären Behandlung im Dezember habe er laut einer ärztlichen Bescheinigung Suizidgedanken geäußert. Die Staatsregierung soll nun dem Sozialausschuss berichten, in welcher Weise in der „Gemeinschaftsunterkunft“ (GU) in Würzburg auf die Suizidgefährdung des 29-Jährigen reagiert wurde.
Ein Sprecher der Regierung von Unterfranken betonte, „dass nach bisherigem Kenntnisstand keinerlei Zusammenhang zwischen dem Suizid und Art und Weise der Unterbringung“ bestehe. Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU)sagte, „ es gibt hier eine bundesweite Gesetzgebung. Der Tatbestand einer Aufnahmeeinrichtung ist keine bayerische Spezialität“. Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) ließ mitteilen, sie habe „keinen Grund, an der Aussage der Bezirksregierung zu zweifeln, wonach der tragische Selbstmord nichts mit der Unterbringung zu tun hat“.
Dies wird von vielen Seiten bezweifelt. So machte die Internationalen Föderation Iranischer Flüchtlinge auf die menschenunwürdige Situation in der „Gemeinschaftsunterkunft“ – in Wirklichkeit eine ehemalige Kaserne – aufmerksam. Claudia Roth, Bundesvorsitzende der Grünen, schrieb in einer schriftlichen Reaktion, es sei nachgewiesen, dass die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften Menschen krank mache und psychisch und physisch strapaziere. „Dennoch hält Bayern unverdrossen an dieser unverantwortlichen und entwürdigenden Art der Unterbringung bei Asylbewerbern fest“. Die Staatsregierung dürfe sich bei der medizinischen und psychologischen Versorgung nicht überwiegend auf den Einsatz ehrenamtlich Engagierter verlassen.
Dr. August Stich von der Missionsärztlichen Klinik, der mit einem Team und zusammen mit Ehrenamtlichen und Wohlfahrtsverbänden die Flüchtlinge betreut, sagte, die psychischen Probleme von Mohammad R. seien lange bekannt gewesen. Bereits im Dezember habe er Selbstmordabsichten geäußert und sei deshalb in der Würzburger Uniklinik für Psychiatrie untersucht worden. Dort habe man empfohlen, an der Art der Unterbringung etwas zu verändern.
Stich übte zudem gegenüber der Presse scharfe Kritik an der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge: Das Asylbewerberleistungsgesetz verweigere Flüchtlingen medizinische Hilfe bei psychischen Problemen und Traumatisierungen. Die Unterbringungsbedingungen seien darauf ausgerichtet, die Asylsuchenden zu zermürben. Auch der örtliche Bürgerverein protestierte gegen die Praxis des Lagerzwangs.
Dass erst nach dem Suizid von Mohammad R. wieder in einer breiteren Öffentlichkeit über die Lagerunterbringung und die mangelnde medizinische Versorgung von Flüchtlingen diskutiert wird, ist traurig und beschämend. Der noch in vielen Bundesländern fortbestehende Lagerzwang und die vom Asylbewerberleistungsgesetz vorgegebenen Lebensbedingungen von Flüchtlingen in Deutschland machen krank und sind menschenunwürdig. Das ist seit langem bekannt.
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