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Die Preisträger Katarzyna De Wilde, Neil Falzon und Kirsten Gatt mit Doris Peschke und Beate Wagner aus dem Stiftungsrat von PRO ASYL. Foto: Jonas Bickmann

Der maltesische Menschenrechtsverteidiger Dr. Neil Falzon und die aditus foundation engagieren sich außerordentlich für die Rechte von Geflüchteten in Malta und in der Europäischen Union. Die Stiftung PRO ASYL würdigte ihren herausragenden Einsatz für Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie am 7. September mit ihrem Menschenrechtspreis.

»Mit ihrem her­aus­ra­gen­den Ein­satz zei­gen Neil Fal­zon und sei­ne Mitstreiter*innen gro­ßen Mut, juris­ti­sche Exper­ti­se und Hart­nä­ckig­keit, basie­rend auf der uner­schüt­ter­li­chen Über­zeu­gung, dass in einer Gesell­schaft JEDER Mensch Zugang (lat. adit­us) zu sei­nen grund­le­gen­den Rech­ten haben muss«, heißt es in der Urkun­de, die Neil Fal­zon und zwei Mit­ar­bei­te­rin­nen der adit­us foun­da­ti­on,  Kirs­ten Gatt und Katar­zy­na De Wil­de, am Sams­tag zusam­men mit dem Preis­geld von 5.000 Euro bei der  fei­er­li­chen Preis­ver­lei­hung in Frank­furt am Main ent­ge­gen­nah­men. Dazu erhiel­ten sie jeweils eine »PRO ASYL-Hand«: eine Skulp­tur des Künst­lers Ari­el Aus­len­der, Pro­fes­sor an der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät Darmstadt.

Die Mitarbeiter*innen der adit­us foun­da­ti­on, über­wie­gend Anwält*innen, set­zen sich seit 2011 für den effek­ti­ven Zugang zu Asyl­ver­fah­ren, den Schutz vor will­kür­li­cher Inhaf­tie­rung und ein men­schen­wür­di­ges Auf­nah­me­sys­tem für Geflüch­te­te ein. Kon­se­quent schaut das adit­us-Team dort­hin, wo auf Mal­ta die Men­schen­rech­te ver­letzt wer­den, und wirkt durch sein Han­deln den zuneh­men­den Angrif­fen auf die Rechts­staat­lich­keit in Euro­pa ins­ge­samt bei­spiel­haft ent­ge­gen. Damit machen sie auch ande­ren Men­schen, die sich für Flücht­lings­rech­te ein­set­zen, weit über die Gren­zen des klei­nen Lan­des hin­aus Mut.

Preisträger kritisiert Haftbedingungen in Malta

Preis­trä­ger Neil Fal­zon bedank­te sich für den Preis, der ein Schlag­licht auf die Situa­ti­on der Flücht­lin­ge in Mal­ta wer­fe. Das EU-Mit­glied Mal­ta fah­re mit Haft­la­gern und rechts­wid­ri­gen Zurück­wei­sun­gen (Push­backs) einen äußerst restrik­ti­ven und bru­ta­len Kurs gegen Flücht­lin­ge. Obwohl meh­re­re Kla­gen gegen den mal­te­si­schen Staat vor dem Euro­päi­schen Gerichts­hof für Men­schen­rech­te erfolg­reich gewe­sen sei­en, bleibt ein »Groß­teil der mal­te­si­schen Haft­be­din­gun­gen ille­gal und men­schen­un­wür­dig«, sag­te er.

»Trau­ri­ger­wei­se sind wir damit ver­traut, wie die abneh­men­de Bereit­schaft, Soli­da­ri­tät zu zei­gen und danach zu han­deln, lang­sam die See­le und das Herz der EU tötet, wenn es um den Schutz von Flücht­lin­gen geht.«

Neil Fal­zon

Fal­zon beklag­te, dass die Ver­wei­ge­rung von Soli­da­ri­tät inner­halb der EU deren Wer­te zer­stö­re: »Trau­ri­ger­wei­se sind wir damit ver­traut, wie die abneh­men­de Bereit­schaft, Soli­da­ri­tät zu zei­gen und danach zu han­deln, lang­sam die See­le und das Herz der EU tötet, wenn es um den Schutz von Flücht­lin­gen geht.« Das füh­re nicht nur zu einer Kri­se im Flücht­lings­schutz, son­dern auch zu »einer viel umfas­sen­de­ren Kri­se: einer Kri­se, die seit lan­gem eta­blier­te Nor­men und Stan­dards des Regie­rens bedroht«.

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Das Team der adit­us foun­da­ti­on aus Mal­ta. Foto: adit­us foundation

Solidarität zwischen denen, die sich für die Rechte von Geflüchteten einsetzten

So wür­den zum Bei­spiel die Unab­hän­gig­keit der Jus­tiz gefähr­det und Orga­ni­sa­tio­nen der Zivil­ge­sell­schaft »mit recht­li­chen, finan­zi­el­len und ande­ren admi­nis­tra­ti­ven Waf­fen« ange­grif­fen. »Wir müs­sen uns auf sehr har­te Zei­ten ein­stel­len, die nicht nur den Flücht­lin­gen scha­den wer­den, son­dern auch unse­ren Orga­ni­sa­tio­nen, unse­ren Mit­ar­bei­tern und denen, die an unse­re Arbeit glau­ben«, sag­te Fal­zon. Umso wich­ti­ger sei die Soli­da­ri­tät zwi­schen denen, die sich für die Rech­te von Geflüch­te­ten ein­setz­ten:  »Wir müs­sen bereit sein, uns gegen­sei­tig zu unter­stüt­zen und für­ein­an­der ein­zu­ste­hen«, sag­te Neil Falzon.

»Leuchtturm der Hoffnung«

In ihrer Lau­da­tio bezeich­ne­te die Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Awet Tes­fai­esus die Preis­trä­ger als »Hüter unse­rer  Mensch­lich­keit in der Gesell­schaft«, »Leucht­turm der Hoff­nung und als uner­müd­li­che Kraft im Kampf für die Rech­te von Geflüch­te­ten und Migran­ten« und beton­te wei­ter: »In einer Zeit, in der die Her­aus­for­de­run­gen im Bereich Migra­ti­on und Asyl in Euro­pa immer kom­ple­xer wer­den, setzt sich adit­us mit bemer­kens­wer­ter Ent­schlos­sen­heit und Exper­ti­se für die­je­ni­gen ein, die selbst oft kei­ne wahr­nehm­ba­re Stim­me haben.«

Mit der Aus­wahl des dies­jäh­ri­gen Preis­trä­gers posi­tio­nie­re PRO ASYL sich ein­deu­tig, so die Lau­da­to­rin wei­ter: »Wenn man sich ent­schei­den muss zwi­schen dem Zeit­geist und dem Geist der Auf­klä­rung und des Huma­nis­mus, wird nie­mand zwei­feln, wo PRO ASYL stand und steht. Uner­schro­cken und stand­haft erin­nert uns PRO ASYL dar­an, wo man ste­hen sollte.«

Sie beklag­te, Geflüch­te­te wür­den in den aktu­el­len Debat­ten als »Ursa­che allen Übels« ange­se­hen und rief dazu auf, in die­ser auf­ge­heiz­ten Stim­mung Mit­mensch­lich­keit und Empa­thie zu bewahren.

Wer nicht ertrinkt, wird eingesperrt 

Seit Jah­ren ver­letzt der EU-Mit­glied­staat Mal­ta sys­te­ma­tisch inter­na­tio­na­les Men­schen­recht. Mit bru­ta­len Mit­teln und durch unter­las­se­ne Hil­fe­leis­tung ver­sucht der Insel­staat, Schutz­su­chen­de davon abzu­hal­ten, die mal­te­si­sche Küs­te zu erreichen.

„Wer nicht ertrinkt, wird ein­ge­sperrt.“ Das beschreibt die zyni­sche Poli­tik der mal­te­si­schen Regie­rung. Mal­ta igno­riert sys­te­ma­tisch Not­ru­fe von Boots­flücht­lin­gen und wei­gert sich, Ret­tungs­ein­sät­ze zu koor­di­nie­ren. Die mal­te­si­sche Regie­rung hält Han­dels­schif­fe aktiv davon ab, zu ret­ten, und lehnt es ab, mit Seenotretter*innen zu koope­rie­ren und geret­te­te Men­schen anlan­den zu lassen.

Damit blo­ckiert das Land an der EU-Außen­gren­ze seit Jah­ren de fac­to den Zugang zu Asyl­ver­fah­ren für schutz­su­chen­de Men­schen und bricht dabei sys­te­ma­tisch inter­na­tio­na­les Recht. Men­schen, die die gefähr­li­che Über­fahrt über das Mit­tel­meer über­le­ben, wer­den unmit­tel­bar nach ihrer Ankunft inhaf­tiert, oft­mals unter unmensch­li­chen Bedin­gun­gen und für vie­le Monate.

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Foto: Jonas Bickmann

Erfolge vor hohen Gerichten 

Trotz erheb­li­cher staat­li­cher Ein­schrän­kun­gen besu­chen Mitarbeiter*innen der adit­us foun­da­ti­on, über­wie­gend Anwält*innen, regel­mä­ßig inhaf­tier­te Schutz­su­chen­de. Sie ste­hen den Betrof­fe­nen mit juris­ti­scher Exper­ti­se und per­sön­li­chem Bei­stand zur Sei­te und kämp­fen vor (inter)nationalen Gerich­ten uner­müd­lich für Auf­klä­rung und Gerech­tig­keit. So stie­ßen Nich­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen wie die adit­us foun­da­ti­on und der JRS (Jesu­it Res­cue Ser­vice), die ver­such­ten, Flücht­lin­ge in Haft zu besu­chen, auf zahl­rei­che Hin­der­nis­se, wenn sie ihre Kli­en­ten besu­chen woll­ten, sag­te Neil Fal­zon in sei­ner Rede : »Wenn wir dann bei ihnen sind, spre­chen wir mit ihnen in Räu­men mit Über­wa­chungs­ka­me­ras, unter der Andro­hung, dass wir gestoppt wer­den, wenn wir etwas Unan­ge­brach­tes tun.«

So unter­stützt adit­us zum Bei­spiel die Kla­ge der Eltern der drei­jäh­ri­gen syri­schen Lou­jin, die die mal­te­si­schen Behör­den für den Tod ihrer Toch­ter wegen aus­blei­ben­der See­not­ret­tung ver­ant­wort­lich machen. »Es sind die Eltern von Lou­jin, des drei­jäh­ri­gen Mäd­chens, das auf See ver­durs­tet ist, weil Mal­ta sich wei­ger­te, sie und die ande­ren Men­schen, die mit ihr auf dem Boot waren, zu ret­ten. Stun­de um Stun­de, Tag um Tag ist sie schlicht­weg zugrun­de gegan­gen«, sag­te Neil Fal­zon in sei­ner Rede.

Und im Okto­ber 2023 erreich­te adit­us einen Erfolg vor dem Euro­päi­schen Gerichts­hof für Men­schen­rech­te (EGMR), als das Straß­bur­ger Gericht in sei­nem Urteil die struk­tu­rel­len Pro­ble­me im Umgang mit beson­ders schutz­be­dürf­ti­gen Per­so­nen, die in Mal­ta Zuflucht suchen, bestä­tig­te. Außer­dem arbei­tet adit­us zusam­men mit Geflüch­te­ten in den Berei­chen Rech­te für LGBTIQ+, Rechts­staat­lich­keit und Gesundheit.

»In einer Zeit, in der die Her­aus­for­de­run­gen in Euro­pa immer kom­ple­xer wer­den, setzt sich adit­us mit bemer­kens­wer­ter Ent­schlos­sen­heit und Exper­ti­se für die­je­ni­gen ein, die selbst oft kei­ne wahr­nehm­ba­re Stim­me haben.«

Awet Tes­fai­esus, Laudatorin

Laudatorin: bemerkenswerte Entschlossenheit, Expertise und Mut der aditus foundation 

Lau­da­to­rin Awet Tes­fai­esus hob die bemer­kens­wer­te Ent­schlos­sen­heit, Exper­ti­se und den Mut von Neil Fal­zon und sei­nem Team her­vor und beton­te: »Sie stel­len sich den Ver­let­zun­gen der Men­schen­rech­te in Euro­pa mit aller Kraft ent­ge­gen. Durch ihre juris­ti­sche Exper­ti­se und den per­sön­li­chen Bei­stand für Über­le­ben­de von Boots­ka­ta­stro­phen und Opfer von Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen in Haft­la­gern leis­ten sie Pio­nier­ar­beit.« Die­ses Enga­ge­ment wir­ke auch weit über die Gren­zen Mal­tas hin­aus und sei »zu einem Vor­bild für ähn­li­che Orga­ni­sa­tio­nen in ganz Euro­pa gewor­den«, sag­te Awet Tes­fai­esus, die selbst Rechts­an­wäl­tin mit Schwer­punkt Asyl­recht ist.

Awet Tes­fai­esus kennt Neil Fal­zon und das adit­us-Team per­sön­lich, da sie als par­la­men­ta­ri­sche Beob­ach­te­rin für den »El Hib­lu 3« Pro­zess in Mal­ta war.

Neil Fal­zon ist Teil des Anwalts­teams, das zwei der drei Ange­klag­ten der als »El Hib­lu 3« bekannt gewor­de­nen jun­gen Flücht­lin­ge in Mal­ta ver­tei­digt. Die drei hat­ten sich 2019 fried­lich gegen einen Zurück­schie­bungs­ver­such von mehr als 100 Men­schen auf dem Mit­tel­meer nach Liby­en zur Wehr gesetzt. Dafür wer­den sie vom mal­te­si­schen Staat ange­klagt, ihnen droht lebens­lan­ge Haft. Zum Zeit­punkt der Fest­nah­me waren sie zum Teil min­der­jäh­rig. Eine inter­na­tio­na­le und auch von PRO ASYL unter­stütz­te Kam­pa­gne for­dert, dass die Ankla­ge fal­len­ge­las­sen wird.

Mit mitfühlendem Engagement einen Unterschied machen 

»Krieg, Ver­fol­gung und Flucht ist nichts, was sich irgend­ein Mensch frei­wil­lig aus­sucht«, erin­ner­te Awet Tes­fai­esus, die in Eri­trea gebo­ren wur­de und selbst Flucht­er­fah­rung hat. »Der Ver­lust der Fami­lie, von Freun­den, die Mög­lich­keit, in einer Spra­che zu kom­mu­ni­zie­ren, die man beherrscht – all das ist weg. Anstatt des­sen steht man vor einer gro­ßen Unge­wiss­heit, Anfein­dun­gen und einem Stück weit auch dem Ver­lust der eige­nen Wür­de. Alles, was man bis­her geschafft und geleis­tet hat, wird auf Null gesetzt.« Man wer­de »von einem geschätz­ten Mit­glied einer Gemein­schaft zu einer Belas­tung und einem Ein­dring­ling. Einem Flüchtling.«

Sie ist sich sicher: »Es ist die­se Art von ent­schlos­se­nem, fach­kun­di­gem und mit­füh­len­dem Enga­ge­ment, das den wah­ren Unter­schied im Leben der Men­schen macht, für die sie kämp­fen«, so Tesfaiesus.

(hk, wr)

Die Stif­tung PRO ASYL ver­leiht den Men­schen­rechts­preis seit 2006 jähr­lich an Per­so­nen, die sich in her­aus­ra­gen­der Wei­se für die Ach­tung der Men­schen­rech­te und den Schutz von Flücht­lin­gen ein­set­zen. Der Preis ist mit 5.000 Euro und einer Skulp­tur des Künst­lers Ari­el Aus­len­der, Pro­fes­sor an der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät Darm­stadt, dotiert. Eine Über­sicht über bis­he­ri­ge Preisträger*innen fin­det sich hier.

Dr. Neil Fal­zon ist Grün­der und Direk­tor der adit­us foun­da­ti­on. Er lehrt als Dozent für Men­schen­rechts­fra­gen an der Uni­ver­si­tät von Mal­ta und koor­di­niert den Flücht­lings­rat von Mal­ta. Zuvor lei­te­te er das mal­te­si­sche Büro des UNHCR.