26.09.2023
Image
Menschen mit Fluchterfahrung benötigen psychosoziale Unterstützung, viele haben traumatische Erfahrungen gemacht. Bild: Unsplash

Die Bundesregierung will 2024 die Mittel für die psychosoziale Betreuung geflüchteter Menschen um knapp 60 Prozent kürzen. Psychologin und Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Janina Meyeringh sieht die psychosozialen Beratungsstrukturen in Deutschland in Gefahr und warnt vor schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen.

War­um ist psy­cho­so­zia­le Bera­tung für Geflüch­te­te so wichtig?

Die Zah­len im psy­cho­so­zia­len Ver­sor­gungs­be­richt 2023 der Bun­des­wei­ten Arbeits­ge­mein­schaft der Psy­cho­so­zia­len Zen­tren für Flücht­lin­ge und Fol­ter­op­fer (BAfF e.V.) zei­gen, dass 87 Pro­zent der geflüch­te­ten Men­schen in Deutsch­land trau­ma­ti­sche Ereig­nis­se erlebt haben und etwa 30 Pro­zent unter Trau­ma-Fol­ge­stö­run­gen lei­den. Zudem haben Geflüch­te­te oft wei­te­re Risi­ko­fak­to­ren, psy­chisch zu erkran­ken: Zum Bei­spiel Man­gel an sozia­ler Unter­stüt­zung, pre­kä­re Wohn­ver­hält­nis­se, Ver­lust von Res­sour­cen, mas­si­ve Unsi­cher­heit. Des­halb ist es gera­de für die­se Grup­pe wich­tig, nach Ankunft in Deutsch­land zeit­nah psy­cho­so­zi­al bera­ten und behan­delt zu wer­den. In unse­rer lang­jäh­ri­gen Arbeit sehen wir: Je zeit­na­her die Men­schen unter­stützt wer­den, des­to höher ist die Wahr­schein­lich­keit, dass schwe­re Krank­heits­ver­läu­fe ver­mie­den wer­den. Wenn wir unse­re Arbeit zeit­nah begin­nen, kön­nen wir vor­beu­gen, dass die trau­ma­ti­sier­ten Men­schen ungüns­ti­ge Stress­be­wäl­ti­gungs­stra­te­gien ent­wi­ckeln. Dies hat Ein­fluss auf ihr Ankom­men und ihre Inte­gra­ti­on, sprich auf Schu­le, Beruf und Aus­bil­dung. Da hängt unglaub­lich viel dran.

Hier­bei spie­len die psy­cho­so­zia­len Zen­tren eine sehr wich­ti­ge Rol­le, da sie bedarfs­ori­en­tiert arbei­ten und ganz­heit­li­che Ansät­ze ver­fol­gen, also die zum Teil kom­ple­xe Gesamt­si­tua­ti­on der Men­schen im Blick haben. Vie­le haben mehr­mals Trau­ma­ta erlebt, im Her­kunfts­land, auf der Flucht und auch in Euro­pa. Der Ansatz der psy­cho­so­zia­len Zen­tren hat sich in die­sen Fäl­len sehr bewährt.

Wie sieht die der­zei­ti­ge Ver­sor­gungs­la­ge aus, gibt es genug psy­cho­so­zia­le Angebote? 

Die größ­te Her­aus­for­de­rung unse­rer Arbeit ist der rie­si­ge Bedarf. Wir bekom­men unglaub­lich vie­le Anfra­gen, müs­sen aber lei­der vie­le Men­schen abwei­sen. In den The­ra­pien behan­deln wir momen­tan nur noch die schlimms­ten Fäl­le. Der Fach­kräf­te­man­gel spielt eine gro­ße Rol­le in unse­rer Arbeit, zusätz­lich kämp­fen wir von Jahr zu Jahr mit der Finan­zie­rungs­si­cher­heit. Das bin­det unglaub­lich vie­le Res­sour­cen, so dass noch weni­ger Zeit für die Men­schen bleibt. Es ist absurd, dass wir kei­ne dau­er­haf­te Finan­zie­rung haben, son­dern jähr­lich dar­um kämp­fen müs­sen. Des­halb sind die Stel­len bei uns auch sehr unat­trak­tiv für Fach­per­so­nal, das sich beruf­li­che Sicher­heit wünscht.

Was pas­siert mit den Men­schen, die Behand­lungs­be­darf haben, aber nicht behan­delt wer­den können?

Das ist dra­ma­tisch, dann pas­siert genau das, was ich am Anfang gesagt habe: Die Sym­pto­ma­tik ver­stärkt und ver­fes­tigt sich zum Teil so sehr, dass spä­te­re The­ra­pien immer lang­wie­ri­ger wer­den. Die Men­schen lau­fen Gefahr, lebens­lang psy­chisch schwer belas­tet zu sein, da darf ich gar nicht drü­ber nach­den­ken. Wenn Men­schen in einer aku­ten Stress­si­tua­ti­on sind und nicht wis­sen, wie sie damit umge­hen sol­len, dann grei­fen sie in der Regel zu kurz­fris­ti­gen Stress­be­wäl­ti­gungs­stra­te­gien. Die­se beinhal­ten nicht sel­ten, kurz­fris­tig wir­ken­de, aber oft­mals schä­di­gen­de Ver­hal­tens­mus­ter. So fan­gen zum Bei­spiel vie­le Jugend­li­che an, sich zu rit­zen, um den Druck los­zu­wer­den. Wenn aber die belas­te­ten Men­schen zeit­nah nach ihrer Ankunft behan­delt wer­den, ler­nen sie in der Regel, ande­re Stress­be­wäl­ti­gungs­stra­te­gien zu ent­wi­ckeln, die weder ihnen noch ande­ren schaden.

Hast du seit 2015 eine Ver­än­de­rung in der psy­chi­schen Belas­tung, beson­ders bei geflüch­te­ten Jugend­li­chen beob­ach­ten können?

Lei­der ja. Die erleb­ten Trau­ma­ta auf der Flucht, abge­se­hen von denen im Her­kunfts­land, wer­den immer mehr, sowohl bei Jugend­li­chen als auch bei Fami­li­en und Erwach­se­nen. Auf den Flucht­we­gen, die schwie­ri­ger und län­ger gewor­den sind, fin­den viel mehr Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen statt, als noch 2015, zuneh­mend auch inner­halb der EU. Das macht was mit den Men­schen. Sie flie­hen vor Krie­gen und Dik­ta­tur zu einem Ort, an dem sie glau­ben, dass die Men­schen­rech­te gel­ten. Die erleb­ten erneu­ten Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen auf dem Weg sind ein Schock und beför­dern die Trau­ma­ta. Durch die Abschot­tung gegen Geflüch­te­te kom­men nicht weni­ger, son­dern sehr viel mehr psy­chisch belas­te­te Men­schen an. 2015 waren es bei mir in der Bera­tung im Schnitt ein bis zwei Jugend­li­che von zehn mit Fol­ter­er­fah­rung. Heu­te sind es acht von zehn. Und die Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen fin­den sehr häu­fig nicht nur im Her­kunfts­land statt, son­dern auch in Euro­pa oder an der Gren­ze zur EU.

Noch­mal auf die Finan­zie­rung zurück­kom­men: Wie bewer­test du die aktu­el­len Finanz­pla­nun­gen des Bun­des, die noch weni­ger Aus­ga­ben für die psy­cho­so­zia­len Zen­tren für Geflüch­te­te vor­se­hen, als bis­her schon?

Die anste­hen­den Kür­zun­gen sind für die Arbeit und die Men­schen, die Hil­fe brau­chen, kata­stro­phal. Was wir brau­chen ist eine finan­zi­el­le Struk­tur­för­de­rung über Bund und Län­der der bereits eta­blier­ten Zen­tren, die sich bewährt haben. Im letz­ten Jahr wur­den auf Grund der ursprüng­li­chen Finanz­pla­nung der Bun­des­re­gie­rung Struk­tu­ren auf­ge­baut und Fach­per­so­nal ein­ge­stellt. All dies nun wie­der abzu­bau­en ist ein­fach absurd. Für die Men­schen, die bei uns in Behand­lung sind, dro­hen dadurch Behand­lungs­ab­brü­che, weil wir Per­so­nal ent­las­sen müs­sen. Ande­re, vor allem klei­ne­re psy­cho­so­zia­le Bera­tungs­struk­tu­ren wird es noch här­ter tref­fen. Sie wer­den kaputt gehen, soll­te die ver­kürz­te Finan­zie­rung so umge­setzt wer­den, wie der­zeit geplant.

Das Grund­pro­blem ist das kurz­fris­ti­ge Den­ken in der Poli­tik, dort feh­len lang­fris­ti­ge Pla­nun­gen und Kon­zep­te. Dabei fal­len psy­chisch erkrank­te Men­schen mit Flucht­ge­schich­te schnell hin­ten run­ter. Das hat fata­le Aus­wir­kun­gen auf die Men­schen, aber auch auf die Gesellschaft.

Frau Meye­ringh hat die Fach­lei­tung für Xen­ion e.V. inne, einem in Ber­lin ansäs­si­gen psy­cho­so­zia­len Behand­lungs­zen­trum für trau­ma­ti­sier­te Geflüch­te­te sowie für Opfer von Fol­ter, Krieg und ande­ren schwe­ren Menschenrechtsverletzungen.

(nb)