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Mehr Traumata bei Geflüchteten, weniger Geld für psychosoziale Hilfsstrukturen
Die Bundesregierung will 2024 die Mittel für die psychosoziale Betreuung geflüchteter Menschen um knapp 60 Prozent kürzen. Psychologin und Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Janina Meyeringh sieht die psychosozialen Beratungsstrukturen in Deutschland in Gefahr und warnt vor schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen.
Warum ist psychosoziale Beratung für Geflüchtete so wichtig?
Die Zahlen im psychosozialen Versorgungsbericht 2023 der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF e.V.) zeigen, dass 87 Prozent der geflüchteten Menschen in Deutschland traumatische Ereignisse erlebt haben und etwa 30 Prozent unter Trauma-Folgestörungen leiden. Zudem haben Geflüchtete oft weitere Risikofaktoren, psychisch zu erkranken: Zum Beispiel Mangel an sozialer Unterstützung, prekäre Wohnverhältnisse, Verlust von Ressourcen, massive Unsicherheit. Deshalb ist es gerade für diese Gruppe wichtig, nach Ankunft in Deutschland zeitnah psychosozial beraten und behandelt zu werden. In unserer langjährigen Arbeit sehen wir: Je zeitnaher die Menschen unterstützt werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass schwere Krankheitsverläufe vermieden werden. Wenn wir unsere Arbeit zeitnah beginnen, können wir vorbeugen, dass die traumatisierten Menschen ungünstige Stressbewältigungsstrategien entwickeln. Dies hat Einfluss auf ihr Ankommen und ihre Integration, sprich auf Schule, Beruf und Ausbildung. Da hängt unglaublich viel dran.
Hierbei spielen die psychosozialen Zentren eine sehr wichtige Rolle, da sie bedarfsorientiert arbeiten und ganzheitliche Ansätze verfolgen, also die zum Teil komplexe Gesamtsituation der Menschen im Blick haben. Viele haben mehrmals Traumata erlebt, im Herkunftsland, auf der Flucht und auch in Europa. Der Ansatz der psychosozialen Zentren hat sich in diesen Fällen sehr bewährt.
Wie sieht die derzeitige Versorgungslage aus, gibt es genug psychosoziale Angebote?
Die größte Herausforderung unserer Arbeit ist der riesige Bedarf. Wir bekommen unglaublich viele Anfragen, müssen aber leider viele Menschen abweisen. In den Therapien behandeln wir momentan nur noch die schlimmsten Fälle. Der Fachkräftemangel spielt eine große Rolle in unserer Arbeit, zusätzlich kämpfen wir von Jahr zu Jahr mit der Finanzierungssicherheit. Das bindet unglaublich viele Ressourcen, so dass noch weniger Zeit für die Menschen bleibt. Es ist absurd, dass wir keine dauerhafte Finanzierung haben, sondern jährlich darum kämpfen müssen. Deshalb sind die Stellen bei uns auch sehr unattraktiv für Fachpersonal, das sich berufliche Sicherheit wünscht.
Was passiert mit den Menschen, die Behandlungsbedarf haben, aber nicht behandelt werden können?
Das ist dramatisch, dann passiert genau das, was ich am Anfang gesagt habe: Die Symptomatik verstärkt und verfestigt sich zum Teil so sehr, dass spätere Therapien immer langwieriger werden. Die Menschen laufen Gefahr, lebenslang psychisch schwer belastet zu sein, da darf ich gar nicht drüber nachdenken. Wenn Menschen in einer akuten Stresssituation sind und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, dann greifen sie in der Regel zu kurzfristigen Stressbewältigungsstrategien. Diese beinhalten nicht selten, kurzfristig wirkende, aber oftmals schädigende Verhaltensmuster. So fangen zum Beispiel viele Jugendliche an, sich zu ritzen, um den Druck loszuwerden. Wenn aber die belasteten Menschen zeitnah nach ihrer Ankunft behandelt werden, lernen sie in der Regel, andere Stressbewältigungsstrategien zu entwickeln, die weder ihnen noch anderen schaden.
Hast du seit 2015 eine Veränderung in der psychischen Belastung, besonders bei geflüchteten Jugendlichen beobachten können?
Leider ja. Die erlebten Traumata auf der Flucht, abgesehen von denen im Herkunftsland, werden immer mehr, sowohl bei Jugendlichen als auch bei Familien und Erwachsenen. Auf den Fluchtwegen, die schwieriger und länger geworden sind, finden viel mehr Menschenrechtsverletzungen statt, als noch 2015, zunehmend auch innerhalb der EU. Das macht was mit den Menschen. Sie fliehen vor Kriegen und Diktatur zu einem Ort, an dem sie glauben, dass die Menschenrechte gelten. Die erlebten erneuten Menschenrechtsverletzungen auf dem Weg sind ein Schock und befördern die Traumata. Durch die Abschottung gegen Geflüchtete kommen nicht weniger, sondern sehr viel mehr psychisch belastete Menschen an. 2015 waren es bei mir in der Beratung im Schnitt ein bis zwei Jugendliche von zehn mit Foltererfahrung. Heute sind es acht von zehn. Und die Menschenrechtsverletzungen finden sehr häufig nicht nur im Herkunftsland statt, sondern auch in Europa oder an der Grenze zur EU.
Nochmal auf die Finanzierung zurückkommen: Wie bewertest du die aktuellen Finanzplanungen des Bundes, die noch weniger Ausgaben für die psychosozialen Zentren für Geflüchtete vorsehen, als bisher schon?
Die anstehenden Kürzungen sind für die Arbeit und die Menschen, die Hilfe brauchen, katastrophal. Was wir brauchen ist eine finanzielle Strukturförderung über Bund und Länder der bereits etablierten Zentren, die sich bewährt haben. Im letzten Jahr wurden auf Grund der ursprünglichen Finanzplanung der Bundesregierung Strukturen aufgebaut und Fachpersonal eingestellt. All dies nun wieder abzubauen ist einfach absurd. Für die Menschen, die bei uns in Behandlung sind, drohen dadurch Behandlungsabbrüche, weil wir Personal entlassen müssen. Andere, vor allem kleinere psychosoziale Beratungsstrukturen wird es noch härter treffen. Sie werden kaputt gehen, sollte die verkürzte Finanzierung so umgesetzt werden, wie derzeit geplant.
Das Grundproblem ist das kurzfristige Denken in der Politik, dort fehlen langfristige Planungen und Konzepte. Dabei fallen psychisch erkrankte Menschen mit Fluchtgeschichte schnell hinten runter. Das hat fatale Auswirkungen auf die Menschen, aber auch auf die Gesellschaft.
Frau Meyeringh hat die Fachleitung für Xenion e.V. inne, einem in Berlin ansässigen psychosozialen Behandlungszentrum für traumatisierte Geflüchtete sowie für Opfer von Folter, Krieg und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen.
(nb)