22.08.2025
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Foto: privat

Der Afghane Arash Assadullahi (25) ist 2015 vom Iran nach Deutschland geflohen. Seitdem hat er sich beruflich hochgearbeitet. Doch eines fehlt ihm zu seinem Glück: Seine Frau, die noch im Iran lebt und die die Bundesregierung nicht einreisen lässt. Er berichtet von seinem Leben in Deutschland und seinem Weg zu Bildung.

Als ich nach Deutsch­land kam, hat­te ich nur einen Ruck­sack bei mir – dar­in waren eine Jog­ging­ho­se, ein T‑Shirt und ein Paar Schu­he. Heu­te, eini­ge Jah­re spä­ter, habe ich zwei Schrän­ke vol­ler Klei­dung, aber nicht nur das: Ich habe gute Freun­de gefun­den, ein eige­nes Haus, Auto – ich habe mir alles auf­ge­baut und vie­les erreicht.

Mei­ne Ankunft in Deutsch­land begann mit den net­tes­ten Poli­zis­ten, die ich je getrof­fen habe. Ich war damals 16 Jah­re alt und in einer Grup­pe mit etwa zehn ande­ren Jugend­li­chen unter­wegs. Wir kamen in der Nähe von Pas­sau an. Eine Poli­zis­tin frag­te mich, in wel­cher deut­schen Stadt ich ger­ne leben wür­de. Ich kann­te nur eine: Frank­furt. Also ant­wor­te­te ich: »Frank­furt.«   Sie lächel­te: »Beau­tiful city.«  Und heu­te lebe ich in der Nähe von Frank­furt, im Lahn-Dill-Kreis, und in der Stadt Brandoberdorf.

Wir beka­men etwas zu essen – das Glei­che wie die Poli­zis­ten. Dann hieß es, wir müss­ten etwa drei Stun­den war­ten. Die Poli­zis­ten merk­ten, dass uns lang­wei­lig war, und schlu­gen vor, gemein­sam Fuß­ball zu spie­len. Wir lach­ten, spiel­ten – und die Zeit ver­ging wie im Flug. Schließ­lich setz­ten sie mich in einen Zug nach Frank­furt. Damals ging mir viel durch den Kopf: Was erwar­tet mich in Frank­furt? Wo wer­de ich schla­fen? Wie kom­me ich zur Schu­le? Was wird aus mei­ner Zukunft?

In Frank­furt wur­de ich vom Jugend­amt in einer gro­ßen Sport­hal­le unter­ge­bracht. Dort gab es Bet­ten, Duschen, Toi­let­ten – alles, was man zum Leben braucht. Einen Monat leb­te ich dort, zusam­men mit rund 300 ande­ren min­der­jäh­ri­gen Geflüch­te­ten. Die Betreue­rin­nen waren freund­lich und Tag und Nacht für uns da. Einen Monat spä­ter kam ich nach Groß-Gerau. Ich frag­te sofort beim Jugend­amt nach einem Schul­platz. Die Ant­wort lau­te­te: »Die Schu­len sind voll, es gibt lei­der kei­nen Platz. Bit­te war­te.«  Ein Monat ver­ging. Wie­der frag­te ich. Wie­der die­sel­be Ant­wort. Vier Mona­te spä­ter hat­ten 23 der 25 Jun­gen end­lich einen Schul­platz – nur ich und ein ande­rer nicht. Ich war trau­rig und demotiviert.

»Ich war der beste Auszubildende meines Fachs in ganz Frankfurt«

Doch ich hat­te Glück: Mit Anke hat­te ich eine groß­ar­ti­ge Betreue­rin. Sie glaub­te an mich, übte mit mir Deutsch und Mathe, moti­vier­te mich jeden Tag. Sie sah, wie sehr ich zur Schu­le woll­te und setz­te sich per­sön­lich dafür ein, dass ich an der Schu­le ihrer eige­nen Kin­der auf­ge­nom­men wur­de. End­lich wur­de mein Traum wahr: Ich durf­te zur Schu­le gehen. Die Freie Schu­le in Darm­stadt war eine wun­der­ba­re Schu­le mit groß­ar­ti­gen Lehr­kräf­ten und tol­len Mit­schü­lern. Was damals Frem­de waren, ist heu­te wie Fami­lie für mich. Und Anke wur­de für mich wie eine Mut­ter. Sie hat mir so viel gege­ben und beglei­tet mich bis heute.

Mein Ziel war zunächst der Real­schul­ab­schluss. Doch damals ent­schied die Bun­des­re­gie­rung, vie­le afgha­ni­sche Geflüch­te­te abzu­schie­ben. Aus Angst, selbst betrof­fen zu sein, ent­schied ich mich nach recht­li­cher Bera­tung für den Haupt­schul­ab­schluss. Mein Anwalt Vic­tor Pfaff ist ein Mensch mit Erfah­rung, Weit­blick und Herz. Er berät und unter­stützt mich bis heute.

Mit Unter­stüt­zung vie­ler deut­scher Fami­li­en berei­te­te ich mich inten­siv auf die Haupt­schul­prü­fung vor. Mit Erfolg: Mein Zeug­nis war vol­ler Ein­sen. Und ich fand auch eine Aus­bil­dungs­stel­le als Fach­kraft für Metall­tech­nik bei der Fir­ma Desta­co. Ich war über­glück­lich, als ich die Ein­la­dung zum Vor­stel­lungs­ge­spräch bekam und noch glück­li­cher, als ich die Zusa­ge hat­te. 2017 star­te­te ich mei­ne Aus­bil­dung und lern­te schnell. Mein Ziel war es, die Abschluss­prü­fung mit der Note Eins zu bestehen. Ich lern­te Tag und Nacht – und erreich­te mein Ziel: Ich war der bes­te Aus­zu­bil­den­de mei­nes Fachs in ganz Frankfurt.

»Ich war neugierig, wissbegierig, lernhungrig«

Nach der Aus­bil­dung wur­de ich über­nom­men. Ich arbei­te­te in der Mon­ta­ge, setz­te Pro­duk­te zusam­men, tes­te­te sie und küm­mer­te mich um Qua­li­täts­kon­trol­len. Ich war bei Kun­den wie BMW, Mer­ce­des und vie­len ande­ren und führ­te Prü­fun­gen und Schu­lun­gen vor Ort durch. Ich absol­vier­te eine Elek­tro­qua­li­fi­ka­ti­on und eine drei­wö­chi­ge Schweißausbildung.

Doch ich woll­te mehr. Ich war neu­gie­rig, wiss­be­gie­rig, lern­hung­rig. Ich begann die Meis­ter­schu­le, unter­stützt durch ein Sti­pen­di­um der IHK Frank­furt. Die zwei­jäh­ri­ge Wei­ter­bil­dung ver­än­der­te mich – fach­lich und per­sön­lich. Ich wur­de in die Ent­wick­lung der Fir­ma ver­setzt und war dar­auf­hin viel unter­wegs: In Frank­reich, Schwe­den, Chi­na, bald auch in den USA. In die­ser Zeit lern­te ich den Beruf des Auto­ma­ti­sie­rungs-tech­ni­kers ken­nen und war sofort begeis­tert. Ich bewarb mich an der Berufs­schu­le BSB Butz­bach und wur­de ange­nom­men. Heu­te pro­gram­mie­re ich SPS, arbei­te mit Python, erwei­te­re mein Fach­wis­sen jeden Tag und kann tech­ni­sche Pro­ble­me sicher lösen.

Post vom Amt: »Sie gelten nicht als besonders gut integriert«

2023 wag­te ich den nächs­ten Schritt: Ich kauf­te ein Haus im Lahn-Dill-Kreis. Im sel­ben Jahr mach­te ich mei­ner Freun­din im Iran einen Hei­rats­an­trag und wir hei­ra­te­ten. Seit­dem ver­su­chen wir, ein Visum für den Fami­li­en­nach­zug zu bean­tra­gen. Doch seit über zwei Jah­ren war­ten wir auf einen Ter­min beim Kon­su­lat in Tehe­ran. Es fällt mir schwer, auf mei­ne Frau zu war­ten. Die Distanz zwi­schen uns ist schmerz­haft – jeden Tag spü­re ich, wie sehr sie mir fehlt. Ihre Stim­me am Tele­fon trös­tet mich, aber sie ersetzt nicht ihre Nähe, ihre Prä­senz, das gemein­sa­me Leben, das wir füh­ren wollen.

Manch­mal ist es kaum aus­zu­hal­ten, dass wir durch äuße­re Umstän­de getrennt sind. Ich bin trau­rig, weil ich nichts lie­ber möch­te, als sie bei mir zu haben – hier, in Sicher­heit, in Deutsch­land, wo wir zusam­men neu anfan­gen könnten.

Trotz allem ver­lie­re ich die Hoff­nung nicht. Ich glau­be fest dar­an, dass der Moment kommt, an dem wir uns end­lich wie­der in die Arme schlie­ßen kön­nen – ohne Sor­gen, ohne War­ten, ohne Gren­zen. Bis dahin ver­su­che ich, stark zu blei­ben. Aber es ist schwer. Sehr schwer.

Ich bean­trag­te auch die deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit. Zwei Jah­re spä­ter erhielt ich die Rück­mel­dung: »Sie gel­ten nicht als beson­ders gut inte­griert – Sie müs­sen war­ten.«  Ich war ent­täuscht, aber nicht ent­mu­tigt. Ich habe gelernt: In Deutsch­land muss man manch­mal lan­ge warten.

»Ich habe viel Hilfe bekommen, heute gebe ich etwas davon zurück«

Inzwi­schen enga­gie­re ich mich ehren­amt­lich für jun­ge Geflüch­te­te in unse­rem Land­kreis. Ich über­set­ze bei Ter­mi­nen, beglei­te sie zu Behör­den und unter­stüt­ze sie im All­tag. Ich habe viel Hil­fe bekom­men, und heu­te gebe ich etwas davon zurück Vie­le von uns möch­ten ler­nen, hel­fen und etwas bei­tra­gen. Ich wer­de wei­ter­hin jeden Tag mein Bes­tes geben, mich wei­ter­ent­wi­ckeln und ein posi­ti­ver Teil die­ses Lan­des sein.

Ich lebe in Deutsch­land ohne mei­ne Fami­lie. Manch­mal ist das schwer. Aber ich habe neue Men­schen ken­nen­ge­lernt, die zu Fami­lie gewor­den sind: Kol­le­gen, Freun­de, Nach­barn. Sie geben mir Halt. Ich gebe nicht auf und hof­fe, dass auch mei­ne Frau bald zu mir zie­hen darf. Ich arbei­te wei­ter­hin bei Desta­co, besu­che drei­mal pro Woche die Berufs­schu­le, und in zwei Jah­ren wer­de ich mein Stu­di­um zum staat­lich geprüf­ten Auto­ma­ti­sie­rungs­tech­ni­ker abschließen.

Ich bin dank­bar. Dank­bar, dass Deutsch­land mich auf­ge­nom­men hat. Dank­bar, dass ich hier ler­nen, arbei­ten und leben darf. Dank­bar, dass ich ein Teil die­ser Gesell­schaft sein kann. Ich lie­be die­ses Land – und bin stolz, hier geblie­ben zu sein.