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»Ich bin dankbar, dass ich ein Teil dieser Gesellschaft sein kann«

Der Afghane Arash Assadullahi (25) ist 2015 vom Iran nach Deutschland geflohen. Seitdem hat er sich beruflich hochgearbeitet. Doch eines fehlt ihm zu seinem Glück: Seine Frau, die noch im Iran lebt und die die Bundesregierung nicht einreisen lässt. Er berichtet von seinem Leben in Deutschland und seinem Weg zu Bildung.
Als ich nach Deutschland kam, hatte ich nur einen Rucksack bei mir – darin waren eine Jogginghose, ein T‑Shirt und ein Paar Schuhe. Heute, einige Jahre später, habe ich zwei Schränke voller Kleidung, aber nicht nur das: Ich habe gute Freunde gefunden, ein eigenes Haus, Auto – ich habe mir alles aufgebaut und vieles erreicht.
Meine Ankunft in Deutschland begann mit den nettesten Polizisten, die ich je getroffen habe. Ich war damals 16 Jahre alt und in einer Gruppe mit etwa zehn anderen Jugendlichen unterwegs. Wir kamen in der Nähe von Passau an. Eine Polizistin fragte mich, in welcher deutschen Stadt ich gerne leben würde. Ich kannte nur eine: Frankfurt. Also antwortete ich: »Frankfurt.« Sie lächelte: »Beautiful city.« Und heute lebe ich in der Nähe von Frankfurt, im Lahn-Dill-Kreis, und in der Stadt Brandoberdorf.
Wir bekamen etwas zu essen – das Gleiche wie die Polizisten. Dann hieß es, wir müssten etwa drei Stunden warten. Die Polizisten merkten, dass uns langweilig war, und schlugen vor, gemeinsam Fußball zu spielen. Wir lachten, spielten – und die Zeit verging wie im Flug. Schließlich setzten sie mich in einen Zug nach Frankfurt. Damals ging mir viel durch den Kopf: Was erwartet mich in Frankfurt? Wo werde ich schlafen? Wie komme ich zur Schule? Was wird aus meiner Zukunft?
In Frankfurt wurde ich vom Jugendamt in einer großen Sporthalle untergebracht. Dort gab es Betten, Duschen, Toiletten – alles, was man zum Leben braucht. Einen Monat lebte ich dort, zusammen mit rund 300 anderen minderjährigen Geflüchteten. Die Betreuerinnen waren freundlich und Tag und Nacht für uns da. Einen Monat später kam ich nach Groß-Gerau. Ich fragte sofort beim Jugendamt nach einem Schulplatz. Die Antwort lautete: »Die Schulen sind voll, es gibt leider keinen Platz. Bitte warte.« Ein Monat verging. Wieder fragte ich. Wieder dieselbe Antwort. Vier Monate später hatten 23 der 25 Jungen endlich einen Schulplatz – nur ich und ein anderer nicht. Ich war traurig und demotiviert.
»Ich war der beste Auszubildende meines Fachs in ganz Frankfurt«
Doch ich hatte Glück: Mit Anke hatte ich eine großartige Betreuerin. Sie glaubte an mich, übte mit mir Deutsch und Mathe, motivierte mich jeden Tag. Sie sah, wie sehr ich zur Schule wollte und setzte sich persönlich dafür ein, dass ich an der Schule ihrer eigenen Kinder aufgenommen wurde. Endlich wurde mein Traum wahr: Ich durfte zur Schule gehen. Die Freie Schule in Darmstadt war eine wunderbare Schule mit großartigen Lehrkräften und tollen Mitschülern. Was damals Fremde waren, ist heute wie Familie für mich. Und Anke wurde für mich wie eine Mutter. Sie hat mir so viel gegeben und begleitet mich bis heute.
Mein Ziel war zunächst der Realschulabschluss. Doch damals entschied die Bundesregierung, viele afghanische Geflüchtete abzuschieben. Aus Angst, selbst betroffen zu sein, entschied ich mich nach rechtlicher Beratung für den Hauptschulabschluss. Mein Anwalt Victor Pfaff ist ein Mensch mit Erfahrung, Weitblick und Herz. Er berät und unterstützt mich bis heute.
Mit Unterstützung vieler deutscher Familien bereitete ich mich intensiv auf die Hauptschulprüfung vor. Mit Erfolg: Mein Zeugnis war voller Einsen. Und ich fand auch eine Ausbildungsstelle als Fachkraft für Metalltechnik bei der Firma Destaco. Ich war überglücklich, als ich die Einladung zum Vorstellungsgespräch bekam und noch glücklicher, als ich die Zusage hatte. 2017 startete ich meine Ausbildung und lernte schnell. Mein Ziel war es, die Abschlussprüfung mit der Note Eins zu bestehen. Ich lernte Tag und Nacht – und erreichte mein Ziel: Ich war der beste Auszubildende meines Fachs in ganz Frankfurt.
»Ich war neugierig, wissbegierig, lernhungrig«
Nach der Ausbildung wurde ich übernommen. Ich arbeitete in der Montage, setzte Produkte zusammen, testete sie und kümmerte mich um Qualitätskontrollen. Ich war bei Kunden wie BMW, Mercedes und vielen anderen und führte Prüfungen und Schulungen vor Ort durch. Ich absolvierte eine Elektroqualifikation und eine dreiwöchige Schweißausbildung.
Doch ich wollte mehr. Ich war neugierig, wissbegierig, lernhungrig. Ich begann die Meisterschule, unterstützt durch ein Stipendium der IHK Frankfurt. Die zweijährige Weiterbildung veränderte mich – fachlich und persönlich. Ich wurde in die Entwicklung der Firma versetzt und war daraufhin viel unterwegs: In Frankreich, Schweden, China, bald auch in den USA. In dieser Zeit lernte ich den Beruf des Automatisierungs-technikers kennen und war sofort begeistert. Ich bewarb mich an der Berufsschule BSB Butzbach und wurde angenommen. Heute programmiere ich SPS, arbeite mit Python, erweitere mein Fachwissen jeden Tag und kann technische Probleme sicher lösen.
Post vom Amt: »Sie gelten nicht als besonders gut integriert«
2023 wagte ich den nächsten Schritt: Ich kaufte ein Haus im Lahn-Dill-Kreis. Im selben Jahr machte ich meiner Freundin im Iran einen Heiratsantrag und wir heirateten. Seitdem versuchen wir, ein Visum für den Familiennachzug zu beantragen. Doch seit über zwei Jahren warten wir auf einen Termin beim Konsulat in Teheran. Es fällt mir schwer, auf meine Frau zu warten. Die Distanz zwischen uns ist schmerzhaft – jeden Tag spüre ich, wie sehr sie mir fehlt. Ihre Stimme am Telefon tröstet mich, aber sie ersetzt nicht ihre Nähe, ihre Präsenz, das gemeinsame Leben, das wir führen wollen.
Manchmal ist es kaum auszuhalten, dass wir durch äußere Umstände getrennt sind. Ich bin traurig, weil ich nichts lieber möchte, als sie bei mir zu haben – hier, in Sicherheit, in Deutschland, wo wir zusammen neu anfangen könnten.
Trotz allem verliere ich die Hoffnung nicht. Ich glaube fest daran, dass der Moment kommt, an dem wir uns endlich wieder in die Arme schließen können – ohne Sorgen, ohne Warten, ohne Grenzen. Bis dahin versuche ich, stark zu bleiben. Aber es ist schwer. Sehr schwer.
Ich beantragte auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Zwei Jahre später erhielt ich die Rückmeldung: »Sie gelten nicht als besonders gut integriert – Sie müssen warten.« Ich war enttäuscht, aber nicht entmutigt. Ich habe gelernt: In Deutschland muss man manchmal lange warten.
»Ich habe viel Hilfe bekommen, heute gebe ich etwas davon zurück«
Inzwischen engagiere ich mich ehrenamtlich für junge Geflüchtete in unserem Landkreis. Ich übersetze bei Terminen, begleite sie zu Behörden und unterstütze sie im Alltag. Ich habe viel Hilfe bekommen, und heute gebe ich etwas davon zurück Viele von uns möchten lernen, helfen und etwas beitragen. Ich werde weiterhin jeden Tag mein Bestes geben, mich weiterentwickeln und ein positiver Teil dieses Landes sein.
Ich lebe in Deutschland ohne meine Familie. Manchmal ist das schwer. Aber ich habe neue Menschen kennengelernt, die zu Familie geworden sind: Kollegen, Freunde, Nachbarn. Sie geben mir Halt. Ich gebe nicht auf und hoffe, dass auch meine Frau bald zu mir ziehen darf. Ich arbeite weiterhin bei Destaco, besuche dreimal pro Woche die Berufsschule, und in zwei Jahren werde ich mein Studium zum staatlich geprüften Automatisierungstechniker abschließen.
Ich bin dankbar. Dankbar, dass Deutschland mich aufgenommen hat. Dankbar, dass ich hier lernen, arbeiten und leben darf. Dankbar, dass ich ein Teil dieser Gesellschaft sein kann. Ich liebe dieses Land – und bin stolz, hier geblieben zu sein.