06.08.2014
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Ein Überlebender, der bei der mutmaßlichen Push-Back-Operation der griechischen Küstenwache seine Frau und drei Kinder verlor, bei der Ankunft in Piräus. Foto: Greek Forum of Refugees

Im Januar starben acht Kinder und drei Frauen im Schlepptau der griechischen Küstenwache. Nun wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt. Wir haben die Akten analysiert.

20. Janu­ar 2014. Ein mit 27 Flücht­lin­gen aus Afgha­ni­stan und Syri­en besetz­tes manö­vrier­un­fä­hi­ges Boot sank im Schlepp­tau der grie­chi­schen Küs­ten­wa­che.  Elf Men­schen ster­ben. Ver­mut­lich eine ille­ga­le Push-Back-Ope­ra­ti­on. Die Über­le­ben­den wer­fen der grie­chi­schen Küs­ten­wa­che vor, sie sei­en bei stür­mi­scher See mit hoher Geschwin­dig­keit zurück in Rich­tung Tür­kei gezo­gen wor­den. Die Küs­ten­wa­che behaup­tet, sie hät­te das Boot mit lang­sa­mer Fahrt in Rich­tung Farm­a­ko­ni­si geschleppt.

Jetzt hat die für die Mari­ne zustän­di­ge Staats­an­walt­schaft beschlos­sen, den  Farm­a­ko­ni­si-Fall  zu den Akten zu legen. Damit wird es nicht zu einer Ankla­ge gegen die betei­lig­ten Beam­ten der Küs­ten­wa­che kom­men. Die Ange­hö­ri­gen der Opfer und Über­le­ben­den sind scho­ckiert über die Ein­stel­lung der Ermitt­lun­gen und for­dern mit einem Apell Auf­klä­rung und Gerech­tig­keit für ihre Toten.

PRO ASYL hat die Fall­ak­ten ana­ly­siert. Das Ergeb­nis: Eine lücken­lo­se Auf­klä­rung hat nie statt­ge­fun­den, statt­des­sen gab es offen­kun­dig mas­si­ve Ver­tu­schun­gen von Sei­ten der grie­chi­schen Behörden.

Kei­ne tech­ni­schen Aufzeichnungen

Es exis­tie­ren kei­ner­lei tech­ni­sche Auf­zeich­nun­gen vom töd­li­chen Ein­satz: kei­ne GPS- und Radar­auf­zeich­nun­gen, kei­ne Doku­men­ta­ti­on der Tele­fon- und Funk­kom­mu­ni­ka­ti­on, kei­ne Fotos oder Film­auf­nah­men. Nach Anga­ben der Grenz­agen­tur Fron­tex wur­den auch kei­ne Daten im neu­en Grenz­über­wa­chungs­sys­tem EUROSUR eingespeist.

Das Flücht­lings­boot wur­de min­des­tens 15 Minu­ten geschleppt

Unstrit­tig ist, dass das klei­ne Fischer­boot von dem Küs­ten­wach­schiff gezo­gen wur­de. Unstrit­tig ist auch, dass das manö­vrier­un­fä­hi­ge Flücht­lings­boot von zwei Küs­ten­wach­be­am­ten betre­ten wur­de, um das Tau zu befes­ti­gen. Am Ein­satz betei­lig­te Beam­ten geben spä­ter zu Pro­to­koll, dass das Flücht­lings­boot nach der Befes­ti­gung des Taus zehn Minu­ten geschleppt wur­de. Nach dem die Ver­an­ke­rung geris­sen und das Tau not­dürf­tig neu befes­tigt wor­den war, wur­de das Flücht­lings­boot nach Anga­ben der Beam­ten noch ein­mal fünf Minu­ten gezo­gen. Das Flücht­lings­schiff ist also min­des­tens 15 Minu­ten im Schlepp­tau gewe­sen.   

Kei­ne Seenotrettungsmaßnahmen

Das Boot war unter Kon­trol­le der grie­chi­sche Küs­ten­wa­che, bevor es sank. Es gab man­nig­fal­ti­ge Mög­lich­kei­ten die Flücht­lin­ge zu ret­ten, es wur­den jedoch kei­ne See­not­ret­tungs­maß­nah­men ein­ge­lei­tet. Die Flücht­lin­ge wur­den nicht an Bord des Schiffs der Küs­ten­wa­che geholt, es wur­den noch nicht ein­mal Ret­tungs­wes­ten ausgeteilt.

Tau durch­schnit­ten

Das Flücht­lings­boot ken­ter­te, nach­dem sich um 02:13 Uhr die grie­chi­sche Küs­ten­wa­che – nach eige­nen Anga­ben – gezwun­gen sah, das Tau zu kap­pen, das ihr Schiff mit dem Flücht­lings­schiff ver­band. Das Boot wur­de mit den Frau­en und Kin­der unter Deck in die Tie­fe gerissen.

Ber­gung

Eine Mut­ter und ihr Sohn wur­den am dar­auf fol­gen­den Tag von der tür­ki­schen Küs­ten­wa­che tot gebor­gen, der Leich­nam eines Babys wur­de vor der Insel Samos Tage spä­ter. Die übri­gen acht toten Kör­per wur­den aus dem Rumpf des Schif­fes Wochen spä­ter gebor­gen. 16 Men­schen konn­ten sich auf das Küs­ten­wach­schiff retten.

Zeit­li­che Abläu­fe wur­den verändert

Die zustän­di­ge Hafen­be­hör­de von Leros berich­tet  am 20. Janu­ar 2014, dass das Flücht­lings­boot um 01:25 Uhr von der Küs­ten­wa­che auf­ge­grif­fen wur­de. In einer kor­ri­gie­ren­den Mel­dung am glei­chen Tag, sprach die Hafen­be­hör­de dann von einem Auf­griff um 02:00 Uhr – also 35 Minu­ten spä­ter. Die­se Dif­fe­renz von 35 Minu­ten ist von gro­ßer Bedeu­tung. Ein Auf­griff um 02:00 Uhr und das Sin­ken des Boo­tes um 02:13 wür­den bedeu­ten, dass in die­sen 13 Minu­ten zwei Beam­te an Bord gegan­gen sei­en müss­ten, danach das Boot 15 Minu­ten gezo­gen wur­de und dann noch die  16 Über­le­ben­den auf das Küs­ten­wach­boot hät­ten gelan­gen kön­nen. Die­se Dar­stel­lung des zeit­li­chen Ablau­fes ist bereits aus rein rech­ne­ri­schen Grün­den nicht möglich.

Kei­ne Seenotrettungsaktion

Die Behaup­tung der Küs­ten­wa­che, es habe sich um eine See­not­ret­tungs­ak­ti­on gehan­delt, deckt sich nicht mit der Ermitt­lungs­ak­te. Fakt ist: Die Küs­ten­wa­che hat erst um 02:13 Uhr, nach dem Unter­gang des Boo­tes, die zustän­di­ge Ein­satz­zen­tra­le für See­not­ret­tung in Pirä­us infor­miert. Vor­her  wur­de ledig­lich die für Grenz­über­wa­chung zustän­di­ge Ein­satz­zen­tra­le kon­tak­tiert. Es fand also auch for­mal kei­ne See­not­ret­tungs­ak­ti­on, son­dern ein Grenz­über­wa­chungs­ein­satz statt. 

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