25.08.2014
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Das Flüchtlingslager Harmanli in Bulgarien im Jahr 2013. Auch Majid Ibrahim* musste hier leben, doch er schaffte es nach Deutschland. Jetzt fürchtet er, dass er nach Bulgarien zurück muss. Foto: UNHCR

Majid Ibrahim* (25) flieht mit Mutter und Geschwistern aus Syrien. Sie schaffen es bis nach Bulgarien, doch dort sind sie Not und Elend ausgesetzt. Vor kurzem sind sie nach Deutschland weitergeflohen. Nun droht ihnen die Abschiebung. Wir sprachen mit Majid Ibrahim über geplatzte Träume, verlorene Zeit und die Not von Flüchtlingen in Bulgarien.

Was haben Sie in Syri­en gemacht bevor der Krieg ausbrach?

Ich habe Erd­öl- und Erd­gas­tech­nik in Homs stu­diert. Ich war fast fer­tig mit dem Stu­di­um, aber im Okto­ber 2013, auf mei­nem Weg nach Hau­se in die kur­di­schen Gebie­te, wur­de ich zusam­men mit ande­ren Stu­den­ten von einer Dschi­ha­dis­ten-Grup­pe als Gei­sel genommen.

Wur­den Sie von den Dschi­ha­dis­ten verfolgt?

Es gibt Kämp­fe zwi­schen Kur­den und Dschi­ha­dis­ten. Weil wir Kur­den sind, wur­den wir als Gei­seln genom­men und spä­ter gegen gefan­ge­ne Isla­mis­ten aus­ge­tauscht. Nach dem Gefan­ge­nen­aus­tausch wur­de aller­dings das Ver­steck der Dschi­ha­dis­ten bom­bar­diert. Die Isla­mis­ten dach­ten, dass wir den Ort ver­ra­ten haben und mir wur­de erzählt, dass sie uns des­halb suchen und sich an mei­ner Fami­lie rächen wol­len. Wir hat­ten gro­ße Angst. Dar­um muss­ten wir aus Syri­en fliehen.

Sie sind mit Ihrer Mut­ter und Ihren Geschwis­tern über die tür­kisch-bul­ga­ri­sche Gren­zen nach Euro­pa gekom­men. War­um sind Sie dann von Bul­ga­ri­en nach Deutsch­land gekommen?

Wir haben uns ent­schie­den nach Deutsch­land zu kom­men, weil hier die Kur­den gut behan­delt wer­den. In Bul­ga­ri­en wer­den Flücht­lin­ge nicht wie Men­schen behandelt.

Was haben Sie in Bul­ga­ri­en erlebt? 

Nach­dem wir die Gren­ze über­quert haben, wur­den wir auf­ge­grif­fen und in eine Sta­ti­on der Grenz­po­li­zei gebracht. Dort muss­ten wir in klei­nen Zel­len auf dem Boden schla­fen, ohne Decken. Es war sehr kalt. Es hat mich an Käfi­ge für Tie­re im Zoo erin­nert. Dort muss­ten wir fünf Tage blei­ben. Die Poli­zei behan­del­te uns sehr schlecht. Um ein Bei­spiel zu nen­nen: Ein klei­ner Jun­ge – viel­leicht zwei Jah­re alt – sah eine Was­ser­fla­sche auf dem Tisch des Poli­zis­ten. Das Kind hat­te gro­ßen Durst und hol­te sich die Fla­sche. Als der Poli­zist das sah, schubs­te er den Jun­gen bru­tal auf den Boden und nahm ihm die Fla­sche weg. Ich wur­de sehr wütend als ich das sah. Ande­re Flücht­lin­ge haben erzählt, dass sie von den Poli­zis­ten ver­prü­gelt wur­den. Sie haben uns behan­delt als ob wir kei­ne Men­schen wären. Für die waren wir nur Flücht­lin­ge, die Pro­ble­me machen.

Wie ging es nach der Gren­ze für euch weiter?

Im Okto­ber 2013 wur­den wir in ein Flücht­lings­la­ger nach Harm­an­li gebracht. Wir waren über­rascht, weil dort Con­tai­ner auf­ge­stellt waren, aber die waren alle schon voll mit Flücht­lin­gen. Wir wur­den in ein altes Mili­tär­zelt gebracht. Unge­fähr 250 Men­schen leb­ten in den Zel­ten. Die hyge­ni­schen Bedin­gun­gen waren  fürch­ter­lich. Es gab kei­nen Strom und es war sehr kalt. Um vier Uhr mor­gens wach­ten wir wegen der Käl­te auf und muss­ten Feu­er machen. Wir haben auch auf dem offe­nen Feu­er gekocht. Die Decken, die sie uns gaben waren schmut­zig und rochen stark nach Naph­tha­lin. In den ers­ten Tagen wur­den fünf Kin­der des­we­gen krank. Es gab aber kei­nen Arzt in dem Lager.

Wie habt ihr dann medi­zi­ni­sche Hil­fe erhalten?

Wenn jemand zum Arzt woll­te, muss­te er außer­halb des Flücht­lings­la­gers danach suchen. Aber es war ver­bo­ten das Lager zu ver­las­sen. Das ging nur mit Bestechung. Den Arzt muss­ten die Leu­te auch bezahlen.

Wie lan­ge wart ihr dort eingesperrt?

Ich war etwas mehr als drei Mona­te in dem Lager ohne es ver­las­sen zu dür­fen. Danach haben wir eine grü­ne Kar­te bekom­men und durf­ten das Lager verlassen.

Wie wur­det ihr versorgt?

Zu Beginn war Harm­an­li nicht wirk­lich ein Flücht­lings­la­ger, eher ein Platz an dem Men­schen zusam­men­ge­pfercht wur­den. Es gab ein­fach nichts, noch nicht ein­mal Essen. In dem Lager hat­ten ein paar Leu­te die Poli­zis­ten besto­chen und eine Art Markt eröff­net. Sie brach­te Din­ge ins Lager und ver­kauf­ten sie zu einem hohen Preis. Manch­mal das Drei­fa­che des nor­ma­len Prei­ses. In den ers­ten zwei­ein­halb Mona­ten haben alle Leu­te ihr Erspar­tes für Essen und ande­re Din­ge ausgegeben.

Gab es kei­ne Unter­stüt­zung vom bul­ga­ri­schen Staat?

In Bul­ga­ri­en bekom­men Flücht­lin­ge nor­ma­ler­wei­se 65 Leva im Monat. Das sind 32 Euro – gera­de genug für viel­leicht eine Woche. Aber nicht ein­mal das haben sie uns anfangs gege­ben. Erst nach drei Mona­ten beka­men wir Geld.

Wie habt ihr es geschafft zu überleben?

Wir haben unse­re Ver­wand­ten gebe­ten, uns Geld zu schi­cken. Das müs­sen sie sich mal vor­stel­len. Wenn die uns aus Syri­en kein Geld gelie­hen hät­ten, hät­ten wir nicht überlebt.

Konn­tet ihr die Spra­che lernen?

Nein. Ich habe den Leu­ten vom UNCHR und ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen immer wie­der gesagt, dass wir ler­nen möch­ten. Wir hat­ten ja nichts zu tun: Nur essen und schla­fen, schla­fen und essen. Nach fünf Mona­ten kam ein Leh­rer  ins Lager, aber da hat­te ich schon mei­ne Papie­re und ent­schie­den, Bul­ga­ri­en zu verlassen.

Wur­de es bes­ser als Ihr Euren Sta­tus als Flücht­lin­ge erhal­ten habt?

Wenn du dei­nen Sta­tus bekommst, musst du ein Papier unter­schrei­ben. Dar­in steht: Inner­halb von 14 Tagen musst du das Lager ver­las­sen. Was machst du dann? Sie sagen ein­fach: Geh weg! Aber wohin? Nie­mand küm­mert sich um dich. Wir hat­ten kein Geld mehr, also habe ich wie­der Freun­de und Ver­wand­te gebe­ten uns zu hel­fen. Mit dem Geld konn­ten wir eine klei­ne Woh­nung mie­ten. Das ist sehr schwer: Sie neh­men die dop­pel­te Mie­te, wenn sie wis­sen das du ein Flücht­ling aus Syri­en bist.

Habt Ihr Ras­sis­mus erlebt?

Die Leu­te in Harm­an­li has­sen Flücht­lin­ge. Sie haben zwei oder drei Mal gegen Flücht­lin­ge demons­triert, wäh­rend wir dort waren. Aber an ande­ren Orten haben wir auch freund­li­che Men­schen getroffen.

Wie sah euer Leben aus nach­dem ihr das Lager ver­las­sen habt?

Nach­dem wir Harm­an­li ver­las­sen haben, haben wir die meis­te Zeit in der Woh­nung ver­bracht. Es gibt nichts zu tun dort. Es gab kei­ne Arbeit, kei­nen Sprach­kurs, nichts. Wir haben auch kei­ne Hil­fe vom Staat bekom­men. Wenn du einen Sta­tus hast, bekommst du nicht ein­mal mehr die 65 Leva im Monat. Dar­um sind wir nach Deutsch­land gekommen.

Ihr habt in Deutsch­land wie­der einen Asyl­an­trag gestellt, damit ihr nicht sofort nach Bul­ga­ri­en zurück­ge­schickt wer­det. Wie ist Eure Situa­ti­on jetzt?

Es ist die­sel­be Pro­ze­dur, ich mache wie­der die­sel­ben Din­ge. Ich bin müde davon. Schon wie­der  war­ten, war­ten und nichts zu tun. Ich wür­de ger­ne die Spra­che ler­nen, aber nie­mand bringt sie mir bei. Wir dür­fen ja auch nicht arbei­ten. So sind die Geset­ze. Ich möch­te nicht noch mehr Zeit ver­lie­ren. Ich möch­te mei­nen Abschluss machen und anfan­gen als Tech­ni­ker zu arbei­ten. Aber ich befürch­te, dass wir wie­der nach Bul­ga­ri­en abge­scho­ben wer­den. Wenn das pas­siert, weiß ich nicht mehr weiter.

*Name zum Schutz der Per­son geändert

 Bul­ga­ri­en: Kein Ort für Kriegs­flücht­lin­ge (30.05.14)

 Bul­ga­ri­en: Bru­ta­le Push-backs an der tür­ki­schen Gren­ze (25.04.14)