28.11.2023
Image
Das Titelbild der Ausstellung »Mensch Recht Kunst« zu 75 Jahren Allgemeiner Erklärung der Menschenrechte.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wird dieses Jahr 75 Jahre alt – und wir leben in einer Zeit, in der sie ständigen Angriffen ausgesetzt ist. Darum gibt es die Ausstellung Mensch Recht Kunst von PRO ASYL und dem BBK Frankfurt e.V. Zwei Protagonist*innen erzählen von ihrer Arbeit, ihrer Geschichte und den Hintergründen der Ausstellung.

Wir haben Inter­views mit Vik­tor Nai­mark und Vene­ra Kaza­ro­va geführt, die sich an der von der Stif­tung PRO ASYL und dem Berufs­ver­band Bil­den­der Künst­le­rin­nen & Künst­ler Frank­furt (BBK) orga­ni­sier­ten Aus­stel­lung betei­li­gen. Hier gibt es alle Infor­ma­tio­nen zur Aus­stel­lung in Frankfurt.

Interview mit Viktor Naimark

»Ent­we­der haben wir Men­schen Rech­te, und die sind all­ge­mein­gül­tig, oder wir haben kei­ne«

Vik­tor Nai­mark wur­de in St. Peters­burg gebo­ren, wuchs in der Sowjet­uni­on auf und lebt seit 1990 in Frank­furt. Er ist im Vor­stand des BBK Frank­furt e.V.

PRO ASYL: Vik­tor, wir ken­nen uns seit Jah­ren und kon­zi­pie­ren zusam­men die Aus­stel­lung »Mensch Recht Kunst«. Wann und wie bist du nach Deutsch­land gekom­men? Was ist dei­ne Lebensgeschichte?

Vik­tor Nai­mark: Nach Deutsch­land bin ich 1990 gekom­men, also als die Sowjet­uni­on noch exis­tier­te. Als zum ers­ten Mal ermög­licht wur­de, aus der Sowjet­uni­on über­haupt irgend­wo­hin zu fah­ren, bin ich mit einer Ein­la­dung von Freun­den nach Deutsch­land zu Besuch gekom­men. Und seit­dem bin ich da. Da wuss­te ich noch gar nicht, dass ich dann auch für immer blei­ben werde.

Mein Ziel war eigent­lich die USA. Offe­ne Welt hieß für uns damals Ame­ri­ka und über Deutsch­land wuss­te man nicht viel. Als ich schon in Deutsch­land war, wur­de dann ein Kon­tin­gent­flücht­lin­ge-Pro­gramm für jüdi­sche Men­schen aus Ost­eu­ro­pa auf­ge­legt, dadurch konn­te ich dann das Visum ver­län­gern. So bin ich dann ganz zufäl­li­ger­wei­se in Frank­furt geblie­ben, seit über 30 Jahren.

Mei­ne Mut­ter ist eine Über­le­ben­de des Holo­causts. Sie stammt aus Prag, wur­de nach The­re­si­en­stadt und von dort nach Ausch­witz depor­tiert, es war ein Wun­der, dass sie über­lebt hat. Danach wur­de sie dann von einem sowje­ti­schen Arzt adop­tiert und ins dama­li­ge Lenin­grad mit­ge­nom­men. Dort bin ich gebo­ren, aber als es mög­lich wur­de, ist sie wie­der zurück nach Prag gegan­gen, wo sie bis heu­te lebt. Sie hat Bücher über ihr Leben geschrie­ben und auch das Bun­des­ver­dienst­kreuz für ihren Ein­satz für die deutsch-tsche­chi­schen Bezie­hun­gen erhal­ten. Ich selbst habe an der berühm­ten Kunst­aka­de­mie in Sankt Peters­burg Kunst und Archi­tek­tur studiert.

»Men­schen­rech­te sind für vie­le unse­rer Mit­glie­der kei­ne abs­trak­te Vor­stel­lung, son­dern sie wis­sen sehr kon­kret, was dort pas­siert, wo sie kei­ne Gül­tig­keit haben.«

Vik­tor Naimark

In Frank­furt bist du seit vie­len Jah­ren im Vor­stand vom Berufs­ver­band Bil­den­der Künst­le­rin­nen und Künst­ler und hast immer wie­der das The­ma Asyl und Men­schen­rech­te in dei­ne eige­ne Arbeit ein­ge­bracht. Ich erin­ne­re mich an Gesprä­che über eine Rei­se von dei­ner Frau und dir nach Sizi­li­en und die Fra­ge, wie Euro­pa mit Geflüch­te­ten umgeht.

Beim BKK sehen wir uns als Gestal­ter und Teil der Gesell­schaft, dem es nicht egal ist, was rund­her­um pas­siert. Bei uns sind Men­schen aus über 30 Natio­nen Mit­glied und jeder bringt sei­ne eige­ne Geschich­te mit, die oft nicht so rosig war. Vie­len geht daher nahe, was in der Welt pas­siert und Men­schen­rech­te sind für sie kei­ne abs­trak­te Vor­stel­lung, son­dern sie wis­sen sehr kon­kret, was dort pas­siert, wo sie kei­ne Gül­tig­keit haben. Wir machen daher auch poli­ti­sche Veranstaltungen.

Wie nimmst du im Moment gera­de die Situa­ti­on in Deutsch­land und Euro­pa beim The­ma Recht auf Asyl wahr? 

Ich wür­de sagen, die all­ge­mei­ne Situa­ti­on ist äußerst, äußerst kom­pli­ziert. Tei­le der Gesell­schaft sind offen­bar der Mei­nung, dass die Men­schen­rech­te nur für aus­ge­wähl­te Grup­pen gel­ten sol­len und nicht all­ge­mein­gül­tig sind. Und das, was wir in Euro­pa als Lebens­stan­dard emp­fin­den, soll auch in die­sem aus­ge­wähl­ten Kreis blei­ben. Aber wenn das in die­se Rich­tung wei­ter­geht, dann ver­lie­ren wir das Gan­ze. Ent­we­der haben wir Men­schen Rech­te, und die sind all­ge­mein­gül­tig, oder wir haben kei­ne. Des­halb sind wir auch bereit, für Men­schen­rech­te zu kämpfen.

Wir sehen, dass in Ungarn oder Polen die Frei­heit der Jus­tiz und die Pres­se­frei­heit nicht mehr kom­plett gewähr­leis­tet sind. Dass Grie­chen­land Schutz­su­chen­de zurück­schickt und auf dem Meer aus­setzt. Dass immer mehr Staa­ten in Euro­pa das Recht auf Asyl aus­höh­len wol­len. Kannst du etwas zur Ver­bin­dung dei­ner Arbeit mit die­sem The­ma erzählen?

Ich den­ke an die Aus­stel­lung »Asyl Men­schen­recht Bil­dung Exodus«. Ich weiß, was es bedeu­tet, ein Land zu ver­las­sen. Ich weiß, wie schwer es ist, woan­ders dann etwas Neu­es auf­zu­bau­en. Und als Künst­ler ver­su­che ich, mich auch künst­le­risch damit aus­ein­an­der­zu­set­zen. So sind dann meh­re­re Wer­ke ent­stan­den und dadurch auch ein Bild mit dem Titel »Exodus«, wo man einen Men­schen sieht, der alles, was ihm wert ist, ver­sucht, auf einer Kar­re mit zu schlep­pen. Mit dabei sind auch sei­ne Erin­ne­run­gen. Das ist ein Sym­bol für mich, was Exodus auf pri­va­ter Ebe­ne bedeu­tet. In unse­rem Ver­ein, in dem meh­re­re Künst­ler zusam­men­kom­men, die selbst geflo­hen sind, haben wir mehr­fach poli­ti­sche Aus­stel­lun­gen durch­ge­führt. Das The­ma Asyl ist uns nah und es ist ein The­ma, das in unse­rer Gesell­schaft immer wie­der hoch­kommt, weil der rech­te Flü­gel der Gesell­schaft immer wie­der ver­sucht, Ängs­te zu schüren.

»Wenn man sieht, wie Men­schen­rech­te immer wie­der infra­ge gestellt wer­den, dann muss man mit allen Kräf­ten etwas dage­gen tun.«

Vik­tor Naimark

Auch des­halb haben wir die Aus­stel­lung »Mensch Recht Kunst« und die grö­ße­re Ver­an­stal­tung zu 75 Jah­ren All­ge­mei­ner Erklä­rung der Men­schen­rech­te geplant.

Für mich ist die Linie ganz ein­fach: Men­schen­rech­te sind all­ge­mein­gül­tig, die kann man nicht geo­gra­fisch tren­nen oder als etwas Eli­tä­res ver­ste­hen. Und wenn man sieht – nicht nur in Deutsch­land, son­dern auch im Rest von Euro­pa oder in den USA – wie sie immer wie­der infra­ge gestellt wer­den, dann muss man mit allen Kräf­ten etwas dage­gen tun. Da sehe ich dann unse­ren Bei­trag, dass wir sol­che Ver­an­stal­tun­gen und Aus­stel­lun­gen orga­ni­sie­ren, dass wenigs­tens ein Podi­um für Dis­kus­sio­nen geschaf­fen wird. So dass man sieht, dass es Leu­te gibt, denen nicht egal ist, was passiert.

Interview mit Venera Kazarova 

»Das Asyl­recht ist die Mög­lich­keit für Men­schen wie mich, Schutz zu fin­den«

Vene­ra Kaza­ro­va wur­de in Russ­land gebo­ren, seit 2022 lebt und arbei­tet sie in Deutsch­land. Als Künst­le­rin, die sich gegen den Ukrai­ne-Krieg äußert, waren sie und ihre Fami­lie in ihrer Hei­mat nicht mehr sicher. 

PRO ASYL: Vene­ra, seit wann bist du in Deutsch­land? Wie­so und wie bist du hierhergekommen? 

Vene­ra Kaza­ro­va: Ich bin seit ein­ein­halb Jah­ren in Deutsch­land. Unmit­tel­bar nach Kriegs­be­ginn war für mich und mei­ne Fami­lie klar, dass in Russ­land alles gefähr­lich wird. Es gab plötz­lich vie­le Geset­ze mit Ein­schrän­kun­gen der Frei­heits­rech­te, gera­de auch für mich als Künst­le­rin. Ich möch­te mei­ne Mei­nung äußern und dabei kei­ne Angst haben, ver­haf­tet zu wer­den. Des­halb sind mei­ne Fami­lie und ich nach Deutsch­land gekom­men und haben Asyl beantragt.

Der ande­re Grund, war­um ich neben mei­ner poli­ti­schen Mei­nung hier bin, ist mei­ne Fami­lie. Mei­ne Freun­din und ich leben in einer gleich­ge­schlecht­li­chen Part­ner­schaft und wir haben einen Sohn. Das Leben für gleich­ge­schlecht­li­che Paa­re ist in Russ­land sehr gefähr­lich, beson­ders mit Kind. Man wird dort unter Druck gesetzt, dass einem das Kind weg­ge­nom­men wird, wenn man sich zum Bei­spiel gegen den Krieg äußert.

Du sprachst von ver­än­der­ten Geset­zen und von einem ver­stärk­ten Druck auch auf dich. Das war direkt nach Kriegs­be­ginn, als du als bekann­te Künst­le­rin öffent­lich den Krieg kri­ti­siert hast. 

Ja, hier bin ich unbe­kannt, aber in Russ­land war ich eine berühm­te Künst­le­rin und hat­te vie­le Kon­tak­te. Aber alle Ver­trä­ge wur­den gekün­digt, ich hat­te kei­nen Job und mei­ne Kura­to­rin hat gesagt, dass ich mich in einer sehr gefähr­li­chen Situa­ti­on befin­de. Ich sol­le nicht gegen die Regie­rung spre­chen und kei­ne Posts mehr auf Insta­gram tei­len. Ich habe mich dann ent­schie­den, dass wir sofort gehen.

Wir sind froh, dass du es geschafft hast, hier zu sein.

Ich bin froh für mei­nen Sohn, weil er hier eine bes­se­re Zukunft haben wird. Ja, hier ist nicht alles per­fekt und es gibt gro­ße Schwie­rig­kei­ten, aber ich mag Deutsch­land und ich bin sicher, dass es hier gut für ihn ist. Für mich ist es sehr schwer, von vor­ne anzu­fan­gen, nie­mand kennt mich hier. Ich bin zwar in Sicher­heit, aber ich habe kei­ne Auf­trä­ge, kei­ne Kon­tak­te. Aber ich bedaue­re nicht, geflo­hen zu sein. Das war ein rich­ti­ger Schritt.

Wie nimmst du in Deutsch­land die poli­ti­sche Dis­kus­si­on um das Recht auf Asyl wahr? Es gibt ja zuneh­mend Stim­men, die die Gren­zen schlie­ßen und kei­ne Schutz­su­chen­den mehr auf­neh­men wollen.

Ich den­ke, als Asyl­be­wer­be­rin bin ich nicht in der Rol­le, Deutsch­land hier zu kri­ti­sie­ren. Ich weiß, dass es schwer ist, weil vie­le Leu­te hier­her­kom­men. Aber natür­lich ist das Asyl­recht die Mög­lich­keit für Men­schen wie mich, die ver­folgt sind – etwa, weil sie in Russ­land den Krieg kri­ti­siert haben – Schutz zu finden.

»Für mich ist Deutsch­land wirk­lich ein sehr inter­es­san­tes Feld, weil hier so unter­schied­li­che Men­schen aus der gan­zen Welt her kom­men, mit sehr unter­schied­li­chen Hin­ter­grün­den, Kul­tu­ren und Religionen.«

Vene­ra Kazarova

In Deutsch­land leben ja sehr vie­le Geflüch­te­te aus ver­schie­de­nen Län­dern. Und wir hören auch immer wie­der, etwa in Bezug auf Flücht­lin­ge, die deser­tie­ren und nicht den Krieg wol­len, dass die Men­schen doch in ihrem Her­kunfts­land Wider­stand leis­ten müs­sen. Was sagst du zu die­sen Äuße­run­gen vor dem Hin­ter­grund dei­ner Lebensgeschichte?

Ich den­ke, dass es im Moment sinn­los ist, in Russ­land gegen die rus­si­sche Regie­rung zu kämp­fen. Wir ken­nen alle Bei­spie­le von Men­schen, die ihre Mei­nung gegen die Regie­rung geäu­ßert haben. Sie sind alle im Gefäng­nis. Und die Pro­pa­gan­da funk­tio­niert sehr gut: Mei­ner Mei­nung nach ist das das Pro­blem, dass der größ­te Teil der Gesell­schaft in Russ­land für die Regie­rung ist.

Es gibt auch zuneh­mend Sol­da­ten, die sich dem Krieg ent­zie­hen und die nicht mit­ma­chen wol­len bei einem völ­ker­rechts­wid­ri­gen Krieg. Aber in Deutsch­land erhal­ten sie nicht immer Asyl.

Je weni­ger Sol­da­ten an der Front, des­to bes­ser. Es ist ein gro­ßer Feh­ler, dass die Men­schen kein Asyl erhalten.

Wel­che Bot­schaft möch­test du noch an die Men­schen senden?

Als Künst­le­rin beschäf­ti­ge ich mich immer mit aktu­el­len The­men und da ich mich jetzt in Deutsch­land befin­de, inter­es­sie­ren mich auch die The­men, die hier statt­fin­den. Für mich als Mensch, der von außer­halb kommt, ist das Land wirk­lich ein sehr inter­es­san­tes Feld, weil hier so unter­schied­li­che Men­schen aus der gan­zen Welt her kom­men, mit sehr unter­schied­li­chen Hin­ter­grün­den, Kul­tu­ren und Reli­gio­nen, die alle gleich­zei­tig mitwirken.

Ich möch­te daher über mein Pro­jekt spre­chen: Ich freue ich mich sehr, beim Berufs­ver­band der Bil­den­den Künst­le­rin­nen und Künst­ler mei­ne Per­for­mance mit Hör­ge­rä­ten und Ohren zu zei­gen, die sich dar­um dreht, wie das »Mit­ein­an­der« funk­tio­nie­ren kann, wie unter­schied­li­che Men­schen mit unter­schied­li­chen Ver­ständ­nis­sen an einem Platz zusam­men­le­ben können.

(Inter­view: gb)

Die Aus­stel­lung läuft vom 8. – 23. Dezem­ber und wird am Frei­tag, 8. Dezem­ber um 18 Uhr in der Hanau­er Land­str. 89 in Frank­furt am Main eröffnet.