News
»Differenzierung ist aufwändig – aber anders geht es nicht«
»Mit- und weiterdenken, kritisch nachfragen und Dialoge führen« - das ist Programm bei Sookee, Berliner Musikerin mit queer-feministischer Haltung. Nicole Viusa und Marlene Becker haben die Rapperin interviewt.
PRO ASYL: Sookee, du hast unseren Appell »Zeit zu handeln« mitunterzeichnet. Wie kam es dazu?
Sookee: Im vergangenen Sommer wimmelte es ja nur so von guten und gutgemeinten Ausdrücken des Engagements öffentlicher Personen. Da gab es viele tolle Überraschungen. Hier und da roch es aber schlimm nach PR. Ich war unsicher, ob es überhaupt schlau wäre, sich in dieser Zeit über die Unterzeichnung eines solchen Papiers einzuschalten oder nicht. Ich bin seit einigen Jahren in antirassistisch-antifaschistischen Kontexten unterwegs, was sollte dann ein weiterer Appell noch bringen?
Befreundete Musiker, die auch enger mit PRO ASYL zusammenarbeiten, erzählten mir davon, und da es vor allem um die Unterzeichnung und keine Imagekampagne ging, war ich dann doch dabei. Ich bin Idealistin. Ich bin nicht willens aufzugeben. Da ist viel Platz im Spektrum zwischen autonomer Szene und arrivierten Institutionen.
Du bist auch Unterzeichnerin der Kampagne #ausnahmslos, die sich nach den Ereignissen der Silvesternacht in Köln vehement für die Rechte der Frauen, aber gleichzeitig auch gegen den aufflammenden Rassismus positioniert hat. Wie siehst du diese Debatte?
Mir war von Anfang an klar, wie eigentlich feministische Positionen gegen sexualisierte Gewalt an Frauen von Mitte-Konservativen und offen rechten Strukturen vereinnahmt wurden, um Stimmung gegen hier ankommende Geflüchtete und Menschen islamischen Glaubens (oder eben alle, die man dafür hält) zu machen.
»Rassismus und Sexismus lassen sich problemlos in ihrer Gleichzeitigkeit beleuchten, denn das Eine wird im Anderen sichtbar.«
Die Bildsprache und Headline-Hysterie so mancher Zeitung hob das Ganze noch in einen vermeintlich legitimen Rahmen. Obendrein schmetterten antifeministische Stimmen, dass die »jungen Netzfeministinnen« die Klappe halten würden, weil hier ihre »Lieblingsminderheit« zur Debatte stünde.
Ich war unheimlich froh, als Kübra Gümüsay, Emine Aslan, Anne Wizorek und andere dann zum Verfassen des #ausnahmslos-Statements einluden, um mit den Vorwürfen, Verallgemeinerungen und Einseitigkeiten aufzuräumen.
In der Diskussion um und nach Köln wurden Rassismus und Sexismus häufig gegeneinander ausgespielt. Was meinst du, wie kann eine gut geführte Diskussion aussehen?
Rassismus und Sexismus lassen sich problemlos in ihrer Gleichzeitigkeit beleuchten, denn das Eine wird im Anderen sichtbar. Das lässt sich vor allem an den Leerstellen erkennen: Die mediale Debatte suggerierte, dass die Betroffenen der Übergriffe aus der Silvesternacht weiße deutsche Frauen gewesen seien. Das ist nirgendwo verifiziert. Die mögliche Betroffenheit von deutschen oder migrantischen Frauen of Color wurde überhaupt nicht in das Geschehen gedacht.
Auch wurde den als »nordafrikanisch aussehend« beschriebenen Tätern eine mögliche deutsche Identität abgesprochen. Die ihnen vorgeworfene »Triebhaftigkeit«, die man »dem Flüchtling an sich« durch das Anerziehen »deutscher Werte« austreiben wollte, wurde im Zuge dessen kulturalisiert.
Weiterhin hegt die Gesellschaft in der Tendenz Zweifel, wenn es um die Glaubwürdigkeit von Betroffenen sexualisierter Gewalt geht. Dafür spricht die geringe Anzeigen- und noch geringere Verurteilungsquote bei Delikten in diesem Bereich. Aber selbst dieses Misstrauen wurde überwunden, da dem Stereotyp des Täters der Silvesternacht noch mehr Missgunst entgegenschlägt.
Sich dieser Verquickungen bewusst zu werden, ist meines Erachtens der Schlüssel zur Debatte. Differenzierung in einer komplexen Welt ist aufwändig. Aber anders geht es nicht.
Einerseits gibt es eine breite gesellschaftliche Unterstützung für Flüchtlinge, andererseits steigt die Gewalt gegen sie und die politische Debatte driftet nach rechts. Wie empfindest du das?
Viele antizipieren eine Stimmung wie zu Beginn der 1930er Jahre. Viele haben Angst davor, dass der Rechtsruck – europaweit – alle emanzipatorisch-humanistischen Kräfte aushebelt. Ich teile diese Sorge. Zumal die Debatte mit Angst arbeitet. Sicherlich haben sich zahlreiche Gewalt- und Sexualdelikte, die angeblich durch ankommende Geflüchtete begangen wurden, als Fake herausgestellt. Dennoch ist das Thema gesetzt und die Sensoren geschärft. Ich erwarte vom deutschen Staat konkrete Maßnahmen zum Schutz von Geflüchteten. Stattdessen wird ein Asylpaket nach dem nächsten geschnürt und der braune Mob kann in Ruhe attackieren, während die Rechten die Mikrofone dieses Landes nutzen, um den entsprechenden Soundtrack zu skandieren.
»Die offene Zivilgesellschaft muss einen langen Atem haben, um dem Rechtsruck Stand zu halten und weiterhin den Menschen im Menschen zu sehen.«
Diese Zeit kommt mir atemlos vor. Die Politik hetzt den Ereignissen hinterher. Meine Phantasie reicht derweil nicht aus, um ein Szenario auszudenken, das einen besonneneren Kurs brächte.
Ich kann nur hoffen, dass die Parteien links der Sozialdemokratie mit visionären, radikal-emanzipatorischen Themen in den Wahlkampf gehen, um eine Wende herbeizuführen. Gleichzeitig muss die offene Zivilgesellschaft einen langen Atem haben, um dem Rechtsruck Stand zu halten und weiterhin den Menschen im Menschen zu sehen. Und damit meine ich nicht die alten und neuen Nazis in ihren unterschiedlichsten Erscheinungen.
Wie nimmst du die Situation von geflüchteten Frauen in Deutschland wahr?
Ich meine, sie werden überwiegend unsichtbar gemacht oder auf weibliche Stereotype zurückgeworfen. Sie sind im besten Fall die schutzbedürftigen Schwangeren oder kapitalisierbaren potentiellen Pflegekräfte von morgen. Im Zuge der »Positivbeispiele« entlang von Aktivisten, Akademikern, Künstlern, Fachkräften (also allen, die als »integrationswillig« skizziert werden) tauchen sie nicht auf. Da ist sie wieder, die Gleichzeitigkeit.
Was denkst du, muss jetzt zivilgesellschaftlich passieren und welche Rolle kann dabei Musik spielen?
Kultur im Allgemeinen kann mit glücklichen Einzelbeispielen oder auch gutem Vorbild vorangehen. Menschen, die den Zeitgeist in ihrer kulturellen Äußerung bearbeiten, sind für die Orientierung unheimlich wichtig, denke ich.
Auf die Regierung ist kein Verlass, das ganze Thema in Ruhe zu bringen und den Menschen vom Überleben ins Leben zu helfen. Auch wenn das Ehrenamt und soziale Formen von Arbeit den Staat an der falschen Stelle entlasten, ist jede Person dringend vonnöten, die Gesellschaft außerhalb der Parlamente zu gestalten.
Unterstützt du konkret flüchtlingspolitische Projekte oder Initiativen?
Ich bin unheimlich froh, dass das von 100 Frauen aus Kultur und Wissenschaft gegründete Aktionsbündnis »Wir machen das« genau das eben Beschriebene leistet: Da, wo Merkel mit »Wir schaffen das« nur in Aussicht stellt und im Konjunktiv denkt, zeigen Menschen, wie die Praxis aussehen kann und dass das »Zusammenleben mit Menschen, die nach Deutschland kommen, auf Augenhöhe und auf Dauer möglich ist«. Weiterhin finde ich »Flüchtlinge Willkommen«, die Geflüchtete in den privaten Wohnraum vermitteln, unheimlich wertvoll.
(Dieser Text ist zuerst erschienen im Heft zum Tag des Flüchtlings 2016.)