01.09.2016

»Mit- und weiterdenken, kritisch nachfragen und Dialoge führen« - das ist Programm bei Sookee, Berliner Musikerin mit queer-feministischer Haltung. Nicole Viusa und Marlene Becker haben die Rapperin interviewt.

PRO ASYL: Soo­kee, du hast unse­ren Appell »Zeit zu han­deln« mit­un­ter­zeich­net. Wie kam es dazu?

Soo­kee: Im ver­gan­ge­nen Som­mer wim­mel­te es ja nur so von guten und gut­ge­mein­ten Aus­drü­cken des Enga­ge­ments öffent­li­cher Per­so­nen. Da gab es vie­le tol­le Über­ra­schun­gen. Hier und da roch es aber schlimm nach PR. Ich war unsi­cher, ob es über­haupt schlau wäre, sich in die­ser Zeit über die Unter­zeich­nung eines sol­chen Papiers ein­zu­schal­ten oder nicht. Ich bin seit eini­gen Jah­ren in anti­ras­sis­tisch-anti­fa­schis­ti­schen Kon­tex­ten unter­wegs, was soll­te dann ein wei­te­rer Appell noch bringen?

Befreun­de­te Musi­ker, die auch enger mit PRO ASYL zusam­men­ar­bei­ten, erzähl­ten mir davon, und da es vor allem um die Unter­zeich­nung und kei­ne Image­kam­pa­gne ging, war ich dann doch dabei. Ich bin Idea­lis­tin. Ich bin nicht wil­lens auf­zu­ge­ben. Da ist viel Platz im Spek­trum zwi­schen auto­no­mer Sze­ne und arri­vier­ten Institutionen.

Du bist auch Unter­zeich­ne­rin der Kam­pa­gne #aus­nahms­los, die sich nach den Ereig­nis­sen der Sil­ves­ter­nacht in Köln vehe­ment für die Rech­te der Frau­en, aber gleich­zei­tig auch gegen den auf­flam­men­den Ras­sis­mus posi­tio­niert hat. Wie siehst du die­se Debatte?

Mir war von Anfang an klar, wie eigent­lich femi­nis­ti­sche Posi­tio­nen gegen sexua­li­sier­te Gewalt an Frau­en von Mit­te-Kon­ser­va­ti­ven und offen rech­ten Struk­tu­ren ver­ein­nahmt wur­den, um Stim­mung gegen hier ankom­men­de Geflüch­te­te und Men­schen isla­mi­schen Glau­bens (oder eben alle, die man dafür hält) zu machen.

»Ras­sis­mus und Sexis­mus las­sen sich pro­blem­los in ihrer Gleich­zei­tig­keit beleuch­ten, denn das Eine wird im Ande­ren sichtbar.«

Die Bild­spra­che und Head­line-Hys­te­rie so man­cher Zei­tung hob das Gan­ze noch in einen ver­meint­lich legi­ti­men Rah­men. Oben­drein schmet­ter­ten anti­fe­mi­nis­ti­sche Stim­men, dass die »jun­gen Netz­fe­mi­nis­tin­nen« die Klap­pe hal­ten wür­den, weil hier ihre »Lieb­lings­min­der­heit« zur Debat­te stünde.

Ich war unheim­lich froh, als Kübra Gümü­say, Emi­ne Aslan, Anne Wiz­o­rek und ande­re dann zum Ver­fas­sen des #aus­nahms­los-State­ments ein­lu­den, um mit den Vor­wür­fen, Ver­all­ge­mei­ne­run­gen und Ein­sei­tig­kei­ten aufzuräumen.

In der Dis­kus­si­on um und nach Köln wur­den Ras­sis­mus und Sexis­mus häu­fig gegen­ein­an­der aus­ge­spielt. Was meinst du, wie kann eine gut geführ­te Dis­kus­si­on aussehen?

Ras­sis­mus und Sexis­mus las­sen sich pro­blem­los in ihrer Gleich­zei­tig­keit beleuch­ten, denn das Eine wird im Ande­ren sicht­bar. Das lässt sich vor allem an den Leer­stel­len erken­nen: Die media­le Debat­te sug­ge­rier­te, dass die Betrof­fe­nen der Über­grif­fe aus der Sil­ves­ter­nacht wei­ße deut­sche Frau­en gewe­sen sei­en. Das ist nir­gend­wo veri­fi­ziert. Die mög­li­che Betrof­fen­heit von deut­schen oder migran­ti­schen Frau­en of Color wur­de über­haupt nicht in das Gesche­hen gedacht.

Auch wur­de den als »nord­afri­ka­nisch aus­se­hend« beschrie­be­nen Tätern eine mög­li­che deut­sche Iden­ti­tät abge­spro­chen. Die ihnen vor­ge­wor­fe­ne »Trieb­haf­tig­keit«, die man »dem Flücht­ling an sich« durch das Aner­zie­hen »deut­scher Wer­te« aus­trei­ben woll­te, wur­de im Zuge des­sen kulturalisiert.

Wei­ter­hin hegt die Gesell­schaft in der Ten­denz Zwei­fel, wenn es um die Glaub­wür­dig­keit von Betrof­fe­nen sexua­li­sier­ter Gewalt geht. Dafür spricht die gerin­ge Anzei­gen- und noch gerin­ge­re Ver­ur­tei­lungs­quo­te bei Delik­ten in die­sem Bereich. Aber selbst die­ses Miss­trau­en wur­de über­wun­den, da dem Ste­reo­typ des Täters der Sil­ves­ter­nacht noch mehr Miss­gunst entgegenschlägt.

Sich die­ser Ver­qui­ckun­gen bewusst zu wer­den, ist mei­nes Erach­tens der Schlüs­sel zur Debat­te. Dif­fe­ren­zie­rung in einer kom­ple­xen Welt ist auf­wän­dig. Aber anders geht es nicht.

Einer­seits gibt es eine brei­te gesell­schaft­li­che Unter­stüt­zung für Flücht­lin­ge, ande­rer­seits steigt die Gewalt gegen sie und die poli­ti­sche Debat­te drif­tet nach rechts. Wie emp­fin­dest du das?

Vie­le anti­zi­pie­ren eine Stim­mung wie zu Beginn der 1930er Jah­re. Vie­le haben Angst davor, dass der Rechts­ruck – euro­pa­weit – alle eman­zi­pa­to­risch-huma­nis­ti­schen Kräf­te aus­he­belt. Ich tei­le die­se Sor­ge. Zumal die Debat­te mit Angst arbei­tet. Sicher­lich haben sich zahl­rei­che Gewalt- und Sexu­al­de­lik­te, die angeb­lich durch ankom­men­de Geflüch­te­te began­gen wur­den, als Fake her­aus­ge­stellt. Den­noch ist das The­ma gesetzt und die Sen­so­ren geschärft. Ich erwar­te vom deut­schen Staat kon­kre­te Maß­nah­men zum Schutz von Geflüch­te­ten. Statt­des­sen wird ein Asyl­pa­ket nach dem nächs­ten geschnürt und der brau­ne Mob kann in Ruhe atta­ckie­ren, wäh­rend die Rech­ten die Mikro­fo­ne die­ses Lan­des nut­zen, um den ent­spre­chen­den Sound­track zu skandieren.

»Die offe­ne Zivil­ge­sell­schaft muss einen lan­gen Atem haben, um dem Rechts­ruck Stand zu hal­ten und wei­ter­hin den Men­schen im Men­schen zu sehen.«

Die­se Zeit kommt mir atem­los vor. Die Poli­tik hetzt den Ereig­nis­sen hin­ter­her. Mei­ne Phan­ta­sie reicht der­weil nicht aus, um ein Sze­na­rio aus­zu­den­ken, das einen beson­ne­ne­ren Kurs brächte.

Ich kann nur hof­fen, dass die Par­tei­en links der Sozi­al­de­mo­kra­tie mit visio­nä­ren, radi­kal-eman­zi­pa­to­ri­schen The­men in den Wahl­kampf gehen, um eine Wen­de her­bei­zu­füh­ren. Gleich­zei­tig muss die offe­ne Zivil­ge­sell­schaft einen lan­gen Atem haben, um dem Rechts­ruck Stand zu hal­ten und wei­ter­hin den Men­schen im Men­schen zu sehen. Und damit mei­ne ich nicht die alten und neu­en Nazis in ihren unter­schied­lichs­ten Erscheinungen.

Wie nimmst du die Situa­ti­on von geflüch­te­ten Frau­en in Deutsch­land wahr?

Ich mei­ne, sie wer­den über­wie­gend unsicht­bar gemacht oder auf weib­li­che Ste­reo­ty­pe zurück­ge­wor­fen. Sie sind im bes­ten Fall die schutz­be­dürf­ti­gen Schwan­ge­ren oder kapi­ta­li­sier­ba­ren poten­ti­el­len Pfle­ge­kräf­te von mor­gen. Im Zuge der »Posi­tiv­bei­spie­le« ent­lang von Akti­vis­ten, Aka­de­mi­kern, Künst­lern, Fach­kräf­ten (also allen, die als »inte­gra­ti­ons­wil­lig« skiz­ziert wer­den) tau­chen sie nicht auf. Da ist sie wie­der, die Gleichzeitigkeit.

Was denkst du, muss jetzt zivil­ge­sell­schaft­lich pas­sie­ren und wel­che Rol­le kann dabei Musik spielen?

Kul­tur im All­ge­mei­nen kann mit glück­li­chen Ein­zel­bei­spie­len oder auch gutem Vor­bild vor­an­ge­hen. Men­schen, die den Zeit­geist in ihrer kul­tu­rel­len Äuße­rung bear­bei­ten, sind für die Ori­en­tie­rung unheim­lich wich­tig, den­ke ich.

Auf die Regie­rung ist kein Ver­lass, das gan­ze The­ma in Ruhe zu brin­gen und den Men­schen vom Über­le­ben ins Leben zu hel­fen. Auch wenn das Ehren­amt und sozia­le For­men von Arbeit den Staat an der fal­schen Stel­le ent­las­ten, ist jede Per­son drin­gend von­nö­ten, die Gesell­schaft außer­halb der Par­la­men­te zu gestalten.

Unter­stützt du kon­kret flücht­lings­po­li­ti­sche Pro­jek­te oder Initiativen?

Ich bin unheim­lich froh, dass das von 100 Frau­en aus Kul­tur und Wis­sen­schaft gegrün­de­te Akti­ons­bünd­nis »Wir machen das« genau das eben Beschrie­be­ne leis­tet: Da, wo Mer­kel mit »Wir schaf­fen das« nur in Aus­sicht stellt und im Kon­junk­tiv denkt, zei­gen Men­schen, wie die Pra­xis aus­se­hen kann und dass das »Zusam­men­le­ben mit Men­schen, die nach Deutsch­land kom­men, auf Augen­hö­he und auf Dau­er mög­lich ist«. Wei­ter­hin fin­de ich »Flücht­lin­ge Will­kom­men«, die Geflüch­te­te in den pri­va­ten Wohn­raum ver­mit­teln, unheim­lich wertvoll.

(Die­ser Text ist zuerst erschie­nen im Heft zum Tag des Flücht­lings 2016.)