29.01.2025
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Foto: picture alliance / REUTERS | Nadja Wohlleben

Mit zwei Anträgen und zwei Gesetzentwürfen will der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz diese Woche den Bundestag dazu bringen, eindeutig rechtswidrige Forderungen und Regeln zu beschließen. Für dieses Ziel nimmt er eine Zusammenarbeit mit der AfD in Kauf und gefährdet so die Demokratie. Die Brandmauer gegen die Rechtsextremen zerbröselt.

Update 29.01.2025, 18:30 Uhr: Der Fünf-Punk­te-Plan der Uni­on hat im Bun­des­tag die nöti­ge Mehr­heit gefun­den. Am Mitt­woch­abend stimm­ten 348 Abge­ord­ne­te für den Antrag von CDU/CSU, 345 dage­gen (zehn Ent­hal­tun­gen). Für die Mehr­heit sorg­ten 187 Abge­ord­ne­te von CDU/CSU, 75 AfD-Abge­ord­ne­te, 80 Ange­hö­ri­ge der FDP-Frak­ti­on sowie sechs frak­ti­ons­lo­se Abgeordnete.

Es hieß ein­mal, die CDU wol­le kei­nen Migra­ti­ons­wahl­kampf. Das wur­de zwar schon Anfang des Jah­res durch immer neue pro­ble­ma­ti­sche For­de­run­gen unter­lau­fen, doch nun ist ganz ein­deu­tig: Der CDU-Kanz­ler­kan­di­dat Fried­rich Merz setzt voll auf einen men­schen­rechts­wid­ri­gen Anti-Asyl-Kurs im Wahlkampf.

Nach der ent­setz­li­chen Tat von Aschaf­fen­burg bräuch­te die deut­sche Gesell­schaft eigent­lich Zeit, um inne­zu­hal­ten, um den zwei­jäh­ri­gen Yan­nis und den Mann zu betrau­ern, der Zivil­cou­ra­ge zeig­te und ein­schritt. Und es bräuch­te Zeit, in der Umstän­de der Tat rich­tig auf­ge­klärt und Schlüs­se dar­aus gezo­gen wer­den kön­nen, wie sol­che Taten künf­tig ver­hin­dert wer­den können.

Der CDU-Kanz­ler­kan­di­dat Fried­rich Merz setzt voll auf einen men­schen­rechts­wid­ri­gen Anti-Asyl-Kurs im Wahlkampf.

Doch statt­des­sen wird die Tat knall­hart für den Wahl­kampf instru­men­ta­li­siert. Merz kom­bi­niert For­de­run­gen aus alten CDU-Geset­zes­ver­schär­fungs­an­trä­gen mit dem aktu­el­len CDU-Wahl­pro­gramm und ver­sucht, in der auf­ge­heiz­ten Stim­mung mit den rechts­wid­ri­gen Vor­schlä­gen zu punk­ten. Beson­ders gefähr­lich: Er kün­dig­te bereits an, hier­für auch die Zustim­mung der Rechts­extre­men in Kauf zu neh­men und mit ihren Stim­men sei­ne Anträ­ge im Bun­des­tag durchzubringen.

Kon­kret geht es um fol­gen­de Initiativen:

  • Antrag zu einem Fünf-Punkte-Plan
  • Antrag zu einem »Sicher­heits­plan«
  • Neu­er Gesetz­ent­wurf zum The­ma Zurückweisungen
  • Gesetz­ent­wurf für ein soge­nann­tes Zustrom­be­gren­zungs­ge­setz vom Sep­tem­ber 2024

Die Ent­schlie­ßungs­an­trä­ge könn­ten am Mitt­woch, 29. Janu­ar 2025, nach der Regie­rungs­er­klä­rung von Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz, von der CDU zur Abstim­mung gebracht wer­den. Die Geset­zes­ent­wür­fe könn­ten am Frei­tag, 31. Janu­ar 2025, noch auf die Tages­ord­nung gesetzt wer­den – es sind schon Anträ­ge zur Migra­ti­ons­po­li­tik ange­mel­det. Die Gesetz­ent­wür­fe müss­ten dann aber noch in den Bun­des­rat, der Gesetz­ent­wurf für ein »Zustrom­be­gren­zungs­ge­setz« ist zustim­mungs­pflich­tig – und eine Mehr­heit im Bun­des­rat ist hier­für nicht sicher. So ist es höchst unwahr­schein­lich, dass die Geset­ze noch vor der Bun­des­tags­wahl am 23. Febru­ar final beschlos­sen wer­den. Die Rechts­extre­men und Völ­ki­schen haben bereits ihre Zustim­mung zuge­si­chert. Das Abstim­mungs­ver­hal­ten der demo­kra­ti­schen Par­tei­en im Bun­des­tag wird zei­gen, ob das letz­te Tabu fällt.

Das ist das gefährliche Kalkül der CDU/CSU beim Thema Zurückweisungen

Ganz vor­ne im aktu­el­len Wahl­kampf steht die Ankün­di­gung von Fried­rich Merz, am ers­ten Tag sei­ner Kanz­ler­schaft das gel­ten­de Recht aus­zu­set­zen und einen »fak­ti­schen Ein­rei­se­stopp« und Zurück­wei­sun­gen von schutz­su­chen­den Men­schen an allen Bin­nen­gren­zen zu erlas­sen. Das Kal­kül: Recht wird igno­riert, Gren­zen dicht gemacht, die Schen­gen-Frei­zü­gig­keit zer­legt, Grund­ge­setz, Völ­ker- und Uni­ons­recht zur Sei­te gescho­ben. Damit soll ein Domi­no­ef­fekt ent­ste­hen: Alle ande­ren Mit­glied­staa­ten sol­len gezwun­gen wer­den, die glei­chen rechts­wid­ri­gen Maß­nah­men zu ergrei­fen – bis hin zu den EU-Außengrenzen.

Die CDU/CSU nimmt das Leid der zurück­ge­sto­ße­nen Geflüch­te­ten bewusst in Kauf. Die häss­li­chen Bil­der sind gewünscht. Die Zurück­wei­sung aller Schutz­su­chen­den bedeu­tet, dass Opfer die­ser har­ten Poli­tik auch Fami­li­en mit Kin­dern sind.

Mit die­sem rein natio­na­lis­ti­schen Ansatz des mäch­tigs­ten Mit­glieds­lan­des der EU droht das bestehen­de euro­päi­sche Asyl­sys­tem zusam­men­zu­bre­chen. Die einst stol­ze Euro­pa­par­tei CDU ist unter der Füh­rung von Merz bereit, das Pro­jekt Euro­pa nach­hal­tig zu schädigen.

Eindeutig rechtswidrige Forderungen

Nicht nur beim The­ma Zurück­wei­sun­gen an den deut­schen Gren­zen ste­hen CDU/CSU nicht auf dem Boden des Geset­zes, tat­säch­lich ver­sto­ßen vie­le ihrer For­de­run­gen ein­deu­tig gegen euro­päi­sches oder inter­na­tio­na­les Recht oder gegen das Grund­ge­setz. Dass die CDU sich aber hier­von nicht stö­ren lässt, ist ein beun­ru­hi­gen­des Signal.

Die Vor­schlä­ge der CDU/CSU im Überblick:

Das Rei­sen ohne Grenz­kon­trol­len ist eine der größ­ten Errun­gen­schaf­ten der EU. Ent­spre­chend begrenzt sind die Mög­lich­kei­ten, rechts­kon­form Bin­nen­grenz­kon­trol­len ein­zu­füh­ren. Der Schen­ge­ner Grenz­ko­dex sieht nur in abso­lu­ten Aus­nah­me­fäl­len und als letz­te Hand­lungs­op­ti­on vor, dass bei kon­kre­ten Gefah­ren vor­über­ge­hend Bin­nen­grenz­kon­trol­len ange­ord­net wer­den kön­nen. Unbe­fris­te­te und dau­er­haf­te Grenz­kon­trol­len sind also euro­pa­rechts­wid­rig. Hin­zu kommt, dass Grenz­kon­trol­len inner­halb der EU immer auch poli­tisch bri­sant sind. Bereits die von der Ampel-Regie­rung kurz­fris­tig und an allen Bin­nen­gren­zen ein­ge­führ­ten Kon­trol­len führ­ten zu erheb­li­chen Irri­ta­tio­nen bei den Regie­run­gen der Nachbarländer.

Merz kün­digt an, am Tag 1 sei­nes Amts­an­tritts einen fak­ti­schen Ein­rei­se­stopp zu erlas­sen und schutz­su­chen­de Men­schen an den deut­schen Gren­zen abzu­wei­sen. Das sind soge­nann­te Push­backs, die gegen euro­päi­sches und inter­na­tio­na­les Recht ver­sto­ßen. Gel­ten­des Recht ist: Wenn ein Asyl­su­chen­der einen Asyl­an­trag an der deut­schen Gren­ze stellt, muss geprüft wer­den, ob er gefähr­det wird, wenn er in einen Dritt­staat oder in das Her­kunfts­land zurück­ge­schickt wird. Auch in Län­dern der EU gibt es immer wie­der men­schen­rechts­wid­ri­ge Zustän­de, die Rück­füh­run­gen in sie ver­bie­ten. Das EU-Recht gibt mit der Dub­lin-III-Ver­ord­nung zudem einen ein­deu­ti­gen Ver­fah­rens­weg vor, der beschrit­ten wer­den muss, wenn Asyl­su­chen­de in einen ande­ren EU-Mit­glied­staat gebracht wer­den sollen.

Die CDU/CSU argu­men­tiert, Zurück­wei­sun­gen sei­en bereits die Norm in der EU (zum Bei­spiel in Ita­li­en und Grie­chen­land), nur Deutsch­land agie­re als »Geis­ter­fah­rer« (so Thors­ten Frei, par­la­men­ta­ri­sche Geschäfts­füh­rer der CDU/C­SU-Bun­des­tags­frak­ti­on) in Euro­pa. Und CDU/CSU beru­fen sich auf eine angeb­li­che Not­la­ge nach Aus­nah­me­re­ge­lun­gen in Arti­kel 72 des Ver­trags über die Arbeits­wei­se der Euro­päi­schen Uni­on (AEUV): Die­se erlau­ben es Mit­glied­staa­ten, bei »außer­ge­wöhn­li­chen Umstän­den« natio­na­le Maß­nah­men zu tref­fen. Doch: Die Chan­cen, dass der Euro­päi­sche Gerichts­hof (EuGH) eine sol­che Not­la­ge aner­kennt, gel­ten als äußerst gering. Eine sol­che Nie­der­la­ge vor Gericht nimmt die Uni­on aber bil­li­gend in Kauf, weil sie erst ein­mal Fak­ten schaf­fen will.

Zuneh­mend wer­den in der Rhe­to­rik der CDU alle aus­rei­se­pflich­ti­gen Per­so­nen zu einer Gefahr sti­li­siert, ganz nach dem Vor­bild von Donald Trump, der aus­schließ­lich von »cri­mi­nal ali­ens« spricht, um so Angst zu schü­ren. Mit der For­de­rung, alle »voll­zieh­bar aus­rei­se­pflich­ti­gen« Per­so­nen inhaf­tie­ren zu wol­len, ist die CDU mit jeder Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on im Kon­flikt, da die Inhaf­tie­rung von Men­schen zur Flucht- und Migra­ti­ons­kon­trol­le stets nur als letz­tes Mit­tel ange­wen­det wer­den darf. Sie haben ja kei­ne Straf­tat began­gen, für die sie in Haft müss­ten. Eine sol­che Maß­nah­me wür­de Tau­sen­de Men­schen tref­fen, von denen vie­le einer Arbeit nach­ge­hen. Auch das deut­sche Grund­ge­setz setzt jeder Inhaf­tie­rung enge Grenzen.

Erneut unter­streicht die CDU ihre For­de­rung nach Abschie­bun­gen in die Kri­sen­län­der Syri­en und Afgha­ni­stan. In Afgha­ni­stan haben die Tali­ban einen Will­kür­staat mit rabia­ten Geset­zen und bru­ta­ler Bestra­fung auf­ge­baut. Bei Rück­kehr dro­hen Fol­ter und unmensch­li­che Behand­lung. Auch ist die huma­ni­tä­re Lage wei­ter­hin kata­stro­phal im Land. In Syri­en ist der lang­jäh­ri­ge Dik­ta­tor Assad zwar im Dezem­ber 2024 gestürzt wor­den. Doch weni­ger als zwei Mona­te nach die­sem his­to­ri­schen Ereig­nis ist noch völ­lig offen, in wel­che Rich­tung sich das Land ent­wi­ckeln wird, ob neue Kon­flik­te aus­bre­chen oder wirk­lich die Rech­te aller Min­der­hei­ten beach­tet wer­den. Nach vie­len Jah­ren des Bür­ger­kriegs ist die huma­ni­tä­re Lage wei­ter­hin sehr pre­kär. Des­we­gen blei­ben Abschie­bun­gen in bei­de Län­der völkerrechtswidrig.

Die CDU/CSU for­dert, dass die Bun­des­po­li­zei selbst­stän­dig Haft­an­trä­ge stel­len darf, wenn sie aus­rei­se­pflich­ti­ge Per­so­nen kon­trol­liert hat. In der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land sind poli­zei­li­che und staats­an­walt­schaft­li­che Befug­nis­se jedoch klar gere­gelt und getrennt, ins­be­son­de­re bei Ein­grif­fen in die per­sön­li­che Frei­heit. Die­se kla­re Tren­nung ist eine Leh­re aus dem Natio­nal­so­zia­lis­mus. In Deutsch­land kann kei­ne ein­zi­ge Poli­zei­be­hör­de einen Haft­be­fehl bean­tra­gen. Die Staats­an­walt­schaf­ten sind »Her­rin des Ver­fah­rens«. Des­we­gen liegt aus­schließ­lich bei ihnen das Recht, Haft­an­trä­ge bei Gericht zu stel­len. Die­ses Sys­tem der Gewal­ten­tei­lung und Über­prü­fung ist ein Grund­pfei­ler unse­res funk­tio­nie­ren­den Rechts­staats und darf nicht auf­ge­weicht werden.

Eine Abschaf­fung der Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung für sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­te ver­stößt gegen inter­na­tio­na­le, euro­päi­sche und deut­sche Rechts­nor­men. Die Euro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (Arti­kel 8) garan­tiert das Recht auf Ach­tung des Fami­li­en­le­bens. Ein gene­rel­les Ver­bot wür­de die­ses Recht ver­let­zen. Die UN-Kin­der­rechts­kon­ven­ti­on (Arti­kel 10) ver­pflich­tet Staa­ten, Anträ­ge auf Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung human und beschleu­nigt zu behan­deln. Ein Ver­bot wür­de dem Kin­des­wohl wider­spre­chen. Auch das Grund­ge­setz (Arti­kel 6: Schutz von Ehe und Fami­lie, sowie Arti­kel 1: Men­schen­wür­de) wür­de durch einen völ­li­gen Aus­schluss verletzt.

Das Ver­hin­dern des Fami­li­en­nach­zugs hat zudem gra­vie­ren­de sozia­le Fol­gen für Geflüch­te­te, die sich sowohl auf ihre per­sön­li­che Situa­ti­on als auch auf ihre Inte­gra­ti­on in die Gesell­schaft auswirken.

Wenn die Rech­te ein­zel­ner Grup­pen in Fra­ge gestellt wer­den, dann betrifft uns das alle.

Für PRO ASYL ist klar: Die Brandmauer muss stehen!

Die aktu­el­len Ent­wick­lun­gen machen vie­len Men­schen aktu­ell Angst. In wel­che Rich­tung ent­wi­ckelt sich unse­re Gesell­schaft? Was pas­siert mit unse­rer Demo­kra­tie? Für PRO ASYL ist klar: Flücht­lings­schutz und Demo­kra­tie gehö­ren zusam­men. Men­schen­rech­te gel­ten für alle gleich. Wenn die Rech­te ein­zel­ner Grup­pen in Fra­ge gestellt wer­den, dann betrifft uns das alle. Ange­sichts die­ser dra­ma­ti­schen Ent­wick­lung rufen wir dazu auf, die Wür­de schutz­su­chen­der Men­schen zu ver­tei­di­gen. Denn nur so bleibt die Men­schen­wür­de unver­äu­ßer­lich und gilt für uns alle!

(kk, wj)