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Deals mit Despoten: Wie Europa seine Werte opfert, um Fluchtbewegungen zu verringern
„Aus den Augen – aus dem Sinn“. Nach diesem Motto plant die EU Kooperationen mit ostafrikanischen Despoten, Diktatoren und gesuchten Kriegsverbrechern, um Flüchtlinge möglichst weit von Europa entfernt festzuhalten und sie sogar in die Verfolgerstaaten abzuschieben. Europas menschenrechtliche Grundwerte spielen offensichtlich keine Rolle mehr.
Laut geheimen EU-Dokumenten, die jetzt öffentlich gemacht wurden, sollen Schutzsuchende bereits in Afrika an der Weiterflucht nach Europa gehindert werden. Dazu wird mit den Regierungen von Ländern wie Eritrea, Somalia, Äthiopien oder dem Sudan verhandelt. Auch „Rückübernahmeabkommen“ mit menschenrechtlich fragwürdig agierenden afrikanischen Ländern will man forcieren.
In dem vertraulichen Protokoll des Treffens der Botschafter der EU-Staaten vom 23. März 2016, das dem ARD-Magazin Monitor vorliegt, heißt es, die besprochenen Informationen dürften „unter keinen Umständen an die Öffentlichkeit gelangen“. Dass die EU-Kommission und der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) an Plänen zur Abschaffung menschenrechtlicher Grundsätze arbeiten, sollte geheim gehalten werden.
Ostafrikanische Machthaber als Partner
Bereits am 30. März 2016 veröffentlichte die Organisation Statewatch drei der vier Länderberichte, welche bei dem Treffen diskutiert wurden. EU-Kommission und EAD legen darin Analysen und Empfehlungen vor, wie die Kooperation mit den Machthabern des Sudan, Äthiopiens und Somalia in den Bereichen „Migration, Mobilität und Rückübernahme“ intensiviert werden könnte. Der Länderbericht zu Eritrea konnte im Vorfeld nicht zugänglich gemacht werden.
Dass es sich bei den Wunschpartnern um menschenverachtende Diktatoren handelt, wird in Brüssel scheinbar nicht als Problem angesehen – obwohl z.B. 2008 vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ein Haftbefehl wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen Omar Al-Bashir, Machthaber im Sudan, erlassen wurde.
Abkommen trotz Menschenrechtsverletzungen
Im Fokus der EU stehen Pläne, Abschiebungen in die Länder zu forcieren, denn die „Lage im Rückführungsbereich“ sei „unbefriedigend“, so die Diagnose der Botschafter der EU-Staaten. Im Länderbericht zu Sudan wird beispielsweise darauf hingewiesen, dass die Rückführungsrate von abgelehnten Asylsuchenden mit 12% sehr gering sei, gleichzeitig gibt man aber zu, dass die Anerkennungsquote von sudanesischen Schutzsuchenden in Europa mit rund 55 Prozent relativ hoch ist.
Dass es sich bei den neuen EU-Kooperationspartnern um problematische Staaten handelt, zeigen auch die Anerkennungsquoten in Deutschland. Bei all diesen Staaten liegen sie bei deutlich über 20 Prozent, im Falle Somalias (81,6 Prozent bereinigte Schutzquote) und Eritreas (99,6 Prozent bereinigte Schutzquote) sogar noch erheblich höher.
Es gibt also gute Gründe, aus diesen Ländern zu fliehen. Die EU-Institutionen sind sich dessen bewusst, so heißt es im Dokument zu Äthiopien, das Europäische Parlament habe in seiner Resolution vom 21. Januar 2016 die äthiopische Regierung aufgrund schwerwiegender und verbreiteter Menschenrechtsverletzungen vehement kritisiert. EU-Kommission und EAD plädieren nichtsdestotrotz auch für die Verhandlung eines Rückübernahme-Abkommens mit Äthiopien.
Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden von Problemstaaten
Außerdem soll eine Mitwirkung der Staaten bei Migrationskontrollen und „Schlepperbekämpfung“ erreicht werden. Dazu will man die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden ausbauen, z.B. durch einen „verbesserten Informationsaustausch mit der Polizei“. Europa plant also tatsächlich, Flüchtlinge wieder ihren Verfolgern auszuliefern und diese auch noch dabei zu unterstützen, Flucht überhaupt zu verhindern.
Die EU betreibt knallharte Interessenpolitik und gibt die Menschenrechtsorientierung ihrer Außenpolitik auf.
Der Sudan bildet nach Ansicht der EU-Institutionen außerdem das – strategisch wichtige – Zentrum der „Migrations-Schmuggel-Route zwischen dem Horn von Afrika sowie Ostafrika und Libyen bzw. Ägypten“. Die sudanesische Regierung soll daher auch daran mitwirken, Migrations- und Fluchtbewegungen in Richtung Europa aufzuhalten. Dazu sollen die bestehenden Finanzrahmen genutzt werden, u.a. die Programme „Addressing Mixed Migration Flows in Eastern Africa” (6 Mio. Euro) und „Better Migration Management in the Horn of Africa” (40 Mio. Euro). Auch das Grenzmanagement an der libysch-sudanesischen Grenze soll verbessert werden, was auch für die Grenze zu Eritrea in Betracht gezogen wird.
Deals mit Menschenrechtsverletzern
Um dies zu erreichen, ziehen die EU-Institutionen weitgehende Zugeständnisse in Erwägung. Neben den finanziellen Anreizen will man auch politisch unterstützend tätig werden und beispielsweise die Lockerung der US-amerikanischen Sanktionen gegen den Sudan oder gar die Streichung des Landes „von der Liste terrorunterstützender Staaten“ erwirken.
Diese Strategie ist umso absurder, blickt man auf die Situation im Land: Der Sudan ist nach wie vor von gewalttätigen Konflikten erschüttert – insbesondere in Darfur und im Osten des Landes bestehen die Auseinandersetzungen fort, die Situation sei von Menschenrechtsverletzungen und einer sich dramatischen sozialen und wirtschaftlichen Situation geprägt, so der Länderbericht. Im Land leben laut UNHCR 3,1 Millionen Menschen als Binnenvertriebene.
Diktatoren als Flüchtlingsrechtsbeauftragte?
Das Modell ist nicht neu: die Regime am Horn von Afrika sollen in die europäische Migrations- und Flüchtlingskontrolle mit einbezogen werden. Dafür winkt die EU mit Anreizen und drückt bei Menschenrechtsverletzungen alle Augen zu. Als Gegenleistung für die Zusammenarbeit im Bereich Flüchtlings- und Migrationspolitik werden Wirtschaftshilfen oder Visaerleichterungen in Aussicht gestellt.
Mit dem im November 2014 lancierten Khartoum-Prozess wurden die Weichen für dieses neue Kapitel in Europas fatalen Deals mit autoritären Regimen aufgeschlagen. In den internen Dokumenten wird die sudanesische Regierung für ihre bisher „konstruktive Rolle“ im Khartoum Prozess gelobt.
Auf Anfrage von Monitor betonten sowohl die Europäische Kommission als auch der Auswärtige Dienst der EU (EAD), im Zentrum der Beziehung zu diesen Ländern stehe „der Schutz und die Förderung der Menschenrechte“. Tatsächlich betreibt die EU mit ihrer Politik der Externalisierung von Grenzkontrollen knallharte Interessenpolitik und gibt die Menschenrechtsorientierung ihrer Außenpolitik auf. Am Ende steht ein Pakt mit Despoten – gegen Flüchtlinge.