Stellungnahme an das Bundesverfassungsgericht zu den Grundleistungen des AsylbLG

Oktober 2022

Juris­ti­sche Stel­lung­nah­me: Der so genann­te »Grund­be­darf« – Kern­stück des Asyl­bLG, das die Sozi­al­leis­tun­gen für Geflüch­te­te regelt – ist intrans­pa­rent kon­stru­iert, nicht nach­voll­zieh­bar begrün­det, ins­ge­samt zu nied­rig und führt zu mas­si­ven Benach­tei­li­gun­gen für die Betrof­fe­nen. Das Gesetz ist damit im Ergeb­nis verfassungswidrig.

Mit dem Ver­fah­ren 1 BvL 5/21 steht im Jahr 2022/23 bereits das zwei­te lau­fen­de Ver­fah­ren gegen eine Rege­lung des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes vor einer Ent­schei­dung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts. Vor­ge­legt hat­te das Lan­des­so­zi­al­ge­richt Nie­der­sach­sen-Bre­men (L 8 AY 21/19, Beschluss vom 26. Jan. 2021), dass sei­ne Zwei­fel an der Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit des Geset­zes aus­führ­lich begrün­det hat. Mit die­ser Vor­la­ge steht das Kern­stück des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes, die so genann­ten Grund­leis­tun­gen nach § 3 Asyl­bLG, auf dem Prüfstand.

In die­sem Ver­fah­ren hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt PRO ASYL und ande­re ein­ge­la­den, eine Stel­lung­nah­me abzu­ge­ben. Für PRO ASYL hat der Rechts­an­walt und Sozi­al­rechts­exper­te Vol­ker Gerl­off eine 32-sei­ti­ge juris­ti­sche Stel­lung­nah­me ver­fasst. Er misst das Grund­leis­tungs­sys­tem des Asyl­bLG an den Vor­ga­ben des Ver­fas­sungs­ge­richts. Danach dür­fen die Asyl­bLG-Leis­tun­gen im Ver­gleich zur nor­ma­len Sozi­al­hil­fe nur dann ande­re sein, wenn der Gesetz­ge­ber nach­voll­zieh­bar ermit­telt hat und in einem trans­pa­ren­ten Ver­fah­ren bele­gen kann, dass die­se Grup­pe von Men­schen signi­fi­kant ande­re Bedar­fe als ande­re Men­schen hat (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10). Gerl­off kommt in sei­ner Ana­ly­se unter ande­rem zu fol­gen­den Erkenntnissen:

  • Die vor­ge­se­he­ne Bezugs­dau­er der gerin­gen „Grund­leis­tun­gen“ von regel­mä­ßig 15 (bzw. inzwi­schen 18) Mona­ten kann nicht als „vor­über­ge­hend“ oder kurz­zei­tig gerecht­fer­tigt werden.
  • Dem Grund­leis­tungs­sys­tem man­gelt es an Nor­men­klar­heit – weder Behör­den noch Betrof­fe­ne kön­nen ohne Wei­te­res nach­voll­zie­hen, wel­che Ansprü­che wie gewährt wer­den (müs­sen).
  • Die Aus­ga­be von Sach­leis­tun­gen führt in der Pra­xis zu einer Kür­zung: Die Betrof­fe­nen erhal­ten nicht das, was sie indi­vi­du­ell brauchen.
  • Die laut Gesetz »geson­dert« zu erbrin­gen­den Bedar­fe (etwa Haus­rat) sowie Ermes­sens­re­ge­lun­gen in § 6 füh­ren in der Pra­xis zu wei­te­ren Unklar­hei­ten und einer ekla­tant man­gel­haf­ten Unterversorgung.
  • Der Gesetz­ge­ber berück­sich­tigt nicht, dass geflüch­te­te Men­schen gera­de in der Anfangs­pha­se ihres Auf­ent­halts beson­de­re Bedar­fe haben kön­nen, wie etwa die kos­ten­in­ten­si­ve Über­set­zung von Dokumenten.
  • Im Unter­schied zu nor­ma­len Sozi­al­leis­tungs­emp­fän­gern kön­nen Geflüch­te­te, die einen Groß­teil in Sach­leis­tun­gen erhal­ten, ihr Geld kaum noch selbst­be­stimmt einteilen.
  • Gegen­über dem Regel­satz der Sozi­al­hil­fe feh­len im Asyl­bLG ein­zel­ne Pos­ten, die der Gesetz­ge­ber schlicht gestri­chen hat, z.B. für Bil­dungs­kur­se. Auch einer sol­chen Kür­zung man­gelt es nicht nur an guten Argu­men­ten: Die Unter­schrei­tung des Exis­tenz­mi­ni­mums, das die Füh­rung eines men­schen­wür­di­gen Lebens ermög­li­chen soll, spricht Asyl­su­chen­den letzt­lich das Mensch-Sein ab.

Im Ergeb­nis stellt der Autor fest, dass die gesam­te Kon­struk­ti­on des Asyl­bLG-Grund­be­darfs und das Sach­leis­tungs­prin­zip zu deut­li­chen Bedarfs­un­ter­de­ckun­gen füh­ren – sowohl der in den Sam­mel­un­ter­künf­ten leben­den Men­schen, als auch derer in Woh­nun­gen. Auch die extrem ver­schie­de­nen Prak­ti­ken von Län­dern und Kom­mu­nen zei­gen Cha­os, es kommt zu zahl­lo­sen feh­ler­haf­ten Bescheiden.

Im Ergeb­nis kann das Asyl­bLG kei­nen Bestand haben und es ist abzu­schaf­fen. Der Grund­be­darf, als Kern­stück des Geset­zes, ist ver­fas­sungs­wid­rig. Es wird daher Zeit, dass der Gesetz­ge­ber sein Fest­hal­ten an dem unwür­di­gen Son­der­ge­setz auf­gibt und die Leis­tun­gen für Geflüch­te­te – gege­be­nen­falls unter zusätz­li­cher Berück­sich­ti­gung beson­de­rer Mehr­be­dar­fe von Geflüch­te­ten – in das nor­ma­le Leis­tungs­sys­tem nach SGB II/XII eingliedert.“

Autor: Rechts­an­walt Vol­ker Gerl­off für PRO ASYL

Okto­ber 2022, 32 Seiten