19.02.2016
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Ob in Senegal, Niger oder Mauretanien - die EU versucht Flüchtlinge und Migrant*innen bereits dort aufzuhalten. Das Bild zeigt ein Flüchtlingslager in Mauretanien 2012. Foto; UNHCR/Yero Djigo

Flüchtlinge außerhalb Europas festzusetzen wird von der EU als Lösung in der „Flüchtlingskrise“ beschworen. Doch die Vorstöße zur Einrichtung von Migrations- und Flüchtlingszentren in Transit- und Herkunftsländern verletzen Menschenrechte. Statt um Flüchtlingsschutz geht es um das Unsichtbarmachen von Flüchtlingen.

2015 erreich­te rund eine Mil­li­on Schutz­su­chen­de Euro­pa – haupt­säch­lich aus Syri­en, Afgha­ni­stan und dem Irak. Vie­le von ihnen über­quer­ten die euro­päi­schen Außen­gren­zen unter Lebens­ge­fahr. Der Zusam­men­bruch des euro­päi­schen Grenz­re­gimes ver­setz­te die euro­päi­schen Staats- und Regie­rungs­chefs in Alarm­be­reit­schaft: Die Kon­trol­le über Flucht und Migra­ti­on soll­te so schnell wie mög­lich zurück­ge­won­nen wer­den. Die Stra­te­gie der Aus­la­ge­rung von Grenz­kon­trol­len in Tran­sit- und Her­kunfts­län­der nimmt dabei einen pro­mi­nen­ten Platz ein.

Im Mai 2015 wur­de in Brüs­sel die Euro­päi­sche Migra­ti­ons­agen­da ver­ab­schie­det, in der ein­mal mehr die Absicht einer inten­si­vier­ten Zusam­men­ar­beit mit Her­kunfts- und Tran­sit­län­der zur Bekämp­fung „irre­gu­lä­rer Migra­ti­on“ bekräf­tigt wur­de. 2015 kon­zen­trier­ten sich die Bemü­hun­gen der EU in ers­ter Linie auf die Tür­kei – über 850.000 Schutz­su­chen­de hat­ten inner­halb eines Jah­res von dort aus euro­päi­sches Ter­ri­to­ri­um erreicht.

Deal mit der Türkei

Mit dem Ziel, das Ver­blei­ben der haupt­säch­lich syri­schen Flücht­lin­ge in der Tür­kei sicher­zu­stel­len und ihre Wei­ter­rei­se in Rich­tung Grie­chen­land zu ver­hin­dern, wur­de am 29. Novem­ber ein ent­spre­chen­des Abkom­men unter­zeich­net: Die Tür­kei soll dafür sor­gen, dass die Flucht­be­we­gun­gen über die Ägä­is abneh­men. Im Gegen­zug wer­den Erdo­gans Regie­rung drei Mil­li­ar­den Euro Hilfs­gel­der sowie Visa­er­leich­te­run­gen für tür­ki­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge in Aus­sicht gestellt.

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Wenn die EU die Tür­kei moti­viert, Schutz­su­chen­de von der Wei­ter­flucht nach Euro­pa abzu­hal­ten, führt das dazu, dass die Tür­kei ver­stärkt die Gren­ze zu Syri­en abrie­gelt. Im Zuge des Deals zwi­schen der EU und der Tür­kei kam es bereits zu ille­ga­le Rück­füh­run­gen: Das tür­ki­sche Mili­tär schickt immer wie­der syri­sche Flücht­lin­ge zurück ins Bür­ger­kriegs­land. Foto: Reu­ters / Osman Orsal

Dis­ku­tiert wird gar, die Tür­kei nicht nur als „siche­res Her­kunfts­land“, son­dern auch als „siche­ren Dritt­staat“ ein­zu­stu­fen. Ange­sichts der all­ge­mei­nen Men­schen­rechts­la­ge und der kata­stro­pha­len Situa­ti­on von Schutz­su­chen­den im Land ein voll­kom­men absur­des Szenario.

Lager in Afrika

Aber auch auf der Rou­te von Liby­en nach Ita­li­en, über die 2015 mehr als 153.000 Men­schen in die EU gelang­ten, wur­den die Bemü­hun­gen zur Regu­lie­rung und „Ein­däm­mung“ von Flucht und Migra­ti­on inten­si­viert. Neben dem Ende 2014 initi­ier­ten regio­na­len Koope­ra­ti­ons­rah­men, dem Khar­to­um-Pro­zess, der ins­be­son­de­re die Ein­be­zie­hung der Län­der am Horn von Afri­ka in die euro­päi­sche Migra­ti­ons­kon­trol­le bezweckt, erleb­te auch die Idee, Flucht- und Migra­ti­ons­zen­tren auf dem afri­ka­ni­schen Kon­ti­nent ein­zu­rich­ten, eine Renaissance.

Die regel­mä­ßig in die Debat­te ein­ge­brach­ten Vor­stö­ße sehen für die „Tran­sit- oder Auf­nah­me­la­ger“ in „Dritt­staa­ten“ unter­schied­lichs­te Auf­ga­ben vor – von der Durch­füh­rung von Asyl­ver­fah­ren auf afri­ka­ni­schem Boden über Infor­ma­ti­ons­kam­pa­gnen zur Ver­hin­de­rung „irre­gu­lä­rer Migra­ti­on“ bis zur For­cie­rung „frei­wil­li­ger Abschie­bun­gen“. Sie alle ver­fol­gen das­sel­be Ziel: Flucht- und Migra­ti­ons­be­we­gun­gen aus der Distanz zu kon­trol­lie­ren und zu regu­lie­ren – „remo­te con­trol“ – fern­ab von der euro­päi­schen Öffentlichkeit.

„Multifunktionale Migrationszentren“ als Abschreckungsmaßnahme

Für Ende 2015 kün­dig­te die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on in der Migra­ti­ons­agen­da die Ein­rich­tung eines „mul­ti­funk­tio­na­len Migra­ti­ons­zen­trums“ in Niger an. In Zusam­men­ar­beit mit IOM (Inter­na­tio­na­le Orga­ni­sa­ti­on für Migra­ti­on), UNHCR und den nigri­schen Behör­den sol­le das Zen­trum „ein rea­lis­ti­sche­res Bild der Erfolgs­chan­cen der Migran­ten (…) zeich­nen, die sich auf den Weg nach Euro­pa machen, und irre­gu­lä­re Migran­ten bei der frei­wil­li­gen Rück­kehr (…) unter­stüt­zen“. Auch über Mög­lich­kei­ten, Schutz in der Regi­on zu erhal­ten soll hier infor­miert wer­den. In ande­ren afri­ka­ni­schen Län­dern sol­len eben­falls sol­che Zen­tren ent­ste­hen. Im Gespräch sind Mau­re­ta­ni­en, Mali und Äthio­pi­en.

Das Ver­spre­chen, dass dort auch lega­le Mög­lich­kei­ten zur Wei­ter­rei­se nach Euro­pa auf­ge­zeigt wer­den, ent­behrt jeder rea­lis­ti­schen Grund­la­ge. Lega­le Ein­rei­se­we­ge sind so gut wie inexis­tent und die Leh­ren aus der Ver­gan­gen­heit ein­deu­tig: In Mali wur­de 2008 ein ähn­li­ches „Zen­trum für Infor­ma­ti­on und Manage­ment von Migra­ti­on“ (CIGEM) eröff­net, doch im Jahr 2015 bereits wie­der geschlossen.

Offi­zi­ell soll­ten dort Infor­ma­tio­nen zu den Risi­ken irre­gu­lä­rer Migra­ti­on ver­brei­tet und Alter­na­ti­ven dazu geför­dert wer­den, u.a. durch die Unter­stüt­zung poten­ti­el­ler Migran­tIn­nen bei der Bean­tra­gung von Visa zur regu­lä­ren Ein­rei­se in die EU. Doch Ange­bo­te lega­ler Ein­rei­se gab es prak­tisch nicht. Zivil­ge­sell­schaft­li­che Orga­ni­sa­tio­nen kri­ti­sier­ten das CIGEM als Initia­ti­ve, die Men­schen in Mali davon abhal­ten soll­te, sich auf den Weg Rich­tung Euro­pa zu begeben.

Niger im Fokus

Aus EU-Berich­ten und Frontex-„Risikoanalysen“ geht her­vor, wor­in die stra­te­gi­sche Bedeu­tung des west­afri­ka­ni­schen Lan­des für die euro­päi­sche Migra­ti­ons­kon­trol­le liegt: Trotz des Bür­ger­kriegs in Liby­en ist die Rou­te durch Niger der am häu­figs­ten genutz­te Weg von West­afri­ka Rich­tung Europa.

Ins­be­son­de­re die Stadt Agadez wird als zen­tra­ler Kno­ten­punkt gese­hen, an dem mit Hil­fe kom­mer­zi­el­ler Flucht­hel­fer die Wei­ter­flucht orga­ni­siert wird. Rund 100.000 Men­schen sol­len jähr­lich durch Niger nach Liby­en gereist sein – 90 Pro­zent aller Schutz­su­chen­den und Migran­tIn­nen aus West­afri­ka (vor allem Mali, Nige­ria, Sene­gal, Gam­bia und Gui­nea). Doch auch aus Niger selbst, dem ärms­ten Land der Welt, machen sich vie­le auf den Weg in eine bes­se­re Zukunft.

Bereits am 23. April 2015 beschloss der Euro­päi­sche Rat, Mali, Niger, Tune­si­en, Ägyp­ten und Sudan bei der Über­wa­chung und Kon­trol­le ihrer Land­gren­zen und Land­we­ge zu unter­stüt­zen. Das Bud­get für die Zivil­mis­si­on EUCAP Niger wur­de im Okto­ber 2015 auf 18,4 Mil­lio­nen Euro ver­dop­pelt, womit die EU ihre Prä­senz in dem west­afri­ka­ni­schen Land bedeu­tend aus­wei­tet. Im Rah­men der seit 2012 bestehen­den EUCAP-Mis­si­on wer­den Beam­te geschult, die mit der Bekämp­fung von Waffen‑, Dro­gen- und Men­schen­schmug­gel betraut sind. Nun soll die Unter­stüt­zung der nigri­schen Behör­den beim Grenz- und Migra­ti­ons­ma­nage­ment ver­stärkt werden.

Seit Niger in den Fokus der EU gerückt ist, hat auch die nigri­sche Regie­rung auf Drän­gen der EU ihre Maß­nah­men der Kri­mi­na­li­sie­rung und Ein­däm­mung von Migra­ti­on in der Regi­on mas­siv ver­schärft. Im Mai 2015 wur­de das Gesetz über das uner­laub­te Schleu­sen von Migran­tIn­nen vom Par­la­ment ver­ab­schie­det, das gemäß Jus­tiz­mi­nis­ter Marou Ama­dou auf die „Bekämp­fung der unau­to­ri­sier­ten Ein­wan­de­rung durch straf­recht­li­che Sank­tio­nen gegen den ille­ga­len Grenz­über­tritt“ zie­le. Mit dem Gesetz wur­den die Stra­fen für Men­schen­händ­ler von einem auf bis zu 30 Jah­re Haft und die Geld­stra­fen von umge­rech­net 4.500 Euro auf 45.000 Euro erhöht.

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Fron­tex-Ana­ly­se von Bun­des­ver­bin­dun­gen und Ticket­prei­sen nach Agadez. Die Poli­tik der EU zielt dar­auf, bereits sol­che Rou­ten für Schutz­su­chen­de und Migrant*innen dicht zu machen. Quel­le: Afri­ca-Fron­tex Intel­li­gence Com­mu­ni­ty Joint Report 2015

Men­schen­rechts­ak­ti­vis­tIn­nen sind alar­miert: Das Gesetz schaf­fe die Vor­aus­set­zung für die Ein­rich­tung von „Auf­nah­me­zen­tren“ für Schutz­su­chen­de und Migran­tIn­nen, die von dort aus abge­scho­ben wer­den sol­len, so Hassan Bou­kar vom Jour­na­lis­ten­netz­werk „Alter­na­ti­ve Espace Cotoy­ens du Niger“. Doch der Pro­test scheint zu ver­hal­len. Die Zivil­ge­sell­schaft sei im Gesetz­ge­bungs­pro­zess voll­kom­men umgan­gen wor­den, so Boukar.

Die IOM lei­tet bereits vier „Tran­sit­zen­tren“ in Niger. „Gestran­de­te, Rück­keh­rer oder beson­ders gefähr­de­te Migran­ten“ erhal­ten hier tem­po­rä­re Unter­kunft, Ver­pfle­gung, medi­zi­ni­sche Unter­stüt­zung sowie Ange­bo­te zur „frei­wil­li­gen Rück­kehr“ und „Reinte­gra­ti­ons­hil­fe“ in ihrem Her­kunfts­land. Doch kaum jemand ist zur Rück­kehr bereit. Die Zen­tren fun­gie­ren eher als Auf­fang­be­cken – Unter­stüt­zung für die Wei­ter­rei­se ist hier nicht zu erwar­ten. IOM beteu­ert zwar, man wol­le den Men­schen auch lega­le Wege der Migra­ti­on auf­zei­gen. Tat­säch­lich trägt sie im bes­ten Fall zur Immo­bi­li­sie­rung der Schutz­su­chen­den und Migran­tIn­nen bei – durch Abschre­ckung und „Rück­kehr­hil­fen“.

Kon­junk­tu­ren der Aus-Lagerungs-Phantasien

Der Vor­schlag, Zen­tren zur Regu­lie­rung von Migra­ti­ons- und Flucht­be­we­gun­gen in Tran­sit­län­dern ein­zu­rich­ten, ist nicht neu und wur­de immer dann popu­lär, wenn die Rufe nach der „Ein­däm­mung von Flucht­be­we­gun­gen“ am lau­tes­ten wur­de. Im Früh­jahr 2003 mach­te der dama­li­ge bri­ti­sche Pre­mier­mi­nis­ter Tony Blair den Vor­schlag, die Schutz­ge­su­che ira­ki­scher Asyl­su­chen­der „extra­ter­ri­to­ri­al“ zu prü­fen – als Teil sei­ner „new visi­on for refu­gees“. Blair konn­te nicht genü­gend euro­päi­sche Unter­stüt­zung für sein Vor­ha­ben fin­den und Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen wie Amnes­ty Inter­na­tio­nal und Human Rights Watch übten schar­fe Kritik.

»Nur in Aus­nah­me­fäl­len kann eine Auf­nah­me in Euro­pa nach dem Frei­wil­lig­keits­prin­zip in Betracht kom­men. Jeder Mit­glied­staat der EU müss­te dann erklä­ren, wie vie­le Flücht­lin­ge er auf­neh­men will.«

Otto Schi­ly, ehe­ma­li­ger Bundesinnenminister

2004 leg­te der deut­sche Innen­mi­nis­ter Otto Schi­ly nach: Die EU sol­le soge­nann­te “Asyl­la­ger” in Nord­afri­ka ein­rich­ten. Migran­tIn­nen, die im Mit­tel­meer auf­ge­grif­fen wur­den, soll­ten zurück­ge­führt und in extra-ter­ri­to­ria­le Zen­tren ver­bracht wer­den. Dort sol­le eine Vor­prü­fung durch­ge­führt wer­den, wel­che Asyl­su­chen­den in die EU ein­rei­sen und wel­che in „siche­re Län­der in ihrer Her­kunfts­re­gi­on“ abge­scho­ben wer­den soll­ten: „Nur in Aus­nah­me­fäl­len kann eine Auf­nah­me in Euro­pa nach dem Frei­wil­lig­keits­prin­zip in Betracht kom­men. Jeder Mit­glied­staat der EU müss­te dann erklä­ren – im soge­nann­ten Pled­ging-Ver­fah­ren, (…) wie vie­le Flücht­lin­ge er auf­neh­men will.“

Öffent­li­che Kri­tik ver­hin­der­te bis­her die Ein­rich­tung von Haft­zen­tren für Flücht­lin­ge in „Dritt­staa­ten“, wo sie vor Errei­chen Euro­pas einen Antrag auf Asyl stel­len soll­ten. Doch die EU und ins­be­son­de­re ein­zel­ne Mit­glied­staa­ten finan­zier­ten in den letz­ten zehn Jah­ren über bila­te­ra­le Koope­ra­tio­nen mit Tran­sit­staa­ten den­noch den Bau von Lagern für die Inhaf­tie­rung und das Fest­set­zen von Schutz­su­chen­den. So etwa in Liby­en, Mau­re­ta­ni­en, der Ukrai­ne und der Türkei.

Im Novem­ber 2014 war es der deut­sche Innen­mi­nis­ter Tho­mas de Mai­ziè­re, der den Vor­schlag von „Will­kom­mens­zen­tren“ in wich­ti­gen Tran­sit­län­dern Nord­afri­kas erneut in die Debat­te ein­brach­te, um Asyl­ge­su­che in den süd­li­chen Mit­tel­meer­an­rai­ner­län­dern zu prü­fen. Euphe­mis­mus in Rein­form: In den Zen­tren sol­le geprüft wer­den „wer zurück­geht und wer nach Euro­pa kommt“, so de Mai­ziè­re. Letz­te­re Grup­pe dürf­te dabei kaum ins Gewicht fallen.

Vor­ver­la­ge­rung auf Kos­ten von Men­schen­rech­ten 

Der Vor­schlag, Migra­ti­ons- oder Asyl­zen­tren in Afri­ka ein­zu­rich­ten, wird stets mit huma­ni­tä­ren Argu­men­ten begrün­det: Wenn die Abwick­lung der Über­prü­fung, Kon­trol­le und Aus­wahl von Schutz­su­chen­den und Migra­ti­ons­wil­li­gen bereits vor Euro­pas Toren erfolgt, könn­te die lebens­ge­fähr­li­che Über­fahrt nach Euro­pa ver­mie­den wer­den. Statt­des­sen ist klar: Schutz­su­chen­den dro­hen gra­vie­ren­de Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen, wenn sie an der Wei­ter­flucht gehin­dert werden.

Vie­le Staa­ten, in denen die Zen­tren ent­ste­hen sol­len, sind durch Bür­ger­krie­ge und gewalt­sa­me Kon­flik­te desta­bi­li­siert. Sie ver­fü­gen über kei­ne funk­tio­nie­ren­den Schutz­sys­te­me, ein recht­staat­li­ches Ver­fah­ren zur Über­prü­fung des indi­vi­du­el­len Schutz­be­dürf­nis­ses von Flücht­lin­gen ist nicht gewähr­leis­tet. Vie­le wür­den sich nicht von der Über­fahrt in see­un­tüch­ti­gen Boo­ten abhal­ten las­sen und das Ster­ben im Mit­tel­meer gin­ge unver­min­dert weiter.

Es liegt auf der Hand, dass der Vor­stoß, Auf­fang­la­ger in Nord­afri­ka zu errich­ten, nicht der Auf­nah­me von Schutz­su­chen­den in Euro­pa dient, son­dern deren Abwehr. Denn die Auf­nah­me­be­reit­schaft in Euro­pa dürf­te kaum gestei­gert wer­den durch die Aus­la­ge­rung von Asyl­ver­fah­ren. Bereits heu­te war­ten welt­weit tau­sen­de von UNHCR aner­kann­te Flücht­lin­ge auf einen Resett­le­ment-Platz – ohne Aus­sicht auf Aufnahme.

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2013: Nach dem liby­schen Bür­ger­krieg sit­zen Tau­sen­de Flücht­lin­ge im Flücht­lings­la­ger Chou­cha in der tune­si­schen Wüs­te fest. Unter ihnen Moham­med (2) und sei­ne Eltern, die not­ge­drun­gen drei Jah­re lang dort aus­har­ren muss­ten. Die EU-Staa­ten nah­men damals nur weni­ge Hun­dert schutz­be­dürf­ti­ge Flücht­lin­ge auf. Die­se Erfah­run­gen zei­gen, dass die Plä­ne der EU, Flücht­lings­la­ger in Nord­afri­ka zu errich­ten, nicht dazu die­nen, die Men­schen sicher nach Euro­pa zu brin­gen, son­dern sie von Euro­pa fern- und unter elen­den Bedin­gun­gen fest­zu­hal­ten. Foto: Chris Grodotzki 

Die EU setzt auf eine Neu­auf­la­ge alter Poli­ti­ken der Exter­na­li­sie­rung von Grenz­kon­trol­len. Aus men­schen­recht­li­cher Sicht ist klar: Die als „Gate­kee­per“ von der EU bestimm­ten, teil­wei­se auto­kra­ti­schen Staa­ten, kön­nen nicht legi­ti­me Part­ner einer huma­nen Flucht- und Migra­ti­ons­po­li­tik sein. Die poli­ti­schen Ant­wor­ten auf die Kri­se des euro­päi­schen Grenz­re­gimes und die Flucht- und Migra­ti­ons­be­we­gun­gen wer­den aus­ge­la­gert – auf men­schen­recht­lich hoch­pro­ble­ma­ti­sches Ter­rain. Flücht­lin­ge und Migran­tIn­nen sol­len in Her­kunfts- und Tran­sit­re­gio­nen fest­ge­setzt wer­den, in denen ihre Grund­rech­te miss­ach­tet wer­den. Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen, die aus der euro­päi­schen Wahr­neh­mung ver­bannt wer­den sollen.

Tat­säch­lich scheint die Reich­wei­te euro­päi­scher Medi­en san den Küs­ten der süd­li­chen Anrai­ner­staa­ten zu enden: Wäh­rend Bil­der von Boots­ka­ta­stro­phen seit der Kata­stro­phe vor Lam­pe­du­sa im Okto­ber 2013 in die euro­päi­sche Öffent­lich­keit drin­gen und immer wie­der mas­si­ve Kri­tik an Euro­pas Abschot­tungs­po­li­tik pro­vo­ziert haben, blei­ben die Toten in der Téné­ré-Wüs­te und auf den Rou­ten durch die Saha­ra wei­test­ge­hend uner­wähnt – und die Kon­troll­ar­chi­tek­tur jen­seits des Mit­tel­meers unbeachtet.

Mit ihrer Poli­tik der Aus­la­ge­rung von Grenz­kon­trol­len ver­folgt die EU eine fata­le Stra­te­gie des Unsicht­bar­ma­chens von Schutz­su­chen­den und nimmt wei­te­re Tote in Kauf. Doch Flücht­lin­ge und Migran­tIn­nen las­sen sich nicht durch Tran­sit­la­ger, Zäu­ne oder tech­nisch ver­sier­te Kon­troll­in­stru­men­te auf­hal­ten – sie wäh­len gefähr­li­che­re Rou­ten, bege­ben sich auf ris­kan­te­re Odys­seen. Nur die Öff­nung gefah­ren­frei­er Wege kann ver­hin­dern, dass Euro­pa zur Hand­lan­ge­rin schwe­rer Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen vor ihren Toren wird.

Judith Kopp


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