Hintergrund
Was sich am Asylverfahren ändern muss: Acht Forderungen für schnelle und faire Verfahren
Derzeit warten viele Asylsuchende Monate, manchmal gar Jahre auf eine Entscheidung. Zugleich wird ein Teil der Schutzsuchenden unfairen Asylschnellverfahren unterzogen, bei denen die Ablehnung schon vor dem Verfahren so gut wie sicher ist. Dabei wären faire und zugleich schnelle Asylverfahren machbar – den nötigen politischen Willen vorausgesetzt.
Flüchtlinge erwartet in Deutschland ein bürokratisches und schleppendes Asylverfahren, das Integration verhindert. Ein Blick auf die Länge der Asylverfahren im Jahr 2015 verdeutlicht dies: Vergleichsweise schnelle Verfahren gibt es aktuell nur für Syrer*innen (3,2 Monate) und Flüchtlinge aus den Westbalkanstaaten (bspw. Kosovo mit 3,1 Monaten).
Doch selbst für Flüchtlinge mit einer hohen Anerkennungsquote dauern die Verfahren unverhältnismäßig lange: beispielsweise Afghanistan: 14 Monate; Eritrea: 13,3 Monate; Irak: 6,8 Monate. Asylsuchende aus dem Iran müssen durchschnittlich 17,1 Monate auf eine Entscheidung über ihr Schicksal warten.
Die lange Asylverfahrensdauer ist noch trügerisch kurz
In dieser Verfahrensdauer ist nicht miteingerechnet, dass Asylsuchende nach ihrer Registrierung in Deutschland nicht sofort einen Asylantrag stellen können, sondern zunächst nur einen „Ankunftsnachweis“ erhalten, oder, wie das Dokument noch vor kurzem hieß, eine „Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchende“ (BÜMA). Mit dieser Bescheinigung warten Asylsuchende oft Monate, ja manchmal über ein Jahr und länger darauf, endlich beim BAMF einen Termin zu erhalten, bei dem sie durch die Antragsstellung überhaupt ihr Asylverfahren eröffnen können.
Ebenfalls nicht in der Verfahrensdauerstatistik enthalten sind dabei alle beim BAMF anhängigen und unbearbeiteten Fälle – denn sie sind logischerweise nicht entschieden. Am 31. Januar 2016 waren beim BAMF 371.754 unentschiedene Asylverfahren anhängig!
Schnelle Verfahren ohne Aushebelung der Rechte von Schutzsuchenden sind möglich!
PRO ASYL setzt sich für schnellere und faire Asylverfahren ein, die das Herzstück der sorgsamen materiellen Einzelfallprüfung nicht aushöhlen. Um die Asylverfahrensdauer zu verkürzen und zugleich faire Verfahren zu ermöglichen ist aus Sicht von PRO ASYL folgendes erforderlich:
Wenn Asylsuchende nach Deutschland kommen wird gegen sie ein Strafverfahren wegen illegalen Grenzübertritts nach § 95 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) eingeleitet, das jedoch zu 99 Prozent wieder eingestellt wird. Die Einleitung des Strafverfahrens ist nicht nur stigmatisierend, sie ist ein unnötiger bürokratischer Akt. Selbst der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) spricht sich für eine Entkriminalisierung von Flüchtlingen aus.
Die bürokratische Trennung in Asylersuchen und Asylantrag muss aufgehoben werden. Wird nach der Einreise ein Asylwunsch geäußert, wird dies bislang nur als Asylgesuch gewertet. Daraufhin erhalten die Betroffenen zunächst nur den Ankunftsnachweis – und warten dann oft monatelang darauf, einen Asylantrag stellen zu können. Gegenüber dem aktuellen bürokratischen Verfahren sollte die Asylantragsstellung gleich nach der Einreise möglich sein, entweder bei der Bundespolizei oder direkt in der Erstaufnahmeeinrichtung. Der Ankunftsnachweis muss abgeschafft werden, das Asylverfahren muss umgehend eröffnet werden.
Bevor der Asylantrag geprüft wird, wird zunächst geprüft, ob der Asylsuchende bereits in einem anderen EU-Staat aufgegriffen wurde und auf Grundlage der Dublin-Verordnung dorthin abgeschoben werden kann. In 44.892 Fällen strebte das BAMF in 2015 eine Abschiebung in einen anderen EU-Staat an, in den es an diesen ein „Übernahmeersuchen“ stellte. Dabei ist das Dublin-System erstens menschenrechtlich inakzeptabel, weil es zu Abschiebungen in Haft und Elend führt, und zweitens längst kollabiert.
Die 44.892 aufwendigen Verwaltungsvorgänge führten 2015 „nur“ zur Abschiebung von 3.597 Personen – wobei angesichts der Menschenrechtssituation von Flüchtlingen in den Staaten, in die die meisten Dublin-Abschiebungen führen, jede dieser Abschiebungen eine zuviel ist. Für eine weitere Verkürzung der Asylverfahren sind die zeitraubenden Dublin-III-Verfahren umgehend einzustellen. Auf europäischer Ebene setzt sich PRO ASYL dafür ein, dass Schutzsuchenden die freie Wahl des Zufluchtslandes in der EU gestattet wird.
Bei der Anhörung werden die Fluchtgründe dem sogenannten „Anhörer“ oder einer „Anhöhrerin“ vorgetragen. Diese Person schickt anschließend die Akte an den „Entscheider“ oder die „Entscheiderin“, die sich dann in die Akte einarbeiten muss. Um die Verfahren zu beschleunigen soll die Entscheidung umgehend durch die Person erfolgen, die die Anhörung durchgeführt hat.
Die Bearbeitung im BAMF sollte an verbindliche Fristen geknüpft sein. PRO ASYL schlägt vor, dass spätestens vier Wochen nach der Anhörung dem Asylsuchenden das Protokoll der Anhörung zugeschickt werden soll, um etwaige Fehler oder Missverständnisse zu klären. Die Entscheidung über den Asylantrag soll spätestens vier Wochen nach Erhalt des Protokolls umgehend erfolgen. Sollten die Asylsuchenden zwischenzeitlich weitere Fluchtgründe nachliefern oder traumatische bzw. psychologische Probleme auftreten, kann die Entscheidung zur Feststellung besonderer Behandlungen ausgesetzt werden. Feste Fristen sind erforderlich, damit die Asylanträge nicht monatelang unbearbeitet im BAMF liegen. Wird den Fristen seitens der Behörde nicht entsprochen, ist dem Asylsuchenden ein Aufenthaltsstatus zuzuerkennen.
Angesichts der aktuell rund 375.000 anhängigen Verfahren beim Bundesamt ist es sinnvoll, dass das Instrument der Gruppenverfolgung großzügig angewendet wird. Eine solche liegt vor, wenn eine ganze Bevölkerung oder Teile davon kollektiv verfolgt werden. In diesem Fall wird angenommen, dass alle, die dieser Gruppe angehören, in Gefahr sind, verfolgt zu werden. Diese Situation liegt derzeit bei allen Menschen aus Syrien und dem Irak vor. Deren Anträge hatte das Bundesamt in der Vergangenheit in einem beschleunigten Schriftverfahren geprüft, musste dann jedoch auf Druck des Bundesinnenministeriums wieder zur zeitaufwendigen Einzelfallprüfung zurückkehren. Statt das schriftliche Verfahren zu stoppen sollte es auch auf andere Flüchtlingsgruppen angewandt und systematisiert werden.
Damit das Bundesamt wieder arbeitsfähig wird, fordert PRO ASYL eine Altfallregelung für Flüchtlinge, die sich seit einem Jahr in Deutschland aufhalten und über deren Asylantrag nicht entschieden wurde. Sie sollen im Zuge einer Gesetzesänderung nach einem Jahr automatisch eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Ohne eine Altfallregelung ist kaum vorstellbar, wie das Bundesamt die liegengebliebenen Anträge jemals entscheiden soll.
Das BAMF muss nach jetziger Rechtslage regelmäßig drei Jahre nach Anerkennung des Flüchtlings erneut prüfen, ob die Gründe für einen Widerruf vorliegen (§ 73 Abs. 2a AsylVfG). Dieses bürokratische Widerrufsverfahren ist abzuschaffen, es bindet Ressourcen, die dringend zur Entscheidung von Asylanträgen benötigt werden.
Fehlende legale Einwanderungsmöglichkeiten drängen auch Migrantinnen und Migranten ins Asylverfahren, die aus rechtlicher Perspektive wenig Chancen auf einen Schutzstatus haben, die aber gute Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt hätten. Es müssen daher Möglichkeiten geschaffen werden, damit Menschen unbürokratischer zwischen dem Asylverfahren und anderen Aufenthaltsmöglichkeiten wechseln können. Hierdurch könnte das Asylsystem entlastet werden.