26.03.2015
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Dass Flüchtlinge bei solchen Abwehr-Einsätzen getötet werden, scheint kein Einzelfall mehr zu sein: Prodein hat mittlerweile zahlreiche Videoaufnahmen zum brachialen Vorgehen der spanischen Guardia Civil wie auch der marokkanischen Beamten an der Grenzzaunanlage in Melilla veröffentlicht. Foto: © PRODEIN / José Palazόn

Der Fluchtversuch nach Europa über Melilla und Ceuta, die spanischen Exklaven in Marokko, wird zunehmend zur Todesfalle, weil Grenzbeamte auf beiden Seiten immer brutaler vorgehen. Von den Verantwortlichen in der Politik ist dies offenbar nicht nur geduldet, sondern erwünscht.

Die Dun­kel­heit ist erfüllt von Schrei­en. In dem Durch­ein­an­der von Poli­zei­uni­for­men ist eine Grup­pe Beam­ter in brau­nen – marok­ka­ni­schen – Uni­for­men zu sehen, die offen­bar einen am Boden lie­gen­den Men­schen schla­gen und tre­ten – auf spa­ni­schem Gebiet. Gro­ße Stei­ne flie­gen gegen klet­tern­de Migran­ten. Ein spa­ni­scher Poli­zist, der eben­falls am Zaun hoch­klet­tert, knüp­pelt mit dem Schlag­stock auf einen Flücht­ling ein, bis die­ser schließ­lich her­ab­stürzt. Im Mor­gen­grau­en legen marok­ka­ni­sche Poli­zis­ten vier bewe­gungs­lo­se Kör­per hin­ter einem Gebüsch ab.

Die Sze­ne ereig­ne­te sich auf dem schma­len Strei­fen inner­halb der durch drei­fa­chen Zaun gesi­cher­ten Grenz­an­la­ge zwi­schen Marok­ko und der spa­ni­schen Exkla­ve Mel­il­la am 18. Juni 2014. Der Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on Pro Derechos de La Infan­cia (Pro­de­in) zufol­ge, die den Vor­fall in einem Video mit­ge­schnit­ten hat, wur­den an die­sem Tag vier Migran­ten getö­tet und 150 ille­gal abgeschoben.

PUSH BACKS: ILLEGAL UND BRUTAL

Die Pra­xis spa­ni­scher Behör­den, Men­schen, die sich auf der Flucht befin­den, völ­ker­rechts­wid­rig zurück­zu­schie­ben, ist nicht neu. Neu ist aller­dings die Bru­ta­li­tät die­ser soge­nann­ten hei­ßen Abschie­bun­gen. Dass Flücht­lin­ge bei sol­chen Abwehr-Ein­sät­zen getö­tet wer­den, scheint kein Ein­zel­fall mehr zu sein: Pro­de­in hat mitt­ler­wei­le zahl­rei­che Video­auf­nah­men zum bra­chia­len Vor­ge­hen der spa­ni­schen Guar­dia Civil wie auch der marok­ka­ni­schen Beam­ten an der Grenz­zaun­an­la­ge in Mel­il­la veröffentlicht.

Wie ein Augen­zeu­ge vor der Kame­ra berich­tet, wur­de am 13. August 2014 der 23-jäh­ri­ge Mali­er Tou­ma­ni Samake vom Zaun her­un­ter­ge­knüp­pelt und starb: »Die Guar­dia Civil hat ihn geprü­gelt. […] Er ist gefal­len. Er war sofort tot«. Marok­ka­ni­sche Hilfs­kräf­te hät­ten die Lei­che abtrans­por­tiert. Auf­nah­men vom 15. Okto­ber 2014 zei­gen, wie Beam­te mit Schlag­stö­cken so lan­ge auf sich wehr­los am Zaun fest­klam­mern­de Men­schen ein­schla­gen, bis die­se zu Boden stür­zen. Ein bewusst­lo­ser Mann wird schließ­lich durch den Zaun zurück­ge­zerrt und den marok­ka­ni­schen Beam­ten übergeben.

In Ceu­ta waren schon im Febru­ar 2014 Dut­zen­de Flücht­lin­ge bei dem Ver­such, die Gren­ze von Marok­ko aus zu umschwim­men, von der Guar­dia Civil mit Gum­mi­ge­schos­sen und Trä­nen­gas atta­ckiert wor­den. Dabei kamen 15 Men­schen ums Leben.

SPANIEN LEGALISIERT VÖLKERRECHTSBRUCH

Inter­na­tio­nal stößt das Vor­ge­hen der spa­ni­schen Grenz­be­hör­den auf gro­ße Empö­rung. Nils Muiz­nieks, Men­schen­rechts­kom­mis­sar des Euro­pa­ra­tes, äußer­te bei sei­nem Besuch in Mel­il­la Anfang die­ses Jah­res schar­fe Kri­tik und for­der­te, die Ver­ant­wort­li­chen zur Rechen­schaft zu zie­hen. Davon unbe­ein­druckt zei­gen Spa­ni­ens Poli­ti­ker jedoch kein Inter­es­se an Auf­klä­rung. Im Gegen­teil: Die Video­auf­nah­men der Über­wa­chungs­ka­me­ras hält die Regie­rung unter Ver­schluss. Ange­spro­chen auf die Mas­sen­rück­füh­run­gen defi­nie­ren spa­ni­sche Behör­den das  natio­na­le Ter­ri­to­ri­um teil­wei­se neu: »Erst wer bei­de Grenz­zäu­ne über­wun­den hat, ist in Spa­ni­en«, so der regie­ren­de Bür­ger­meis­ter von Mel­il­la, Juan José Imbroda.

Die Ver­ant­wor­tung für Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen im Bereich der Grenz­an­la­ge schie­ben spa­ni­sche Behör­den regel­mä­ßig auf Marok­ko. Gleich­zei­tig hat die Regie­rung in Madrid Ende 2014 eiligst eine Ände­rung des Staats­grund­ge­set­zes über den Schutz und die Sicher­heit der Staats­bür­ger durch­ge­setzt, mit der die Zurück­wei­sun­gen an den Exkla­ven lega­li­siert wer­den. Der spa­ni­sche Kon­gress hat damit einer Geset­zes­re­ge­lung zuge­stimmt, die nicht nur gegen die eige­ne Ver­fas­sung, son­dern auch gegen inter­na­tio­na­les Flücht­lings­recht ver­stößt. Doch solan­ge nie­mand erfolg­reich Kla­ge erhebt, wer­den Flücht­lin­ge künf­tig mit dem Segen spa­ni­scher Geset­ze, aber ohne Schutz­prü­fung – und damit völ­ker­rechts­wid­rig – zurückgeschafft.

ZUM ERSTEN MAL ERMITTELT DIE JUSTIZ

Immer­hin: Nach den bru­ta­len Zurück­wei­sun­gen am 18. Juni und 13. August 2014 hat ein Gericht in Mel­il­la zum ers­ten Mal Ermitt­lun­gen gegen einen lei­ten­den Beam­ten der Guar­dia Civil auf­ge­nom­men. Bereits im vor­he­ri­gen April hat­te Pro­de­in – gestützt durch zahl­rei­che Video-Auf­nah­men, die die Push Backs und Miss­hand­lun­gen bele­gen – Kla­ge gegen den Regie­rungs­ab­ge­ord­ne­ten und den Chef der Guar­dia Civil in Mel­il­la ein­ge­reicht. Ende Okto­ber 2014 lei­te­te die Staats­an­walt­schaft in Mel­il­la wei­te­re straf­recht­li­che Ermitt­lun­gen ein. Bis­lang blie­ben die Gewalt­ex­zes­se an der Gren­ze jedoch völ­lig straffrei.

ASYLBÜROS FÜR AUSERWÄHLTE?

Im März 2015 eröff­ne­te die spa­ni­sche Zen­tral­re­gie­rung in Mel­il­la und Ceu­ta erst­ma­lig soge­nann­te Asyl­bü­ros in den Kon­troll­zo­nen der Gren­ze, laut Innen­mi­nis­te­ri­um, »um die Gewähr­leis­tung des inter­na­tio­na­len Schutz­sys­tems und der Men­schen­rech­te zu stär­ken«. Dort sol­len Schutz­su­chen­de zukünf­tig einen Antrag auf Asyl stel­len kön­nen und hier­für auch Rechts­an­wäl­te und Über­set­zer zur Sei­te gestellt bekom­men. Für die Dau­er des Ver­fah­rens wür­den sie in einer spa­ni­schen Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung untergebracht.

Die Idee wäre zu begrü­ßen, wäre da nicht die gleich­zei­ti­ge Ver­laut­ba­rung des Innen­mi­nis­ters Jor­ge Fernán­dez Díaz: »Sicher ist, dass Per­so­nen, die ver­su­chen, ille­gal über die Gren­ze zu kom­men […] kein Recht auf Asyl haben.« Und wie mit die­sen Per­so­nen zu ver­fah­ren ist, regelt wie­der­um der neue Pas­sus im Gesetz: mit umge­hen­der Zurück­wei­sung. Nur aus­ge­wähl­te Flücht­lings­grup­pen schei­nen über­haupt Zugang zu den neu­en Asyl­bü­ros zu haben: So berich­tet José Pala­zón von Pro­de­in von Zeu­gen­aus­sa­gen Betrof­fe­ner, wonach aus­schließ­lich Syrer ein­ge­las­sen wür­den. »Afri­ka­nisch aus­se­hen­de« Men­schen hät­ten damit per se kei­ne Chan­ce auf ein Asylverfahren.

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Schutz­su­chen­de, die es in die Exkla­ven schaf­fen, bringt man zunächst im der­zeit rest­los über­füll­ten Auf­nah­me­la­ger (CETI) unter, bis sie abge­scho­ben oder aufs Fest­land gebracht wer­den – in der Regel ohne Sta­tus, Per­spek­ti­ve oder Grund­ver­sor­gung. © PRODEIN / José Palazón

HÖHERE ZUGANGSZAHLEN

Unter­des­sen wird die bis­lang weit über 70 Mil­lio­nen Euro teu­re Grenz­an­la­ge in Mel­il­la mit EU-Mit­teln wei­ter aus­ge­baut. Doch dass letzt­lich kein Zaun mar­tia­lisch, kein Grenz­jä­ger eif­rig genug sein kann, um Flucht­be­we­gun­gen auf­zu­hal­ten, zei­gen allein die von der spa­ni­schen Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on Aso­cia­ción Pro Derechos Huma­nos de Anda­lucía (APDHA) im Febru­ar ver­öf­fent­lich­ten Zah­len: Im ver­gan­ge­nen Jahr über­wan­den über 6.700 Men­schen die Gren­zen nach Mel­il­la und Ceu­ta, knapp 5.000 davon in Mel­il­la. Wäh­rend Ceu­ta von knapp der Hälf­te der Flücht­lin­ge über den See­weg – in Boo­ten oder schwim­mend – erreicht wur­de, waren es in Mel­il­la vor allem Ein­trit­te über den Zaun: rund 2.100. Allein dort sind dabei laut APDHA im ver­gan­ge­nen Jahr 13 Men­schen umgekommen.

Schutz­su­chen­de, die es in die Exkla­ven schaf­fen, bringt man zunächst im der­zeit rest­los über­füll­ten Auf­nah­me­la­ger (CETI) unter, bis sie abge­scho­ben oder aufs Fest­land gebracht wer­den – in der Regel ohne Sta­tus, Per­spek­ti­ve oder Grund­ver­sor­gung. Nicht weni­ge flüch­ten in den euro­päi­schen Nor­den wei­ter. Unter­des­sen rei­ßen die Ver­su­che ver­zwei­fel­ter Men­schen, die Zäu­ne zu über­win­den, nicht ab. Damit geht auch die Serie der bru­ta­len Zurück­wei­sun­gen mit ihren töd­li­chen Fol­gen weiter.

Kers­tin Böffgen


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