08.03.2013
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Die Abschiebungshaftanstalt Ingelheim. Foto: Reiner Frey

Abschiebungshaft gehört abgeschafft. Ein Blick hinter die Kulissen der deutschen Abschiebungshaftpraxis liefert handfeste Gründe, warum sich etwas ändern muss. PRO ASYL hat 13 Haftanstalten besucht.

»Ziel der rot-grü­nen Koali­ti­on ist es, Abschie­be­haft über­flüs­sig zu machen. Des­halb wer­den ent­spre­chen­de Initia­ti­ven auf Bun­des­ebe­ne unter­stützt«, heißt es im rot-grü­nen Koali­ti­ons­ver­trag der 2013 neu gewähl­ten Lan­des­re­gie­rung in Nie­der­sach­sen. Die­ses poli­ti­sche Vor­ha­ben ist zu begrü­ßen. Grün­de, die gegen die Abschie­bungs­haft spre­chen, gibt es viele:

Unter Abschie­bungs­häft­lin­gen in Deutsch­land sind immer mehr Asyl­su­chen­de. In grenz­na­hen Haft­an­stal­ten – wie in Rends­burg oder Eisen­hüt­ten­stadt – haben bis zu 90 Pro­zent der Inhaf­tier­ten einen Asyl­an­trag gestellt. In ande­ren Gegen­den sind es geschätzt regel­mä­ßig 50 Pro­zent. Dass Schutz­su­chen­de trotz ihres Asyl­an­tra­ges inhaf­tiert wer­den, liegt am EU-Zustän­dig­keits­sys­tem Dub­lin. Von ihrer Ein­rei­se nach Deutsch­land bis zur zwangs­wei­sen Über­stel­lung in den nach der Dub­lin-Ver­ord­nung für den Asyl­an­trag zustän­di­gen EU-Staat befin­den sich die Betrof­fe­nen in Haft.

Einen ange­mes­se­nen Umgang mit Flücht­lin­gen stellt das Weg­sper­ren nicht dar. Wer vor Krieg, Gewalt oder Fol­ter flieht, der braucht Lebens­be­din­gun­gen, die eine Erho­lung ermög­li­chen. Von den Asyl­su­chen­den sind bis zu 70 % Pro­zent trau­ma­ti­siert. Was aber macht das Ein­ge­sperrt­sein und die Rund-um-die-Uhr-Bewa­chung mit jeman­dem, der eigent­lich eine Behand­lung nötig hät­te? Trau­ma-Spe­zia­lis­ten sind in den Haft­an­stal­ten nicht ver­füg­bar. Über­haupt fin­det kei­ne sys­te­ma­ti­sche psy­cho­lo­gi­sche Betreu­ung der Inhaf­tier­ten statt. Die Men­schen sind meist sich selbst über­las­sen. In der Jus­tiz­voll­zugs­an­stalt in Ham­burg hat man einen mul­ti­l­in­gua­len Sozi­al­ar­bei­ter ein­ge­stellt, nach­dem es zu meh­re­ren Sui­zi­den in Abschie­bungs­haft kam. Dau­er­ge­sprächs­part­ner als Prä­ven­ti­on. Dies ist kein Weg zur Hei­lung, son­dern um das Schlimms­te zu verhindern.

Spe­zi­fi­sche Pro­ble­me erge­ben sich dar­über hin­aus für wei­te­re beson­ders ver­letz­li­che Grup­pen. Die zurück­ge­hen­den Haft­zah­len kön­nen ins­be­son­de­re für Frau­en bedeu­ten, dass sie allein, also ohne Mit­ge­fan­ge­ne, ein­ge­sperrt wer­den. Die­ses Pro­blem der Iso­la­ti­ons­haft ent­steht, wenn die gerin­ge Anzahl inhaf­tier­ter Frau­en, wie vom EU Recht vor­ge­schrie­ben, getrennt von den Straf­häft­lin­gen unter­ge­bracht wird. Fami­li­en wer­den für den Voll­zug der Abschie­bungs­haft häu­fig aus­ein­an­der­ge­ris­sen – dies stellt eben­falls ein gro­ßes Pro­blem dar. Als beson­ders ver­letz­li­che Grup­pen sind zudem ins­be­son­de­re Min­der­jäh­ri­ge und Trans­se­xu­el­le ein­zu­stu­fen, für die die Haft an sich jeweils unter­schied­li­che Gefähr­dun­gen bedeu­ten kann.

Haftbedingungen

Der All­tag stellt sich in den meis­ten Haft­an­stal­ten noch trist und depri­mie­rend dar. Die Betrof­fe­nen wer­den in klei­ne Zel­len weg­ge­sperrt und haben zumeist nur zwei Stun­den Hof­gang am Tag. Anders als bei Straf­ge­fan­ge­nen müs­sen die Behör­den kei­ne Arbeits­mög­lich­kei­ten vor­hal­ten. Daher sit­zen die Betrof­fe­nen fast über­all den gan­zen Tag her­um – was die Angst vor der bevor­ste­hen­den Abschie­bung umso stär­ker wir­ken lässt. Man­cher­orts wird sogar das Kochen unter­sagt, als Sicher­heits­ri­si­ko. Nur in eini­gen Haft­an­stal­ten dür­fen die Inhaf­tier­ten sich Essen selbst zubereiten.

Wo es mög­lich ist, bringt es für die Betrof­fe­nen ein wenig sozia­les Zusam­men­sein und »Nor­ma­li­tät« in den Haft­all­tag. Der Kon­takt zur Außen­welt ist beson­ders in den Gefäng­nis­sen limi­tiert, die als Jus­tiz­voll­zugs­an­stalt fun­gie­ren. Denn hier gel­ten beson­ders hohe Sicher­heits­vor­ga­ben. Man­cher­orts wer­den monat­lich nur eini­ge Stun­den Besuchs­zeit gewährt. Han­dys sind ver­bo­ten, an Inter­net ist gar nicht zu den­ken. So kön­nen die Betrof­fe­nen sich weder durch den Kon­takt zu Ver­wand­ten und Freun­den beru­hi­gen las­sen noch Vor­keh­run­gen für die bevor­ste­hen­de Abschie­bung tref­fen. Auch wenn sich die Pra­xis teil­wei­se ver­bes­sert hat, bleibt sie vie­ler­orts sehr restriktiv.

RECHTSWIDRIGE HAFT

Nach Schät­zun­gen sind ein Drit­tel aller Inhaf­tie­run­gen in Deutsch­land rechts­wid­rig. Dies zeigt bereits die Sta­tis­tik des auf Abschie­bungs­haft spe­zia­li­sier­ten Anwalts Peter Fahl­busch: Von über 700 Haft­fäl­len, die er seit 2002 ver­tre­ten hat, wur­den über 250 Per­so­nen zu Unrecht fest­ge­nom­men oder rechts­wid­rig inhaf­tiert. Sei­ner Beharr­lich­keit ist es zu ver­dan­ken, dass die Rechts­wid­rig­keit vor Gericht fest­ge­stellt wur­de. Die Art und Wei­se, wie die Behör­den Men­schen in Abschie­bungs­haft brin­gen, ist mit rechts­staat­li­chen Grund­sät­zen oft­mals nicht zu ver­ein­ba­ren. So wird gegen das Recht auf recht­li­ches Gehör viel­fach ver­sto­ßen. Wenn etwa der Haft­an­trag dem Betrof­fe­nen nicht ein­mal aus­ge­hän­digt wird, bevor die Haft vor Gericht bestä­tigt wird, so kann er sich kaum noch zur Wehr setzten.

Und an dem unfai­ren Ver­fah­ren wir­ken auch die Gerich­te mit, wenn sie etwa im Beschwer­de­ver­fah­ren vor dem Land­ge­richt den Betrof­fe­nen nicht anhö­ren. Der seit 2009 zustän­di­ge Bun­des­ge­richts­hof (BGH) hat in drei Jah­ren 224 Beschlüs­se zum Voll­zug der Abschie­bungs­haft gefasst. Immer wie­der stell­te er fest, dass die Haft nicht mit rechts­staat­li­chen Garan­tien ver­ein­bar ist.

TRENNUNGSGEBOT

Ein wei­te­rer recht­li­cher Aspekt könn­te dem deut­schen Sys­tem der Abschie­bungs­haft nicht nur die Legi­ti­mi­tät ent­zie­hen, son­dern zu einer Ero­si­on sei­ner Grund­la­ge füh­ren. Denn die EU-Rück­füh­rungs­richt­li­nie sieht ein Tren­nungs­ge­bot vor, wonach Abschie­bungs­häft­lin­ge nicht zusam­men mit Straf­ge­fan­ge­nen inhaf­tiert wer­den dür­fen. Und sie geht noch wei­ter: »Die Inhaf­tie­rung [zwecks Abschie­bung] erfolgt grund­sätz­lich in spe­zi­el­len Haft­ein­rich­tun­gen. Sind in einem Mit­glied­staat sol­che spe­zi­el­len Haft­ein­rich­tun­gen nicht vor­han­den und muss die Unter­brin­gung in gewöhn­li­chen Haft­an­stal­ten erfol­gen, so wer­den in Haft genom­me­ne Dritt­staats­an­ge­hö­ri­ge geson­dert von den gewöhn­li­chen Straf­ge­fan­ge­nen unter­ge­bracht« (Arti­kel 16 (1) Rückführungsrichtlinie).

Das heißt nichts ande­res, als dass in JVAs kei­ne Abschie­bungs­haft voll­zo­gen wer­den darf, wenn es spe­zi­el­le Haft­ein­rich­tun­gen gibt. Die sind in Deutsch­land – etwa in Rhein­land-Pfalz – vor­han­den. Deutsch­land stellt sich dage­gen auf den Stand­punkt, es rei­che aus, wenn ledig­lich in einem Bun­des­land eine spe­zi­el­le Ein­rich­tung nicht vor­lie­ge, damit man auf JVAs zurück­grei­fen kön­ne. Die Fol­ge: Eine fast flä­chen­de­cken­de Pra­xis, die gegen EU-Recht verstößt.

In Deutsch­land wird Abschie­bungs­haft in elf von 16 Bun­des­län­dern in Jus­tiz­voll­zugs­an­stal­ten voll­zo­gen. Wenn der BGH oder der EuGH ent­schei­den soll­ten, dass dies rechts­wid­rig ist, dann muss in neun Bun­des­län­dern der Voll­zug der Abschie­bungs­haft in den JVAs umge­hend been­det wer­den. Die – zumin­dest einst­wei­li­ge – Abschaf­fung der Abschie­bungs­haft könn­te mit einem sol­chen Urteil also schnel­ler kom­men als erwar­tet. Davon abge­se­hen ist es vor allem die Situa­ti­on der betrof­fe­nen Men­schen, die zu den­ken geben muss. Abschie­bungs­haft ist ein Über­bleib­sel einer »Aus­län­der­po­li­tik«, die sich als Teil der Gefah­ren­ab­wehr ver­stand. Ein moder­nes Migra­ti­ons­recht kann ohne die­se »tota­le Insti­tu­ti­on« auskommen.


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