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»Deutschland riecht für mich vegetarisch«

Nyima Jadama kam als Journalistin vor zehn Jahren aus Gambia nach Deutschland. Zu Beginn kämpfte sie darum, einen Deutschkurs besuchen zu dürfen. Heute studiert Nyima in Berlin Medien- und Kommunikationswissenschaft.
Zehn Jahre ist es her, dass du nach Deutschland gekommen bist. Was war dein erster Eindruck von diesem Land?
Ehrlich gesagt hatte ich überhaupt keine Vorstellung von Deutschland. Ich hatte nach der Ankunft sehr gemischte Gefühle. Ich sage immer: Die Menschen hier sind so wie das Wetter. Unvorhersehbar. Und sie sind sehr organisiert. Es gibt sehr viel Bürokratie, das ist mir gleich aufgefallen. Außerdem sind Menschen in Deutschland sehr pünktlich. Wenn man hier zehn Uhr sagt, meint man zehn vor zehn, das habe ich schnell gelernt. Ich bin aus einem Land, da heißt 10 Uhr eher 11 Uhr oder später. Aber da denkst du ja nicht vorher drüber nach. Anfangs habe ich mich nicht zugehörig gefühlt, auch wegen der Sprache.
Welches Gefühl hat dich während der ersten Monate in Deutschland begleitet?
Da war viel Unsicherheit. Ich hatte immer Fragezeichen im Kopf, ob ich überhaupt in Deutschland bleiben kann und ob das gut für mich ist. Ich lebte in einer Flüchtlingsunterkunft in Baden-Württemberg auf dem Land. Das war sehr schwierig. Es gab keine Sprachkurse oder ähnliches für mich, keine Möglichkeit der Teilhabe, da ich aus Gambia komme. Wir werden alle als »Wirtschaftsflüchtlinge« angesehen und individuelle Fluchtgründe interessieren nicht. Deshalb durfte ich keinen Deutschkurs besuchen.
Ich habe mir dann selbst Deutsch beigebracht und mit einer Sozialarbeiterin geredet und habe nicht lockergelassen. Ich wollte die Sprache lernen. Ich bin dann selbst zur Schule gegangen, denn ich wollte nicht jeden Tag in der Unterkunft sitzen und nichts tun. Am Ende durfte ich den Deutschkurs A1-A2 besuchen.
Heute gehe ich mit Freude und Stabilität durchs Leben, besonders nach meinem Umzug nach Berlin und meiner Einbürgerung letztes Jahr. Hier konnte ich schnell Fuß fassen, arbeite neben dem Studium.
»Heute gehe ich mit Freude und Stabilität durchs Leben«
Ist Deutschland für dich ein zu Hause geworden?
Seit der Einbürgerung fühlt sich Deutschland sehr nach Heimat an, aber ich fühle mich trotzdem auch manchmal noch im Exil. Nach meiner Einbürgerung schickte ich ein Foto der Urkunde an ein befreundetes deutsches Paar. Ihre Antwort war: »Oh du arme, dein ganzes Leben hast du nur für ein Zertifikat gekämpft.« Da hatte ich nie drüber nachgedacht.
Für mich ist Deutschland nun eine Heimat. Aber ich fühle mich nicht immer zugehörig. Ich werde zum Beispiel oft als einzige kontrolliert, wie zuletzt nach einer Reise auf dem Flughafen – die weißen Menschen um mich herum nicht. Ich habe die Polizei gefragt, warum sie nur mich kontrollieren. Die Beamten sagten, sie würden nur ihre Arbeit machen. Ich denke, dass ich häufig wegen meiner Hautfarbe und meinem Kopftuch kontrolliert werde und das wird wohl so bleiben, solange ich in diesem Land lebe. Mir hier ein neues Leben aufzubauen, wäre so viel einfacher gewesen, wenn es Gleichberechtigung für alle geben würde.
Wie schmeckt, riecht, fühlt sich deine erste Heimat an, und wie deine zweite, Deutschland?
Meine Heimat Gambia riecht für mich nach scharfem Essen. Ich denke an Freunde, Farben, Lachen und Unterstützung. Deutschland riecht für mich vegetarisch. Es fühlt sich häufig kalt und unfreundlich an. Und vor allem ist Deutschland für mich viel Papier. Ich habe in Deutschland so viele Briefe in einem Monat bekommen, wie in meinem ganzen Leben vorher nicht.
Wann hast du dich hier angekommen gefühlt? Erinnerst du dich an einen bestimmten Moment, in dem dir klar wurde: Ich gehöre jetzt hierher?
Ich fühlte mich angekommen, als ich 2018 in Baden-Württemberg die Genehmigung bekam, nach Berlin umziehen und meine Ausbildung machen zu dürfen. Wenn wir in Afrika die Möglichkeit bekommen, nach Europa zu kommen, freuen wir uns sehr über das Visum. So war es bei mir mit Berlin. Ich rief meine Freundin an und sagte: »Ich habe ein Visum für Berlin bekommen!« Für mich war das eine große Freude. Heute ist Berlin Heimat für mich.
Mein Lieblingsort in Berlin ist Prenzlauer Berg. Dort bin ich angekommen, als ich nach Berlin kam – der Ort hat mich geprägt. Ich habe dort so viele Erfahrungen gemacht und so viel erlebt. Noch heute gehe ich manchmal dorthin.
Ich konnte hier gut ankommen und Fuß fassen, weil ich sehr hartnäckig bin. Niemand kann mich stoppen. Ich bin sehr motiviert und habe immer meine Ziele verfolgt. Ich ging zur Schule, machte eine Ausbildung, arbeitete und studiere jetzt. Ich wurde aber auch unterstützt von Menschen und Organisationen. Vor allem die Schöpflin Stiftung unterstützt mich seit Jahren.
Gibt es Dinge, die dich in Deutschland stören?
In Deutschland nervt mich, immer wieder über Rassismus zu reden. Es sollte einfach kein Thema mehr sein. Warum spielt meine Hautfarbe so oft eine Rolle? Ich habe in der Vergangenheit viel über Rassismus gesprochen und mich engagiert und habe unter anderem dafür 2023 den Silvio-Meier-Preis bekommen. Ich kämpfe auch immer noch, aber ehrlich gesagt bin ich so fertig davon, immer über dieses Thema zu sprechen. Wir müssen endlich zu dem Punkt kommen, dass wir alle Menschen sind. Punkt.
»Wir müssen endlich zu dem Punkt kommen, dass wir alle Menschen sind.«
Was mich aber nicht nur nervt, sondern schockiert, ist die starke Präsenz und die Wahlerfolge der AfD. Und ihre politischen Pläne, was sie mit Migrant*innen vorhat, wenn sie an der Regierung wäre. Auch die Begegnungen in Behörden mit den Menschen und der Bürokratie dort, waren häufig heftig. Der Rassismus und die Diskriminierung gegenüber Geflüchteten, gesellschaftlich und politisch, ist wirklich schockierend.
Du sprachst davon, dass du dich engagierst. Erzähle uns davon.
Aktuell bin ich zum Beispiel in der Gründungsphase eines Vereins, mit dem ich Geflüchtete und Migrant*innen in Deutschland, aber auch Menschen in Gambia unterstützen möchte. Ich habe ein Pilotprojekt zu Medienkompetenzen für Frauen durchgeführt und unterstütze Migrantinnen in Berlin als Sprach- und Kulturmittlerin.
Wie geht es dir, wenn du auf die letzten Jahre seit deiner Ankunft in Deutschland blickst?
Ich bin besonders stolz, dass ich in den letzten Jahren alles allein geschafft habe, bis hin zur Einbürgerung. Bei verschiedenen Behörden sagten sie mir, es würde niemals funktionieren. Ich würde es nicht schaffen. Aber ich habe es geschafft, allein durch meine Leistungen.
Heute möchte ich den Menschen in Deutschland sagen: Auch wenn es gerade so viel Hass gibt: Sei mutig! Bleib stark! Und verfolge deine Ziele.
(nb)